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Mutterglück
ОглавлениеAm 9. November 1683 brachte Sophie Dorothea ihr erstes Kind zur Welt. Acht Stunden kämpfte sie im Kindbett mit den Wehen. Vor großem Publikum. Neben zwei Hebammen und einem Leibarzt waren ihre Schwiegermutter, zwei Minister sowie mehrere Hofdamen, darunter ihr Edelfräulein Eleonore, zugegen. Die Geburt eines Kindes war zu jener Zeit an den Höfen Europas ein öffentlicher Vorgang. Denn unter allen Umständen sollte verhindert werden, dass einer Prinzessin oder Königin das Neugeborene geraubt und das Kind einer anderen Frau untergeschoben wurde.
Unter den teils besorgten, teils kritischen Blicken der Herbeigeeilten brachte Sophie Dorothea einen kräftigen Knaben zur Welt, der kurz vor Weihnachten auf den Namen Georg August getauft wurde und so die Namen beider Großväter erhielt.
Mit der Geburt des Stammhalters vollzog sich ein fast wunderbarer Wandel im Verhältnis zu ihrem Ehemann. Georg Ludwig, soeben heimgekehrt als Kriegsheld aus der siegreichen Schlacht gegen die Türken am Kahlenberg vor Wien, schwebte auf einer Wolke des Stolzes. In dieser Stimmung sah der Erbprinz jetzt auch seine Gemahlin in einem anderen Licht. Sie war nicht mehr der verwöhnte Bastard aus Celle, nicht mehr das Püppchen, sondern die Mutter seines Sohnes, und plötzlich begriff er, warum alle so von ihr schwärmten: Sophie Dorothea war eine schöne Frau. Und er verwöhnte sie mit Geschenken und Gunstbezeugungen, die ihm niemand zugetraut hätte. Es war, als habe ihn ein geheimer Zauber aus seiner hölzernen Schale befreit und den wahren Kern freigelegt.
Möglicherweise lag das jedoch nicht nur an der Geburt seines Sohnes. Seine Mätresse Maria, der er noch kurz zuvor ewige Treue zugesichert hatte, war nämlich mittlerweile aus seinem Gesichtskreis entfernt worden. Seine Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie auch »Monplaisir«, das Lustschlösschen in Linden, räumen musste.
Auch die Fürstin verhielt sich Sophie Dorothea gegenüber rücksichtsvoller. Mochte ihre Abstammung noch so zweifelhaft, ihr Geblüt noch so fragwürdig sein: Jetzt war Sophie Dorothea die Gattin des Erbprinzen und die Mutter eines Sohnes. Alles andere hatte dahinter zurückzustehen.
Die Geburt des kleinen Prinzen wurde auch in Celle begeistert kommentiert. Viel häufiger als zuvor machten sich jetzt Herzog Georg Wilhelm und seine Frau Eleonore auf den Weg nach Hannover, um ihre Tochter und den kleinen Stammhalter zu besuchen.
Sophie Dorothea war selig: stolz auf ihren Sohn, erleichtert, von ihrem Mann endlich mit Wertschätzung bedacht zu werden, und glücklich, ihre Eltern wieder häufiger zu sehen.
Doch dieses Glück währte nicht lange. Ihr kleiner Sohn wurde, der Etikette entsprechend, unter der Regie der Schwiegermutter in die Obhut einer Amme gegeben. Sophie Dorothea sah ihn nur noch selten. Georg Ludwig kehrte zurück ins Feldlager und übernahm erneut Führungsaufgaben im Krieg gegen die Türken. Und auch die Besuche der Herzogin von Celle wurden bald wieder seltener. Die hohe Politik war dafür verantwortlich.
Der französische König Ludwig XIV. hatte am 18. Oktober 1685 das Edikt von Nantes aufgehoben, das seinen Untertanen bis dahin noch eine gewisse Religionsfreiheit gewährte. Unter der Parole »Ein König, ein Glaube, ein Gesetz« hatte man die Hugenotten zwar zuvor schon gedrängt, zur katholischen Kirche überzutreten. Doch nun verbot der König den Reformierten die Gottesdienste, ordnete die Zerstörung ihrer Kirchen an und untersagte die Auswanderung. Wer auf der Flucht ergriffen wurde, musste fürchten, sein Leben als Sträfling auf einer Galeere zu beschließen.
In Celle bangte Eleonore d’Olbreuse um ihren Bruder und die übrigen Familienangehörigen, die noch in Frankreich geblieben waren, um hugenottischen Flüchtlingen auf ihrem Schloss in Poitou Unterschlupf zu gewähren. Unterdessen strömten immer mehr Hugenotten, die aus Frankreich geflüchtet waren, in das gastfreundliche Herzogtum Celle. Die Schlossherrin stand im Zentrum der Hilfsaktionen und konnte sich daher nicht mehr so viel Zeit für ihre Tochter nehmen.
So fühlte sich Sophie Dorothea bisweilen einsam im Leineschloss. Die langen Spaziergänge, auf denen sie ihre Schwiegermutter in den Gärten von Herrenhausen begleiten musste, waren für sie kein Ersatz für die Plaudereien mit ihrer Mutter. Sie schämte sich für ihre Unwissenheit, wenn die Fürstin ihr Vorträge über die Lehren ihres Freundes Leibniz hielt. Dabei erschien auch ihr manches einleuchtend und klug – vor allem die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen, die Leibniz propagierte. Doch sie konnte kaum mehr dazu sagen als »Oh, gewiss«. Und im Grunde genommen wusste sie auch gar nicht, wozu sie sich anstrengen sollte. Denn die hannoversche Herzogin, so war sie überzeugt, interessierte sich sowieso nicht für ihre Meinung.
Zu ihrem Leidwesen musste Sophie Dorothea auch auf die aufmunternden Sprüche und vergnüglichen Einladungen ihres Schutzpatrons verzichten. Ernst August war oft für längere Zeit außer Landes – allein im Jahre 1685 weilte er acht Monate in Venedig. Wie gern wäre sie mitgefahren. Venedig – dieses Paradies an der Adria, von dem ihr Vater einst schon geschwärmt hatte, wurde für sie zum Inbegriff der Sehnsucht.
Zu Beginn des Jahres 1686 aber erfüllte Herzog Ernst August ihr endlich den Traum, die Lagunenstadt mit eigenen Sinnen zu erleben.