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Kapitel 3: „Du hast dich wohl in der Tür geirrt!“

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Der Dieb sah durch die Fenster des Gewächshauses und zog anerkennend die Brauen hoch. Im fahlen Licht des Vollmondes sah er, dass hier offensichtlich Orchideen ge­zogen wurden.

>Schade, dass ich keine Zeit habe, mir das mal genauer anzusehen. Aber das ist nicht meine Aufgabe. <

Er ging weiter auf die Rückseite der riesigen Stadtvilla zu, deren Fassade einerseits robust und trutzig, auf der anderen Seite filigran und leicht wirkte.

>So einen interessanten Widerspruch in der Architektur habe ich noch nie gesehen. Großartig. <

An der Rückseite war die Freitreppe nicht ganz so pompös wie auf der Vorderseite, aber robust, mit einem durchbrochenen, steinernen Geländer. Oben, auf den hüfthohen Pfeilern des Geländers, thronte auf einer Seite ein Löwe mit weit aufgerissenen Maul, dessen Pranke auf einer Erdkugel ruhte. Auf der anderen Seite bäumte sich ein edles Pferd in anmutiger Haltung wild auf.

>Der Typ hat Stil. <

Der Dieb ignorierte die Treppe und ging auf die linke Seite neben der Treppe. Dort befand sich ein winziges Fenster, von dem der Dieb wusste, dass er dadurch in den Vorratskeller gelangen würde, der direkt und unverschlossen zur Küche führt. Der Dieb setzte einen Saugnapf an die einfache Glasscheibe an und durchtrennte die Scheibe mit einem Glasschneider direkt am Holzrahmen entlang. Es gab keinen Alarm, als er die Scheibe, die am Saugnapf haftete, vorsichtig aus dem Holzrahmen zog und leise auf das kleine Rasenstück zu seinen Füßen legte, den Saugnapf wieder abnahm. Dann langte der Dieb mit seiner Hand durch die Öffnung und ertastete die Verriegelung an dem Fenster. Mit einem leisen Quietschen, das in der Stille der Nacht so laut war wie das Schreien einer rolligen Katze, ging die Verriegelung auf und das Fenster schwang nach innen auf.

>Nummer eins wäre geschafft. <

Der Einstieg war schmal, aber der Dieb war nicht nur sehr schlank, sondern auch extrem beweglich. Ein Arm voran schob er seinen Kopf hindurch, die Schulter folgte, der schmale Brustkorb, die schmale Hüfte. Der Rest war kein Problem mehr und anmutig wie eine Katze glitt der Dieb zu Boden.

>Wie dumm, sämtliche Fenster und Türen mit einem Alarmsystem auszustatten und das Fenster der Vorratskammer zu vergessen. Das lässt der Typ bestimmt gleich Morgen nachholen. <

Der Dieb wartete einen Moment, lauschte in die Nacht, gewöhnte seine Augen an die Dunkelheit. Schemenhaft konnte er einige Gegenstände erkennen. Die kleine Stabtaschenlampe leuchtete kurz auf, für etwa zwei Sekunden. Dann hatte sich der Dieb den Weg eingeprägt, wusste, was sich wo befand. Zielsicher ging er zur der kleinen Treppe, die zur Küche hinauf führte, ging sie leise hinauf. Oben an der Tür blieb er stehen, lauschte.

>Mein Kunde hat gesagt, dass sich niemand im Haus befindet. Die Haushälterin ist nur tagsüber da und der Besitzer ist verreist. Warum bin ich so vorsichtig? <

Angewohnheit! Der Dieb konnte bestimmte Verhaltensmuster nicht ändern, so einfach war das.

Nichts rührte sich auf der anderen Seite und der Dieb öffnete die Kammertür, betrat die Küche. Leise schloss er die Tür wieder. Das Mondlicht verstrahlte hier viel heller sein blasses Licht und der Dieb konnte die Konturen deutlicher erkennen. Trotzdem ließ er kurz das Licht aufblitzen, erfasste den Raum und machte die Lampe wieder aus. Der kurze Moment hatte genügt, um über den erstaunlichen Geschmack des Hausbesitzers begeistert zu sein. Die Küche war modern und edel eingerichtet. Marmorne Arbeitsplatten, die neuesten Küchengeräte und eine teure Kaffeemaschine, die die Bohnen frisch gemahlen verarbeitete.

Der Dieb unterdrückte den Wunsch sich auf der Stelle einen Kaffee zu machen und schlich durch die Küche, betrat den Eingangsbereich der Villa.

Ein gewaltiges Foyer aus Marmor, Holz und mit Teppich ausgelegter Treppe im Mittelbereich empfing ihn. Krampfhaft unterdrückte der Dieb einen anerkennenden Pfiff. Auch hier ließ er kurz die Lampe aufblitzen, starrte auf den riesigen Wandteppich der auf der rechten Seite des Eingangbereiches lag. Er stellte eine mittelalterliche Schlacht dar, wahrscheinlich innerhalb eines Kreuzzuges.

>Mann, der Typ ist stinkreich. Und ich soll nur ein Fabergé-Ei klauen. Ob dem das überhaupt auffällt? <

Der Dieb ignorierte die erste Tür auf der rechten Seite hinter dem Gobelin. Er wusste, dass die Tür in das Wohnzimmer führen würde, welches nicht Ziel seines Begehrens war. Er ging weiter, erreichte das Arbeitszimmer und ging hinein.

>Kinderspiel. <

Tristan hatte einen unruhigen Schlaf. Er träumte von Zenobia, wie sie hilfesuchend ihre linke, verstümmelte Hand nach ihm ausstreckte. Ihre einst lebhaften, dunklen Augen waren matt, schmerzerfüllt.

Tristan wachte auf, keuchte.

„Verdammt“, flüsterte er und fuhr sich mit der Hand über das schweißnasse Gesicht. „Was ist denn nur los mit mir in letzter Zeit? Offensichtlich habe ich mehr zu verarbeiten, als mir lieb ist. Vielleicht sollte ich doch mal einen Psychotherapeuten aufsuchen.“

Tristan schüttelte sein Kopfkissen auf, boxte in das unschuldige Material hinein und wollte sich wieder hinlegen, als er stutzte.

Irgendetwas stimmte nicht.

Er setzte sich in sein Bett auf, schloss die Augen und lauschte in sich hinein, in das Haus.

Er war nicht allein!

Unbewusst verlängerten sich Tristans Eckzähne und ein dumpfes Grollen bahnte sich einen Weg durch seine Brust, das er kaum unterdrücken konnte. Leise schlug er die Bettdecke zurück und schlich zur Zimmertür, lauschte erneut.

Hier oben, im ersten Stock der Villa, war alles ruhig, und doch wusste Tristan, dass er in dem Haus nicht allein war, was er hätte sein sollen.

Er zwang sich zur Ruhe, öffnete leise die Tür und schlüpfte, nur mit seiner Pyjamaho­se bekleidet, in den mit kostbarem Teppich ausgelegten Flur. Am Treppenabsatz angekommen lauschte er erneut, dann sah er einen schwachen Lichtschein aus dem Arbeitszimmer. Den Impuls unterdrückend, einfach nach unten zu stürmen und auf den Einbrecher los zu prügeln fletschte Tristan wütend die Zähne.

Und wählte eine andere Methode, sich dem Kerl zu nähern. Eine Methode, die nur eine Handvoll Vampire beherrschten, unter anderem sein Freund Adolar Cerný.

Wie eine Eidechse krabbelte Tristan an der Wand entlang, mied die Treppe und glitt an der Wand in das Erdgeschoss hinab, genau zwischen Arbeits- und Wohnzimmer. Dabei ließ er nicht einen Augenblick seine Augen von der Öffnung des Arbeitszim­mers.

Jetzt hörte sein empfindliches Gehör, wie der Einbrecher sich an dem Tresor zu schaffen machte, am Zahlenschloss drehte.

Und scheiterte.

„Verdammt! Die falsche Kombi“, hörte er ein sehr leises Flüstern. Ein normales menschliches Ohr hätte es wahrscheinlich nicht gehört, aber Tristan war kein normaler Mensch, sondern ein 850 Jahre alter Vampir.

Ein wütender 850 Jahre alter Vampir!

Tristan glitt zu Boden, richtete sich auf und stellte sich leise in den Türrahmen.

Der Einbrecher hatte Rowenas Gemälde aufgeklappt, hinter dem sich der Tresor befand.

>Wieso ist das Alarmsystem nicht losgegangen, als er eingestiegen ist? <, fragte sich Tristan und betrachtete den Dieb. Er war mittelgroß und sehr schlank, wirkte irgendwie drahtig. Er hatte eine kleine, ein schwaches Licht von sich gebende Stabtaschenlampe zwischen seine Lippen gesteckt, damit er beide Hände benutzen konnte.

>Ein Profi. Na, dann werde ich dem Typ mal ein freundliches `Hallo´ entgegenwerfen. <

Tristan bereitete seine Augen auf den Lichteinfall vor, der kam, als er unvermittelt den Lichtschalter betätigte. Er spürte, wie der Einbrecher erschrocken zusammen­zuckte. Der Herzschlag des Diebes hüpfte für ein paar Sekunden, die Atmung setzte aus. Doch dann erfasste den Dieb wieder Ruhe.

„Du hast dich wohl in der Tür geirrt?“, knurrte Tristan, zwang sich, seine Zähne einzuziehen und die Augen wieder einen normalen Farbton annehmen zu lassen.

Der Dieb nahm die Taschenlampe aus seinem Mund und klappte seine Stoffmaske, die er trug, langsam wieder über seine untere Gesichtshälfte. Er hob die Arme, signalisierte Tristan somit, dass er sich als erwischt ansah. Langsam drehte der Dieb sich um, die kleine Taschenlampe in der rechten Hand.

Der Dieb starrte den Mann an. Ein über 1,90 Meter großer, schlanker und definitiv durchtrainierter Mann, nur mit einer seidenen Pyjamahose bekleidet.

Und einem ziemlich wütenden Gesichtsausdruck!

An der linken Schulter hatte der Mann eine große, längliche Narbe, aber ansonsten war der Körper, zumindest das, was der Dieb sehen konnte, makellos. Muskeln, an den richtigen Stellen, inklusive Six-Pack und hervor gestellten Leistenmuskeln. Die Arme, auch die Unterarme waren kräftig und sehnig.

Der Hals war schlank und dicke Adern der Wut traten an den Seiten hervor. Das schöne Gesicht des Mannes war angespannt, die Lippen zu einem schmalen Strich gezogen. Dunkelgrüne Augen blitzen unter einem modisch geschnittenen dunkelblonden Schopf.

>Das war nicht so geplant. Bin ich gelinkt worden? < Der Dieb stand unschlüssig herum, wusste im Moment nicht, was er tun sollte.

„Ich habe dich was gefragt, Mistkerl!“, zischte Tristan und konnte sich nur mühsam beherrschen, den Mann nicht anzuspringen, trat langsam näher.

Dann nahm er einen Duft wahr, und dieser Duft verwirrte ihn zutiefst.

Der Dieb sah, dass irgendetwas den Mann vor ihm zu überraschen schien und nutzte die Gelegenheit. Er holte kaum aus, als er mit der Taschenlampe zuschlug und Tristan am Kinn erwischte. Mit einem überraschten Aufschrei versuchte Tristan seinen Kopf noch wegzudrehen, aber es war zu spät. Der Dieb setzte mit einer Linken nach und hieb ihm die Faust in den muskulösen Bauch, hebelte ihm dann noch gekonnt die Beine weg.

Tristan fiel unsanft zu Boden. Das war zu viel! Nicht nur, dass der Kerl bei ihm einbrach, er hatte es auch geschafft, ihn zu überraschen, ihn zu Boden zu ringen. Fau­chend wie ein Panther sprang Tristan auf und hetzte dem Mann hinterher, der zur Hintertür flüchtete.

>Woher weiß der Kerl, wo er hin muss? Wieso kennt er sich in meinem Haus aus? <

Der Dieb sprintete los, wusste, dass seine einzige Chance in einer Flucht bestand. >Lass die Hintertür nicht verschlossen sein! Bitte! <

Ein tiefes, raubtierhaftes Knurren hinter ihm veranlasste den Dieb dazu etwas zu tun, was er sonst nie tun würde. Er drehte sich um und sah in zwei glühende, schwarze Augen. Der Hausbesitzer hatte ein wutverzerrtes Gesicht und griff nach ihm. Geschickt wich der Dieb aus, riss sein Knie hoch und rammte es seinem Verfolger gegen die Leiste. Tristan brüllte auf und schlug einfach zu.

„Nein!“, brüllte der Dieb und braune Augen wurden weit aufgerissen.

Tristan stutzte. Die Stimme war … merkwürdig schrill! Mitten im Flug halbierte er die Wucht des Schlages und so prallte seine Faust nun gebremst gegen das Kinn des Einbrechers. Die Wucht reichte allerdings aus, um den Dieb gegen die Wand zu schleudern und ihn bewusstlos zu Boden fallen zu lassen.

Tristan stand schwer atmend mit geballter Faust über den bewusstlosen und verkrümmt daliegenden Körper. >Was war das denn? <

Neugierig hockte Tristan sich hin und tastete an dem Hals des Diebes nach dem Puls. Er schlug ruhig und gleichmäßig, auch die Atmung war in Ordnung. Er griff an den unteren Saum der Maske und zog sie nach oben. Milchkaffeebraune Haut kam zum Vorschein. Dort, wo Tristans Faust das Kinn getroffen hatte, bildete sich jetzt schon eine leichte Schwellung. Das würde ein ziemlich unansehnlicher blauer Fleck werden. Tristan schob die Maske weiter hinauf, hob den Kopf des Diebes an und zog die Maske völlig runter.

Und traute seinen Augen nicht.

Kurze, dunkelbraune Haare umrahmten ein rundes, hübsches Frauengesicht. Lange und dichte Wimpern, die ihm vorher gar nicht aufgefallen waren, lagen ruhig auf Wangen, die diesen unglaublichen Teint hatten. Überhaupt war der asiatische oder südpazifische Einfluss nicht zu übersehen. Die Lippen der Frau waren fein geschwungen, die Unterlippe stärker ausgeprägt als die Oberlippe. Sie hatte Löcher in den Ohrläppchen, trug aber keine Ohrringe.

Tristan betrachtete den Körper der Frau und schüttelte den Kopf. Sie war wirklich groß für eine Frau, größer vielleicht als Tobias Kerner. Aber die Frau hatte einen eher knabenhaften Körperbau.

Jetzt wusste Tristan auch, was er vorhin gerochen hatte, als er im Arbeitszimmer vor dem Dieb stand: Pheromone! Er hatte einfach die Möglichkeit, dass der Einbrecher eine Frau sein könnte, ignoriert und war überrascht, als sein Geruchssinn die Bot­schaft an sein Unterbewusstsein weiterleitete.

„Trotzdem wirst du mir ein paar Fragen beantworten, Mädchen!“, knurrte er leise und nahm die Frau, die seiner Einschätzung nach höchsten 25 Jahre alt war, auf seine Arme. Er trug sie in das Wohnzimmer, legte sie auf die Dreisitzer-Couch. Grübelnd sah er zu ihr hinunter, dann stand sein Entschluss fest. Er ging zum Fenster und riss eine Kordel von einem der Vorhänge ab. Mit der Kordel ging er in die Küche, holte ein Messer und schnitt sie in zwei Hälften. Er fesselte die Hände der Frau auf dem Rücken und auch die Beine in Höhe der Knöchel. Dann machte er eine kleine Lampe im Wohnzimmer an und überlegte, ob er den Kamin anmachen sollte.

>Himmel, Kadian! Es ist Hochsommer, wir haben draußen in der Nacht über zwanzig Grad. Lass es! <

Er ging in das Arbeitszimmer und betrachtete den Versuch, den Safe zu öffnen. Die Diebin war nicht sehr weit gekommen. Vorsichtshalber gab Tristan den korrekten Code ein und überprüfte den Inhalt des Safes. Dieser Safe war nicht nur ein Safe, sondern auch ein Kühlschrank, in dem er neben seinen wichtigsten Unterlagen auch Blutkonserven lagerte.

Nicht auszudenken, wenn es der Frau gelungen wäre, den Safe zu öffnen!

Einen Moment zögerte Tristan, doch dann griff er sich eine Konserve und hieb seine Eckzähne in den Plastikbeutel. Langsam vor sich hin saugend verschloss er den Tresor wieder sorgfältig, klappte das Bild mit Rowenas Konterfei wieder zurück. Die kleine Stabtaschenlampe war der Frau aus der Hand gefallen, als sie zugeschlagen hatte. Tristan hob sie auf und nahm sie mit, als er das Licht im Arbeitszimmer löschte und in die Küche ging. Dort holte er ein Küchenhandtuch hervor, schüttete etwas zerstoßenes Eis hinein und drehte daraus einen Kühlbeutel. Mit der Taschenlampe, dem Kühlbeutel und einem Aschenbecher ging er in das Wohnzimmer zurück. Den Aschenbecher und die Taschenlampe stellte er auf den niedrigen Couchtisch, den Kühlbeutel legte er der Diebin vorsichtig auf das Kinn. Dann setzte er sich mit einem kleinen Seufzer in den Sessel mit der hohen Lehne, schlug ein Bein über das andere, nahm Tabak und Zigarettenpapier und drehte sich langsam eine Zigarette.

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