Читать книгу Die verbannte Prinzessin - Heinrich Thies - Страница 11

»Monplaisir«

Оглавление

In dem Dorf Linden, wenige Meilen abseits der Residenz, stand ein Schlösschen, in dem andere Gesetze galten als in dem sittenstrengen Leineschloss: die lockeren Regeln des kultivierten Vergnügens. Hier führte die Mätresse des Fürsten Ernst August das Regiment: Klara Elisabeth von Platen. »Monplaisir«, hatte die Hausherrin ihr Haus getauft, in dem sie am liebsten Herren als Besucher sah. Die Gäste konnten in den hübschen Salons ihre Tabakspfeifen rauchen oder Champagner trinken, Tricktrack (Backgammon) und Tarock spielen oder sich mit ausgesuchten Damen vergnügen. Bisweilen riss man sich nach einem ausgedehnten Souper auch die Kleider vom Leib und tanzte Polonaise. Splitternackt und ausgelassen.

Einen Tag vor seiner Abreise nach Ungarn kam Georg Ludwig wieder einmal nach Linden. Oft schon hatte er sich hier mit Katharina Maria von dem Bussche getroffen, der Schwester der Schlossherrin. Diesmal war er gekommen, um sich von der Geliebten zu verabschieden. Auf unbestimmte Zeit. Die Ungewissheit hing nicht nur mit dem bevorstehenden Kampf gegen die Türken zusammen, sondern hatte auch einen privaten Grund: Seine Schwiegermutter Eleonore d’Olbreuse. hatte bei seiner Mutter darauf gedrängt, dass Maria ihre Suite im Leineschloss räumen und aus seinem Blickfeld verschwinden sollte.

»Was diese Madame sich herausnimmt«, schimpfte er. »Das ist eine bodenlose Unverschämtheit. Ich hätte nicht übel Lust, diesem Weib Rattengift in die Suppe zu streuen.«

»Ich verstehe dich ja«, erwiderte Maria. »Aber du musst vorsichtig sein. Du schadest dir selbst am meisten. Und das lohnt sich wirklich nicht wegen dieser aufgeblasenen Pute.«

»Weißt du, was die Madame in meinen Augen ist? Ein parfümierter Misthaufen! Mäusedreck! So hat sie meine Mutter doch selbst genannt. Bei jedem Türken, den meine Leute aufspießen, werde ich an meine Schwiegermutter in Celle denken.«

»Jetzt übertreibst du aber. So schlimm sind die Türken auch wieder nicht.«

Sophie Dorothea saß zur gleichen Zeit mit ihrem Kammerfräulein bei einer Tasse Schokolade im blauen Salon und ließ sich den neuesten Hofklatsch erzählen. Da Eleonore von dem Knesebeck nicht nur mit Hofdamen, sondern auch mit Mägden sprach, erfuhr sie viel mehr als ihre Herrin. An diesem trüben Februartag des Jahres 1683 kam die Rede auch auf die Schwestern Maria und Klara Elisabeth, das »Duo diaboli«, wie Sophie Dorothea sie nannte.

»Sie kommen ganz nach ihrem Herrn Vater«, sagte Eleonore. »Das war ein rechter Glücksritter, dieser Graf Philipp von Meysenburg. Er hat sein Glück im Kriegsdienst gesucht. Aber obwohl er nie nach Treue und Gesinnung gefragt und ganz verschiedenen Herren gedient hat, hat er das Glück nie gefunden. Mochte er sich selbst auch noch so aufblasen, sein Geldbeutel war meistens leer. Und sein Schloss war mehr eine Hundehütte.«

»Die arme Frau, die verdammt war, mit diesem Kerl zu leben«, warf Sophie Dorothea ein. »Was weiß man eigentlich über die gnädige Madame von Meysenburg?«

»Herzlich wenig. Es heißt, dass sie bei der Geburt ihrer jüngsten Tochter Maria im Kindbett gestorben ist.«

Sophie Dorothea schmunzelte. »Entschuldige, dass ich lächle. Aber wenn das stimmt, was du sagst, dann hatte dieses Luder ja schon ein Menschenleben auf dem Gewissen, bevor es selbst die Sonne gesehen hat.«

»Gnädigste Durchlaucht«, entgegnete Eleonore mit gespielter Entrüstung. »Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass Ihr zu derartiger Bosheit fähig seid.«

»Da will ich gar nicht widersprechen, ich bin ungerecht. Dabei sollte ich der Dame dankbar sein. Wer sollte sich sonst meines Gemahls annehmen, wenn nicht die liebe Maria.«

Eleonore kicherte. Sophie Dorotheas Lächeln wirkte gequält. »Eigentlich waren die Schwestern Meysenburg doch höchst bemitleidenswerte Geschöpfe, wenn sie ohne Mutter aufwachsen mussten«, fuhr sie fort.

»Wie man’s nimmt. Sie haben auf jeden Fall viel gesehen von der Welt. Sowie sie aus dem Gröbsten heraus waren, soll sie ihr alter Herr schon mitgeschleppt haben. Und wie der Vater waren sie bei diesen Reisen stets auf der Suche nach einem gut gepolsterten Nest.«

»Am Ende haben sie damit ja auch Erfolg gehabt.«

»Wohl wahr. Aber es hat lange gedauert. Wenn es stimmt, was mir die Zofe der Gräfin Platen zugeflüstert hat, dann hatten sie manche Pleite hinzunehmen auf ihrem Weg nach oben.«

»Du machst mich neugierig.«

»Na ja, es scheint, sie wollten einfach zu hoch hinaus. Sogar beim Sonnenkönig in Versailles haben sie es versucht, sogar Ludwig XIV. haben sie umgarnt. Aber eine seiner Hofdamen hat rechtzeitig spitzgekriegt, worauf ihr Gegurre hinauslaufen sollte. Die Madame soll die deutschen Fräuleins mitsamt ihrem noblen Vater eines Tages vor die Tür gesetzt haben. Rausgeworfen, und mit nicht sehr freundlichen Worten, wie erzählt wird.«

»Die Ärmsten!«

»Ach was! Glaub nicht, dass sie damit kuriert waren. Sie sind einfach zum nächsten Königshof weitergezogen. Auch beim englischen König sollen die Meysenburgs es versucht haben, auch Karl II. haben sie umgarnt. Aber auch am englischen Hof gab es eine aufmerksame Mätresse, die das Spiel der deutschen Fräuleins durchschaut hat.«

»Und sind sie danach, wie soll ich sagen, bescheidener geworden?«

»Es hat den Anschein. Irgendwann haben sie bei ihrer Weltreise jedenfalls auch Station in Osnabrück gemacht, wo, wie Ihr wisst, vor gar nicht so langer Zeit noch ein gewisser Herzog Ernst August als Fürstbischof residierte. In diesem kleinen, aber feinen Hofstaat soll es so viele Kavaliere gegeben haben, dass die Meysenburg-Schwestern leichte Beute hatten. Und die Gelegenheit war günstig. Denn während ihres Besuchs in Osnabrück waren die beiden ältesten Söhne des Fürstbischofs gerade aus dem Ausland heimgekehrt: Georg Ludwig und Friedrich August, begleitet von ihren Erziehern, Ihr kennt sie: Albrecht Philipp von dem Bussche und Franz Ernst von Platen.«

»Wie haben sie sich denn an die Herrschaften herangepirscht?«

»Oh, nichts einfacher als das. Es war ihnen ein Leichtes, eine Einladung zu dem Festessen zu erhalten, das zum Empfang der Heimkehrer gegeben wurde. Und Katharina Maria und Klara Elisabeth haben dieses Souper durch eine künstlerische Darbietung bereichert, wenn man das so nennen darf. Sie haben ein Schäferspiel aufgeführt. Ihr könnt Euch vorstellen, in welchen Rollen! Sie sollen ihre weiblichen Reize voll ausgespielt haben – mit schlüpfrigen Darbietungen und aufreizenden Dekolletés. Und sie hatten Erfolg. Es ist den schönen Schäferinnen spielend gelungen, zwei Schafsböcke an sich zu binden.«

»Georg Ludwig und Friedrich August?«

»So schnell waren sie auch wieder nicht. Erst einmal haben sie die Erzieher der beiden bezirzt, du …«

Eleonore von dem Knesebeck unterbrach sich. Denn in diesem Moment betrat eine Zofe den Salon, von der es hieß, dass sie ihre Augen und Ohren bisweilen in den Dienst der Gräfin von Platen stellte. Vorsicht war daher in Gegenwart der höflichen, ja fast unterwürfigen Person geboten, höchste Vorsicht.

»Darf ich den beiden Damen noch eine heiße Schokolade bringen?«

Sophie Dorothea schüttelte den Kopf und ließ Eleonore antworten. »Nein, danke vielmals, Elisabeth. Wir haben genug genascht. Wir freuen uns auf den Wein, aber damit wollen wir noch warten.«

Mit einem Knicks und aufgesetztem Lächeln verabschiedete sich die Zofe.

»Gut, dass die Türen hier so dick sind«, sagte Eleonore. »Sonst müsste man fürchten, dass das Täubchen dahinter steht. Es könnte sich für sie lohnen.«

Sophie Dorothea seufzte. »Ja, es ist furchtbar. In diesem Schloss haben auch die Wände Ohren.«

»Und das hat vor allem mit den beiden Damen zu tun, über die wir gerade gesprochen haben.« Gedankenverloren strich Eleonore ihr Haar zurück. »Wo waren wir stehen geblieben?«

»Beim Schäferspiel.«

»Richtig. Bei diesem Schäferspiel also haben die Meysenburg-Schwestern die Erzieher von Georg Ludwig und Friedrich August eingefangen. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis Klara Elisabeth den ehrwürdigen Herrn Franz Ernst von Platen zum Traualtar geführt hat. Bei ihrer Schwester war es komplizierter. Die ist bei dem Bruder des Prinzenerziehers hängen geblieben. Maria hat sich, wie Ihr wisst, mit Johann von dem Bussche vermählt. Aber diese Eheschließung war für die beiden Damen eben nur der Ausgangspunkt neuer Affären. Sie verstanden es trefflich, den Familienanschluss zu nutzen. Und als die Herzogsfamilie in ihre neue Residenz nach Hannover übersiedelte, schlossen sich die holden Schwestern dem Umzug selbstredend an.«

Sophie Dorothea trank den letzten Schluck ihrer Schokolade.

»Mir scheint, dass Klara Elisabeth ihrer Schwester Maria bei alldem an Raffinesse und Durchtriebenheit weit überlegen ist.«

Eleonore nickte. »Wohl wahr. Die hat Haare auf den Zähnen. Sie hat nie ihr Hessisch abgelegt, und ihre Bildung soll sich auch in Grenzen halten. Aber sie ist gerissen wie keine Zweite. Was sie sich in den Kopf setzt, erreicht sie. Und natürlich konnte sie sich nicht mit dem kleinen Oberhofmeister von Platen begnügen. Sie hat es von Anbeginn an darauf angelegt, das Herz des Fürsten zu gewinnen. Und wie wir wissen, waren ihre Bemühungen erfolgreich.«

Sophie Dorothea strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie ihren Gedanken eine andere Richtung geben. »Schon traurig, dass unser Fürst sich von einer solchen Dame einwickeln lässt. Er scheint ihr ja wirklich jeden Wunsch von den Augen abzulesen.«

»Manche sagen darum ja auch, dass sie eine Hexe ist«, erwidert Eleonore. »Und das ist sicher nicht ganz falsch: Die Platen hat Ernst August verhext. Bestimmt wäre ihr Mann sonst nicht so schnell beim Fürsten aufgestiegen – vom Prinzenerzieher zum Geheimen Rat und Ersten Minister. Ich möchte nicht wissen, welchen Rang dieses Männchen ohne seine Gemahlin bekleiden würde.«

»Und sie hat ja nicht nur für ihren Gemahl gesorgt, sondern auch für sich selbst. Mir scheint, einer ihrer erfolgreichsten Schachzüge war es, sich als Ehrendame in den Hofstaat unserer Fürstin einzuschleichen. Das muss man sich mal vorstellen: Sie hat ein Verhältnis mit dem Ehemann, und plaudert mit der betrogenen Gattin, als wäre sie ihre allerbeste Freundin.«

»Ach, ich glaube, Ihre Durchlaucht Sophie sieht das alles mit großer Gelassenheit, solange ihr der gebührende Respekt erwiesen wird.«

»Mit philosophischer Gelassenheit«, ergänzte Sophie Dorothea. »Sie hält sich an diesen Leibniz und amüsiert sich mit geistvollen Plaudereien über Gott und die Welt. Das Wichtigste für sie ist die Karriere ihrer Kinder. In ihren ersten Ehejahren soll sie ja mit ihrem Mann noch zusammen Musik gemacht haben, die Laute und Pandurine sollen sie gezupft haben, ganz allerliebst, wie erzählt wird. So schön harmoniert es vermutlich schon lange nicht mehr zwischen den beiden. Aber wen stört es? Da lässt sich Ernst August eben nicht mehr von seiner Sophie streicheln, sondern von Klara Elisabeth.«

»Und die tut’s gern, denn es lohnt sich für sie. Mir ist zu Ohren gekommen, dass der Fürst dabei ist, ihr Schlösschen in Linden zu einem wahren Palast zu machen. Dabei ist der Schuldenberg jetzt schon so hoch, dass die Minister aus dem Jammern nicht mehr herauskommen. Aber vielleicht verleiht unser Herzog ja wieder ein paar Tausend Landeskinder. Der Bedarf an Soldaten ist groß, ob in Wien oder Venedig. Und es lohnt sich, wie man hört.«

Sophie Dorothea gähnte. »Das ist Politik, liebe Eleonore. Davon verstehen wir nichts. Und es fehlt mir auch der Ehrgeiz, mehr darüber zu wissen. Das Leben ist so schon schwer genug. Aber fest steht: Wer beim Herzog etwas erreichen will, hält sich an Klara Elisabeth von Platen.«

Und die begnügte sich nicht mit dem Einfluss auf den Fürsten, sie bezog auch dessen ältesten Sohn Georg Ludwig in ihre Ränke ein. So war ihr das Kunststück gelungen, den verschlossenen jungen Mann mit ihrer jüngeren Schwester Katharina Maria zu verkuppeln.

Dennoch war die Macht der Platen nicht unbegrenzt. Wenn sie auch auf die Prinzessin aus Celle herabblickte, so hatte sie doch allen Grund, die junge Dame im Leineschloss ernst zu nehmen. Denn mit dem Einzug Sophie Dorotheas kündigte sich für die Mätresse etwas an, das zu einer ernsthaften Gefahr werden konnte. Die demütigende Behandlung, die bereits ihrer Schwester Maria widerfuhr, war ein Alarmsignal. Es wehte ganz offenkundig ein neuer Wind. Sophie, die bisher so abgeklärt und gnädig die Augen vor dem Schattenreich ihrer Nebenbuhlerin verschlossen hatte, schien aufgewacht zu sein – aufgeweckt von Eleonore d’Olbreuse, die im Interesse ihrer Tochter Anstoß an den Zuständen in Hannover nahm. Und Klara Elisabeth von Platen konnte sich neuerdings nicht einmal mehr ihres Geliebten sicher sein. Mit Argwohn beobachtete sie, dass Ernst August von seiner schönen Schwiegertochter schwärmte und dieser Sophie Dorothea allerlei Aufmerksamkeiten zuteil werden ließ. In solchen Momenten spürte sie schmerzlich, dass sie älter wurde. Ihre Schönheit war nur noch durch zeitaufwändige Schminkkünste aufrecht zu erhalten.

Ihr gesamtes Renommee war bedroht. Emsig spielte sie daher die Rolle der »Wohltäterin«. Dabei gab sie es als »Wohltätigkeit« aus, die Milch, in der sie zuvor ihre Schönheitsbäder genommen hatte, an die Armen zu verschenken. Doch es war unübersehbar: Vieles war im Wandel begriffen. Knisternde Nervosität breitete sich aus in den Luxusgemächern von »Monplaisir«.

Die verbannte Prinzessin

Подняться наверх