Читать книгу Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518 - Heinrich Boehmer - Страница 13
Friedrich der Weise am Scheidewege
ОглавлениеKurz nach Mitte November langte am kurfürstlichen Hoflager zu Grimma ein schon am 25. Oktober verfasstes eigenhändiges Schreiben Cajetans an den Kurfürsten an. Der Legat schildert darin kurz die Augsburger Verhandlungen, für deren Misserfolg er natürlich allein Luther verantwortlich macht. In seinen Thesen, erklärt er dann, hat Luther seine neuen Anschauungen nur disputative d. h. nur als erwägenswerte Meinungen, vorgetragen, in den Sermonen über den Ablass und die Kraft des Bannes aber affirmative et assertive, d. h. als Ausdruck seiner persönlichen Überzeugung. Da dieselben teils gegen die Lehre des Heiligen Stuhles verstoßen, teils offenkundig häretisch sind, so wird der Kurfürst, wenn er seiner Ehre nichts vergeben und der Stimme seines Gewissens gehorchen will, nicht umhin können, „den schäbigen Bettelmönch“ (fraterculus) entweder nach Rom auszuliefern oder aus seinen Landen zu verjagen. In Rom wird man nicht zögern, diese pestilenzialische Sache gerichtlich weiterzuverfolgen.
Der Kurfürst ließ Luther schon am 19. November eine Kopie dieses Schreibens zustellen mit dem Bemerken, sich darüber zu äußern. Luther antwortete ihm noch am selben Tage mit einem mehr als einen Druckbogen füllenden Briefe, in dem er die Behauptungen und Forderungen des Legaten einer eingehenden Kritik unterzieht. Mit außerordentlichem Geschick hebt er hervor, dass er nicht wegen der von dem Legaten gebrandmarkten Sermone, sondern nur wegen der von ihm ausdrücklich als nicht unzulässig anerkannten Thesen in Anklagezustand versetzt worden sei. Fast noch bewunderungswürdiger ist der Scharfsinn, mit dem er alsdann die schwächste Stelle in Cajetans Beweisführung aufdeckt, nämlich die Unterstellung, dass die von Luther bekämpfte Auffassung des Ablasses von der Kirche schon in aller Form angenommen und anerkannt worden sei. Dieses Mankos war sich der gelehrte Kardinal selber sehr wohl bewusst. Daher hatte er inzwischen schon von Augsburg aus in Rom den Erlass einer offiziellen Lehrdeklaration über den Ablass beantragt und gleich den Entwurf zu einer solchen beigelegt, so dass diese Deklaration (Cum postquam) bereits am 9. November veröffentlicht werden konnte. Sehr eindrucksvoll legt Luther sodann dar, dass Cajetan die Versprechungen, die er dem Kurfürsten gegeben, nicht gehalten habe, gleichwohl aber ihm zumute, ihn, Luther, auszuliefern, ohne auch nur den Versuch zu machen, die Irrtümer, die er ihm vorwerfe, genau zu bezeichnen, geschweige denn als ketzerisch zu erweisen. Dem Fürsten befehlen, ihn nach Rom auszuliefern, heiße ihm befehlen, einen Mord zu begehen. „Damit aber Eurer Herrlichkeit nicht um meinetwillen irgendein Übel zustößt, erkläre hiermit: Ich verlasse Euer Land, um dahin zu gehen, wohin der barmherzige Gott mich haben will.“
War diese Erklärung Luthers ernst gemeint? Ja! Er suchte zwar am 23. November durch die Universität den Kurfürsten zu bestimmen, dass er in Rom um eine genauere Bezeichnung der Irrtümer bitte, die man ihm vorwerfe, und ihm auf diese Weise Gelegenheit gebe, dieselben zu erkennen und zu widerrufen. Aber er dachte nicht daran, was ihm doch sehr leicht gefallen wäre, bei dieser Gelegenheit die Universität auch zu veranlassen, sich bei dem Kurfürsten für sein Verbleiben in Wittenberg zu verwenden. Er machte sich vielmehr reisefertig und bereitete am 25. und 28. November auf der Kanzel der Stadtkirche auch die weinenden Wittenberger darauf vor, dass er demnächst verschwinden werde. Der Kurfürst, der inzwischen von Grimma nach Altenburg übergesiedelt war, ließ zunächst nichts von sich hören. Auch zu Luthers Absicht. nach dem Muster der Pariser Universität an ein künftiges allgemeines Konzil zu appellieren, nahm er keine Stellung. Erst als Luther diesen Akt am 28.November nachmittags 3 Uhr in der Kapelle zum heiligen Leichnam bei der Stadtkirche in den üblichen Formen vollzogen hatte, langte ein Schreiben aus Altenburg an, in dem er sich ausdrücklich mit Luthers Entschluss einverstanden erklärte. Damit war, wie es schien, die Entscheidung über Luthers Zukunft gefallen. Er lud daher am Abend des 1. Dezember noch einmal seine Freunde zu einem Abschiedsmahle ins Schwarze Kloster ein. lm Laufe der Nacht wollte er dann die Stadt verlassen. Während er mit seinen Gästen bei Tische saß, erhielt er einen Brief Spalatins, in dem ihm der Kurfürst sein Erstaunen aussprechen ließ. dass er noch nicht fort sei, und ihn ersuchte, seine Abreise möglichst zu beschleunigen. Er war über diese Eröffnung, wie er später erzählt, mehr verwundert als erschüttert. „Vater und Mutter verlassen mich“, sagte er sich, „aber der Herr nimmt mich auf.“ Noch während des Essens kam ein zweiter Brief aus Altenburg, mit der Weisung: Wenn er noch nicht fort sei, so möge er nicht wegziehen, weil der Kurfürst noch etwas Nötiges mit ihm zu reden habe. Wie Luther, so zweifelten auch seine Freunde trotz dieser etwas überraschenden Nachrichten aus Altenburg nicht, dass der Kurfürst ihm, wenn er könne, gern helfen werde. Sie rieten ihm daher an jenem Abend noch, sich dem Fürsten gefangen zu geben, dann könne dieser dem Legaten schreiben, er habe Martinus festgenommen und sei bereit, ihn an einem sicheren Ort verhören zu lassen.
Luther mit Gewalt zu vertreiben oder gar an Händen und Füßen gefesselt nach Rom auszuliefern, daran hat Friedrich in der Tat sicher nie gedacht. Denn dass dieser Mann, für den fast alle seine Räte und seine ganze Universität so warm eintraten, ein Ketzer sei, das ließ er sich nicht einreden. Aber er glaubte Luther nicht vor den Folgen des Bannes schützen zu können. Darum wäre es ihm lieb gewesen, wenn er gar nicht erst wieder nach Sachsen zurückgekehrt wäre. Doch ist sichtlich am 30. November ein Wandel in seiner Stimmung eingetreten. Luther führt diesen Umschwung später auf die Verhandlungen Friedrichs mit dem päpstlichen Nuntius Miltitz zurück.
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Karl von Miltitz war päpstlicher Nuntius und verhandelte mit Martin Luther. Er wurde Kanonikus in Mainz, Trier und Meißen, 1515 päpstlicher Notar und Kämmerer in Rom und wurde 1518 als päpstlicher Nuntius nach Sachsen gesandt, um ein Stillhalteabkommen mit Luther auszuhandeln und den Kurfürsten Friedrich den Weisen davon abzubringen, Luther weiterhin zu schützen. Er hatte im Januar 1519 mit Luther eine Unterredung in Altenburg, im Oktober desselben Jahres auch in Liebenwerda und ein Jahr darauf im Antoniterkloster Lichtenberg bei Prettin, doch blieben diese erfolglos.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_von_Miltitz
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Aber Miltitz ist erst am 28. Dezember in Altenburg eingetroffen. In dieser Form kann also die Nachricht nicht ganz richtig sein. Wohl aber ist möglich, dass der kurfürstliche Rat Pfeffinger, bei dem Miltitz sich damals aufhielt, Friedrich in jenen Tagen mitteilte, dass Miltitz die Lage sehr optimistisch ansehe und dass dies dann beruhigend auf den Fürsten gewirkt hat. Immerhin hielt Friedrich es für nötig, in den ersten Dezembertagen in Altenburg die Frage, ob er Luther ausliefern solle, seinen Räten vorzulegen. Diese waren nun schon damals fast alle „gute Lutherer“. Sie erklärten sich nach einer humorvollen Ansprache des von Luther wegen seiner natürlichen Klugheit besonders geschätzten vogtländischen Edelmannes Fabian von Feilitzsch einstimmig gegen die Auslieferung. Danach entschloss sich auch Friedrich, Cajetans Forderungen abzulehnen und seinen Kanzler anzuweisen, eine in diesem Sinne gehaltene Note an den Kardinal zu entwerfen. Damit war freilich die Frage, ob Luther dauernd in Sachsen bleiben könne, noch nicht entschieden, aber die Lage doch so weit geklärt, dass er Spalatin beauftragen konnte, Luther nach Schloss Lichtenberg bei Pretzsch, wo niemand sie stören konnte, zu zitieren und ihm dort den Stand der Dinge darzulegen. Diese Zusammenkunft fand zwischen dem 3. und 6. Dezember statt. Über ihren Verlauf sind wir nicht unterrichtet. Fest steht nur, dass Spalatin im Auftrage des Kurfürsten Luther empfahl, seine Abreise nach Frankreich nicht zu übereilen, Luther aber bei seinem Entschlusse beharrte, Wittenberg zu verlassen, sobald die erwartete Bannbulle eintreffe, und erneut darum nachsuchte, ihm die Herausgabe seiner Acta Augustana und seiner Appellation an ein künftiges Konzil zu gestatten, von der der Kurfürst bisher nichts hatte wissen wollen. Diese Bitte lehnte der Kurfürst, wie Spalatin ihm sogleich meldete, auch jetzt wiederum ab. Inzwischen hatte Luther aber die beiden Schriftstücke, ohne die Antwort des Kurfürsten abzuwarten, schon am 8. Dezember veröffentlicht, weil er, wie er am 9. Dezember an Spalatin schreibt, sich mit diesen wie mit allen Dingen jetzt beeilen müsse. Der Kurfürst war hierüber nicht wenig aufgebracht. Er ließ ihm am 12. Dezember schreiben, dass er den weiteren Verkauf der Acta nur gestatten könne, wenn die böse Stelle des Nachworts, in dem das päpstliche Breve vom 23. August als eine Fälschung bezeichnet wird, mit Druckerschwärze überzogen werde; das ist denn auch sogleich geschehen.
Friedrich der Weise – Cranach
Am 18. Dezember ließ dann Friedrich endlich das nach seiner Gewohnheit „Wohl zehn, ja zwanzig und mehrere Male“ von ihm durchgesehene und geänderte Schreiben abgehen, in dem er Cajetans Anträge ablehnte. Luthers Brief vom 19. November legte er bei, aber wohl auch erst, nachdem er ihn sorgfältig geprüft und hier und da verbessert hatte.
Damit war die Entscheidung über Luthers Zukunft gefallen, denn Friedrich gehörte zu den langsamen Naturen, die sehr viel Zeit brauchen, um zu einer bestimmten Meinung über eine Person oder Sache zu gelangen, aber von dieser Meinung dann kaum je sich wieder abbringen lassen, sondern mit größter Zähigkeit an ihr festhalten. So hat er auch seitdem, obwohl ihm das nicht nur durch Luthers Feinde, sondern auch durch Luther selbst oft recht schwergemacht wurde, unentwegt an Luther festgehalten.
Luther war über das kurfürstliche Schreiben, das ihm sofort mitgeteilt wurde, sehr erfreut. Den Plan, Wittenberg zu verlassen, gab er aber auch jetzt noch nicht ganz auf. „Ich werde hier sicher die Bannbulle abwarten“, schreibt er am 26. Dezember, „hoffe aber, dass man sich damit in Rom jetzt nicht überstürzen wird.“ Wir wissen nicht, wie er zu dieser Hoffnung gekommen ist. Jedenfalls hat sie ihn nicht betrogen.