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Die Eröffnung des kanonischen Prozesses

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In denselben Tagen, in denen Luther zum ersten Mal an Papst Leo X. schrieb (23.-31. Mai 1518), fand bei Santa Maria sopra Minerva in Rom das Generalkapitel der Dominikaner statt, dem auch der Tetzel besonders gewogene Provinzial von Sachsen, Hermann Rab aus Bamberg, beiwohnte. Der Papst hatte schon am 20.Mai den General des Ordens, Kardinal Cajetan, ermächtigt, zwölf seiner Untergebenen zu Doktoren der Theologie zu ernennen. Zu den Brüdern, die dieser Auszeichnung gewürdigt wurden, gehörte auch Johann Tetzel. Wie im Januar das Kapitel der sächsischen Provinz, so nahm also jetzt, ohne Zweifel auf Betrieb Rabs, die oberste Behörde des Ordens so ostentativ wie nur möglich für Tetzel Partei. Damit begnügte sich aber Rab nicht. Er benutzte vielmehr seinen Aufenthalt in Rom gleich dazu, Luther erneut bei der Kurie zu denunzieren und durch die dem Orden angehörigen und nahestehenden Kurialen den Procurator fiscalis Mario Perusco, den Generalstaatsanwalt der Kurie, zu veranlassen, dieser Denunziation endlich Folge zu geben. Der Prokurator ging auch hierauf ein. Etwa Mitte Juni ließ er sich von dem Papst ermächtigen, gegen Luther das bei solchen Anklagen übliche ordentliche Verfahren zu eröffnen. Mit der Voruntersuchung wurde auf seinen Antrag der oberste Richter der Kurie, der Auditor Girolamo Ghinucci, betraut, mit der Erstattung des dogmatischen Gutachtens über die Luther vorgeworfenen Vergehen: verdächtige Lehre und Auflehnung wider die päpstliche Gewalt, der amtliche Sachverständige des Papstes für Glaubenssachen, der Magister sacri palatii Silvester Mazzolini da Prierio. Ghinucci war Jurist, also außerstande, über die einschlägigen Fragen sich ein eigenes Urteil zu bilden. Der damals schon 68 Jahre zählende Magister palatii hatte dagegen eine lange theologische Laufbahn hinter sich. Aber er war Dominikaner und als solcher nicht fähig, die ihm vorgelegten Fragen unparteiisch zu beurteilen. Er versucht in seinem, wie er rühmt, in drei Tagen ausgearbeiteten Gutachten über die 95 Thesen gar nicht erst auf Luthers Gedanken einzugehen, er stellt ihnen einfach mit den ihm nötig erscheinenden Zensuren „irrig“, „falsch“, „vermessen“, „häretisch“ die vulgärthomistischen Lehren gegenüber, wie er sie, nur erheblich ausführlicher, drei Jahre zuvor in seiner „Summa de casibus conscientiae“ im engsten Anschluss an die Summa seines Ordensgenossen Antonin von Florenz entwickelt hatte. Die universale Kirche, behauptet er, ist virtuell (dem Wesen nach) in der römischen Kirche, die römische Kirche repräsentativ in den Kardinälen, virtuell aber im Papste vorhanden. Folglich ist der Papst ebenso unfehlbar wie die universale Kirche, folglich jeder, der in betreff der Ablässe behauptet, der Papst könne nicht tun, was er faktisch tut, ein Ketzer. Damit war er eigentlich mit Luther schon fertig. Wenn er dann doch noch die ersten 92 Thesen durchspricht, so geschieht das nur, um den Grad der Verwerflichkeit seiner Lehren im einzelnen festzustellen und zugleich sein eigenes Licht leuchten zu lassen. Denn obwohl er des Fechtens, wie er sagt, schon entwöhnt war, hatte er doch den Ehrgeiz, seine geistige Überlegenheit über den jetzt so viel genannten Wittenberger Professor vor aller Welt kundzutun, und machte daher aus seinem Gutachten sogleich eine reichlich mit groben Ausfällen gespickte Streitschrift, die er noch im Juni unter dem Titel „Dialogus“ in Rom in Druck gab. Ghinucci hatte merkwürdigerweise weder an der sonderbaren Form noch an dem bissigen Ton dieses amtlichen Schriftstückes etwas auszusetzen, sondern fertigte auf Grund desselben Anfang Juli im üblichen Stile an Luther die sogenannte Zitation aus, d. h. den Befehl, binnen 60 Tagen nach Empfang dieser Weisung persönlich in Rom zu erscheinen, um sich wegen der ihm zur Last gelegten Vergehen zu verantworten. Eine Kopie des Dialogus legte er zur Information des Angeklagten bei. Beide Schriftstücke gingen dann zunächst nach Augsburg an den Kardinal Cajetan. Dieser sandte sie hierauf durch Fugger, bei denen er wohnte, an die Fuggersche Filiale in Leipzig. Von da gelangten sie endlich am 7. August nach Wittenberg.

Luther beschloss sofort auf Rat seiner prozesskundigen juristischen Freunde, durch einen eigenen Boten den Kurfürsten, der zur Zeit auf dem Augsburger Reichstage weilte, zu ersuchen, durch Vermittlung des Kaisers bei dem Papst die „Remissio seu commissio seiner Angelegenheit ad partes Alemanniae“ zu erwirken, d. h. zu beantragen, dass er sich, wie einst Johann Reuchlin (Reuchlin war ein deutscher Philosoph, Humanist, Jurist und Diplomat. Er gilt als der erste bedeutendere deutsche Hebraist christlichen Bekenntnisses.), in Deutschland an einem unverdächtigen Orte vor unverdächtigen Richtern verantworten dürfe. Dann machte er sich an die Widerlegung des der Zitation beigelegten Dialogus des Prierias (Mazzolini – genannt Prierias – wuchs im Piemont auf und absolvierte dort auch seine Studien. Nach erfolgreichem Abschluss bekam er einen Lehrauftrag an der Universität Bologna. Papst Leo X. berief ihn 1514 auf einen Lehrstuhl für Theologie an die römische Universität La Sapienza. – Mazzolini veröffentlichte 1515 ein Werk über Kirchendoktrinen und Ethik, das sehr beliebt war. 1518 war er mit seinem „Dialogus de potestate papae“ einer der ersten, die Martin Luther angriffen. Die Schrift interpretiert die Ansichten der römisch-katholischen Kirche über den Ablass. Die Antwort Luthers war sarkastisch.). In zwei Tagen war er damit schon fertig. Da Grünenberg schon alle Hände voll für ihn zu tun hatte, schickte er das etwa 80 Druckseiten umfassende Manuskript samt dem Dialogus nach Leipzig und ließ beide Schriftstücke dort in der Offizin des Melchior Lotter in der Hainstraße drucken. Die Schnelligkeit, mit der er arbeitete, bleibt erstaunlich, auch wenn man in Rechnung zieht, dass er die Materie, um die es sich handelte, jetzt nachgerade völlig beherrschte. Die Setzer konnten schon jetzt nicht mehr mit ihm Schritt halten und waren ihm daher von nun an ständig ein Stein des Anstoßes. Was hält er Prierias entgegen? „Die Kirche ist virtuell nur in Christus vorhanden, repräsentativ im allgemeinen Konzil.“ „Sowohl der Papst wie das allgemeine Konzil kann, wie bereits Nikolaus de Tudescho, Erzbischof von Palermo († 1445), festgestellt hat, irren. lrrtumlos ist allein, wie schon der heilige Augustin sagt, die Heilige Schrift.“ Aber damit soll nicht behauptet werden, dass Papst und Konzil schon tatsächlich einmal geirrt haben. „Die römische Kirche hat bisher den wahren Glauben noch nie durch einen förmlichen Beschluss verleugnet und immer an der Autorität der Bibel und der alten Kirchenväter festgehalten, obgleich recht viele Leute in Rom an die Bibel nicht glauben, noch auch sich um sie kümmern.“ „Wenn ich, nachdem sie über die Ablassfrage entschieden haben sollte“ – das war in aller Form bisher noch nicht geschehen –, „ihre Entscheidung nicht respektieren würde, dann würde ich ein Ketzer sein.“ „Auch jetzt noch disputíere ich aber nur und warte auf den verdammenden Spruch eines Konzils.“ Er geht also auch jetzt nicht über das hinaus, was schon Ockham, Ailli, Tudescho behauptet hatten. Der Satz: „Papst und Konzilien können irren“, hat für ihn immer noch lediglich die Bedeutung einer dogmatischen Theorie, die für den Theologen, der nach den Quellen des Glaubens fragt, allerdings sehr wichtig ist, aber dem Laien ziemlich gleichgültig sein kann. Denn faktisch ist das katholische Dogma, soweit es wirklich Dogma, d. h. durch förmliches Urteil von Papst und Konzilien öffentlich definiert ist, ihm noch identisch mit der Lehre Christi. Jedoch nur, soweit es in solcher Weise definiert ist. Über die Lehren, die noch nicht definiert sind, darf man, meint er, noch frei disputieren. Dazu gehörten aber alle die Lehren, die er bekämpfte. Er hatte also seiner Überzeugung nach noch keinen Anlass, sich für einen Ketzer zu halten, und ein Recht, diese Bezeichnung energisch zurückzuweisen, selbst wenn sie von dem amtlichen Sachverständigen der Kurie in Glaubenssachen gegen ihn gebraucht wurde.

Allein in Rom war man gerade in den Tagen, wo er diese Sätze schrieb, zu der Überzeugung gekommen, dass er nicht bloß der Ketzerei verdächtig sei, sondern bereits öffentlich in gravierendster Weise als Ketzer sich betätigt habe und daher so schnell als möglich auf dem üblichen Wege vom Leben zum Tode befördert werden müsse. Was war inzwischen geschehen?


Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518

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