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ОглавлениеDer Frosch im Brunnen ahnt nichts von der Weite des Meeres
(Japanische Weisheit)
Seit sechs Monaten war Molly nun schon eine geschiedene Frau und eigentlich fühlte sie sich gar nicht so schlecht. Zu Hause musste sie auf niemanden mehr Rücksicht nehmen, sie hatte ihre Ruhe, konnte tun und lassen, was sie wollte. Die Wochenenden bei ihrer Familie waren ungetrübt, da sich niemand mit ihrem Ex anlegen musste, den - wie ihre Brüder und sogar ihr Vater übereinstimmend im Nachhinein versicherten - eigentlich keiner so richtig gemocht hatte.
Okay, nachts war es immer noch etwas einsam im Haus, aber daran würde sie sich mit der Zeit schon wieder gewöhnen - so lange war sie schließlich nicht verheiratet gewesen. Nur dass sie immer noch in seiner Firma arbeitete und auf einen Großteil des zugesprochenen Geldes wartete, ging ihr gehörig gegen den Strich. Doch bisher hatte sich noch keine andere Stelle finden lassen, die für sie geeignet wäre, obwohl Buchhalter doch eigentlich überall gebraucht wurden.
Aber es war nun einmal so, dass besonders Vertreter dieses Berufszweigs, wenn sie nicht gerade üble illegale Absichten hatten, eine ausgeprägte Anhänglichkeit bezüglich ihrer Arbeitsstelle aufwiesen. Deshalb wurden recht selten Stellen frei, und Molly musste weiterhin - wenn sie nicht zu Hause versauern wollte - die Arbeit tun, die sie auch vor der Scheidung erledigt hatte.
Gott sei Dank hatte Steven offenbar wenig Interesse daran, seine Ex-Frau zu sehen. Deshalb gelang es Molly ausnehmend gut, ihm aus dem Weg zu gehen. Die monatlichen Berichte, von denen einer zu der in flagranti-Szene geführt hatte, ließ sie in der Regel von einer anderen Mitarbeiterin in der Buchhaltung überbringen. Seit dem Vorfall, wie sie seine Untreue für sich bezeichnete, hatte sie sein Büro nicht mehr betreten. Allein die Möglichkeit, dass sie dabei auch noch dieses blonde Gift in seinem Vorzimmer sehen müsste, erzeugte bei Molly ein solches Magendrücken, dass für sie das Bürohaus in der vierten Etage endete.
Nur leider nicht heute, denn sowohl Shauna als auch Marianne, die beiden anderen Angestellten in der Buchhaltung, waren nicht da. Die eine lag mit Grippe im Bett und die andere machte Urlaub in Florida, da war nichts zu machen. Molly musste den Monatsbericht selbst abliefern.
Da sie unangenehme Dinge nur selten vor sich her schob, nahm sie sich schließlich zusammen und fuhr erstmals seit sechs Monaten hinauf in den fünften Stock. Das Schicksal musste ein Einsehen mit ihr haben, denn der Schreibtisch im Vorzimmer des Chefbüros war verwaist, Blondie nicht an ihrem Platz.
Nach einem energischen Klopfen betrat Molly schließlich den ungeliebten Raum und schritt resolut und wortlos bis zum Schreibtisch, um den vermaledeiten Umschlag auf die Platte zu klatschen. Das leise Gespräch im Hintergrund bekam sie nur am Rande mit. Erst beim Verlassen des Büros erblickte sie ihren Ex-Mann, der - nunmehr schweigend - mit drei anderen, ziemlich finster aussehenden Männern in seiner Besprechungsecke saß. Alle vier Augenpaare waren auf Molly gerichtet, keiner sagte ein Wort, niemand rührte sich. Merkwürdig.
Mit einer gemurmelten Entschuldigung, für die sie sich hinterher fast in den Hintern getreten hätte, verließ Molly das Zimmer und schloss nicht unbedingt leise hinter sich die Tür.
So, das war erledigt. Den nächsten Bericht konnte wieder jemand anders nach oben bringen.
***
"Wer zur Hölle war das?" Luciano Carpetti richtete seinen Eispickelblick auf den bei Mollys plötzlichem Eintritt sichtbar erblassten Steven Jacoby, der im Moment an seiner Krawatte herumzupfte, als sei sie ein Strick und schnüre ihm die notwendige Atemluft ab.
"Das? Na, das war Molly, meine Ex-Frau. Vergessen Sie sie, die hat garantiert nichts mitgekriegt. Molly kriegt nie etwas mit, außer man stößt sie mit der Nase drauf." Beinahe hätte er noch 'wie ich Blödmann es gemacht habe' hinzugefügt, konnte sich diesen Satzteil aber gerade noch verkneifen.
Luciano Carpetti war mitnichten beruhigt bei dieser Aussage. Die junge Frau hatte überhaupt nicht so auf ihn gewirkt, als würde ihr sehr viel entgehen. Vielmehr waren ihm ihre außerordentlich wachen Augen und ihr sicheres Auftreten aufgefallen. Auch wenn sie nur kurz in ihre Richtung geblickt hatte, sie würde garantiert jeden einzelnen von ihnen beschreiben können, wenn man sie danach fragte.
Nun hatte zwar niemand eine Veranlassung, Fragen zu stellen, aber schon die Eventualität war ein Risiko, das er nach Möglichkeit vermied. Deshalb hatte er auch seinen legalen Geschäftszweig immer peinlich sauber geführt. Nur keine Veranlassung für die Behördenvertreter, sein Leben genauer unter die Lupe zu nehmen. Er nur deswegen schon so lange unbehelligt im illegalen Geschäft aktiv, weil er sich um solche Feinheiten prinzipiell kümmerte.
Oh ja, Luciano Carpetti achtete stets auf die unbeobachtete Abwicklung seiner anrüchigen Aktivitäten. Unfreiwillige Zeugen hatten bisher immer ein sehr schlimmes und überzeugendes körperliches Erlebnis oder einen leider verfrühten Tod erlitten. Irgendwie tat es ihm zwar um das niedliche Püppchen leid, aber Geschäft war eben Geschäft.
Carpetti lehnte sich nun wieder leidlich entspannt in dem bequemen Ledersessel zurück und widmete sich den letzten Modalitäten des Deals, den er gerade mit seinem Schuldner vereinbart hatte. Alles Weitere würde er später klären.
***
Luciano Carpetti wartete schon sehnsüchtig auf Nachricht, als sein Handy schließlich klingelte. "Alles erledigt?" schnarrte er in den aufgenommenen Hörer.
"Selbstverständlich, Boss, die Lieferung ist abgegeben worden. Die Botschaft müsste damit deutlich angekommen sein."
Zufrieden und beruhigt beendete er grußlos das Gespräch, ließ er seinen Bademantel fallen und tauchte mit einem gekonnten Hechtsprung tief in die azurblauen Fluten seines riesengroßen und wunderschönen Swimmingpools.