Читать книгу Wer bist du? - Heike Strulik - Страница 3
Kapitel 1
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Wer bist du? Ganz plötzlich und unerwartet stand diese Frage im Raum. Peter hätte nie gedacht Tinas Stimme jemals wieder zu hören. Sie hatte geschlafen. Lange geschlafen. Er saß, wie so oft in der letzten Zeit, an ihrem Krankenbett und las die Tageszeitung. Einfach nur um ihr nahe zu sein.
Man wusste nicht was geschehen war. Sie wurde damals auf einem Feldweg, nahe beim Wald gefunden. Mit teilweise zerrissener Kleidung, Schrammen. tiefen Kratzwunden und anderen Verletzungen, die mittlerweile allerdings, zumindest teilweise, wieder verheilt waren. Sie war kaum ansprechbar und als der Fremde, der eigentlich nur einen ausgiebigen Spaziergang mit seinem Dackel unternehmen wollte, sie fand, konnte sie ihm nicht einmal ihren Namen nennen. Kaum, dass sie in seiner Nähe war, war sie auch schon in seinen Armen einfach in Ohnmacht gefallen.
Man hatte sie ins Krankenhaus gebracht, wo sie intensiv untersucht und behandelt wurde. Allerdings wollte sie einfach nicht wieder aufwachen. Den Ärzten war es ein Rätsel. In ihrem Blut wurden zwar Überreste unbekannter Substanzen gefunden, aufgrund der geringen Menge jedoch konnte man nicht genau definieren worum es sich dabei handelte.
Ihre Verletzungen reichten von mehreren blauen Flecken bis hin zu Abschürfungen an den Knien und etlichen blutverkrusteten Wunden am ganzen Körper. Sie hatte eine Platzwunde am Hinterkopf und außerdem konnte man an Armen und Beinen deutliche Fesselspuren erkennen, woraus man schließen konnte, dass sie gefangen gehalten worden war. Aufgrund von Peters Vermisstenanzeige stellte sich recht bald heraus, dass es sich bei ihrer Person um Tina Mantari handelte.
Genau in diesem Moment klopfte es an die Tür. Prof. Dr. Wollersheimer, in Begleitung zweier kompetenter Assistenzärzte und zweier Krankenschwestern, betrat das Zimmer. Tina sah in die Richtung der Tür. Ihr Blick war noch sehr verhangen. Man merkte ihr an, dass sie keinen blassen Schimmer davon hatte was hier vor sich ging.
"Sie ist wach", sagte Peter, derart verblüfft über die Geschehnisse der letzten paar Minuten, dass er sogar vergessen hatte Tinas behandelnden Arzt und seinen Anhang zu begrüßen.
"Frau Mantari. Wie schön sie wieder unter den Lebenden zu sehen.....Wie geht es Ihnen? Wollen wir doch gleich mal nachsehen!" Der Professor trat an das Bett von Tina und hielt sofort ihre Hand, um ganz nebenher ihren Puls zu fühlen. Während eine der Schwestern ganz aufgebracht nach draußen lief, schrieb die andere eifrig irgendetwas in das Krankenblatt, auf dem von ihr mitgebrachten Clipboard. Peter stand auf und ging ans Fenster. Gedankenversunken rieb er sich das Kinn. Er war mit der plötzlichen und neuen Situation überfordert. Wieso erkannte sie ihn nicht? Würde das so bleiben? Wie sollte es jetzt weiter gehen und was war überhaupt genau mit ihr geschehen? Fragen über Fragen. Die Gedanken schwirrten ihm wild durch den Kopf. Er zwang sich zur Ruhe und holte erst einmal tief Luft. Dann blickte er zurück auf das Krankenbett, in dem seine Frau fragend zu ihrem Arzt aufblickte.
Der schien das Ganze doch sehr gelassen hinzunehmen. Man konnte fast annehmen, dass es öfter vorkam, dass Patienten nach einer Dauer von beinahe einem Monat plötzlich wieder zu sich kamen. Doch auch der Professor war sehr erstaunt darüber. Er ließ es sich dank seiner Professionalität jedoch nicht anmerken. Die Patientin war offensichtlich schon verwirrt genug. Man musste sie nicht noch mehr beunruhigen.
"Sie erkennt mich nicht....." Peter wandte sich an den Professor. "Warten wir erst mal ab.", meinte der daraufhin. „Sie soll erst einmal richtig zu sich kommen, dann sehen wir weiter!“
Gesagt getan. Der Professor wollte sich zunächst noch einmal ganz in Ruhe mit Tina unterhalten und bat Peter sie doch erst einmal allein zu lassen. Mit einer hilflosen Geste strich Peter seiner Frau durch die Haare. Sie lag da wie Schneewittchen, in ihrem weiß bezogenen Bettzeug. Ihre langen schwarzen Haare umrahmten ihr blasses Gesicht und ihre großen, blau-grünen Augen blickten ratlos von einem zum anderen. Dann nahm er seine Jacke samt Zeitung und verließ das Krankenzimmer.
Er fuhr nach Hause, in das nicht weit gelegene Anwesen im Grünen. Zuerst ging er ins Badezimmer, wo er sich erst einmal eine ausgiebige Dusche gönnte. Nachdem er so in Gedanken versunken mehrere Minuten unter dem warmen Wasserstrahl gestanden hatte, fühlte er sich schon ein bisschen besser. Er zog sich frische Freizeitkleidung über und ging in die Küche. Dort machte er sich schnell eine Kleinigkeit zu essen. Dank seiner "Treuen Seele" Ellen, der Haushälterin, war der Kühlschrank nicht leergefegt. Normalerweise ließ es Tina sich nicht nehmen die Einkäufe selbst zu erledigen, aber das war ja in letzter Zeit nicht möglich gewesen. Ellen hatte dafür gesorgt, dass immer etwas Leckeres und Gesundes im Haus war. Sonst hätte Peter es mehr als einmal vergessen, dass der Körper nicht nur Schlaf und Arbeit benötigt um zu funktionieren. Nachdem er so gestärkt ein wenig beruhigter war, ging er in sein Arbeitszimmer. Dort nahm er das Telefon zur Hand und rief im Krankenhaus an. Die Nummer kannte er längst auswendig, so oft hatte er sie in der letzten Zeit benutzt. Er hatte die direkte Durchwahl zum Professor. Nach zweimaligem Läuten ging dieser auch sofort ans Telefon.
"Peter Mantari hier Herr Professor, wie geht es meiner Frau?", meldete sich Peter. Nach einer kurzen Pause, die Peter wie eine Ewigkeit erschien, meldete sich der Professor zu Wort. "Herr Mantari. Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für sie. Es geht ihrer Frau den Umständen entsprechend sehr gut. Allerdings scheint sie immer noch nicht zu wissen wer sie ist und hat auch sonst keine Erinnerung an ihr früheres Leben. Sie müssen sich das vorstellen wie auf einem Computer, auf dem die Festplatte gelöscht wurde. Sie besitzt ansonsten noch sämtliche motorischen Fähigkeiten. Aufgrund des langen Liegens muss sie allerdings ihre Muskeln wieder richtig in Gang bringen. Deshalb ist es notwendig sie in ein entsprechendes Rehabilitationszentrum zu überweisen." Peter konnte ein leichtes Aufstöhnen nicht unterdrücken. Er wusste selbst nicht genau was er denken oder fühlen sollte. Einerseits war er sehr froh, dass es seiner Frau gesundheitlich anscheinend gut ging, andererseits war ihm die Tatsache doch sehr suspekt, dass sie sich an rein gar nichts mehr erinnern konnte.
Sie machten einen Termin für den nächsten Vormittag miteinander aus. Peter sollte sich zuerst beim Professor melden, um dann mit ihm zusammen zu Tina zu gehen. Professor Wollersheimer wollte sich höchstpersönlich um eine gute Klinik für Tina kümmern. Nach dem kurzen Telefonat legte Peter den Hörer auf.
In seinem Kopf kreisten die Gedanken. Er liebte Tina nach wie vor, doch in der letzten Zeit vor ihrem plötzlichen Verschwinden hatten sie sich immer öfter gestritten. Nach dem letzten Streit war er äußerst wütend gewesen. Ein Wort gab das andere und dann sprach sie aus was er niemals von ihr hören wollte. „Wenn wir nicht mehr glücklich miteinander leben können dann müssen wir uns eben scheiden lassen!“ Scheidung. Das würde er niemals zulassen. Er wusste noch genau wie es damals bei seinen Eltern gewesen war. Seine Mutter wollte nicht mehr mit seinem Vater zusammenleben und verließ sie beide eines Tages nach einem Streit. Das war das Letzte, was Peter von ihr gesehen hatte. Nach der Scheidung hatte der Vater sämtlichen Lebensmut verloren, wurde krank und starb früh. Von diesem Moment an hatte sich Peter geschworen, dass ihm so etwas niemals passieren würde. Ganz abgesehen davon, würde eine Scheidung der Firma und seinem persönlichen Ruf schaden. Nicht zuletzt war sein Erfolg auch ihrer skandalfreien Ehe und ihrem gemeinsamen Auftreten bei verschiedensten Veranstaltungen zu verdanken. Und nun hatte Tina es doch gewagt von Scheidung zu reden. Wie konnte sie so etwas tun? Wie konnte sie ihn einfach so stehen lassen und fortbleiben ohne sich zu melden? Hatte sie etwa auch vor ihn zu verlassen, so wie es seine Mutter damals getan hatte? Doch dann hatte er doch begonnen sich Sorgen zu machen. Warum meldete sie sich nicht wenigstens? Nachdem er vergeblich versucht hatte sie auf ihrem Handy zu erreichen, rief er bei ihren Freunden Gloria und deren Mann Frank an. Aber auch die wussten nicht wo Tina war und machten sich große Sorgen. Am zweiten Tag ihres Verschwindens ging Peter zur örtlichen Polizei, um dort eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Als der Beamte am Schalter ihn erkannte, rief er sofort Hauptkommissar Thomas Bruckner hinzu, der ihn mit in sein Büro nahm.
Peter war ihm Ort eine bekannte Persönlichkeit. Vor Jahren hatte er die kleine Schreinerei seines Vaters übernommen und sich auf modernere und qualitativ hochwertige Möbel, in allen Preisklassen spezialisiert. Seine kreativen Möbelstücke fanden sofort reißenden Absatz, sodass er seine Schreinerei vergrößern, neue Geräte und Maschinen anschaffen und zusätzliches Personal einstellen konnte. Peter Mantari selbst hatte schon seit Jahren nicht mehr selbst Hand angelegt und nur noch seine Angestellten für sich arbeiten lassen. Er hatte sich im Lauf der Firmenentwicklung immer mehr ausschließlich um den Verkauf gekümmert. Aber selbst für diese Tätigkeiten hatte er nach und nach fachkundiges Personal gefunden und sich selbst auf das Knüpfen neuer Kontakte konzentriert.
Bruckner bat Peter zunächst Platz zu nehmen und setzte sich dann selbst hinter seinem Schreibtisch auf den Bürostuhl. "Seit wann vermissen sie ihre Frau denn Herr Mantari?", begann er dort das Gespräch "Sie ist die letzte Nacht nicht nach Hause gekommen und hat sich seither nicht gemeldet. Ich kann sie auch nicht auf ihrem Handy erreichen. Anfangs dachte ich noch sie ist sauer, weil wir uns gestritten haben, aber mittlerweile mache ich mir doch große Sorgen, dass ihr etwas passiert sein könnte!"
"Sie haben gestritten...?", erwiderte Bruckner. Kaum merklich zog sich eine seiner Augenbrauen ein Stück nach oben. "Ja. Aber ich kann noch nicht einmal genau sagen worum es dabei ging. Kleinigkeiten die sich im Lauf der Zeit immer wieder anhäufen. Belanglosigkeiten einer langjährigen Ehe!"