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Der Mensch lernt auf eigene Kosten

(Arabische Weisheit)

Steven Jacoby litt unter seinem selbstverschuldeten Verlust, auch wenn er dies niemals im Leben zugegeben hätte. Das triste Hotelzimmer, in dem er sich fürs erste einquartiert hatte, tat ein Übriges, um ihn so richtig tief in eine Depression zu treiben. Steven fühlte sich allein und verlassen, sein einziger Freund war der 30 Jahre alte schottische Single Malt Whisky, den er der Einfachheit halber gleich aus der Flasche trank.

Sein Elend kannte zurzeit keine Grenzen, seine Libido war quasi nicht existent - was schon fast paradox war, wenn man bedachte, warum ihn Molly aus ihrer gemütlichen kleinen Wohnhöhle geschmissen hatte. Er hatte keinen Hunger, er wollte nicht ausgehen, er mochte keine seiner diversen Liebschaften sehen. Er wollte einfach nur zurück in das heimelige Nest, das er in den letzten Monaten mit Molly geteilt hatte.

Grüblerisch und angetrunken, wie er war, fiel ihm erstmals auf, dass er nicht ein einziges eigenes Möbelstück besaß. Das Haus seiner Eltern hatte er mitsamt Inhalt schon vor einigen Jahren zwecks Begleichung seiner damaligen Spielschulden verkaufen und in eine möblierte Wohnung umziehen müssen. So besaß er nun wirklich nichts, was sich noch in Mollys Haus befand und ihm einen Grund geliefert hätte, sie zu besuchen. Und sei es nur, um die Herausgabe eben dieses nicht vorhandenen Gegenstands zu fordern.

Nein, es gab keinen Anlass, zu dem kleinen alten Haus zurückzukehren. Molly hatte ihn auf ihre Weise wirkungsvoll aus ihrem Leben getilgt, vollständig und - wie er Molly einschätzte - auch endgültig. Sein Katzenjammer erreichte die nächste Stufe, fast hätte er selbst daran geglaubt, die Liebe seines Lebens verloren zu haben. Dabei hatte Liebe für ihn eigentlich überhaupt keine Rolle gespielt, auch wenn er das der in Liebesdingen ziemlich leichtgläubigen Molly immer wieder überzeugend weisgemacht hatte.

Sie war für ihn einfach eine bequeme und praktische Lösung gewesen. Er konnte sich auf ihre Ehrlichkeit hundertprozentig verlassen, vor allen Dingen im beruflichen Bereich. Sie hatte ihn gerade da niemals enttäuscht. Außerdem war sie auch noch die billigste Lösung gewesen. Denn seine Erklärung, dass die Firma schließlich ihnen beiden gehörte und damit auch die Erträge und Molly somit auf ein Gehalt verzichten konnte, all das hatte sie bedingungslos akzeptiert. Bis heute zumindest. Oh Mann, er saß wieder mal gewaltig in der Scheiße.

Sicher, Molly war keine Schönheit und ihre Persönlichkeit für ihn manches Mal schwer zu ertragen gewesen, aber man konnte auch prima mit ihr Lachen und sie fehlte ihm - mehr, als er jemals gedacht hätte. Ihre direkte Art, ihre Ehrlichkeit und ihre schonungslose Offenheit waren in der Rückschau betrachtet erfrischend und entspannend gewesen.

Wenn Molly sich über ihn aufgeregt hatte, dann machte sie ihm mit deutlichen Worten klar, warum. Wenn Molly ihn umarmte, steckte Gefühl dahinter. Wenn sie lachte, dann mit ganzem Herzen. Er hatte immer gewusst, woran er bei ihr war. Sie hatte niemals Freude geheuchelt, wenn sie eigentlich lieber geweint hätte. Und sie wäre niemals vor ihm zurückgewichen, wenn er ihre Nähe suchte, nur weil er sonst ihr Make-up verwischen könnte.

Gut, im Bett wurde ihm eher Hausmannskost geboten, aber andererseits - wer konnte schon permanent Hummer vertragen? Wenn sie nur ein klein wenig toleranter mit seinem auf Abwechslung ausgelegten sexuellen Appetit umgehen könnte, er würde es glatt noch mal mit ihr versuchen. Leider war ihr Gefühl für richtig und falsch außerordentlich altmodisch geprägt. Und er damit in den Hintern gekniffen. Sie würde ihm seine Eskapade, bei der sie ihn erwischt hatte, niemals verzeihen.

Beinahe schmunzelnd dachte er an seine Krawatten, die verknüllt und verknotet zwischen all seinen anderen Kleidungsstücken gesteckt hatten. Diese kleine Rache war so typisch für seine Molly. Nicht hinterhältig, sondern offen und direkt zeigten die festen Knoten an, was sie in diesem Moment empfunden hatte. Und wenn er ehrlich war, konnte er es ihr nicht einmal verübeln. Er hatte sich wie ein Idiot benommen. Zumindest wäre es angebracht gewesen, die kleine Nummer nicht im Büro zu schieben. Im Nachhinein war man eben immer schlauer.

Mit diesem tief schürfenden Gedanken schlief er schließlich ein, die nur noch halbvolle Flasche mit ihrem hochprozentigen Inhalt fest in der linken Hand.

***

Molly fühlte sich in ihrem einsamen Zuhause wie entwurzelt. Keine Minute zweifelte sie an der Richtigkeit ihrer Entscheidung, aber so ganz allein im Haus fiel ihr beinahe die Decke auf den Kopf. Also lenkte sich Molly ab, auf die einzige Art und Weise, die ihr immer schon geholfen hatte. Sie verfiel in hektische Aktivität.

Sie fegte, sie putzte, sie wusch, sie räumte um und wieder zurück, sie bügelte, sie grub ihren Garten um, sie zupfte jedes Unkraut samt Wurzel einzeln aus, sie beschnitt ihre Hecke und mähte den Rasen, bis dieser jedem High Class-Golfplatz alle Ehre gemacht hätte. Und irgendwann war dann alles getan, kein Schrank war mehr unaufgeräumt, kein Grashalm stand zu hoch und alle Fenster und Zimmer quietschten fast vor Sauberkeit.

Ihre Familie beobachtete das Spektakel besorgt mal aus der Ferne, mal aus der Nähe. Alle waren sich darin einig, dass Molly litt wie ein frisch geschorenes Schaf bei einem unerwarteten Schneesturm. Es galt, etwas dagegen zu unternehmen, nur was? Eltern und Geschwister waren ratlos.

Und dann begann Molly zu kochen. Insbesondere für ihre Brüder, die sie nahezu jeden Abend zu sich nach Hause einlud. Anfangs war das alles für die drei Junggesellen noch recht angenehm, schließlich hätten sie sich sonst selbst verpflegen müssen. Und es kamen auch nicht immer alle drei, man wechselte sich schon ein wenig ab. Aber über kurz oder lang würden sie durch Mollys Frustkocherei aus dem Leim gehen, denn jeden Abend kräftig geknödelt und genudelt zu werden setzte der sportlichsten Figur irgendwann gehörig zu.

Brian und Daniel sahen sich schon gezwungen, die Trainingsräume des LAPD weit häufiger aufzusuchen, als sie es in der Vergangenheit auch nur ansatzweise erwogen hätten. Und Patrick stand jeden Morgen um fünf Uhr auf und absolvierte einen Dauerlauf, mit dem er in Kürze reif sein würde für den Boston-Marathon. Keinem von ihnen wäre es aber in den Sinn gekommen, Molly zur Mäßigung ihrer opulenten Auftischerei aufzufordern. Niemals hätten sie das ihrem geliebten Schwesterchen angetan.

Absurderweise war Molly die einzige Person, die bei all dem nahrhaften und selbst für einen schwer arbeitenden Holzfäller zu schweren Essen kein Gramm zu, sondern kiloweise abnahm, denn sie selbst aß von ihren Eigenproduktionen nicht einmal drei Gabeln voll. Und so verwandelte sich Mollys zwar durchaus gut proportionierte, wenn auch hier und da mit Pölsterchen versehene Gestalt in die schlanke, grazile Figur eines Topmodels. Nur ihr Busen blieb bei seiner gewohnten Üppigkeit, was sie vor arge Probleme stellte. Denn ihre ohnehin schon immer weit geschnittene Kleidung hing nun an ihr wie der sprichwörtliche Sack, der in weiten Falten von ihrem Busen baumelte.

Schließlich war es Mollys Mutter, die den allabendlichen Gelagen einen Riegel vorschob. Kurzerhand erklärte sie ihrer Tochter, dass sie die Mastkur ihrer Söhne nicht mehr länger mit ansehen könne. Molly solle sich gefälligst zusammenreißen und um sich selbst kümmern. Die Jungs würden schon nicht verhungern, auch wenn sie nicht jeden Abend ein warmes Essen vorgesetzt bekamen. Die Drei hatten schließlich vorher auch gelebt und waren nicht vom Fleisch gefallen. Ganz im Gegensatz zu ihrer Tochter, die immer mehr zu einem Schatten ihrer selbst wurde. Molly sollte sich lieber um ihre Scheidung bemühen, das sei im Moment viel wichtiger.

Und wenn Mollys Mutter sich einmischte, dann hörte Molly zu. Vorbei war es also mit den Braten und Knödeln, der Pasta und den dicken Soßen. Patrick, Brian und Daniel mussten wieder selbst zusehen, wie sie satt wurden und nahmen das mit großer Erleichterung zur Kenntnis. Zumal auch ihr gesellschaftliches Leben schon langsam begonnen hatte, unter der andauernden Verpflichtung zu leiden.

Also kehrten alle miteinander wieder zurück zur Normalität, nur Mollys erheblich verschlankte Figur blieb erhalten. Für sich allein zu kochen machte eben überhaupt keinen Spaß.

***

In einem wahren Akt der Selbstüberwindung hatte sich Steven Jacoby aufgemacht und endlich um eine Wohnung gekümmert. Nun war es soweit, sein möbliert gemietetes Domizil war zum Einzug bereit. Also packte er die Kisten wieder ein, mit denen Molly seine Habe vor die Tür gesetzt hatte - allerdings erheblich ordentlicher - und verließ ohne mit der Wimper zu zucken das grässliche Hotelzimmer, in dem er über drei Wochen seine Trennungswunden geleckt hatte.

Nach reiflicher Überlegung war er zu der Überzeugung gelangt, dass ihm seine prinzipientreue Ehefrau doch gestohlen blieben konnte. Es gab noch jede Menge andere Mütter mit weitaus hübscheren Töchtern und die wollte er schließlich nicht enttäuschen - jetzt, wo er schon fast wieder frei war.

Eigentlich hatte es auch sein Gutes, allein und ungebunden zu sein. Er konnte endlich machen, was und wann er wollte. Er konnte sich besaufen, ohne dass ihn jemand missbilligend ansah. Er konnte sich als Aufreißer betätigen, wenn ihm der Sinn danach stand. Vor allen Dingen musste er sich nicht mehr zusammenreißen, wenn es wieder einmal zu einem Treffen mit seinem Albtraum kam: Luciano Carpetti, dem Nutznießer von Stevens größter Schwäche - der Spielsucht.

Es fiel Steven immer schwerer, seine Sorgen vor der Zukunft zu verstecken, die durch das illegale Treiben Carpettis ausgelöst wurden. Fast täglich rechnete Steven damit, dass einer seiner Container doch noch ein zweites Mal kontrolliert wurde und dann der ganze Kuhhandel aufflog. Und das Gefängnis war auf keinen Fall ein Ort, den Steven Jacoby von innen kennen lernen wollte.

Also konzentrierte er sich darauf, sein Leben neu einzurichten und sich auf die Scheidung zu freuen. Denn eigentlich müsste es bald soweit sein.

***

Familienrichter Greenly las noch einmal in dem Schriftsatz, der vor ihm auf dem Tisch lag und betrachtete anschließend neugierig die stoischen Gesichter der beiden Anwälte vor seinem Pult.

"Und sie hat ihm in seinem Büro keine Szene gemacht, sondern einfach zu Hause seine Sachen gepackt und vor die Tür gestellt? Hat ihn nicht mal angebrüllt?"

Beide Anwälte nickten unisono.

Richter Greenly schnaufte entzückt. Endlich einmal eine Frau mit Klasse, keine von diesen üblichen rachsüchtigen Megären, die sonst in einem Scheidungsfall tätlich und mit Matrosenjargon auf ihre untreuen Männer losgingen. Sein Urteil stand fest. Schon allein für diese Wahrung der Contenance hatte die junge Dame einen schönen Batzen vom Reichtum ihres Mannes verdient.

Als Steven Jacoby die Scheidungsunterlagen erhielt, fluchte er wie ein Rohrspatz.

Zu all seinen anderen Problemen kam nun noch eine üppige Zahlung an Molly wegen des Gehalts, das er ihr während der Ehe nicht gezahlt hatte. Sie bekam einen guten Teil seines Vermögens und erhielt zu allem Überfluss auch noch das Recht zugesprochen, so lange in seiner Firma zu arbeiten, bis sie eine neue Stelle gefunden hatte. Der Richter musste wahnsinnig sein. Und sein Anwalt war eine echte Lusche.

Er wurde hier für ein paar Monate langweilige Ehe ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Das war inakzeptabel, absolut und völlig inakzeptabel!

So gingen die Scheidungspapiere an Richter Greenly zurück, der sie wohlwollend und zu Mollys Gunsten nochmals verbesserte. Diesen zweiten Satz von Unterlagen unterschrieb Steven anstandslos, um finanziell nicht noch mehr gemolken zu werden. Und leistete auch gleich mit einem erklecklichen Sümmchen den ersten Teil seiner Schuld ab.

Eins stand jedenfalls fest: Das Techtelmechtel mit seiner zugegebenermaßen sehr attraktiven Sekretärin war ihn erheblich teurer gekommen, als es ein langes Wochenende in Las Vegas je hätte sein können.

So war dann nur zwei Monate nach dem unglückseligen Vorfall in Stevens Büro Molly um eine ansehnliche Summe reicher und wieder ohne Anhang - sowohl zu Hause als auch beim Nachnamen.

SILENCIO

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