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Hamburg-Rotherbaum

Es war kalt, obwohl die Sonne schien. Über der Alster lag leichter Nebel, der sich aufzulösen begann. Isis hatte den Kragen ihres Pullovers hochgeklappt, um sich gegen den kühlen Wind zu wappnen, der aufgekommen war.

Nervös stand sie am verabredeten Treffpunkt, die blaue Tragetasche unter dem Arm. Ihr war kalt, sie war müde und sie wollte den Deal so schnell als möglich hinter sich bringen. In ihrem Bauch hatte sich ein mulmiges Gefühl ausgebreitet, das einfach nicht verschwinden wollte. Selbst die Anwesenheit von Mona und Karla konnte sie nicht beruhigen um die Anspannung von ihr abfallen lassen.

Hoffentlich ist er pünktlich, ging es ihr durch den Kopf. Um zwölf sollte ihr Seminar beginnen und da musste sie unbedingt pünktlich erscheinen, um keinen Verdacht zu erregen. Unauffällig sah sie zu Mona und Karla, die in einiger Entfernung Dehnübungen machten. Wer genauer hinsah, dem wäre aufgefallen, dass beide fürs Joggen die falsche Kleidung trugen. Karla nickte ihr aufmunternd zu, denn sie konnte nachvollziehen, wie Isis sich fühlen musste, stand ihr später auch eine schwere Aufgabe bevor. Nicht nur, dass sie den Mann mit Mona verfolgen sollte, sie sollte Isis auch wieder ihr Geld beschaffen und zurückbringen. Besonders dieser letzte Punkt behagte ihr nicht. Sie war weder kriminell veranlagt, noch war sie so abgebrüht, als das sie wusste, wie sie so etwas anstellen sollte. Wie sollte sie das Geld unauffällig zurückklauen? Die Aufgabe war wahrlich schwerer als das, was Isis bevorstand.

Ihre Freundin kam auf die verrücktesten Ideen. Nur sollten die meist andere für sie ausführen. Wie das aussehen sollte, war ihr relativ egal, Hauptsache das Ergebnis stimmte.

Sich möglichst unauffällig zu verhalten war gar nicht so einfach. Während Mona und Karla sämtliche Aufwärmübungen machten, die sie mal im Sportunterricht in der Schule gelernt hatten, war es für Isis bedeutend schwerer nicht aufzufallen. Sie stand am Rand des Weges und starrte auf die Alster, dann sah sie nervös wieder einmal auf ihre Uhr und beobachtete die Leute. Mehrmals hatte sie schon gedacht, dass ihre Kontaktperson kommen würde, doch jedes Mal hatte sie sich getäuscht. Es war bereits einige Zeit vergangen, der Zeitpunkt des Treffens längst vorbei, und Isis hatte kaum noch Hoffnung, dass der mysteriöse Bieter kommen würde. War er vielleicht schon an ihr vorüber gegangen und hatte ihre blaue Tasche nicht gesehen? War es möglich, dass sie den falschen Tag eingetragen hatte? Sie war durch diese unverschämten Metzen abgelenkt gewesen. Aber sie war sich sicher, dass sie sich nicht vertippt hatte. Warum nur kam er nicht? Ewig konnte sie nicht mehr auf den Bieter hoffen, ihre Studenten warteten auf sie.

"Putti?", sprach jemand Isis an und sie schreckte aus ihren Gedanken hoch.

"Ja", sagte sie nur, ohne weiter darüber nachzudenken. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht fassen.

"Gut", sagte der Mann, der eine Strickmütze trug, die er tief ins Gesicht gezogen hatte. Anscheinend wollte er unerkannt bleiben. "Geld dabei?"

Isis nickte knapp. Der Mann war ihr äußerst unsympathisch. Wenn in der Bahn neben ihm der letzte freie Platz gewesen wäre, hätte sie sich dort nicht hingesetzt, sondern wäre stehen geblieben.

Er wirkte irgendwie schmutzig, seine Kleidung unsauber. Sie konnte sich nicht erklären, warum er diesen Eindruck auf sie machte. Doch ihr Misstrauen war erwacht. Wie konnte jemand wie er an solche Gegenstände gelangen? Die Sorge, dass er sie aus Ägypten eingeschmuggelt hatte, bräuchte sie sich nicht machen. So jemand wie er käme gar nicht nach Nordafrika. Falls doch, käme er gewiss nicht über das Hotelgelände und den Strand des Roten Meeres hinweg.

Wenn er aber nun im Auftrag eines anderen handelte? Wie konnte sie sich sicher sein, dass es sich weder um Diebesgut, noch um Schmuggelware handelte.

Unauffällig musterte sie den Mann. Vielleicht war es ihr möglich, ihn in ein belangloses Gespräch zu verwickeln und so zu erfahren, wo er die beiden Gegenstände her hatte. Den intelligentesten Eindruck machte er nicht gerade. Sie müsste es nur geschickt anstellen, ihn möglicherweise becircen. Ihr graute es bei der Vorstellung, sich wie ein junges Schulmädchen benehmen zu müssen. Das lag ihr einfach nicht. Sie brachte es ja nicht einmal fertig, sich bei jemandem einzuschleimen. Musste sie eben dieses eine Mal über ihren Schatten springen. Die Überwindung, die es sie kosten würde, wäre der Mühe sicherlich wert.

"Und die Ware?"

"Im Rucksack". Der Mann deutete hinter sich.

Clevere Idee. So sah niemand, welche seltsamen Gegenstände er bei sich trug.

"Lass das Geld sehen, Kleine. Ich hab' heute noch andere Dinge vor".

Isis lag ein Kommentar auf den Lippen, doch sie schluckte ihn hinunter, um sich das Geschäft nicht zu verderben. Sie war einiges gewöhnt, wenn es darum ging, ihr eine Bezeichnung zu verpassen, aber Kleine war definitiv eine Beleidigung. Weder überragte er sie um Kopfeslänge, noch war sie naiv. Aber sollte er es ruhig glauben. Als Konsequenz musste Isis diese feministische Diskriminierung hinnehmen. Sie würde es überleben.

"Gut", Isis holte einen weißen Briefumschlag mit Fenster aus ihrer Jacke. "Hier ist das Geld". Sie zeigte ihm den Umschlag, doch als er danach greifen wollte, zog sie ihn zurück. "Erst will ich die Vase sehen." Nicht das sie auf dem Weg hierher beschädigt wurde oder ein billiger Tontopf aus dem Baumarkt sich im Rucksack befand.

"Oh, die Kleine hat Köpfchen. Gefällt mir", sagte der Mann, strich sich über sein Kinn und grinste süffisant.

Dein Grinsen wird dir noch vergehen.

Der Mann nahm vorsichtig den Rucksack vom Rücken, was Isis zu ihrer Verwunderung sah, und stellte ihn auf dem Boden ab. Er hatte die Kordel bereits in der Hand, als er inne hielt.

"Wenn du 'nen Blick draufgeworfen hast, krieg ich das Geld."

"Das Geld gegen die Ware. So war's abgemacht."

"Ich sehe, wir verstehen uns."

Wieder grinste der Mann. Isis musste sich überwinden und lächelte. Sie musste wissen, woher er die Gegenstände hatte. Und das würde ihr nur gelingen, wenn sie freundlich zu ihm war. Doch diese Freundlichkeit fiel ihr verdammt schwer.

"Dann tauschen wir."

Ohne wirklich einen Blick auf die Gegenstände geworfen zu haben, streckte Isis ihm wieder das Geld hin, behielt dabei aber den Rucksack im Auge, damit der Mann nicht mit dem Geld und der 'Ware' abhauen konnte.

In dem Augenblick, wo er nach dem Umschlag griff und ihn an sich nehmen wollte, bekam sie ein Stück des Rucksacks zu fassen und zog ihn zu sich.

"Keine Angst, du kannst den Rucksack haben. Ich bin froh, die Sachen los zu sein."

Isis horchte auf. Wenn er froh war, die Gegenstände loszuwerden, war an der Sache irgendetwas faul. Sie gehörten ihm nicht. Woher er sie auch immer hatte, aber geerbt haben konnte er sie nicht.

"Wie kommt eigentlich jemand wie Sie an so etwas? Geerbt?"

Bereits als sie die Worte aussprach, wusste sie, dass es der falsche Weg gewesen war. So plump, wie sie gefragt hatte, würde sie garantiert keine zufriedenstellende Antwort bekommen.

"Frag ich, woher du so viel Geld hast oder was du in so einem Forum zu suchen hast?" Er hatte sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Schien doch nicht so dumm zu sein, wie er aussah. Als Isis nicht antwortete, fühlte er sich bestätigt. "Siehst du, Kleine. Ist doch völlig egal von welcher Baustelle ich die habe. Hauptsache, ich habe mein Geld und du die Sachen. Damit ist jeder von uns glücklich und zufrieden."

Er wollte das Geld aus dem Umschlag nehmen und es nachzählen. Mit Entsetzen sah Isis, was der Mann vorhatte. Das musste sie unbedingt verhindern.

Sollten all die Leute, die sich in ihrer Nähe befanden auch noch sehen, dass hier gerade ein Geschäft abgelaufen war? Wie dumm war er eigentlich?

"Ich habe Ihnen vertraut, also können Sie auch mir vertrauen. Es sind exakt 3.000 Euro."

Der Mann blätterte die Scheine im Umschlag grob durch, nickte dann und steckte das Geld weg.

"Will ich dem hübschen Gesicht mal glauben."

Was war der Kerl doch widerlich. Isis hätte sich schütteln mögen.

Er machte Anstalten zu gehen, doch die junge Ägyptologin hielt ihn noch einmal zurück.

"Löschen Sie Ihren Account in dem Forum, falls Sie es noch nicht getan haben."

"Löschen? Wieso denn? Weißt du was, was ich nicht weiß?" Irritiert blickte der Mann sie an. Er verstand nicht, was Isis ihm mit dieser Warnung hatte sagen wollen.

"Tun Sie's einfach!"

Mehr sagte sie nicht, sondern wandte sich ab und ging. Den Rucksack verstaute sie dabei in ihrer blauen Tasche. Auf dem Weg zum Auto kam sie an Mona und Karla vorbei, denen sie aufmunternd zuzwinkerte. Ihren Part hatte sie erfüllt, nun würden ihre Freundinnen übernehmen müssen. Karla und Mona nickten ihr ebenfalls zu und folgten dann dem Mann, der sich eiligst entfernte.

Isis verstaute die Gegenstände in ihrem Kofferraum und sicherte sie notdürftig. Musste sie eben langsam und vorsichtig fahren.

Die Uhrzeit, die ihr die Anzeige im Auto zeigte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie hatte noch zehn Minuten bis ihr Seminar beginnen würde. Und genau so lange würde sie mindestens brauchen, um mit ihrem Auto durch den Verkehr der relativ kurzen Strecke zu kommen. Sie fluchte leise. Alles war so schön geplant gewesen, doch wieder einmal hatte die Zeit ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Die Rollen des Seth

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