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ОглавлениеEin tiefer Fall führt oft zu höherem Glück
(William Shakespeare)
Ohne anzuklopfen stürmte Molly durch die offene Gartentür in das Haus ihrer Eltern und damit direkt in die Küche. Verwundert musterte ihre Mutter mit einem triefenden Kochlöffel in der Hand den unerwarteten Gast, der so völlig ankündigungslos ihr kleines Reich enterte.
"Molly, Schätzchen … was machst Du denn hier? Und das um diese Zeit. Ist etwas passiert?"
Die sorgenvolle Miene ihrer Mutter, die gewohnte Gemütlichkeit der Küche, all das ließ Mollys erzwungene Beherrschung zusammenbrechen. Mit einem "Ach Mama …" fiel sie auf den nächst besten Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen, um schließlich jämmerlich zu schluchzen. Moira Flannagan warf den Kochlöffel aus der Hand, drehte die Herdplatte herunter und eilte an die Seite ihres mittleren Kindes. Erschüttert über den Ausbruch ihrer Tochter strich sie ihr ratlos übers Haar und wartete darauf, dass Molly ihr Problem mit ihr teilen würde. Erfahrungsgemäß konnte das bei diesem Spross der Flannagans etwas dauern. Schon als Kind hatte Molly erst einmal alle Gefühle ungebremst herausgelassen, um sich danach ihre Kümmernisse ruhig und präzise von der Seele zu reden. Einen solchen Zusammenbruch hatte es allerdings schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Außerordentlich beunruhigend.
Fünf Minuten später war Molly fertig mit Weinen, die Schluchzer kamen nur noch vereinzelt, von einem heftigen Schluckauf und der Suche nach einem Taschentuch unterbrochen. Moira übernahm das Zepter. "Molly-Schatz, jetzt sag mir endlich, warum du dich hier so aufführst. Was ist denn um Gottes Willen passiert?"
Mit vom Heulen verquollenen Augen blickte Molly in das Gesicht ihrer Mutter. Beinahe wären ihr erneut die Tränen gekommen, als ihr bewusst wurde, dass sie nun ihr Versagen eingestehen musste. Ihr Versagen, einen Mann dauerhaft an sich zu binden, ihn glücklich und zufrieden zu machen. "Mama, Steven hat mich betrogen und ich weiß es ganz genau, weil ich's selbst gesehen hab."
Moira Flannagan runzelte ungläubig die Stirn. "Was hast du gesehen? Vielleicht hast du dich geirrt."
Schniefend erteilte Molly Bericht. "Na, ihn, Steven, mit seiner Sekretärin beim … na, du weißt schon. Sie waren mitten dabei, als ich ins Büro kam. Sie lag mit dem Bauch auf dem Schreibtisch und er stand mit heruntergelassenen Hosen dahinter. Da kann man beim besten Willen nichts missverstehen."
"Was hat der Scheißkerl gemacht?" Die dunkle Stimme, die von der Tür zum Wohnzimmer herüber schallte, gehörte zu Mollys Bruder Daniel und klang ausgesprochen wütend. Resigniert drehte sich Molly in seine Richtung. In diesem Haus konnte man eben nie etwas nur einem Familienmitglied im Vertrauen erzählen, immer war noch jemand anderer in der Nähe, der in der Regel mehr hörte, als er sollte.
"Hallo Daniel. Steven hat mich mit seiner Sekretärin betrogen und ich hab's gesehen." Mitfühlend kam nun auch ihr Bruder an ihre Seite und zog sie in eine bärenstarke und tröstende Umarmung. "Ich hab gleich gewusst, dass du viel zu gut für den Kerl bist. Mach dir nicht zu viel draus, wir regeln das. Ich ruf nur schnell Junior und Brian an, damit sie mir helfen. Dann schmeißen wir den Mistkerl aus deinem Häuschen, und zwar in hohem Bogen. Das versprech ich dir, Schwesterchen."
Bevor er losrennen und die Truppen verständigen konnte, klammerte sich Molly an seinem Hemd fest. "Halt! Das hab ich schon gemacht. Ich hab seine Sachen gepackt und in die Auffahrt gestellt. Die Schlösser sind auch schon ausgewechselt. Dieser Mann betritt mein Haus nie wieder."
Entschlossenheit hatte die trübe Stimmung Mollys abgelöst, ihre immer noch verquollenen Augen funkelten, ihre Wangen wiesen einen gesunden rosigen Farbton auf, der die unnatürliche Blässe bei ihrer Ankunft ablöste. Die angeborene Tatkraft hatte wieder die Oberhand, Molly war wieder sie selbst.
Mit einem Schmunzeln, dass er verbarg, indem er sein Gesicht in ihren Haaren vergrub, stellte sich Daniel das Ganze bildlich vor: Seine Schwester, die wie eine Furie alle Klamotten ihres Anvertrauten auf die Straße schmiss und damit dafür sorgte, dass der untreue Gatte gleich neben seinen Plünnen seine neue Wohnung bezog - draußen. Zu gerne wäre er dabei gewesen, leider hatte er diesen Part verpasst. Aber wenigstens konnten er und seine Brüder nun dafür sorgen, dass der Blödmann anstandslos Leine zog, das gebot schon die Familienehre.
"Okay, Schwesterchen, das hast du gut gemacht und wir werden ihm helfen, seinen Kram beiseite zu schaffen, damit du wieder nach Hause kannst. Gib mir den neuen Schlüssel." Noch während er sprach, griff er sich den immer noch einzelnen Schlüssel, den Molly ihm anstandslos überließ und nestelte schon beim Verlassen der Küche sein Handy aus der Hosentasche, um seine beiden älteren Brüder anzurufen.
Diesen Spaß wollte er sich lieber nicht allein gönnen, schon deshalb, weil er sonst diesem betrügerischen Mistkerl wahrscheinlich an den Kragen gehen würde, wenn er niemanden hatte, der ihn zurückhielt. Wer die Töchter der Flannagans angriff, hatte automatisch die Söhne der Flannagans am Hals, das war ein ungeschriebenes Gesetz.
***
Patrick Junior, Brian und Daniel kamen nahezu zeitgleich vor Mollys Haus an. Von dem gerade Hinausgeschmissenen war allerdings weit und breit noch nichts zu sehen. Als die drei Brüder Mollys Werk in der Auffahrt bewunderten, konnten sie trotz des Ärgers, den sie empfanden, ein herzliches Lachen nicht unterdrücken. War sie doch tatsächlich so fürsorglich gewesen und hatte die Kartons unter einer Plane gesichert, die den leichten Regen wirkungsvoll abhielt. Patrick wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln …
"Nee, also wirklich. Molly ist echt der Hammer. Los, schließ auf, Daniel. Wir machen's uns drin gemütlich, bis der Dreckskerl antanzt."
Patrick und Brian warteten schließlich auf der kleinen Veranda, bis Daniel ihnen den Weg in die gute Stube ihrer Schwester freigemacht hatte. "Mensch, das funktioniert jetzt wie 'ne eins. Hätte Molly schon viel länger machen sollen. Das alte Ding hat man ja kaum aufgekriegt." Daniels Begeisterung über den Rausschmiss des ungeliebten Schwagers kanalisierte sich über seinen Enthusiasmus zu der Schließqualität des ausgetauschten Schlosses. War zwar grausig für die kleine Maus, dass sich die ganze Angelegenheit so entwickelt hatte, aber andererseits hatte er schon immer gesagt, dass dieser Steven nicht einen Schuss Pulver wert war. Es hatte bloß keiner auf ihn hören wollen.
Kaum lümmelten die drei mit je einer Flasche Bier in der Hand auf Mollys bequemen Sesseln, als sie auch schon hörten, wie ein Auto in die Auffahrt einbog. Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigte: Der fremd naschende noch-Ehemann war zu seinem nicht-mehr-zu-Hause zurückgekehrt. Der Spaß konnte beginnen. Wie verabredet erhoben sie sich fast gleichzeitig und traten in vereinter Front vor das Haus, um ihren baldigen Ex-Schwager zum hoffentlich letzten Mal zu begrüßen.
Steven Jacoby hatte schon einen Verdacht gehegt, als er die abgedeckten Kisten in der Auffahrt stehen sah. Nun wurde dieser Verdacht zur Gewissheit. Molly hatte nicht lange gefackelt, sondern ihn sofort vor die Tür gesetzt. Und die versammelten Söhne der Flannagans würden nun für seinen Abzug sorgen. Na toll - und das alles für eine Viertelstunde Entspannung, die er sich hin und wieder gegönnt hatte.
Mit vorsorglich hoch erhobenen Händen stieg Steven aus seinem Wagen und ging sofort in die Defensive, um sich nicht noch zusätzlich Prügel von seinen drei großen und durchtrainierten Schwägern abzuholen.
"Ist schon gut … hab verstanden, ich pack nur ein und verschwinde. Was Molly auch will, sie wird es kriegen. Ihr braucht euch nicht zu bemühen, ich bin quasi schon weg." Eilig öffnete er seinen Kofferraum und brachte schließlich mit großer Mühe die sperrigen Kisten in seinem schicken Sportwagen unter. Drei außerordentlich enttäuschte und sich um tatkräftige Überzeugungsarbeit betrogen fühlende Flannagans sahen ihm dabei wortlos zu. Es war ihren Gesichtern anzusehen, dass sie nur auf ein winziges Zeichen von Widerstand seinerseits warteten, um sich so richtig auszutoben.
Aber Steven war nicht völlig blöde, diese Gelegenheit würde er ihnen nicht geben. Oh nein, seine Gesundheit war ihm viel zu kostbar, als dass er sich mit diesen drei wütenden Schränken angelegt hätte. Außerdem, versprechen konnte er jetzt, so viel er wollte. Sein Anwalt würde schon dafür sorgen, dass er glimpflich davonkam. Was ihn zu der Erkenntnis brachte, dass er noch gar keinen Anwalt hatte.
Patrick, Brian und Daniel waren zwar einerseits entsetzlich frustriert darüber, dass Steven ihnen keine Handhabe lieferte, die Schmach ihrer Schwester handgreiflich auszugleichen - was Brian mit einem leise gemurmelten "Schade …" sehr treffend kommentierte. Andererseits waren sie aber auch ganz froh, dass er friedlich verschwand. Denn wahrscheinlich hätten es ihre Vorgesetzten als nicht besonders prickelnd empfunden, wenn zwei Detectives des LAPD und ein FBI-Agent beim Verprügeln ihres Schwagers erwischt worden wären.
Da war es schon besser, die Zähne zusammenzubeißen und den Mistkerl ziehen zu lassen. Molly würde ihre Rache schon bekommen, wenn sie ihm bei der Scheidung die Hosen auszog, die er ja ohnehin so gerne fallen ließ. Und dafür würden sie sorgen, alle drei. Sie würden Molly so lange bearbeiten, bis sie garantiert nicht mehr weich wurde.