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Donauschifffahrtsreisetagebuch

3. Juli – 1. Reisetag:

Nach einer schrecklichen Anfahrt im Zug (Verspätung! Klimaanlage kaputt!) habe ich heute in Passau das »Kreuzfahrtschiff« bestiegen. Das Einschiffen war enttäuschend, wie erwartet: Es ist bloß ein mickriger, dreistöckiger Kahn, der aussieht wie das Beiboot eines AIDA-Kreuzers – ach, was schreibe ich, wie die kleine Schwester des Beibootes eines AIDA-Kreuzers! Und dieser Witz von einem Schiff heißt dann auch noch »MS Erzherzogin«!

Ich sitze hier und frage mich, ob meine Eltern ihr Geschenk vielleicht irgendwie lustig gemeint haben. Oder ob sie tatsächlich keine Ahnung haben, dass langweiliges Dahintuckern auf der Donau nicht exakt dasselbe ist wie eine Kreuzschifffahrt im Mittelmeer, auf der Ostsee oder sonst wo in der weiten Welt.


Und was bietet der Ausblick? Im Augenblick nichts als österreichisches Uferödland …

Und dabei haben es sich meine Eltern nicht einmal nehmen lassen, mir eine teure Kabine auf dem Promenadendeck zu buchen. Eine ganze Wand besteht aus Glas! Und was bietet der Ausblick? Im Augenblick nichts als österreichisches Uferödland …

Den nächsten Tiefschlag hielt gerade vorhin der Willkommensabend im Restaurant samt Viergangmenü für mich bereit: Der Altersdurchschnitt an Bord ist gefühlte 104, aufgrund von schlecht sitzenden Zahnprothesen wird nicht gelacht und bei Tisch geht es hauptsächlich um Krankheiten und Erlebnisse aus den Kriegsjahren.

Ich will wirklich nicht undankbar sein und werde das meinen Eltern vermutlich nie sagen, aber das war es nicht, was ich mir vorgestellt habe, als ich meinte, eine Kreuzfahrt wäre mein größter Traum!

4. Juli – 2. Reisetag:

Heute waren wir in Ybbs, Melk und Dürnstein. Das heißt, die anderen Passagiere haben diese wahnsinnig »spannenden« Mini-Orte besucht. Ich hingegen habe als Kabinendauerfüllung angeheuert und meine Koje bis zum Abend nicht verlassen, weil es ununterbrochen geregnet hat. Dabei ist es schweinekalt und ich erwarte für dieses Schiff jederzeit ein ähnliches Schicksal wie für die Titanic. Dass die österreichischen Sommer nicht gerade für tropische Verhältnisse berühmt sind, wusste ich schon, aber mit polarer Witterung habe ich dann auch wieder nicht gerechnet …

Jetzt habe ich mich tatsächlich zum Abendessen aus der Kabine gequält, auch wenn ich mich reichlich abgewrackt fühle. Es gab Wachauer Marillenknöderl (= kleine Aprikosenklöße!). Warum hier kein ordentliches Deutsch gesprochen wird, bleibt ein Rätsel. Zusätzlich zu den eigenwilligen Regionalvokabeln wird auch noch alles durch ein »erl« verniedlicht. Ich glaube, das hat Methode, um die Passagiere darüber hinwegzutäuschen, dass diese Fahrt im Grunde eine Riesenabzocke ist.


Ich gehe jetzt volle Kraft voraus in mein Betterl und versuche zu verdrängen, wie viele Tage die Reise auf diesem Schifferl noch dauert.

Ich gehe jetzt volle Kraft voraus in mein Betterl und versuche zu verdrängen, wie viele Tage die Reise auf diesem Schifferl noch dauert.

5. Juli – 3. Reisetag:

Heute hatten wir nicht mehr als eine Stunde Zeit, um uns die Hauptstadt der Slowakei anzusehen. Gut, Bratislava ist nicht groß, aber die netten Bars und Geschäfte in der Altstadt hätten mich durchaus gereizt. Doch nach sechzig Minuten hieß es schon wieder »Erzherzogin ahoi« und weiter ging es flussabwärts …

Um endlich ein wenig richtiges Kreuzfahrt-Feeling zu bekommen, habe ich mich jetzt am Abend nach dem Essen an die Bar gesetzt. Der Steward hat sich sehr um mich bemüht und mir sogar »slowakisches« Bier serviert (Zlaty Bazant, ich habe es gegoogelt: gehört zu Heineken – ist denn hier nichts echt?). Er wollte dann von mir wissen, ob mir die Fahrt gefalle. Auf meine Antwort hin, dass dieser Kahn nun mal nicht die Queen Mary sei, war er höchst verwundert. Er findet 160 Passagiere und knapp fünfzig Leute Besatzung angenehm und würde ein Schiff mit ungefähr viertausend Menschen darauf niemandem empfehlen. Ich vermute, so etwas müssen sie sagen, damit die gedämpfte Stimmung an Bord nicht aus dem Ruder läuft.

6. Juli – 4. Reisetag:

Das Donauknie passierend, haben wir heute Budapest erreicht. Und endlich klart es auf! So konnte ich die Stadt bei Sonnenschein erkunden, wodurch sich meine Laune auch gleich gebessert hat. Ich hatte sogar echt Appetit auf eine Gulaschsuppe und das eine oder andere Glas Tokajer. Leider habe ich nach dem Genuss dieser regionalen Spezialitäten ein wenig die Orientierung verloren und nicht auf Anhieb zur Schiffsanlegestelle zurückgefunden. Als ich dort zuletzt ankam, wartete man schon auf mich – das war ein bisschen peinlich.

Als ich schließlich an Deck ging, stand an der Gangway ein Mann in Uniform, den ich an den bisherigen Tagen noch kein einziges Mal auf der Erzherzogin gesehen habe. Er ist jung und – keine Ahnung, ob der Tokajer daran schuld ist – ich finde ihn einfach umwerfend adrett! Als er die Mütze absetzte, erfasste eine kleine Bö seine blonden Haare und verwirbelte sie. Ich glaube, genau in dem Moment hat mich ein »Blitz« getroffen. Auf jeden Fall muss ich jetzt dauernd an ihn denken …

Beim Abendessen saß der Neue am Tisch des Kapitäns (plötzlich in Zivilkleidung, aber deshalb nicht minder attraktiv!). Vor lauter Den-Kopf-nach-ihm-Verrenken hätte ich mich beinahe am ungarischen Paprikahuhn verschluckt.

Später habe ich den Steward an der Bar nach ihm gefragt. Unser neuer Passagier ist der Kapitän eines anderen Donauschiffs! Jetzt, wo wir den Gegenkurs zurück nach Passau steuern, nutzt er die Mitfahrgelegenheit. Ich frage mich, warum er nicht den Zug genommen hat, denn dann wäre er wenige Stunden später am Ziel.

7. Juli – 5. Reisetag:


Heerscharen lustiger Witwen strömten bei schönstem Wetter unternehmungslustig von Bord.

Heute haben wir in Komárno, der Geburtsstadt von Franz Lehár, Halt gemacht. Heerscharen lustiger Witwen strömten bei schönstem Wetter unternehmungslustig von Bord. Ich habe den Tag aber lieber dazu genutzt, wie eine Galionsfigur ganz vorn am Sonnendeck Posten zu beziehen und nach dem Kapitän in Zivil Ausschau zu halten. Denn – Mayday! – er hat mich endgültig in seinen Bann gezogen, als er mir beim Frühstücksbüfett am Toastautomaten den Vortritt gelassen hat. Ich bin richtig froh, mich nicht auf einem Kreuzschiff mit viertausend Leuten zu befinden, denn dann hätte ich nie eine Chance, ihm über den Weg zu laufen. Die Erzherzogin ist so überschaubar, dass es quasi unmöglich ist, einander nicht zu begegnen …

Tatsächlich! Am frühen Nachmittag habe ich den Schönen an der Reling entdeckt. Wie zufällig habe ich mich zu ihm gesellt. Mit der Frage, ob ihm das Schiff auch so gefällt wie mir, zettelte ich ein Gespräch an. Die Donau ist sein Leben, hat er mir geantwortet, und dass er sich den Jux macht, einmal als Passagier mit dem Kollegen mitzufahren.

Auf jeden Fall will er mich morgen in Wien in die Hofzuckerbäckerei Demel auf ein Kipferl einladen.

Und so kann ich in dieses Logbuch jetzt eintragen, dass mir die Reise immer besser gefällt und dass ich mich zu Beginn geirrt habe, wenn ich dachte, die Erzherzogin sei nicht das Richtige für mich.

8. Juli – 6. Reisetag:

Wien ist meine Stadt! Ich könnte dort tagelang mit Kapitänen (weiterhin natürlich in Zivil – eigentlich ein Jammer!) umherstreifen und mir alles zeigen lassen. Schade, dass wir nur so wenig Zeit hatten. Als er mich dichtholte, um mich vor der Kollision mit einem Fiaker (= Wiener Kutsche) zu bewahren, war mir danach, länger angedockt zu bleiben. Aber das wäre natürlich zu aufdringlich gewesen, also habe ich »Huch« gesagt und den sicheren Hafen seiner Arme wieder verlassen …

Offensichtlich begrüßt er es aber durchaus, wenn ich in seinem Kielwasser fahre, denn er hat dafür gesorgt, dass ich heute für das Abendessen an den Tisch des Kapitäns eingeladen wurde. Im Anschluss daran gab es im Bordtheater eine Auswahl an österreichischen Qualitätsweinen zu kosten, was wir ebenfalls zusammen absolviert haben. Und er ist ja so eloquent und charmant – auch nach dem vierten Glas Grünem Veltliner noch!

9. Juli – 7. Reisetag:

Heute habe ich meinen Eltern von Linz aus eine Postkarte geschickt, um ihnen von meiner großartigen Reise zu berichten. Die Donau ist wirklich der hübscheste Fluss von allen mit den putzigen Städtchen an ihren Ufern und der reizenden Landschaft, die sich so oft ändert. Da wird einem während der Fahrt einfach nie langweilig.

Mein Kapitän außer Dienst war mit mir heute eine Linzer Torte essen und hat mich dann in einer schmalen Altstadt-Gasse geküsst. Eigentlich ist es den Besatzungsmitgliedern verboten, sich mit Passagieren einzulassen, aber es hat bestimmt niemand gesehen und frei hat er ja außerdem noch. Da kann ihm keiner einen Vorwurf machen.

Anschließend konnten wir einen traumhaften Sonnenuntergang an Deck bewundern. Das war vermutlich das Romantischste, was ich je erlebt habe.

Weil die Reise morgen schon zu Ende geht (SOS!), habe ich ihn für später nach dem Essen in meine Kabine eingeladen. Dafür werde ich mich richtig auftakeln.

10. Juli – 8. Reisetag:

Mein Kapitän hat in der Früh beim Aufwachen zu mir gesagt, dass die Donau heute Nacht ihre erste Springflut erlebt hat. Ich kann dafür keine treffenderen Worte finden.

Am Vormittag war dann leider schon das Ausschiffen angesagt. Den Navigator meines Herzens konnte ich nirgends mehr entdecken, aber vermutlich war es besser so, denn was hätte ein langwieriges Segel-Streichen gebracht? Während ich nun den heimatlichen Hafen ansteuere, läuft er bald wieder aus und befährt die Donau (so blau).

Also habe ich die Erzherzogin in Passau gemeinsam mit 160 alten Leuten – glücklich und traurig zugleich – verlassen. Die Reise ist nicht so verlaufen, wie ich es erwartet hatte, und irgendwie verspüre ich jetzt Lust darauf, es auch mal mit dem Rhein zu versuchen.

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