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Letzte Abrechnung mit Tetzel

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Anscheinend an demselben Tage (4. Juni), wo er die Resolutionen an den jetzt unausgesetzt mit dem Drucke seiner Werke beschäftigten Meister Grünenberg ablieferte, flatterten ihm zwei neue Kundgebungen ins Haus, die ihm sofort die Feder wieder in die Hand zwangen: Tetzels fünfzig neue Thesen, die nicht nur ihm, sondern auch dem Kurfürsten ganz unverhüllt mit dem Scheiterhaufen drohten, und die zur selben Zeit von dem gereizten Ketzermeister verfasste Verlegung (Widerlegung) des Sermons von Ablass und Gnade. In ein oder zwei Tagen warf er rasch eine Widerlegung dieser Widerlegung aufs Papier, so dass die neue Schrift schon in der zweiten oder dritten Juniwoche unter dem Titel „Freiheit des Sermons päpstlichen Ablass und Gnade belangend“ erscheinen konnte. Sie fand sofort solch reißenden Absatz, dass Grünenberg sie Anfang Juli bereits in zweiter, stark vermehrter Auflage herausgeben musste. Sachlich enthält sie kaum etwas Neues. Aber der Ton ist ein ganz anderer als in seinen bisherigen Schriften. Er ficht jetzt zum ersten Mal mit der Bauernaxt und „spielt“, wie er selbst sagt, mit dem Gegner, der sich nach seiner Meinung solche Blößen gegeben hat, dass er nicht mehr ganz ernst genommen zu werden verdient. Gleich im Anfang meint er: Dieser „Dichter“ hat anscheinend überflüssig viel Zeit und Papier, weiß aber davon sichtlich keinen besseren Gebrauch zu machen, als die Wahrheit mit unsauberen Worten anzugreifen. „Seine unnötigen leeren Scheltworte befehle ich wie Papierblumen und dürre Blätter dem lieben Wind, der mehr Zeit für so etwas hat als ich. Nur die Ecksteine seines Klettenbaus nehme ich vor.“ „Wenn er so viel tausend scholastische Lehrer anführt, so hat er die bloßen Rechenpfennige doch zu hoch gewertet. Hätte er die Sache recht überlegt, so hätte er nicht viel mehr als drei gefunden, denn die anderen sind doch nur Jaherrn und Nachfolger.“ „Wenn er mich allein übel behandelte, so wollte ich das gern leiden..., aber das ist in keinem Wege zu leiden, dass er die Schrift, unseren Trost, nicht anders behandelt wie die Sau einen Habersack.“ Er und seine Gesellen erdichten uns täglich neue Wörter claves excellentiae, claves auctoritatis, claves ministrabiles, und warum? um schließlich „uns alle Beutel und Kasten leer zu machen und danach die Hölle auf- und den Himmel zuzuschließen“. „Wer Ablass löst, sagen sie, tut besser, als wenn er einem Armen in seiner äußersten Not einen Almosen gibt. Gott erbarme sich, das nennt sich Lehrer des Christenvolkes! Wahrlich, jetzt brauchen wir nicht mehr zu erschrecken, wenn wir hören, wie die Türken unsere Kirchen und das Kreuz Christi schänden. Wir haben bei uns hundertmal ärgere Türken, die uns unser einziges Heiligtum, das Wort Gottes, zunichte machen... Soll ein Christenmensch dem anderen nicht eher helfen als in der äußersten Not, dann ist die christliche Liebe minderwertiger als die Freundschaft unter den Tieren.“ „Ich verwerfe die Scholastiker nicht ganz, denn sie haben das ihrige getan, sondern nur ihre – nicht aus der Schrift geschöpften – Meinungen. Und ich tue das hauptsächlich um der Leute willen, die sie nicht da anführen, wo sie mit der Schrift und Vernunft bewährt sind, sondern da, wo sie am nackendsten und schwächsten sind, in der Materie des Ablasses.“ „Zum Beschluss geht das Wetter über mich und bin da ein Erzketzer, Ketzer, Apostat, Irrlehrer, Frevler usw. ... Wenn solche Leute, die die Bibel nicht kennen und weder lateinisch noch deutsch verstehen, mich so überaus lästerlich schelten, so ist mir zumute, als ob mich ein grober Esel anschreie.“ „Dass er sich aber zum Stock, Wasser und Feuer erbietet, um seine Lehre zu bewähren, kann ich armer Bruder ihm nicht verbieten. Aber mein treuer Rat wäre doch: er erböte sich klüglich zum Rebenwasser und zu dem Feuer, das aus der gebratenen Gans raucht, denn dessen ist er besser gewöhnt... Da sie, obwohl diese Materie nicht den Glauben, die Seligkeit, Not und Gebot anbetrifft, so gottsüchtig und liebessiech sind, auch wegen solcher unnötiger unketzerlicher Sachen Ketzer zu verbrennen, so verzeihe mir, lieber himmlischer Vater, dass ich um alle Ehre, die nicht dein ist, zu Spott zu machen, einmal gegen meine Baaliten auftrotze. Hier bin ich zu Wittenberg, Doktor Martin Luther Augustiner. Ist irgendwo ein Ketzermeister, der sich zutraut, Eisen zu fressen und Felsen zu zerreißen, so möge er wissen, dass er hier sicheres Geleit, offene Tore, freie Herberge und Kost haben wird laut gnädiger Zusage des Kurfürsten von Sachsen.“ „Wenn diese Leute die Schrift lästern und Gott in seinen Worten Lügen strafen, so nennen sie das die Christenheit bessern und ehren. Aber wenn man lehrt, dass es nicht nötig sei, Ablass zu lösen, und es sich nicht gehöre, aus den armen Leuten Geld herauszuschinden, das heißt die Kirche und das Sakrament schmähen und die Christen ärgern. Das sage ich darum, dass man fortan ihre Sprache und das neue Rotwelsch verstehen könne.“ „Seine Thesen, die er sich rühmt, in Frankfurt an der Oder verteidigen zu wollen – Sonne und Mond werden sich billig verwundern über das große Licht ihrer Weisheit –, halte ich größtenteils für richtig, nur müsste überall, wo es heißt: ,Die Christen sind zu lehren’, stehen: ,Die Ablasshändler und Inquisitoren sind zu lehren.’“ Gott helfe der Wahrheit und sonst niemand. Amen! Ich vermesse mich nicht, über die hohen Tannen zu fliegen, zweifle aber auch nicht, dass ich über das dürre Gras kriechen kann.“

Man sieht: Die Sprichwörter, Bilder, komischen Vergleiche und Hyperbeln strömen ihm jetzt, auch wenn er ausnahmsweise einmal deutsch schreibt, schon ungesucht zu. Aber ihm selbst war bei diesem „Spiel“ doch nicht ganz wohl zumute. „Ich habe dabei zu sehr den Freunden nachgegeben“, schreibt er am 10. Juli an seinen Freund und Ordensgenossen Wenzel Link in Nürnberg, „und doch keineswegs ganz ihren Wünschen Genüge getan. Am liebsten ließe ich die Schrift nicht wieder ausgehen.“ In der Tat, die Zeit war zu solchem Spiele schon fast zu ernst geworden. Am selben 10. Juli ließ ihn der Graf Albrecht von Mansfeld wissen, er solle unter keinen Umständen das Weichbild von Wittenberg verlassen, denn einige „Magnaten hätten sich verschworen, ihn abzufangen und entweder zu hängen oder zu ertränken“. Wir wissen nicht, ob etwas an dem Gerücht war. Er selbst glaubte jedenfalls daran. Aber er verlor deswegen nicht den Mut. „Je mehr sie drohen“, schreibt er, „um so größer wird meine Zuversicht. Frau und Kinder, Acker und Haus, Geld und Gut habe ich nicht. Mein Ruf und Name wird schon zerrissen. Das einzige, was noch übrig ist, ist mein schwacher gebrechlicher Leib. Nehmen sie mir den noch, dann lebe ich vielleicht ein oder zwei Stunden weniger. Aber die Seele können sie mir nicht nehmen. Ich singe mit Johann Reuchlin: ,Wer arm ist, kann nichts verlieren’ usw. Ich weiß auch. dass, wer das Wort Christi in die Welt hinausbringen will, wie die Apostel auf alles verzichten und zu jeder Zeit auf den Tod gefasst sein muss. Wäre das nicht der Fall, so wäre es nicht das Wort Christi. Durch den Tod ist es erkauft, durch Märtyrer verkündet und erhalten, durch Märtyrer kann es auch jetzt allein recht bewahrt und weiter überliefert werden!“ So ernst und doch froh und frei war ihm zumute, als er erfuhr, dass Tetzels Drohungen nicht in den Wind geredet waren.


Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518

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