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Kapitel 4

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Robin Meier hatte es satt, ständig den Bediensteten zu spielen. Außerdem machte ihm sein Herz sehr zu schaffen. Bei jeder kleinen Anstrengung machte es Krawall, als wenn es ihm aus der Brust herausspringen wollte. Doch er konnte es nicht wagen einen Arzt aufzusuchen. Früher, ja früher, als er noch wesentlich jünger war, da war er es, der den Frauen gezeigt hatte wer hier der Boss ist. Nun musste er hier den Lakaien mimen. "Ja Frau Mantari. Sicher Frau Mantari. Ich komme sofort Frau Mantari." So wie gestern als Tina Mantari ihn im Garten angetroffen hatte und meinte: "Ah Robin. Gut, dass ich sie sehe. Ich hätte da noch ein paar Bilder aufzuhängen. Würden sie mir dabei helfen?" Er hatte sich gerade wieder einmal übernommen und rieb sich den Brustkorb, sodass sie es nicht sehen konnte. "Sicher Frau Mantari... ich bin gleich bei ihnen" Pä...würden sie mir dabei helfen. Sicher würde er ihr dabei helfen. Er wurde schließlich dafür bezahlt und hatte hier ein sicheres Versteck vor der Polizei gefunden. Stets zu Diensten Frau Mantari, dachte er und machte sich auf den Weg über die Terrassentür in die Villa.

Am nächsten Tag war er zu ihrem Mann Peter gegangen und hatte gekündigt. In der Nacht hatte er es fast nicht mehr ausgehalten. Seine Schmerzen waren so unerträglich geworden, dass er dachte er würde sie nicht überleben. Er hatte vor weiterzuziehen. Viel weiter. Einen Ort wo man von seiner Vergangenheit und dem was er getan hatte nichts wusste und er sicher einen Arzt aufsuchen konnte. Der Boss, der Idiot hatte ihm auch noch ein ganz nettes Sümmchen zum Abschied, in einem Kuvert übergeben. Damit, und dem gesparten Lohn der letzten Jahre, wo hätte er denn auch groß sein Geld ausgeben sollen, würde er eine ganze Weile gut auskommen, ohne gleich wieder irgendwo den Deppen spielen zu müssen. Er packte seine paar Habseligkeiten in dem geräumigen Gästehaus zusammen und machte sich zu Fuß auf den Weg in die Ortschaft. Absichtlich war er gegangen als niemand im Haus war. Mantari oder seine Frau hätten ihn sicher gefahren, mit einem ihrer „ach so tollen Autos“. Aber das wollte er nicht. Er wollte einfach nur schnell weg, ohne noch einmal Danke sagen zu müssen.

Im Ort angekommen, merkte er doch wie anstrengend so ein Fußmarsch für ihn mittlerweile geworden war. Er setzte sich am Rand des Parks auf eine Bank, um sich ein wenig auszuruhen. Wie schön es hier doch war. Selten war er aus seinem kleinen "zu Hause" in den Ort gekommen. Aber jetzt im Frühling wo hier alles blühte konnte er sich so richtig freuen über den Anblick des geschäftigen Treibens und dachte: Warum soll ich hier nicht noch ein paar Tage bleiben und es genießen nichts tun zu müssen?! Nach so vielen Jahren sucht mich hier bestimmt niemand mehr. Direkt gegenüber vom Park war eine kleine Pension, die nach außen hin sehr gemütlich wirkte. Dort meldete er sich unter seinem falschen Namen, an den er sich mittlerweile schon so gewöhnt hatte, an.

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Tina war sauer.....richtig sauer. Peter warf ihr vor nicht mehr die Gleiche zu sein wie damals, als sie sich kennengelernt hatten. Stimmt, dachte sie, ich bin nicht mehr dieselbe wie damals. Aber das war das Ergebnis dessen was Peter aus ihr gemacht hatte. Er hatte sich im Lauf der Jahre schließlich auch verändert. Als er noch der einfache Schreiner im Betrieb seines Vaters gewesen war hatten sie sich kennengelernt. Er, der aufstrebende Junghandwerker, und sie, eine einfache junge Frau, die in einer örtlichen Kneipe aushalf. Sie waren noch frisch verheiratet, da übernahm er den väterlichen Betrieb. Als Geschäftsinhaber seiner rasant wachsenden Schreinerei hatte er zusätzliche gesellschaftliche Verpflichtungen die auch sie mittragen musste. Peter wünschte sich damals von ihr, dass sie von nun an ganz für ihn und seine Karriere da war. Eine Kneipenkellnerin passte einfach nicht zu einem aufstrebenden Jungunternehmer. Es war ihm egal, dass er damit ihre eigenen Pläne durchkreuzte. Blind vor vermeintlicher Liebe ließ sie zu, dass er ihr Leben von dem Moment ab, an dem sie ihn kennenlernte, voll und ganz bestimmte. So kam es, dass sie ausgerechnet die ihr liebsten, und bis dahin wichtigsten, Menschen enttäuschte. Helmut und Elsie, die eigentlich Elisabeth hieß, aber von Tina liebevoll so genannt wurde. Die beiden waren sehr gute Freunde ihrer Eltern gewesen. Nach deren tragischen Tod durch einen Autounfall nahmen sie Tina zu sich, als sie zwölf Jahre alt war. Die Beiden hatten damals schon die gemütliche Eckkneipe in der Bahnhofstraße und wünschten sich, dass Tina sie eines Tages übernehmen würde. Sie sahen in ihr die Tochter, die sie leider selbst nie bekommen hatten. Tina fühlte sich auch sehr wohl bei den Beiden und der Arbeit in ihrem kleinen Lokal. Dass sie eines Tages in die Fußstapfen der Zwei treten würde, stand für sie außer Frage. Die Arbeit ging ihr leicht von der Hand. Die Meisten der Stammgäste kannte sie von klein auf. Viele Arbeiter kamen schon zum Mittagstisch, weil man hier für wenig Geld eine gute und anständige Mahlzeit bekam. „Das glückliche Eck“, so wie sich die Wirtschaft nannte, war jeden Tag

Treffpunkt für viele Menschen. An manchen Wochenenden war Tanz und Tina war so richtig in ihrem Element. Je voller die Hütte war, umso wohler fühlte sie sich. Das war ihr Leben und sie wollte es auf jeden Fall so beibehalten. Doch an einem dieser Tanz-Wochenenden betrat Peter, mit zwei seiner Kollegen, das Lokal. Er fiel Tina sofort auf. Groß, elegant und selbstbewusst, mit dunkelbraunem vollen Haar und einem Lachen, dass so richtig mitriss. Es kam wie es kommen musste. Sie tanzte mehr als einmal mit diesem einnehmenden Mann. Nach diesem Abend kam er immer wieder und so wurden sie schon bald darauf ein Paar. Helmut und Elsie hatten sich auch sehr für Tina gefreut und anfangs dachte man, dass alles nicht besser hätte laufen können. Peter kam regelmäßig in die Gaststätte und half gelegentlich auch aus. Als er aber die Firma seines Vaters übernahm, hatte er für so etwas keine Zeit mehr. Tina hatte kein Problem damit, hätte aber nie gedacht, dass Peter eines Tages von ihr verlangen würde ihre eigenen Wünsche und die ihrer Zieheltern aufzugeben. Doch Tina gab seinem Drängen nach. Sie wollte ihn nicht enttäuschen und enttäuschte stattdessen ausgerechnet die beiden Menschen die ihr so lieb geworden waren. Sie beklagten sich nicht, doch Tina wusste was in den Beiden vorging. Viel zu sehr hatten sie sich, vor Peters Einmischung, die Zukunft mit Tina an ihrer Seite ausgemalt. Manches Mal könnte sie heute den Tag verfluchen, an dem Peter das erste Mal seinen Fuß in ihr Lokal gesetzt hatte. Und nun beschwerte er sich darüber, dass sie sich verändert hatte.

Sie konnte sich noch sehr gut an ihr erstes Geschäftsessen mit einem ortsansässigen Hotelier erinnern. Hans Steuber hatte vor sämtliche Zimmer seines Hotels zu renovieren und neu einzurichten, und sich daher für Peters neu entworfene Kollektion interessiert. Sie kam sich total fehl am Platz vor. Die Gattin des Hotelinhabers war äußerst elegant gekleidet und frisch frisiert. Sie war dermaßen perfekt gestylt, dass Tina sich vorkam wie ein einfaches Bauernmädchen beim ersten Stadtausflug. Peter bemerkte nicht, wie unwohl sie sich an diesem Tag fühlte. Auf jeden Fall war dieser Termin wesentlich entscheidend für Tinas Entwicklung gewesen. Da Peter immer mehr geschäftlich unterwegs war, hatte sie sehr viel Zeit. Sie begann sich immer mehr für Mode zu interessieren und war bei zukünftigen Geschäftsterminen nicht mehr die dumme kleine Neue, sondern hatte ein sehr selbstbewusstes Auftreten. Nach und nach war es für sie normal regelmäßige Friseurtermine wahrzunehmen und sich immer wieder neu einzukleiden. Schließlich galt es in diesen neuen Kreisen auf bestimmten Veranstaltungen nicht zweimal im gleichen Outfit zu erscheinen. Mehr als einmal hatte sie den Tratsch der „Ladys“ dieser Bussi-Bussi Gesellschaft mitbekommen sobald sie einer Anderen den Rücken zugekehrt hatten.

So oft sie konnte besuchte sie Helmut und Elsie in ihrer kleinen Wirtschaft. So lange sie konnten wollten sie ihr Lokal nicht aufgeben. Insgeheim hatten sie wohl immer noch die Hoffnung, dass Tina eines Tages hierher zurückkehren würde. Aber da kannten sie Peter nicht.

Er würde nicht zulassen, dass seine Frau mit ihrem Verhalten seine aufstrebende Karriere zunichtemachen würde. Also blieb es für Tina bei ihren heimlichen Treffen mit den Beiden. Peter musste darüber nicht unbedingt Bescheid wissen. Anfangs hatte sie ihm noch Grüße ausgerichtet, doch er hatte jedes Mal eifersüchtig und harsch reagiert. Also hatte sie ihm nichts mehr von ihren Besuchen erzählt. Sollte er doch glauben sie sei Einkäufen oder dergleichen.

Überhaupt, hatte er sich im Lauf der Jahre sehr verändert. Je erfolgreicher die Firma wurde, umso überheblicher und arroganter wirkte er auf sie, im Umgang mit seinen Mitmenschen. Sehr gut konnte sie sich an eine Szene erinnern, die sich bei einem Treffen mit einem potentiellen Käufer für seine Firma abgespielt hatte. Als er ihr damals davon erzählt hatte keimte in ihr schon die Hoffnung auf, dass er tatsächlich vorhaben könnte seine Firma zu verkaufen. Sie hätten die Chance gehabt noch einmal ganz von vorne anzufangen und vielleicht hätte sie in ihm wieder den Mann erkannt, in den sie sich damals verliebt hatte. Doch als das Abendessen mit dem Ehepaar stattfand schämte sie sich nur für seine überhebliche und selbstgefällige Art. Sie hatte gelernt zu schweigen und sich nicht in geschäftliche Dinge einzumischen, obwohl es ihr gerade diesmal sehr schwergefallen war. Die Eheleute Großmann waren sehr nett und sie hatte zunächst den Eindruck, dass Peter es auch ernst meinte mit einem eventuellen Verkauf. Doch sehr schnell stellte sich heraus, dass er lediglich darauf aus war Großmann zu provozieren und dem einzig wahren Konkurrenten der Region herablassend eine Abfuhr zu erteilen, nachdem dieser ihm ein äußerst großzügiges Angebot unterbreitet hatte. Noch dazu überließ er es ihm die Rechnung für das teure Essen zu bezahlen, da es sich angeblich um eine Einladung der Großmanns gehandelt hatte. Peinlich berührt verabschiedete sie sich mit einem entschuldigenden Lächeln bei dem Ehepaar und war nach diesem Abend wieder einmal mehr als enttäuscht von ihrem Ehemann.

Als sie damals in die Villa umzogen, wurde diese zwar perfekt möbliert durch eine Mischung aus einerseits antiken, handgefertigten und andererseits moderneren Möbelstücken aus Peters Firma, jedoch das I-Tüpfelchen, die Dekoration und die dadurch entstandene Gemütlichkeit, war ihrem Sinn für das Schöne zu verdanken.

Und nun warf er ihr vor sie hätte sich verändert. Ausgerechnet er, der sich vom einfühlsamen, jungen und fröhlichen Mann zum energisch auftretenden Geschäftsmann verändert hatte, der wusste wie man seinen Willen durchsetzt. Ganz gleich zu welchem Preis.

Wütend schnappte sie am Tag diesen heftigen Streites ihre Handtasche und die Autoschlüssel vom Sideboard, ging schnellen Schrittes zur Garage und fuhr rasant mit ihrem Mercedes davon. Sie wusste gar nicht wohin sie eigentlich fahren sollte, aber je länger sie fuhr umso mehr beruhigte sie sich. Aus ihrer Wut wurde allmählich Traurigkeit. Sie wollte nicht glauben, dass ihre Liebe von damals erloschen sein sollte und wollte an seiner Seite bleiben, doch sie konnte mit seinen Vorwürfen einfach nicht umgehen. Sie, die alles für ihn aufgegeben hatte, litt unter den ständigen Streitereien und musste sich stets Vorhaltungen von ihm anhören. War ihm denn gar nicht bewusst was sie für ihn geopfert hatte, oder war es ihm ganz einfach nur egal? Je größer sein beruflicher Erfolg, umso mehr vergaß er wie es früher einmal gewesen war. Als sie Beide noch wenig Geld hatten waren sie wesentlich glücklicher gewesen. Aber das Geld und die Macht hatte ihn immer mehr verändert. Aus dem liebenswerten jungen Mann, den sie damals kennengelernt hatte war ein selbstbewusster Geschäftsmann geworden, der es gewohnt war, dass die Dinge so liefen wie er es verlangte. Oft wünschte sie sich den alten Peter Mantari zurück und wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass der irgendwo in ihrem, mittlerweile fremd gewordenen Mann noch schlummerte und die Zeit ihn wieder hervorbringen würde.

Sie lenkte ihr Fahrzeug langsam Richtung Ortsmitte. Beim "Café am Park" fand sie einen Parkplatz. Eigentlich wollte sie dort auf der Terrasse gemütlich einen Cappuccino trinken, als sie aber einen Blick auf den herrlich blühenden Park warf, beschloss sie zuerst einen kleinen Spaziergang zu machen. Sie lief über die Straße und hinein in den Park. Nach ein paar Minuten setzte sie sich dort neben einer Linde auf eine Parkbank und grübelte.

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Robin hatte ein paar erholsame Tage in der Pension verbracht. Er fühlte sich wie neu. Vielleicht gehörte er doch noch nicht zum alten Eisen. Sein Herz hatte ihm in den letzten Tagen keinen Kummer bereitet. Morgens hatte er so richtig ausgeschlafen und nach einem ausgiebigen Frühstück hatte er beinahe jeden Tag im Park verbracht. An manchen Tagen fütterte er die Enten im Teich des Parks mit einem, vom Frühstück mitgenommenen Brötchen. Er ging in der Stadt spazieren, kaufte hin und wieder eine Kleinigkeit, nahm seine Mahlzeiten in verschiedenen Restaurants der Stadt ein und fühlte sich wie ein Tourist. Bevor er abends zurück zur Pension ging saß er meistens noch auf ein oder zwei Bierchen im benachbarten Café auf der Terrasse. Das Leben war doch schön.

Als er an diesem Morgen die Pension verließ und Richtung Park lief fiel ihm plötzlich etwas auf. Da, auf dem Parkplatz vor dem Café. Das war doch der Wagen von seiner Ex-Chefin. Wie oft hatte er ihn in den letzten Jahren gepflegt oder in die Waschstraße gefahren. Nun stand dieses Bonzen-Auto hier geparkt und er fragte sich wo die Besitzerin wohl abgeblieben war. Ihm wurde schlagartig ganz heiß. Sein schwaches Herz machte einen kleinen Hüpfer und all sein Zorn auf diese Frau kam wieder hoch, wie ein halbverdautes Mittagessen. Er schaute auf die Terrasse des Cafés. Hier war sie wohl nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie bei diesem schönen Wetter im Inneren des Gasthauses sitzen würde. Nachdenklich schlug er den Weg Richtung Park ein. Das wäre ohnehin sein Ziel gewesen. Mit dem Brötchen, dass er eigentlich an die Enten verfüttern wollte, in der Hand lief er auf direktem Weg zum See des Parks. Dort, auf einer Bank sah er sie schon von weitem sitzen. Sie bemerkte ihn nicht. Offensichtlich hing sie ihren Gedanken nach. Eine Träne lief ihr auf der linken Wange herunter. Er beobachtete sie eine Weile. In ihm kämpften zwei Geister darum, wie er sich nun verhalten sollte. Der eine sagte: Geh einfach weg! Der andere: Räch dich an der Alten! Er wollte sich schon umdrehen und gehen, als Tina plötzlich in seine Richtung blickte. Nun konnte er nicht mehr so tun als, ob er sie nicht gesehen hätte. Langsam ging er auf die Parkbank, auf der sie saß, zu. Ohne ein Wort gab er ihr sein frisch gewaschenes Stofftaschentuch. Sie blickte ihn dankbar an und nahm es, um damit ihre Tränen abzuwischen. Dann deutete sie ihm mit einer Geste, sich zu ihr zu setzen. Das tat er dann auch und sagte eine Weile gar nichts. Sie eröffnete schließlich das Gespräch. "Ich konnte mich gar nicht mehr von ihnen verabschieden Robin. Sie sind so plötzlich fort gewesen." "Ja, ich weiß" erwiderte er. "Hätten sie vielleicht Lust einen Kaffee mit mir zu trinken?" Was um alles in der Welt hat mich denn da geritten, überlegte er, kaum dass er die letzten Worte ausgesprochen hatte. Wozu sollte es gut sein mit dieser Frau einen Kaffee zu trinken?

Sie überlegte kurz. Warum eigentlich nicht, dachte sie sich. Wir kennen uns nun schon so lange und sie wollte nicht unhöflich oder gar arrogant wirken. Sie willigte ein und schweigend gingen sie Richtung Café. Sie setzten sich an einen der hinteren, weniger einsichtigen, Tische auf der Terrasse, wo sie sich beide einen Kaffee und ein Glas Mineralwasser bestellten. Die Kellnerin kannte Tina noch nicht. Das war auch ganz gut so. Es musste ja nicht jeder im Ort wissen, dass sie hier mit einem anderen Mann saß. Die wenigsten wussten wohl, dass es sich bei ihm um ihren ehemaligen Hausmeister handelte. Eigentlich war ja auch nichts dabei, aber auf Peters Reaktion und auf den Tratsch und Klatsch einiger Neider im Ort konnte sie gut verzichten. Eine ganze Weile saßen sie nur schweigend da. Auch wenn sie hier mit ihm zusammensaß und er ihre Tränen vorhin bemerkt hatte, sie wollte nicht mit ihm über ihre Beziehungsprobleme sprechen. Daher unterbrach sie das Schweigen und erkundigte sich nach seiner Gesundheit: "Was macht ihr Herz Robin? Waren sie schon beim Arzt?"

Schon wieder, dachte er. Ständig versuchten die Mantaris ihn dazu zu bewegen doch endlich einen Arzt aufzusuchen. Sie hatten sogar angeboten einen Termin bei ihrem Hausarzt, Prof. Wollersheimer, für ihn auszumachen. Das war einer der Gründe weswegen er gekündigt hatte. Er konnte schließlich schlecht zugeben, dass er es aus Angst erkannt zu werden, nicht wagte zu einem Arzt zu gehen. In ihm stieg die Wut. Was glaubte eigentlich diese Frau wer sie war, dass sie ihn ständig versuchte zu bevormunden? Selbst jetzt noch, da er nicht mehr ihr Angestellter war. Er war schließlich ein ganzer Mann. Auch wenn sein Herz nicht immer alles mitmachte. Er ließ sich äußerlich seinen Zorn nicht anmerken, aber in ihm brodelte es erneut auf. Er hatte schließlich schon ganz anderen Frauen gezeigt wer er war. Gebettelt hatten sie, um ihr Leben und ihre Freiheit.

Tina bemerkte nicht was in ihm vorging. Er redete ganz normal mit ihr. Auch wenn er um das Thema Arzt herumschlich wie die Katze um den heißen Brei. Es ging sie ja im Grunde genommen nichts an. Er war ein erwachsener, selbständiger Mann und so wechselte sie das Thema und hielt einen einfachen Small-Talk mit ihm. Nach einer Weile entschuldigte sie sich für einen Moment bei ihm. Sie wollte kurz die Toilette aufsuchen und ihr Make-up auffrischen. Er nickte mit dem Kopf und sie verließ die Terrasse in Richtung Gastraum.

Wie automatisch steckte er seine Hand in seine Jackentasche und war selbst erstaunt. Unglaublich. Er hatte es tatsächlich dabei. Die Macht der Gewohnheit. Auch wenn er es schon sehr lange nicht mehr benutzt hatte, aber in seiner Jackentasche war tatsächlich noch das Fläschchen mit den KO-Tropfen.

Er blickte einmal kurz in die Runde. Die Menschen an den wenig besetzten Tischen waren alle damit beschäftigt sich zu unterhalten, zu gestikulieren und ihren Kaffee zu trinken. Kurzerhand griff er nach Tinas Glas. Gekonnt träufelte er einige Tropfen aus seinem Fläschchen hinein und stellte es zurück an seinen Platz. Dann streckte er seine Füße von sich und tat wie ein relaxter Urlauber.

Währenddessen war Tina auf dem Weg zur Toilette des Cafés. Sie blickte sich um. Der Gastraum war leer bis auf einen Tisch, an dem ein Mann in Anzug und Krawatte tief über die Tageszeitung gebeugt, seinen Kaffee trank. Sie betrat die Sanitärräume und ging direkt auf das Waschbecken zu. Während sie ihre Hände wusch, warf sie einen intensiv prüfenden Blick in den Spiegel darüber. Sie hatte Schatten unter den Augen und ihr Make-up hatte ein wenig unter ihren Tränen gelitten. Also griff sie in ihre Handtasche, nahm Lippenstift und Puderdose heraus und besserte es mit ein paar gekonnten Griffen aus. In Gedanken war sie schon längst zu Hause bei Peter. In ihr war in den letzten Minuten ein Entschluss gereift und sie hatte sich vorgenommen sich zu ihm zu setzen und in Ruhe mit ihm über ihre Zukunft zu reden. Vielleicht ließen sich doch noch alle Missverständnisse aus dem Weg räumen und sie konnten wieder unbeschwert in die Zukunft blicken. Sie wollte leertrinken und sich dann höflich von ihrem ehemaligen Angestellten verabschieden und ihm alles Gute für seinen weiteren Weg wünschen, um schnell nach Hause zu fahren.

Mit einem Lächeln der Hoffnung auf ihren Lippen klappte sie den Verschluss ihrer Tasche zu und ging zurück auf die Terrasse. Robin lächelte ihr freundlich entgegen, als sie wieder die Terrasse betrat und auf ihren Tisch zuging. Auch wenn er völlig gelassen wirkte, in seinem Inneren wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Sein Adrenalin stieg an und ein böser Plan begann in seinem Gehirn Formen anzunehmen.

Die Kellnerin wunderte sich nur noch, als sie nach draußen kam. Am Tisch direkt neben der Tür saß doch eben noch dieses, gar nicht zueinander passende Paar?!? Sie dachte schon: Nicht schon wieder diese Zechpreller die immer öfter über die Terrassentreppe das Weite suchten ohne zu bezahlen. Da sah sie einen zwanzig Euro Schein unter dem leeren Glas und freute sich, angesichts des Betrages, über das offensichtliche Trinkgeld.

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