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Die Hebammen von Frankreich
ОглавлениеTrotz der bei normaler Geburt wirkenden Geburtsmechanik — das knöcherne Becken gibt mit seiner Form dem kindlichen Kopf die zum Passieren des Geburtsganges optimale Einstellung vor —hat es zu allen Zeiten Problemgeburten gegeben. Der Kopf, falsch eingestellt, oder einfach zu groß für ein zu enges Becken, setzte den Geburtshelfern — Hebamme oder Chirurg — die noch nicht über Ultraschallerkennungsgeräte, Kaiserschnittkenntnisse und Geburtszange verfügten, unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen.
Eduard Caspar Jacob von Siebold, ein bekannter deutscher Geburtshelfer des 19. Jahrhunderts, berichtet über Erfahrungen des Pariser Wundarztes Mauriceau, der 1668 in seinem Lehrbuch unmittelbar nach der Darstellung der Extraktion an den Füßen beschrieben hatte, was zu tun sei, wenn dabei der Kopf abgerissen würde. Siebold meint, dass dieser Unfall sich nicht selten ereignet haben müsse, zu einer Zeit, wo die Haupthilfe bei schweren Geburten eben nur in der Extraktion an den Füßen bestand, wo den Schwierigkeiten, welche der Kopf zuletzt darbot, nur die vermehrte Kraft der Hände entgegengesetzt werden konnte. Daher, meint Siebold, sei von Mariceaus Zeit an die Lehre vom abgerissenen Kopf im innigsten Zusammenhang geblieben mit der Wendung und der Fußgeburt, bis erst die unschädliche Kopfzange das beste Mittel wurde, das Abreißen des Kopfes bei der nachfolgenden Extraktion zu verhüten. In einem Kapitel über die Hebammen von Frankreich lobt Siebold ihre Tätigkeit, relativiert dies allerdings einige Zeilen später: An dem guten Fortgange, welchen die französische Geburtshilfe in wissenschaftlicher Beziehung nahm, hatte auch die Hebammenkunst den regsten Anteil. Aber ... die Hebammen traten fortwährend als Nebenbuhlerinnen der Geburtshelfer auf, und wussten sich daher alle die trefflichen Fortschritte, welche von diesen ausgingen, anzueignen. Zum Beweis des eben Ausgesprochenen führen wir, sagt Siebold, ein 1677 erschienenes Hebammenlehrbuch an, welches die Margarethe du Tertre, verwitwete De la Marche, zur Verfasserin hat: Dasselbe ist in Fragen und Antworten geschrieben, und enthält sehr gute Anweisungen, wie sich Hebammen bei verschiedenen Geburten verhalten sollen; die Wendung auf die Füße ist ihnen hier überall empfohlen, ja, die Verfasserin hat trefflich dargethan, dass die Extraktion in vielen Fällen an nur einem Fuße vollzogen werden könne, wodurch Zeit gewonnen und der Gebärenden viel Schmerz erspart würde. Besonders hebt sie diese Verfahrensweise bei Steißlagen hervor, und ihre vorgebrachten Gründe zeigen die praktisch gebildete Frau. Dabei ist das Werkchen in guter Ordnung abgefaßt, es ist nicht zu viel und nicht zu wenig gegeben, und es hat daher zu seiner Zeit sicherlich großen Nutzen gestiftet. Na also.
Die De la Marche, Schülerin von Mauriceau, war seit 1660 Oberhebamme am Pariser Hôtel-Dieu, einem großen Krankenhaus, und erste Lehrerin der Geburtshilfe an der 1630 gegründeten Gebärabteilung.
Paris ist zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert Wirkungsstätte verschiedener erfolgreicher Hebammen. Marie-Louise Bourgeois wirkt eine Generation vor der De la Marche. Als Frau eines Feldschers, des Feldwundarztes Boursier, der wiederum im Dienste des berühmten Chirurgen Ambroise Paré steht, hat sie Zugang zu dessen theoretischen Schriften über Chirurgie und Geburtshilfe. Sie besucht auch anatomische Vorträge, in denen weibliche Leichen seziert werden. Als ihr Mann seine Arbeit verliert, beginnt sie als Hebamme zu wirken. 1598, im Alter von 35 Jahren, erhält sie das Diplom einer geschworenen Hebamme von Paris. 1601 beruft Maria von Medici, die Gemahlin Henrichs IV, sie als Hebamme. Sie trägt von da an eine Kappe aus schwarzem Samt, das Abzeichen der Hebamme der Königin von Frankreich.
Marie-Louise Bourgeois gibt ebenfalls ein Lehrbuch heraus. Das Hauptverdienst ihrer Schriften besteht nach Siebold darin, dass sie die Wendung auf die Füße dringend empfahl, wo Einschreiten der Kunst sich notwendig machte, so bei allen Querlagen des Kindes ...
Interessant, so Siebold, sind die Regeln, welche sie für die Behandlung der Gesichtsgeburten aufstellte: Sie warnt, die Gesichtslage nicht mit der Steißlage zu verwechseln, empfiehlt die Wehentätigkeit in ihrer vollen Kraft zu erhalten, das Gesicht so sehr als möglich zu schonen und nur dafür zu sorgen, dass das Kind so bald als möglich geboren werde ... So kann eine richtige und zugleich reiche Erfahrung in der Geburtshilfe alle theoretischen Lehrsätze überflügeln.
Ein Autor namens F. Dillinger, der in der Allgemeinen deutschen Hebammenzeitung 1901 über Marie-Louise B. referiert, unterstreicht ihren Hinweis, einen Chirurgen zu Hilfe zu holen, wenn die Hebamme nicht weiterkäme. Und er zitiert sie: Es wird manche wundernehmen, wenn ich sage, dass eine Hebamme, wo sie nicht fertig wird, es einem geschickten Chirurgen überlassen soll. Da die Hebamme, die von hundert Fällen nur einen schweren zu Gesicht bekommt, dabei leicht aus der Fassung kommen kann, während der Chirurg nur solche Fälle sieht, bei denen etwas nicht in Ordnung ist, also dass der Chirurg ebenso das Schlimme gewohnt ist, wie die Hebamme das Gute.
Dieser Ansicht ist auch F. Dillinger: Wenn ein Chirurg zu einer Gebärenden gerufen wurde, so hielt er sich für verpflichtet, die Frau sofort zu entbinden. Nun ist es aber bekannt, zu was für schlimmen Folgen es führen kann, wenn gewaltsame Entbindungsversuche zu einer Zeit vorgenommen werden, wenn die Bedingungen hierfür noch nicht gegeben sind und wo man es der Natur überlassen sollte, das Werk zu vollenden. Zu dieser Erkenntnis, der vornehmsten Errungenschaft der modernen Geburtshilfe, habe Marie-Louise B. ihr Scherflein beigetragen.
Eine weitere bekannte französische Hebamme ist Angelique Louise Marguerite le Boursier de Coudray. Die Oberhebamme von Paris bildet gemäß königlichem Dekret in der Zeit zwischen 1750 und 1770 anhand eines eigenen Hebammenlehrbuches sowie eines von ihr erfundenen Phantoms — der Nachbildung eines weiblichen Beckens mit lederner Puppe in Neugeborenengröße — etwa 4.000 Schülerinnen in Stadt und Land zu Hebammen aus. An jedem Ort, an dem sie unterrichtet, überreicht sie ein Phantom und ein Exemplar ihres Lehrbuches für die Schulung.
Auch Marie-Louise la Chapelle, Tochter, Schülerin und spätere Gehilfin der Oberhebamme des Hôtel-Dieu, Madame Duges, gelangt neben beruflichen Erfolgen zu fachliterarischen Ehren. Sie leitet 1795 die Übersiedlung der bis dahin mit dem Hôtel-Dieu verbundenen Gebäranstalt. Im neuen Hospice de la Maternité wird sie als Oberhebamme eingesetzt und leitet die praktische Ausbildung der Hebammenschülerinnen. In ihrem Lehrbuch, dessen erster von drei Bänden noch zu ihren Lebzeiten, 1821, erscheint, vereinfacht sie die Lehre von den Kindslagen. Anstelle der von ihrem Direktor J. L. Baudeloque gelehrten 94 Lagen verringert sie diese auf die Scheitel-, Fuß-, Knie-, Gesichts- und Schulterlagen. Von Siebold dazu: Sie beobachtete und schrieb als Geburtshelferin, ohne gründliche physiologische und pathologische Einsichten zu besitzen, und die Mittel zu kennen, welche dem Geburtshelfer als Arzt zu Gebote stehen. Was aber mechanische Übung und Geschicklichkeit am Bette der Gebärenden vermögen, das gab sie durch ihr Werk zu erkennen. Sie hat daher vortrefflich die Operationen abgehandelt, sich ebenso ausführlich über die Application der Zange, als über die Verrichtung der Wendung verbreitet, überall die einzelnen Handgriffe auf das Genaueste angegeben, und sich auf diese Weise des ihr anvertrauten Amtes durchaus würdig gezeigt.