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Kapitel 1: Sündenfall

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Es war eine klare Winternacht.

Die Sterne und auch weit entfernte Galaxien waren deutlich am Nachthimmel erkennbar, ebenso das Band der Milchstraße. Obwohl weit und breit kein künstliches Licht war, war es durch die dicke und weiße Schneedecke nicht wirklich dunkel.

Nicht für Vampiraugen.

Er sah, wie sich die Frau im Schnee liegend räkelte.

Nackt.

Die kalte Luft um ihren erhitzten Körper waberte regelrecht, bildete merkwürdige Wirbel und Muster. Das Licht der Sterne tauchte den Körper der Frau zusätzlich in ein unwirkliches Licht.

„Du bist wunderschön“, flüsterte er ergriffen und sank zwischen ihre Beine auf seine Knie. Er versuchte das Gesicht der Frau zu erkennen, aber da war nichts. Nur eine milchig-weiße Fläche. Keine Konturen, keine Augen, kein Mund.

Und doch küsste er die Stelle, wo ein Mund sein sollte und er spürte Lippen, die sich sehnsuchtsvoll mit seinen verbanden. Sein starker, warmer Körper legte sich auf die Frau, verband sich mit ihm, schmolz mit ihm zusammen.

Zähne, so lang und scharf wie seine eigenen, bohrten sich lustvoll in seinen Hals.

Tristan Kadian schrie auf, riss die Augen auf.

„Mon Dieu!“, flüsterte er und sank in das Kissen zurück. Mit zitternder Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Aus einem völlig irrationalem Grund tastete er an seinem Hals entlang, aber da war alles in Ordnung. Keine Bisswunde, kein Blut.

„Ich habe es offensichtlich wirklich nötig“, stöhnte er leise und schlug die Bettdecke zurück. Sein Penis begrüßte ihn mit einem freundlichen `Hallo!´, so steif war er.

„Wie ich sehe, bist du schon wieder einsatzbereit.“

Tristan sah die Frau neben sich irritiert an, dann lächelte er. „Mein Schwanz ist es, ich leider nicht, Ariane.“

Die Frau gab einen kleinen Seufzer von sich. „Schade. Du bist ein wirklich fan­tastischer Liebhaber und ich kann nicht genug von dir bekommen.“ Sie strich ihm aufreizend über die Muskeln an seiner Leiste. Tristan grinste jetzt breit. „Plusieurs remercie, mon ange!“ (Vielen Dank, mein Engel)

Er stand auf und gab der Frau einen kleinen Klaps auf den nackten Hintern. „Tut mir leid, dass ich danach eingeschlafen bin. Die letzten Wochen waren ein wenig an­strengend.“

Ariane schüttelte ihre platinblonde Mähne. „Ich bin dir nicht böse, Christian.“

Tristan lächelte in sich hinein. Er hatte sich der Prostituierten als Christian vorgestellt und sie sich ihm als Ariane. Beide wussten, dass die Namen falsch waren, aber das war egal. Für Ariane war Christian ein sehr gut zahlender Kunde, der sie außerdem immer höflich und mit Respekt behandelte. Bei ihm hatte sie nie das Gefühl, eine schlechte Frau zu sein.

„Du bist seit langem der erste Mann, der mich nicht wie ein Hure behandelt, auch wenn ich eine bin. Da kannst du bei mir einschlafen, so oft und lange, wie du willst.“

Tristan sah Ariane nachdenklich an. „Warum tust das überhaupt?“, fragte er leise. „Du bist eine herzensgute Frau, hübsch und intelligent. Du hast ein besseres Leben verdient.“

Ariane sah ihn merkwürdig an. „Das Leben ist leider nicht immer nur Schwarz und Weiß, Christian. Ich habe Jura studiert, war kurz vor meinem Examen. Doch dann geriet ich in eine Schuldenfalle. Eigene Schuld, übrigens. Ich kann niemanden außer mir selbst einen Vorwurf machen. Also musste ich zusehen, wie ich die Schulden loswerden würde. Prostitution ist ein einträgliches Geschäft, wenn man es … sagen wir, wenn man es schlau anstellt.“

Tristan lächelte. „Du hast einen guten Kundenstamm, hoffe ich?“

Sie zuckte die Schultern. „Es reicht zum Leben. Meine Schulden bin ich seit einem Jahr los.“

Tristan zog sich an, grübelte ein wenig dabei. Dann setzte er sich auf das Bett, nahm Arianes Kinn in seine Hand. Forschend sah er in die graugrünen Augen der Frau. „Noch kannst du aufhören und von vorn anfangen. Zieh´ in eine andere Stadt, benutze deinen richtigen Namen und arbeite als Anwältin. Ich habe Kontakte, könnte dir für die Jahre eine glaubwürdige Geschichte geben. Du musst nur etwas sagen.“

Ariane sah Tristan mit großen Augen an. „Warum willst du das tun?“

Tristan zuckte mit den Schultern. „Versteh´ mich nicht falsch. Ich bin nicht in dich verliebt. Aber ich mag dich. Und ich schätze den Beruf einer Prostituierten. Huren und auch Lustknaben haben im Laufe der Geschichte viel Unrecht erfahren. Dabei war dieser Berufszweig bei manchen antiken Völkern etwas hoch Angesehenes. Ich verurteile niemanden, der diesen Weg einschlägt. Im Gegenteil, ich habe Hoch­achtung vor Frauen wie dich.“

Ariane schluckte. Tränen wollten sich ihren Weg bahnen, aber sie würgte sie runter. Schon lange weinte sie nicht mehr. „Wieso?“

„Weil ich mir vorstellen kann, dass es manchmal extrem demütigend sein muss, sich hinzugeben, wenn man den Sexualpartner zutiefst verabscheut.“

Ariane vergaß zu atmen. Rasch wendete sie sich von Tristan ab, verbarg ihre Tränen. Sie hörte, wie er aus seiner Geldbörse ein paar Scheine zog und sie auf den Nacht­tisch legte. „Überlege es dir, Ariane. Das Angebot steht und bleibt bestehen. Ich würde es zwar aus egoistischen Motiven bedauern, aber ich würde mich auch für dich freuen, wenn du die Chance ergreifen würdest.“

Sie hörte, wie er zu der Tür ging, sie öffnete und hinausging. Leise zog er die Tür hinter sich zu.

Ariane schluchzte, zwang sich zur inneren Ruhe. Dann drehte sie sich um und sah auf den Nachttisch. Christian war immer ein großzügiger Kunde, der mehr als den übli­chen Preis zahlte. Und er befriedigte sich nicht nur selbst an ihr, sondern auch sie, was kaum ein anderer Kunde tat.

Sie starrte ungläubig auf das Geldbündel. „Meine Güte. Hat er im Lotto gewonnen?“

Auf dem Nachttisch lagen vier 500 Euro-Scheine. Auf dem obersten Schein war in einer wunderschönen, klaren Handschrift eine Handynummer notiert. Und der Zusatz: `Ruf´ an, wenn du meine Hilfe willst! ´.

Ariane zitterte, als sie die Geldscheine an ihre Brust drückte.

Tristan verließ das Stundenhotel und schlug den Weg zu dem Parkplatz ein paar Straßen weiter ein, wo sein Jaguar stand. Nachdenklich drehte er sich eine Zigarette, zündete sie an.

„Hey, schöner Mann!“ Die Prostituierte, die sich ihm in den Weg stellte, hatte ein extrem tief geschnittenes Dekolleté und sehr hohe Pumps. Die Haare wirkten ungepflegt. Tristan erkannte sofort am Geruch der Frau, dass sie ernsthaft krank war, aber es auch mit der Hygiene nicht besonders hielt.

>Diese Art von Prostituierten mag ich nicht besonders. Trotzdem, bleib´ höflich! <

„Danke, Teuerste. Aber ich hatte gerade mein Vergnügen und bin voll auf meine Kosten gekommen“, sagte er lächelnd und ging weiter.

Und das stimmte.

Ein paar Wochen nach Rowenas Verschwinden mit Erik hatte Tristan genug vom Trübsal blasen und ging öfter aus. Am Anfang suchte er sich seine amourösen Abenteuer in Clubs und Diskotheken, nährte sich dabei auch gelegentlich. Aber die meisten Frauen waren einfallslos oder himmelten ihn gleich verliebt an. Und das wollte er nicht.

Eines Abends schlenderte er durch eine Seitenstraße am Ku´Damm und entdeckte Ariane. Sie fiel ihm sofort auf, weil sie im Gegensatz zu den anderen Nutten Stil hatte. Ihre Kleidung war nicht billig, weder im Aussehen noch von der Preisklasse her. Ihre Haltung drückte Stolz und Selbstbewusstsein aus. Und sie warf sich nicht mit den üblichen Sprüchen an den Mann, wortwörtlich.

Tristan hatte sie gefragt, ob sie sich auf ein Schäferstündchen mit ihm einlassen wolle. Ariane fand es bezaubernd, dass seine erste Frage nicht gleich der Preis war, sondern dass er es ihr überlassen wollte, zu wählen. Er las die Frau, während sie ihn kurz von oben bis unten musterte. Aber es war schwierig, sie hatte natürliche Barrieren und so konnte er nur an der Oberfläche ihrer Gedanken kratzen.

„Keine sadistischen Spiele“, sagte sie und sah ihm in die Augen.

„Abgemacht. Nur klassischer, altmodischer Sex“, hatte er gesagt.

Sie hatte ihn auf ihr Zimmer in dem Stundenhotel mitgenommen. Sie hatte das Zimmer fest gemietet und sorgte dafür, dass es immer sauber und ordentlich war. Noch etwas, was für diese Frau sprach. Beim ersten Mal spürte er ihre Nervosität, aber durch seine zärtliche und zuvorkommende Art mit ihr umzugehen, lockerte er sie schnell und sie genossen beide die Stunde. Nicht nur er war befriedigt, ihre Schreie bewiesen ihm, dass auch sie befriedigt worden war.

Lächelnd zog Tristan ein letztes Mal an seiner Zigarette und warf den Rest weg. Er wollte gerade seinen Schlüssel in das Schloss seines Jaguars stecken als er merkte, dass er nicht allein war. Gewarnt schnupperte er in der Luft, ließ seine Sinne gleiten. Dann drehte er sich um.

Vor ihm standen drei Männer. In der Mitte ein untersetzter schmieriger Kerl mit einer dicken Schicht Pomade im Haar. Das Hemd stand weit offen und ließ den Brustteppich und die Vielzahl an Goldketten blitzen. Neben ihm standen zwei Body­guards, so breit wie hoch.

>Dumm und Dümmer mit ihrem Luden. Super. Vielleicht sollte ich dem Kerl sagen, dass die gegelte Mode nicht mehr In ist. <

„Kann ich was für die Herren tun?“, fragte er stattdessen freundlich.

„Dein Auto gefällt mir“, sagte der Untersetzte.

„Wirklich? So ein Zufall. Mir auch.“ Tristan war nicht so dumm, die Situation falsch einzuschätzen. Diese Männer waren es gewohnt, sich zu nehmen, was ihnen gefiel.

„Gib´ es mir.“ Der Untersetzte bleckte ein wenig die gelben Zähne.

Tristan glotzte ihn an, verkniff sich gerade so ein Lächeln. „Wie meinen?“

„Ich will dein Auto. Hast du das nicht verstanden?“ Der Untersetzte ging einen kleinen Schritt zurück und die beiden Leibwächter traten einen halben Schritt nach vorn.

>Na großartig. Eine kleine Sparringrunde. Genau das, was ich jetzt brauche! <, dachte Tristan ironisch. Er hatte eigentlich keine Lust, sich zu prügeln. Aber wenn es nicht anders ging, würde es eben so sein.

„Tja. Mach´ mir ein vernünftiges Angebot.“

Der Untersetzte sah Tristan mit einem verblödeten Ausdruck an. „Angebot? Okay. Hier ist mein Angebot. Meine Jungs werden dir kein Haar krümmen und ich gebe dir sogar Geld für ein Taxi. Was sagst du?“

Tristan schnalzte mit der Zunge. „Ach, ich weiß nicht, mon ami. Ist mir irgendwie zu dürftig.“

Der Untersetzte glotzte Tristan an, als ob dieser chinesisch sprach. „Du hast mich offensichtlich nicht richtig verstanden. Meine Jungs werden dir deine hübsche Fresse polieren. Danach wird dich nie wieder eine Frau auch nur ansehen wollen.“

Tristan ließ den Autoschlüssel in seine Hosentasche gleiten, kreuzte seine Arme und lehnte sich gegen sein Auto. „Zu deiner Information, mon ami. Ich habe eine sehr gute Heilhaut. Es werden keine Narben zurückbleiben. Und außerdem glaube ich nicht, dass deine Männer es schaffen, mich zu überwältigen. Ich mache dir jetzt ein Angebot, in Ordnung?“

Der Untersetzte blinzelte irritiert. Dem großen Blonden schien der Ernst der Situation nicht bewusst zu sein. „Lass hören.“

„Du und deine Männer gehen einfach und tut, was ihr eben so tut. Es interessiert mich nicht. Ansonsten werde ich dem einen eine Kniescheibe zertrümmern, dem anderen einen Milzriss bescheren und dir deine Nase brechen. Was hältst du von meinem Angebot?“

Der Untersetzte starrte Tristan mit offenen Mund an. Dieser große, schlanke Mann mit den kurzen, modisch geschnittenen blonden Haaren hätte ein Model aus irgend­einer Zeitschrift sein können. Perfekte Körperhaltung, guter Körperbau und ein aus­nehmend hübsches, ja asketisch schönes Gesicht. Ebenmäßige Gesichtszüge, eine schmale Nase und leicht schräg stehende, grünbraune Augen, die jetzt dunkelgrün leuchteten. Die Unterlippe war stärker ausgeprägt als die Oberlippe, hatte einen sinnlichen Schwung.

Und um die Mundwinkel hatte sich entschlossener, grausamer Zug gelegt.

„Schnappt ihn euch, Männer“, sagte der Untersetzte.

Tristan seufzte. Der erste Leibwächter holte aus und hieb seine riesige Faust in Richtung Tristans Gesicht. Der wich mit einer Behändigkeit und Schnelligkeit aus, sodass der Angreifer gegen den Jaguar prallte. Tristan trat gezielt auf die Kniescheibe des Mannes, setzte alle Kraft in diesen Tritt. Es krachte fürchterlich, als die Knochen brachen und das Knie in einem unnatürlichen Winkel weg knickte. Aufheulend brach der Mann zusammen, blieb jammernd auf der Straße liegen.

Der zweite Leibwächter stapfte auf Tristan zu und teilte Boxhiebe aus. Tristan wehrte sie geschickt ab, steckte aber einen Hieb in der Niere ein. Er hatte genug und rammte seine Faust in den Bauch des Mannes, genau da, wo sich die Milz befand.

Der Mann japste nach Luft, wurde grün im Gesicht und brach ebenfalls zusammen.

Ruhig ging Tristan nun auf den untersetzten Mann zu. Der sah sich hektisch um. Einige Prostituierte hatten den kleinen Kampf mitbekommen, ebenso deren Freier. Sie bildeten in gebührenden Abstand einen kleinen Kreis um Tristan und seine Angreifer.

„So, mein Freund. Und jetzt bekommst du noch eine blutige Nase. Wie versprochen.“ Tristan setzte einen kurzen, nicht allzu heftigen Hieb an und brach dem Mann die Nase. Sofort sprudelte Blut aus dem malträtierten Gesichtsteil hervor und der Mann schrie, als wäre er abgestochen worden.

„Ach komm schon! So schlimm ist das auch nicht. Daran stirbst du schon nicht. Allerdings, …“ Tristan legte in einer falsch-freundlichen Geste den Arm um die Schulter des Mannes. „... wenn ich hören sollte, dass du aus lauter Frust über unseren kleinen Disput eines oder mehrere deiner Pferdchen schlecht behandelst – und glaube mir, ich bekomme so etwas heraus -, dann komme ich wieder. Und dann ist es nicht die Nase, die ich dir brechen werde. Hast du mich verstanden?“

Der Mann wimmerte, antwortete aber nicht.

Tristan seufzte und erhöhte den Druck seiner Umarmung. Die Schulter des Mannes wurde gequetscht, und das tat scheußlich weh.

„Ich fragte, ob du mich verstanden hast?“, wiederholte Tristan leise.

„Ja! Ich habe dich verstanden!“, jaulte der Mann.

„Guter Mann. Und ich rate dir, mich ernst zu nehmen. Ich habe vor langer, sehr langer Zeit aufgehört, Witze zu machen.“

Tristan sah den Mann direkt ins Gesicht und ließ seine Augen schwarz werden. Selbst das Weiß seiner Augen verschwand. Dann hob er seine Oberlippe ein klein wenig an. Nur ein bisschen.

Spitze Eckzähne blitzten hervor.

Der untersetzte Mann starrte in das Gesicht des Fremden, dann wurde er kalkweiß, Panik machte sich breit. Mit einem entsetzten Aufschrei sprang er zurück, vergaß seine schmerzende Nase. Immer noch schreiend drehte der Mann sich um und rannte los.

„Immer das Selbe“, seufzte Tristan, holte seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und stieg in sein Auto. Irgendjemand hatte wohl die Polizei oder einen Krankenwagen geholt, denn von Weitem hörte Tristan die Sirenen. Es war Zeit, zu verschwinden.

>Das nächste Mal komme ich mit einem Taxi hierher <, nahm er sich vor und fuhr lächelnd los.

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