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Wehemütter in der Frauen Rosengarten
ОглавлениеLeben, diese besondere Daseinsform der Materie, mit seinen charakteristischen Eigenschaften wie Stoffwechsel, Reizbarkeit, Bewegung, Fortpflanzung, Wachstum und Entwicklung kulminiert mit jedem Geburtsakt zum neun Monate lang angestrebten Erfolgserlebnis jeder Mutter. Auf dem Weg vom Primaten zum Homo sapiens, zunächst unwissend und nackt, inzwischen mehr oder weniger kultiviert und bekleidet, wird unser biologisches Sein gern vergessen. Erstgebärende und die, mit dem Anwachsen der Vaterentbindungen der Geburt beiwohnenden jungen Ehemänner, lassen oftmals verlauten, sich die Entbindung nicht so ursprünglich vorgestellt zu haben.
Osiander, ein bekannte Geburtshelfer des 18. Jahrhunderts in einem Rückblick: Die Gebärerinnen der ältesten Menschengeschlechter lehnten sich wahrscheinlich, wie noch jetzt die Frauen der sogenannten ‚Wilden’ in Amerika an den nächsten besten Baum, oder an einen Pfosten ihrer Hütte, wenn sie die Wehen ankamen, knieeten nieder oder setzten sich zur Erde, unbekümmert, ob ihnen ein Mensch zu Hülfe käme. Mit eignen Händen fingen sie das hervorgepresste Kind auf, zerbissen oder zerhackten die Nabelschnur, reinigten das Kind am nächsten Bach, hielten es an die Brust und warteten sein von Stund an gesund und munter.
Verfasser von Hebammen- und Geburtshilfelehrbüchern stimmen darin überein, dass die Geburtshilfe, als zunächst ausgesprochene Frauenangelegenheit, ihren Ursprung in der Familie hat. Frauen halfen einander, — die eine pressend, die andere ziehend, — das neue Leben ans Licht zu bringen. Und im Zeitraffer: Häufiges Tun produzierte Erfahrung, brachte ein medizinisches Hand-Werk hervor, das sich, ebenso wie die Chirurgie, etwa ab dem 18. Jahrhundert erst durch die Verbindung mit der Wissenschaft vervollkommnete.
Eine anspruchsvolle Geburtshilfe durch Hebammen wird Griechenland und Rom während der Antike bescheinigt. Der griechische Arzt Hippokrates beschrieb den Hebammen Kopf-, Quer-, Fuß- und Steißlagen; Moschion, ein Schüler von Soranus — beide bekannte römische Ärzte und Wissenschaftsautoren — lobte in seinem Hebammenlehrbuch die Sachkunde und Kunstfertigkeit der Hebammen bei der Behandlung ihrer Patientinnen.
Die Hebamme Phainarete, Gattin des Athener Bildhauers Sophroniskos und Mutter des Sokrates, muss den Heranwachsenden stark beeindruckt haben. Vom Philosophen Sokrates sollen die Worte herrühren, er übe die Kunst seines Vaters, indem er den Menschen Form zu geben suche, und er lasse sie wie seine Mutter Erkenntnisse gebären. Seine Methode, auf den Straßen Athens Menschen durch geschicktes Fragen zu eigenen philosophischen Gedanken anzuregen, nannte er selbst Maieutik oder Hebammenkunst.
Die in Lexika mit Untergang der antiken Kulturen apostrophierte gesellschaftliche Umwälzung, hier nur unzureichend gekennzeichnet durch drei Daten — den Sieg des Arminius im Jahre 9 über Varus, die Völkerwanderung und den Sturz des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustus durch den Westgoten Odoaker im Jahre 476, — verschüttet auch die geburtshilflichen Erkenntnisse für Jahrhunderte.
In Rom, wo die Christen unter den römischen Kaisern zehn Verfolgungen überstehen, ist das Christentum Staatsreligion geworden. Wer die verdienstvolle Armen- und Krankenpflege betreiben will, kann das in jener Zeit — die erste deutschsprachige Universität wird erst 1348 in Prag gegründet — nur im Mönchskittel tun. Wer beim Studium etwas entdeckt, das der offiziellen Lehre zuwiderläuft, den soll der Teufel holen. Nicht mit scharfer Klinge: Ecclesia non stit sanguinem — die Kirche vergießt kein Blut. Deshalb müssen die Ketzer spätestens auf dem Holzstoß für den wahren Glauben entflammen.
Einen Hunderttausende umfassenden Opfertod, angewiesen durch den Klerus, haben die Hebammen zu erdulden. So wie die Hebammen Elisabeth Fürst 1588 in Ellwangen und die Schottin Eufame Macalyne 1591, die als Hexen verurteilt und verbrannt worden waren.
Die etwa ab 1360 beginnenden Hexenverfolgungen gelten zuallererst den Hebammen. Ihr Wissen um die Geburtenkontrolle wird mit ihnen zusammen auf den Scheiterhaufen verbrannt. Mit den Schadenzaubern, für deren Ausübung sie den Feuertod erleiden müssen, sind in Wirklichkeit die Empfängnisverhütung und das Bewirken von Fehlgeburten gemeint. Die mit der Pest einhergehende Entvölkerung ganzer Landstriche in Europa soll mit vermehrter Menschenproduktion ausgeglichen werden. Der erstmals 1487 publizierte Hexenhammer des Autors Heinrich Kramer ist eine Art Gebrauchsanleitung zur Identifizierung von Hexen-Hebammen und ihres Schadenzaubers, der Verhütung und Abtreibung. Kraft des Deutungs- und Interpretationsmonopols hat der Hexenhammer die Hebammen als Hexen verteufelt und zur Einäscherung verurteilt.
Das Anklagen und anschließende Verbrennen der ‚weisen Frauen’ kennzeichnet die staatliche Bekämpfung der Geburtenkontrolle, schreiben die Autoren Gunnar Heinsohn und Otto Steiger in ihrem Standardwerk Die Vernichtung der weisen Frauen (14. Auflage 2005 / MÄRZ-Verlag). Heinrich Kramer, der Autor des Hexenhammer, war 1478 durch Papst Sixtus IV. zum Inquisitor der Gebiete Elsass, deutschsprachige Schweiz, Vorderösterreich, Bayern und Böhmen für die Ketzerverfolgung ernannt worden, so das Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung in historicum.net.
Bei solchem Strafmaß halten sich die meisten Betroffenen an religiöse Ge- und Verbote — auch die Ärzte und Hebammen. Jenen verbot die Kirche das Schneiden und Brennen, weil die Schuld am Tode eines Menschen nach Kirchenrecht die weitere Ausübung eines Priesteramtes verbot; den Wehemüttern hingegen gebot sie bei komplikatorischen Geburten — im damals dünn besiedelten Gebiet waren Arzt und Pfarrer weit — einen Not-Taufakt zu vollziehen, sobald auch nur der Kopf geboren und die Geburt nicht beendet werden konnte.
Später gestattet, besser gebietet man den Hebammen, das flugs geweihte Wasser der Leibesfrucht im engen Geburtskanal entgegenzuspritzen.
Zunächst aber, und vor allen Taufakten, betreiben die Hebammen jener Jahre die ihnen mit Eid und Ordnung aufgetragene Geburtshilfe. Der Hebammeneid, erstmals aufgezeichnet Anfang des 14. Jahrhundert in Koblenz, ist in verschiedenen Fassungen bis in die Mitte unseres Jahrhunderts jeder Hebamme nach ihrer Ausbildung abgefordert worden: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass ich nach bestem Wissen und Vermögen die Hebammenkunst nach den Vorschriften des Lehrbuches und der diesem beigegebenen Dienstanweisung ausüben, Armen und Reichen mit gleicher Bereitwilligkeit helfen und mich überhaupt in jeder Beziehung so verhalten will, wie es einer treuen und gewissenhaften Hebamme geziehmet und wohlansteht. So wahr mir Gott helfe.
Da Gott — wie immer, wenn man ihn braucht — auch in Geburtsnöten durch Abwesenheit glänzt, werden die Hebammen den Ausgang ihrer so überaus nützlichen Entbindungsarbeit wohl stets der eigenen Erfahrung und Geschicklichkeit zu danken gehabt haben, wenn sie nur die Hinweise in Lehrbuch und Dienstanweisung recht ernst nahmen.
Nach den Beiträgen zur Geschichte des Hebammenstandes von Elseluise Haberling sind die mittelalterlichen Dienstanweisungen der städtischen Wehemütter ein Gemisch von Handwerkerordnungen und Ärzteverträgen. Die Vorschriften über die Berufsausbildung, die Ablegung der Prüfung, das Überwachen der Tätigkeit (durch Stadtphysikus und ehrenamtlich wirkende Obfrauen), das Eindämmen der Konkurrenz und die Ermahnung zu sittlichem Betragen haben sie mit den Zunftordnungen gemeinsam. Mit den ärztlichen Verträgen stimmen alle Hebammenordnungen darin überein, dass sie die Wehemütter verpflichten, Arm und Reich gleich treu zu dienen, und in dem Verbot, ohne Erlaubnis des Rates außerhalb der Stadt zu praktizieren.
Wie praktizieren die Hebammen des Mittelalters die Geburtshilfe? Die mittelalterliche Geburtsbetrachtung geht davon aus, dass die Geburt eine Handlung des Kindes ist. Nachdem es in neun Monaten fertig ausgebildet ist, wird es hungrig und sucht einen Ausgang. Um dem Kind bei seinen Anstrengungen zu helfen, lässt die Hebamme die Frau bei normalen Geburten stehend oder in Hockstellung niederkommen. Erst 1492 ist der Kauf eines Geburtsstuhles belegt. Im 1513 verlegten, ersten deutschen Geburtshilfebuch von Eucharius Rößlin, Der Frauen Rosengarten, ist ein solcher Stuhl abgebildet. Die Haberling beschreibt ihn: Es war ein niedriger Holzstuhl mit einer halbhohen Rückenlehne. Der Sitz war rund ausgeschnitten, sodass das Gesäß und die Schenkel der Frau darauf ruhten, die Geschlechtsteile aber frei blieben. An den Seiten waren kräftige Griffe angebracht, an denen sich die Gebärende während der Wehen festklammern konnte.
Die Hebamme saß auf einem Fußbänkchen oder einem Kissen vor der Wöchnerin. Sie salbte deren Leib und die eigenen Hände mit warmem Rosenöl ein und stellte durch innere und äußere Untersuchungen zuerst fest, in welcher Lage sich das Kind befand. Bei einer normalen Kopflage ließ sie das Kind ruhig kommen, achtete aber aufmerksam darauf, dass es sich nicht an einem Schambeinast ansetze. Dies suchte sie durch Handgriffe zu verhüten, indem sie den Kopf einleitete. Erkannte die Hebamme, dass die weichen Geburtsteile durch allzu straffe Muskulatur der Geburt Schwierigkeiten entgegensetzten, so musste sie die Spannung durch Dehnung überwinden.
Wenn sich die Plazenta nicht von selbst löste, erhielt die Frau zunächst ein Niesmittel, damit der durch das Niesen erzeugte Druck auf die Bauchmuskeln die Lösung einleiten möge. Genügte das nicht, gab die Hebamme der Frau Wehen treibende Mittel wie Raute, Salbei oder Crocos (Crocus sativus Safran — Herbstkrokus) ein. Hatten auch diese Mittel keinen Erfolg, so wurde versucht, die Plazenta manuell zu lösen. War bei der Geburt ein Dammriss entstanden, nähte ihn die Hebamme mit einem starken seidenen Faden.
War das Kind im Mutterleib abgestorben, mussten hinzugerufene Wehemütter und ehrbare Frauen den Tod des Kindes bestätigen. Erst dann durfte es mit Hilfsmitteln herausgezogen werden. Dazu hatte die Hebamme eiserne Haken, den Entenschnabel, die gezähnte Zange, eine glatte und eine lange Zange. Diese Instrumente dienten ausschließlich der Extraktion toter Kinder. Die zu allerletzt angewandte Methode war die Zerstückelung. Vorgefallene Extremitäten wurden mit einer Zange in den Gelenken abgedrückt. Konnte der Kopf nicht entfernt werden, so sollte die Hebamme mit einem Aderlasseisen die Kraniotomie (kranial — den Schädel betreffend) ausführen und ausspülen, den Kopf danach soweit zusammendrücken, bis er herausgezogen werden konnte.
Johann von Horn, Stadtphysikus (Arzt) in Stockholm, beschreibt 1715 in seinem Hebammenlehrbuch Die zwo um ihrer Gottesfurcht und Treue wille von Gott wohl belohnte Wehemütter Siphra und Pua eine derartige Operation:
Im Jahre 1709, da der große Winter einfiel, reiste um Weihnachten herum eines Perückenmachers Frau, so mit dem dritten Kinde schwanger ging, von hier nach Falun, 24 schwedische Meilen von hier gelegen, zu ihren Eltern, nicht wissend, dass ihr die Zeit der Geburt so nahe wäre. Auf dem Rückweg beginnen die Wehen ... Am Mittwoch kam sie nach dem Städtchen Sachberg, allwo man ansonsten das Silbererz ausgräbt. Allhier brach ihr das Wasser und der Arm des Kindes ragte ihr zugleich aus dem Leibe hervor. Nichtsdestoweniger setzte sie ihre Reise fort, hierher nach Stockholm, welches ihr Glück war, sonsten wäre sie nicht mit dem Leben davon gekommen.
Als sie Sonntags ganz spät ankam, wurden zwei der erfahrensten Wehemütter, so wir haben, herbeigeholt. Aber von dem Stoßen, Rütteln und Schütteln auf der Reise war alles dergestalt zusammengepreßt, dass man nicht könnte einen Finger, geschweige die ganze Hand und den Arm hineinbringen, um das Kind zu wenden, denn der Muttermund schloß wie ein eiserner Ring um des Kindes Arm.
Weil die Wehemütter keinen anderen Trost zu geben wussten, als dass sie mit dem Kind, dass schon lange gestorben war, auch sterben müsste, so wurde ich um Mitternacht dahin berufen.
Ich nahm gleich den Arm weg und weil keine Hand bei dem Kind hineinzubringen war, so arbeitete ich mitten durch das Kind, wie es lag, hindurch, schnitte es in die Quere in zwei Theile, holte zuerst das unterste Stück, nämlich den Bauch mit den Schenkeln, und hernach die Brust mit dem Kopfe heraus.
Auf solche Weise wurde diese Frau wider aller Vermuten so glücklich erlöst, dass sie nach 24 Tagen in ihrer Werkstube saß und arbeitete.