Читать книгу Die Rollen des Seth - Helen Dalibor - Страница 32
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ОглавлениеPascal hatte sie durch den Park geführt, an der Raubtierschlucht und den Löwen vorbei, die auf die Zebras gucken konnten. Sie hatten die Robben bewundert und ehrfürchtig die Eisbären betrachtet und sich gefragt, ob schon einmal ein Rentier ins Eisbärengehege gefallen war. Betrachteten das erst vor kurzem eröffnete Südpolar-Panorama. Die Geschwister erinnerten sich an eine Rutsche, die kurze Zeit später wieder geschlossen wurde, da einige Besucher sich verletzt hatten. Alle drei amüsierten sich über den watschelnden Gang der Pinguine, betrachteten die Papageien auf ihren Stangen entlang der Allee und beobachteten die vielen Paviane auf dem Affenfelsen.
Jetzt standen nur noch die Elefanten an und die Völkerschau am Nil. Claire taten bereits die Füße weh, da ihre Schuhe drückten. Zwar hatte sie sich schon ihre bequemsten angezogen, doch auch die waren für eine Wanderung oder einen langen Spaziergang nicht geeignet. Aber sie biss die Zähne zusammen, um Johann seinen Ausflug nicht zu vermiesen. Wenn sie wieder zu Hause waren, würde sie Hermine bitten, ein Fußbad für sie vorzubereiten. Das würde hoffentlich für Linderung sorgen.
"Was für ein großes Haus und wie viele Elefanten das sind."
Fasziniert lief Johann vom Eingang ins Innere des Hauses, drehte sich einmal im Kreis und rannte an die Absperrung, die Besucher vom Graben und den Dickhäutern trennte. Davor blieb er stehen. Ein Rüssel schnellte nach vorne und berührte seine Hand. Erschrocken zog er sie zurück und blickte auf in die kleinen, braunen, freundlichen Augen eines Elefanten.
"Wer bist du denn?"
"Pass auf, Johann, die können ihren Rüssel nie voll genug kriegen", rief Pascal ihm lachend zu.
"Ich habe nichts", sagte Johann zu der Elefantenkuh, denn sie hatte keine sichtbaren Stoßzähne. Beleidigt steckte sie sich den Rüssel ins Maul. "Hast du so einen Hunger? Bekommst du nicht genug zu fressen?"
"Die bekommt schon genug, aber eine kleine Leckerei zwischendurch schadet nicht."
"Hätte ich das gewusst, hätte ich was mitgebracht."
"Aber nur Gemüse, vom Rest kriegen sie genug."
"Achtest du etwa auf die Figur deiner Lieblinge?", wollte Claire wissen und ein schelmisches Lachen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
"Einer muss es ja tun. In freier Wildbahn kriegen sie auch nicht so schöne Leckereien. Da müssen sie sich alles mühsam zusammensuchen."
Was interessierte Johann, was Pascal alles wusste? Er wollte endlich zu Masut, der gewiss auf ihn wartete.
"Und wo ist deine Freundin?", fragte er ungeduldig.
"Wer?", fragte Pascal überrascht, dann fiel ihm ein, wen Johann meinte. "Du meinst Bertha." Er sah zu den einzelnen Elefanten, konnte die Dickhäuterin aber nicht entdecken, auch in ihrer Einzelbox war sie nicht. "Scheint nicht da zu sein. Vielleicht ist sie rausgenommen worden, damit sie einen der anderen Dickhäuter am Eingang als Reitelefant ablöst. Wobei sie heute dafür nicht eingeteilt ist. Na ja, irgendwo wird sie schon sein. Verstecken wird sie sich kaum."
"Oder du erkennst sie nicht", neckte Claire ihren Bruder. "Wie sieht sie denn aus?"
"Wie ein Elefant eben aussieht", antwortete Pascal leicht verärgert. Bertha würde er unter hunderten von Elefanten erkennen, sogar unter tausenden. "Groß, wohlgenährt, kleine Ohren, langer Rüssel, liebes Gesicht, vier Beine, ein Schwanz..."
"Liebes Gesicht?", fragte seine Schwester irritiert. Wie konnte ein Elefant denn einen Ausdruck haben? Aber irgendwie amüsierte es sie auch, wie sehr ihr Bruder seine Elefanten mochte. "Die gucken doch alle gleich. Und überhaupt lassen die sich überhaupt nicht unterscheiden."
"Du kennst sie nicht, deshalb kannst du sie nicht auseinanderhalten."
"Im Gegensatz zu dir."
Jetzt reichte es Johann. Diese ewigen Neckereien zwischen den Geschwistern ertrug er nicht länger. Kein Wunder, dass deren Mutter an ihnen verzweifelte. Er hätte es an ihrer Stelle auch getan.
"Wenn Bertha nicht da ist, können wir auch zu Masut gehen. Der erwartet mich sicherlich."
"Der weiß gar nicht, dass du kommst. Es sollte eine Überraschung werden", sagte Pascal.
In gewisser Weise konnte er die Ungeduld des blonden Jungen nachvollziehen. Doch er hatte sich extra von seinen Aufgaben freigemacht, um diesem den Tierpark zu zeigen, aber Johann interessierte es nicht. Er wollte nur zu Masut. So langsam aber sicher, verlor er die Geduld.
Johann ließ die Schultern hängen. So wie es aussah, würden sie hier in der Elefantenhalle noch länger stehen. Vielleicht würde er Masut auch gar nicht zu Gesicht kriegen. Da hatte er sich so darauf gefreut seinen Freund wiederzusehen und dann wusste dieser nichts davon. Er war enttäuscht, so hatte er sich seinen Tag im Tierpark nicht vorgestellt.
"Wartet mal einen Augenblick, ich werde nachfragen, wohin Bertha entschwunden ist."
Schon war Pascal verschwunden. Ungeduldig trat Johann von einem Fuß auf den anderen. Er wollte endlich zu Masut und nicht zu dieser Bertha, die nicht da war.
"Musst du mal? Sollen wir eine Toilette aufsuchen?", fragte Claire leise.
"Nein, aber ich will endlich zu Masut."
"Ich kann ja deine Ungeduld nachvollziehen, aber versteh' bitte auch Pascal. Er bekommt nicht oft die Gelegenheit, seinen Liebling zu zeigen. Manchmal glaube ich, dass er ein besserer Elefantentierpfleger als Arzt sei. Aber erzähl's ihm nicht weiter."
Johann nickte und im gleichen Augenblick kam Pascal zurück.
"Bertha ist hinten. Sie lernt ein neues Kunststück. Aber wir können mal kurz zu ihr. Das ist kein Problem."
"Aber...", weiter kam Johann nicht, da Claire ihn mit ihrem Sonnenschirm in die Seite piekte.
"Wenn es nicht zu lange dauert, gerne. Johann ist schon ganz ungeduldig, weil er zu seinem Freund will."
"Das geht schnell. Mal kurz hallo sagen. Bertha wird sich gewiss freuen. Sie lernt gerne neue Menschen kennen."
Gelangweilt trottete Johann hinter den Geschwistern her.
Kurz war ihm der Gedanke gekommen, ob er Claire und Pascal nicht allein lassen und zu Masut laufen sollte. Den Gedanken hatte er allerdings schnell wieder verworfen, da er Pascal nicht vor den Kopf stoßen wollte. Der junge Tierpfleger gab sich so viel Mühe und er dankte es ihm, indem er einfach abhaute. Wenn er das tat, dürfte er sicherlich nie wieder in den Tierpark, um Masut zu besuchen. Er musste seine Ungeduld herunterschlucken und gute Miene zum bösen Spiel machen. Vielleicht war Elefant Bertha wirklich so etwas Besonderes, wie Pascal ihnen vorgeschwärmt hatte.
Ein grauer Riese stand im Hof vor dem Elefantenhaus und hatte seine eingerollte Rüsselspitze zur Stirn geführt. Diese Figur hätte die Elefantenkuh halten sollen, doch als sie Pascal, Claire und Johann kommen hörte, senkte sie ihren Rüssel und drehte sich zu den ankommenden Gästen. Da half kein ermahnendes Wort des Mannes, der vor ihr stand. Verärgert blickte er zur Seite und sah Pascal kommen. Nun war ihm das Gebaren der Elefantenkuh klar und er lächelte, auch wenn er ihr Verhalten immer noch missbilligte.
"Sieh an! Kein Wunder, dass Bertha die Übung nicht zu Ende führen will, wenn du kommst. Wie machst du es nur, dass dieser Elefant so vernarrt in dich ist, Pascal?"
"Keine Ahnung", gab Pascal ehrlich zur Antwort. "Sie hat mich einfach in ihr großes Elefantenherz geschlossen. In das sie allerdings jeden aufnimmt, der nett zu ihr ist und sie mit Leckereien besticht."
"Jeden nun auch wieder nicht. Aber wie ich sehe, scheinst du es immer besonders gut mit ihr zu meinen. Dabei soll kein Elefant von uns bevorzugt werden."
"Ich behandle sie nicht anders wie die anderen auch. Dennoch mag sie mich gern."
"Von den anderen hat dich speziell Jette in ihr Herz geschlossen. Und die macht es einem wirklich nicht leicht, so verschreckt und nervös wie sie ist."
"Mir gegenüber reagiert sie immer empört, wenn ich keine Leckerei für sie dabei habe. Jette ist fast so intelligent wie Bertha."
Der Mann bemerkte, dass Pascal nicht allein gekommen war.
"Wen hast du denn da im Schlepptau? Weißt du denn nicht, dass ortsfremde Personen hier nichts zu suchen haben?"
Der junge Tierpfleger merkte am Gesichtsausdruck seines Gegenübers, dass dessen Schelte nicht wirklich ernst gemeint war.
"Ich habe gar nicht mitgewollt", wehrte Johann ängstlich ab.
"Nimm meine Worte nicht so ernst, Junge. Aber nu' mal raus mit der Sprache, Pascal. Wer sind die zwei?"
"Die junge Dame neben mir ist meine Schwester Claire und der Junge heißt Johann. Der wohnt einige Zeit bei uns bis es seinem Großvater wieder besser geht." Pascal schwieg und merkte am Blick seines Kollegen, dass er etwas vergessen hatte. Deshalb fügte er schnell hinzu: "Ach ja, da hätte ich beinahe vergessen, die wichtigste Person im Elefantenhaus vorzustellen. Das ist Mathias Walter."
Aufmerksam musterte Mathias Walter die beiden Besucher.
"So, so, und denen wolltest du mal einen Elefanten von Angesicht zu Angesicht zeigen?"
"Wenn mein Bruder nicht für sein Medizinstudium lernt, spricht er nur von diesem Elefanten. Bertha sei so klug, gelehrig und sensibel."
"Das ist sie auch. Und vor allem stark. Bertha könnte problemlos mehrere Eisenbahnwaggons ziehen, wenn es von ihr gefordert würde. Ich versuche Bertha gerade beizubringen, wie man einen Wagen zieht. Am Ende soll es ein Schlitten werden. Damit können die Kinder im Winter durch die verschneite Parklandschaft gezogen werden. Als Baumfäller ist sie auch sehr nützlich. Wenn mal wieder ein dicker Stamm wegtransportiert werden muss, ist das kein Problem für die grauen Riesen. Selbst hinter den Pflug lassen sie sich spannen und machen die Furchen tiefer, als man es mit Ochsen je schaffen könnte."
Johann war erstaunt, wie viel Kraft in einem einzigen Elefanten steckte. Nicht einmal eine Handvoll Menschen brachte es fertig einen Waggon in Bewegung zu bringen, geschweige denn zu ziehen. Selbst Pferde hatten Mühe, so eine Arbeit zu bewerkstelligen. Ein Elefant war ein unscheinbares Tier und die Kräfte, die in ihm steckten, konnte man als Laie nur erahnen.
Langsam ging er auf Bertha zu, streckte zaghaft die Hand aus und streichelte vorsichtig ihren Rüssel. Rau fühlte sich die Haut an, als würde er auf Schmirgelpapier fassen. An manchen Stellen piekte ihn etwas in die Haut und wenn er genauer hinsah, entdeckte er kleine dicke Härchen, die sich auf dem ganzen Rüssel befanden. Ruhig stand die Elefantenkuh da und ließ sich die Berührungen gefallen.
"Hast du eine gewaltige Nase. Möchte nicht wissen, was du machst, wenn du Schnupfen hast."
"Da passen wir schon auf, dass die Elefanten keinen Schnupfen bekommen. Zwar haben sie sich an die hier herrschenden Temperaturen gewöhnt, aber dennoch bleiben sie im Winter oder wenn es stark regnet, im Haus. Dann findet auch kein Elefantenreiten statt. Die Besucher haben dann auch gar keine Lust zu so was. Wenn aber im Winter doch mal Holzfällerarbeiten anfallen sollten, haben wir ein paar rote Mäntel, die wir ihnen auf den Rücken legen. Dann siehst du nur noch Kopf und Schwanz. Für die Haut haben wir Vaseline, damit sie in der winterlichen Luft geschmeidig bleibt. Damit werden unsere grauen Riesen eingeschmiert und sind gut gegen die Kälte gewappnet.
Elefanten werden im Volksmund Dickhäuter genannt, aber an allen Stellen ist ihre Haut nicht dick, sondern eher dünn. Die Ohren beispielsweise sind sehr dünn, vielleicht könnte man es pergamentartig nennen, und wenn es nun sehr kalt ist, könnte es zu Erfrierungen an den Ohren kommen. Genauso empfindlich ist der Schwanzansatz."
"Könnte man den Elefanten nicht Ohrenschützer stricken? Wir schützen unsere Hände und Ohren im Winter doch auch vor der Kälte", wandte Claire ein und versucht sich vorzustellen, wie Elefant Bertha mit Ohrenschützern aussehen würde.
"Na, meine Dame, dann fangen Sie mal gleich an Maß zu nehmen", sagte der Elefantenpfleger. "Aber ich glaube kaum, dass es Bertha oder den anderen Elefanten gefallen dürfte. Die Ohren der Dickhäuter befinden sich fast immer in Bewegung, um sich Luft zuzufächeln oder Fliegen zu vertreiben. Glaubt mir, Bertha würde das gar nicht gefallen. So leid es mir tut, aber die Mühe wäre völlig umsonst."
"Aber Socken wären gewiss nicht schlecht. Dann könnte Bertha auch bei Glatteis raus und liefe nicht Gefahr auszurutschen."
"Nun hör schon auf, Pascal. Immer musst du alles ins Lächerliche ziehen."
"So blöd ist die Idee gar nicht. Fragt sich bloß, wie Bertha und die anderen das finden würden. Außerdem stelle ich es mir schwierig vor, den Elefanten die Socken anzuziehen."
Johann hörte interessiert zu. Wann war er schon mal einem Elefanten so nah gekommen? Den Tag würde er sicherlich nie in seinem Leben vergessen. Ein Glück, dass er nicht einfach zu Masut gegangen war, sondern sich hatte überreden lassen mitzukommen. Sehr wahrscheinlich hätte er sich nicht geärgert, die Gelegenheit verpasst zu haben, einen Elefanten von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen, aber er wäre um ein Erlebnis ärmer gewesen.
Masut, den hatte er völlig vergessen. Sollte er nun ein schlechtes Gewissen haben? Warum denn? Masut wusste ohnehin nicht, dass er kam, also würde der noch auf ihn warten müssen.