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Von Niederkünften und Einkünften
ОглавлениеIm Verlauf der bisherigen Schilderung ist klar geworden, dass bei dieser Reise in die geburtshilfliche Vergangenheit nicht ausschließlich über die Leistungen der Hebammen berichtet werden kann — hat es doch immer mehr oder weniger enge Wechselbeziehungen zwischen den handwerklich handelnden Hebammen und den wissenschaftlich gebildeten und deshalb heilkundlich erfolgreicher wirkenden Ärzten gegeben, die eben, weil Frauen jahrhundertelang die Tore der Universitäten verschlossen blieben, fast ausschließlich Männer waren. Und deshalb waren es auch Männer, die den Hebammen, besonders seit dem massenhaften Auftreten des Puerperalfiebers (Kindbettfieber) heftige Vorwürfe machten. Dabei agierten sie zumeist ihrer beruflichen Ausbildung, der kulturhistorischen Überlieferung und dem feudalen Zeitgeist entsprechend im bornierten Mann-Frau-Gefälle. Siebold dazu: Auf niederer Stufe blieb die Geburtshilfe daher eine sehr lange Zeit hindurch bestehen, während die Medicin unter der Sorge kraftvoller und mit Geist ausgerüsteter Männer vorwärts gebracht wurde und sich würdig ihrer hohen Bedeutung entfaltete. Damit opponierte Siebold jedoch auch gegen die Ehefrau und die Stieftochter seines Onkels, Damian von Siebold, die Damen Josepha und Charlotte, Doktorinnen der Entbindungskunst in Darmstadt.
Charlotte Heidenreich von Siebold (1788 bis 1859) konnte nach praktischem Geburtshilfeunterricht bei ihrer Mutter Josepha, nach der Teilnahme an Privatvorlesungen sowie nach erfolgreicher Hebammentätigkeit in Darmstadt und Umgebung, und letztlich nach Fürsprache ihres Vaters, an der Universität Gießen promovieren: Über die Schwangerschaft außerhalb der Gebärmutter und über eine Bauchhöhlenschwangerschaft insbesondere. Einer ihrer Privat-Professoren, Friedrich Benjamin Osiander, dem sie ein Exemplar ihrer Promotionsschrift zusendet, mokiert sich, dass sie entgegen der von ihm verbreiteten Lehrmeinung, möglichst oft zu Geburtszange und Hebeln zu greifen, vor deren häufigen Gebrauch warnt. Osiander über Charlotte Heidenreich: Sie gibt einen klaren Beweis dafür ab, wie weit sie schon von meinen Lehrsätzen abgewichen ist; und ich kann daher nicht mehr stolz darauf sein, sie gebildet zu haben. Vielmehr gibt sie mir dadurch das Zeugnis, dass ich recht hatte, mich gegen den ihr zu erteilenden Unterricht so lange zu sträuben; denn ich glaubte nie, dass beim Unterricht charakterloser Weiber und Mädchen viel Erfreuliches herauskomme. Sie sind wie ein Rohr, das der Wind hin- und herweht, und vollends zur Autorschaft ganz verdorben. Das Schwangerwerden steht ihnen auf jeden Fall besser, als über Schwangerschaft zu schreiben.
Die öffentlich und am Entbindungsbett vorgetragenen Angriffe, denen die Hebammen durch eine einige und organisierte Ärzteschaft ausgesetzt waren, hatten neben den berechtigten Forderungen nach antiseptischer Arbeit und wissenschaftlich fundierter Ausbildung, handfeste ökonomische Gründe: Mit dem beginnenden geburtshilflichen Wirken des Arztes , , prudelte diese Einnahmequelle — speziell von wohlhabenden Patientinnen, — für die Ärzteschaft spürbar kräftiger. Die von den Hebammen so schmerzhaft empfundenen Auseinandersetzungen waren jedoch Vorboten einer objektiv herangereiften Veränderung, in deren Ergebnis die Qualität dieser speziellen Dienstleistung deutlich verbessert wurde.
Den Anstoß, dass Geburtshelfer in die Domäne der Hebammen eindrangen, gab laut Osiander eine berüchtigte französische Dame, De la Valiere, eine Geliebte Ludwigs des Vierzehnten, König von Frankreich. Der König hatte Grund um seiner Gemahlin willen zu wünschen, dass seine Geliebte in der größten Verborgenheit niederkommen, und weder sie noch ihr Kind bey und nach der Geburt Schaden nehmen möchte. Der Hebamme, welche sonst bei den Niederkünften seiner Gemahlin gebraucht wurde, wollte er die Geliebte nicht anvertrauen, weil er wohl wusste, wie gewagt es wäre, sich auf die Verschwiegenheit einer Frau zu verlassen. Als daher die Geburt herannahte, ließ er unter verdecktem Namen einen damals sehr berühmten Wundarzt, Julianus Clemens, zu seiner Geliebten berufen, der die vermeintlich unbekannte Dame entbinden sollte. Der König selbst beobachtete, hinter Bettvorhängen verborgen, den Geburtshelfer: Dieser ging äußerst schonend und sittsam mit der vornehmen Gebärerin und dem Kind um, und gewann die ganze Zuneigung des Königs, so dass er hernach alle Geliebten des Königs, bey deren Niederkünften es nicht mehr so geheim zuging, und endlich selbst die königlichen Prinzessinnen und mehrere Fürstinnen und Königinnen mehrmals entbinden konnte.
Und der Erfolg? Bald wurde es bei der damals in fast ganz Europa herrschenden Nachahmungssucht von allem, was in Frankreich Sitte war, zur Mode, wenigstens bei den Geburten vornehmer Personen Geburtshelfer einzusetzen. Dadurch gewann die Entbindungskunst mehr Liebhaber unter den Ärzten und Wundärzten.
Wie eine Hebamme zu Reichtum und Ansehen gelangte, erzählt Osiander so: Im Jahre 1726 wurde zu Rom die Prätendentin (Tronbewerberin) von Engelland, die Gemahlin eines Herren, der einen Anspruch an die Krone Engellands zu haben vermeynte, nach sechstägigen Kindesnöthen in Gegenwart von mehr als 200 Personen von einem jungen Sohn entbunden. Die Geburt geschah deswegen unter den Augen so vieler Zeugen, damit niemand an der Wahrheit, dass ein Sohn von so großen Ansprüchen geboren wäre, zweifeln möchte. Die Hebamme Gitta, welche das Kind empfing und bei ihrem sechstägigen Warten nichts weiter als ein Wartegeld verdient hatte, bekam von neun anwesenden Kardinälen 180 Scudi, von sieben Prinzessinnen 70 Scudi, von dem Vater des Kindes 100 Dublonen, in allem ungefähr 840 Reichstaler zum Geschenk; überdies erhielt sie noch den Titel einer Gräfin und ein lebenslängliches Jahresgehalt von 500 Scudi, umgerechnet 666 Reichstaler oder 1.200 Gulden.
Dieser Hebamme stellte Osiander gleich noch das Schicksal einer anderen gegenüber, deren Lebenslauf für Frauen dieses Berufsstandes in jener Zeit sehr viel typischer gewesen ist. Sie war, wie Osiander sagt, eine arme Frau, die zwischen ihrem vierzigsten und fünfzigsten Jahr Witwe wurde, und nun, ohne Ernährer, erst die Hebammenkunst erlernte. Offenbar hat sie es dann nicht vermocht, sich gegen die Konkurrenz der alteingesessenen Wehemütter durchzusetzen. Zu Frauen von Stand wurde sie gar nicht gerufen. Allein, dies schwächte den Mut der guten Frau nicht. Niemandem diente sie williger, redlicher und unermüdeter als armen Frauen, von denen sie keine Belohnung zu erwarten hatte, denen sie aber oft selbst von ihrem Wenigen mitteilte. Irgendwann entband sie dann doch eine Frau von Stand und durchbrach damit den Bann der Erfolglosigkeit. Sie wurde zu mehr Entbindungen gerufen, als sie schaffen konnte. Trotzdem: Auch jetzt blieb sie den armen Frauen eben so ergeben, als zuvor. Oft trug sie das, was ihr an Speisen bey dem Taufschmaus eines Reichen gegeben wurde, gerade einer armen Wöchnerin zu, oder kaufte für ihr eigenes Geld der Armen, was ihr oder dem Kinde jetzt höchst nöthig war. Diese Mitleidigkeit und Gewissenhaftigkeit in ihrem Berufe äußerte sie bis an ihr Ende; ja sie zog sich wirklich in ihrem Eifer für das Beste der Armen und Verlassenen den Tod zu. Bey einer gefährlich kranken, armen Wöchnerin, deren sie aus bloßem Mitleiden mehr that, als ihr nach ihrem Beruf zukam, holte sie sich den Zunder zu einem schnell tötenden Faulfieber. Kaum erscholl die Nachricht von ihrem Tode, so entstand ein allgemeines Lamentieren unter den Frauen der Stadt ... An jene Hebammen, die trotz harter Arbeit weder zu Geld noch zu Anerkennung kamen, richtete Osiander in seinem Hebammenlehrbuch die Worte: Und sollte auch eine geschickte Hebamme bey gewissenhafter Ausübung ihrer Kunst verkannt werden und Geringschätzung statt Achtung, Undank statt Geld zum Lohn bekommen, so muss sie bedenken, dass es in der Welt unter allen Ständen manchem verdienten und geschickten Manne ebenso ergehet, ja, dass der größere Theil der Menschen immer undankbar ist ...