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Isis hatte es gerade noch geschafft pünktlich zum Seminar zu erscheinen. Als die Studenten ihre vorbereiteten Referate hielten, hatte sie noch einmal die Ereignisse Revue passieren lassen. Die Gegenstände gehörten nun ihr, lagen im Kofferraum ihres Autos und mussten schnellstens das Uni-Gelände verlassen. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, dass die Gegenstände sich so nah in Professor Winters Nähe befanden. Nach dem Seminar würde sie sofort nach Hause fahren und keine Sprechstunde abhalten, wie sie es sonst tat. Ihre Studenten würden es verkraften.

"Danke für die Gestaltung der Sitzung. Nächste Woche werden wir dann etwas über die Bedeutung der geduldeten Götter hören." Als das Klopfen verebbt war, packte Isis ihre Sachen zusammen. "Ich wollte noch einmal anmerken, dass heute keine Sprechstunde stattfinden wird. Sollte es dringende Fragen geben, möge man mich bitte per Email kontaktieren."

Noch einmal wurde mit den Handknöcheln auf die Tische geklopft. Damit war die Sitzung endgültig beendet. Die Studenten packten ihre Sachen, erhoben sich von ihren Stühlen und strebten der Tür entgegen.

Isis führte noch ein kurzes Gespräch mit den Referenten und gab an, wie sie die Sitzung gefunden hatte. Es war ein gutes Referat gewesen, jedenfalls der Teil, den sie mitbekommen hatte. Und an der regen Mitarbeit des Kurses ließ sich darauf schließen, dass es auch den anwesenden Teilnehmern gefallen hatte.

Schon viele Referate hatte Isis gehört, die spannend klangen, doch so unglaublich schlecht gehalten worden waren, dass man kaum zuhörte und nur das Ende der Sitzung herbeisehnte. Bei diesem war es nicht so gewesen. Auch die Tischvorlage, das so genannte Handout, machte einen vernünftigen Eindruck.

Als sie den Raum abschloss und den Schlüssel wegbringen wollte, öffnete sich die Tür von Professor Winters Büro. Isis erschrak und zuckte zusammen.

"Habe ich Sie erschreckt? Das tut mir leid."

Isis schüttelte den Kopf.

"Ich war in Gedanken und habe dadurch nicht gesehen, wie sich Ihre Tür öffnete."

"Immer noch in Gedanken? Will Ihnen kein Thema für Ihre Promotion einfallen?"

"Augenblicklich nicht."

Unruhig trat sie von einem Fuß auf den anderen. Sie wollte nach Hause. In ihrem Kofferraum lagen zwei brisante Gegenstände, die sie endlich in Sicherheit bringen wollte. Und nun wurde sie auch noch von dem Menschen aufgehalten, dem sie die Gegenstände vor der Nase weggeschnappt hatte.

"Haben Sie noch etwas vor?"

"Zahnarzttermin", war die einzige Antwort, die ihr auf die Schnelle einfiel.

Professor Winter verzog mitfühlend das Gesicht.

"Ich verstehe. Wie unangenehm. Ich versuche immer mich davor zu drücken, aber meine Frau achtet penibel darauf, dass mein Bonusheft jedes Jahr einen Stempel bekommt."

Knapp nickte sie und wollte endlich seiner Gegenwart entfliehen.

"Könnten Sie mich vielleicht zum Bahnhof fahren? Nur, falls Sie mit dem Auto gekommen sind."

"Wo müssen Sie denn hin? Vielleicht liegt es auf meinem Weg."

Warum machte sie ihm dieses Angebot? Warum behauptete sie nicht einfach mit der Bahn gekommen zu sein? Stattdessen wollte sie ihn mitnehmen. War sie nicht mehr bei Sinnen? Hatte sie vergessen, was sich in ihrem Auto befand?

"Wenn es wirklich keine Umstände macht. Ich müsste nach Nedderfeld."

"Ein Auto kaufen?"

"Nein, beim besten Willen nicht. Dazu müsste ich erst einmal einen Führerschein besitzen. Ich will meinen Sohn treffen und ihn wegen des Forums um Hilfe bitten."

Dann besteht noch Hoffnung.

Vielleicht würde Isis Glück haben und der Mann löschte seinen Account, bevor Professor Winters Sohn mit seiner Spionagearbeit beginnen würde.

"Bis zum Siemersplatz kann ich Sie mitnehmen, dann müssten Sie den Bus nehmen."

"Das ist kein Problem. Bringen Sie nur den Schlüssel weg. Ich werde an den Aufzügen auf Sie warten."

Mit Vergnügen. Ich blödes, blödes Biest.

Isis verzog den Mund zu einem Lächeln, doch hinter dieser Maske war ihr hundeelend.

So viel Blödheit konnte auch nur von ihr kommen. Warum sagte sie ihm nicht gleich, dass sie die Gegenstände ersteigert hatte? Sie hatte so ein Geheimnis um ihr Vorhaben gemacht. Ihre Herkunft verschleiert und Sackgassen gelegt, und das alles hatte sie mit einem Handstreich vernichtet. Die ganze Arbeit war vergeblich gewesen. Aber war das nicht typisch für sie? Entweder führte sie eine Arbeit nur halbherzig aus, oder sie brachte es fertig, am Ende alles zu versauen. Wirklich erfolgreich beendet hatte sie noch nie etwas, außer ihrer Magisterarbeit. Aber so sorgsam sie auch immer plante, es kam immer etwas dazwischen, was ihr einen Strich durch die Rechnung machte und alles über den Haufen warf.

Und jetzt war genau so eine Situation eingetreten. Sie hatte alles so schön geplant. Das Ausführen war ohne weitere Komplikationen verlaufen und nun drohte alles aufzufliegen. Sie hätte sich ohrfeigen können. So viel Blödheit war doch wirklich nicht zu überbieten.

Der Gang zum Auto verlief schweigsam. Isis überlegte fieberhaft, wie sie Professor Winter auf dem schnellsten Weg zum Siemersplatz bringen konnte. Die Strecke würde wieder voll sein. Und an der Hoheluftbrücke ging es weder vor noch zurück. Diese ewige Baustelle war ein Nadelöhr, in das alle hineinwollten. Eine furchtbare Strecke, weshalb Isis dort so selten wie möglich entlang fuhr. Die Strecke kostete sie nur Nerven und dieses Mal würde es sie mehr kosten als das, möglicherweise ihren Kopf.

Die Lichter ihres Wagens blinkten kurz auf, als sie ihn mit der Fernbedienung öffnete. Als sie zur Fahrerseite ging und die Tür öffnen wollte, sah sie aus dem Augenwinkel heraus, wie Professor Winter vor dem Kofferraum stand. Starr vor Schreck ließ sie den Schlüssel fallen.

Habe ich die Abdeckung nicht wieder zugezogen?, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich nach dem Schlüssel bückte.

"Der Zahnarzt-Besuch scheint Sie sehr aufzuwühlen. So nervös habe ich Sie seit der Notenvergabe zu ihrer Magisterarbeit nicht mehr gesehen."

"Ich lasse manchmal etwas fallen", sagte Isis. "Ist da ein Kratzer am Kofferraum?"

"Nein, nein, alles in Ordnung. Ich wollte meine Tasche nur hineinlegen, aber ich weiß nicht, wie man den Kofferraum öffnet. Meine Frau ist immer fassungslos wie technisch unbegabt ich bin."

Seine Frau kann man nur bewundern.

Isis zögerte. Sollte sie Professor Winter das ausreden und sich verdächtig machen oder ihn gewähren lassen und erwischt werden? Egal wie sie sich entscheiden würde, beides wäre falsch. Warum musste sie sich auch immer in so eine ausweglose Situation bringen? Ihre Gutmütigkeit würde ihr eines Tages den Kopf kosten. Das musste sie ändern, bevor es zu spät war. Oder war es schon zu spät?

"Warten Sie, ich öffne Ihnen den Kofferraum."

"Sehr freundlich."

Isis öffnete den Kofferraum und wollte die blaue Tasche mit den Gegenständen weiter ins Auto hineinschieben, bevor Professor Winter darauf aufmerksam wurde. Doch es war bereits zu spät. Das Adlerauge hatte die Tasche entdeckt.

"Sind Sie heute Vormittag bei Ikea gewesen? Da will man natürlich seine Ruhe haben. Kein Wunder, dass ich Sie nicht erreichen konnte."

Isis holte ihr Handy aus der Jackentasche. Es war ausgeschaltet. Gestern Abend hatte sie den Akku aufgeladen und nach dem Ladevorgang anscheinend vergessen wieder einzuschalten. Dies holte sie nun nach. Wie sollte sie für Mona und Karla erreichbar sein, wenn ihr Handy ausgeschaltet war? Sie hasste diese kleinen Wunder der Technik, war aber auf sie angewiesen. Vielleicht hatte Mona schon versucht sie zu erreichen und war nicht durchgekommen. Und tatsächlich hatte sie eine SMS erhalten. Es blieb ihr keine Zeit die Nachricht zu lesen.

"Hatte vergessen es einzuschalten. So war ich nicht zu orten", sagte sie und packte ihr Handy wieder weg.

"Aber Sie haben ja was bei Ikea gefunden." Er schlug die Kofferraumtür zu. "Ich werde ja nie den Erfolg dieses schwedischen Möbelhauses nachvollziehen. Die Möbel sind mir einfach zu stillos."

"Ich habe mal gehört, dass es die Philosophie des Bauhauses übernommen habe. Aber da bleibe ich skeptisch. Die Möbel sind schlicht und einfach und eben gebrauchsfertig. Aber deshalb mit dem Bauhaus vergleichen, ich weiß nicht."

"Interessante Theorie, kannte ich noch gar nicht."

Ich auch nicht.

Manchmal überraschte Isis sich selbst, wie sie in Sekundenschnelle irgendwelche plausiblen Theorien aus dem Ärmel schütteln konnte.

Professor Winter hatte seine Aktentasche neben die große blaue Tragetasche gelegt gehabt, ohne zu bemerken, dass sie nicht von Ikea gewesen war, sondern vom Baumarkt Max Bahr.

***

Mona konnte es nicht glauben, dass der Mann sie immer noch nicht bemerkt hatte. Sie beide stellten sich relativ plump an, waren sogar in denselben U-Bahn-Waggon gestiegen wie er. Nun folgten sie ihm bereits seit mehreren Minuten zu Fuß. Und noch immer waren sie nicht aufgefallen. Das gab's doch einfach nicht!

Sie wussten immer noch nicht, wie sie ihm das Geld wieder abnehmen sollten. Je mehr sie sich den Kopf darüber zerbrachen, desto leerer wurde er. Also würden sie es einfach auf sich zukommen lassen. Das würde das Beste sein. Hatte Isis das früher nicht auch getan, wenn sie sich zu keiner Entscheidung durchringen konnte?

"Mir tun langsam die Füße weh", maulte Karla.

"Dann wechsele dein Schuhwerk. Darin würden mir auch die Füße wehtun", erwiderte Mona und betrachtete die plateauähnlichen Sohlen.

"Aber wenigstens fallen meine Schuhe nicht auseinander, so wie deine. Bekommst du bei Regen eigentlich nasse Füße oder bleibst du gleich zu Hause?"

"Nein, ich ziehe Gummistiefel an. Und jetzt hör auf Isis nachzuäffen, sonst kündige ich dir irgendwann auch die Freundschaft."

"Oh", Karla wurde hellhörig. "Wem hast du denn schon die Freundschaft gekündigt? Soweit ich weiß, hältst du die männlichen Wesen immer auf Abstand. Wie Isis, seitdem ihre Eltern sich scheiden ließen."

"Erstens bin ich nicht Isis und zweitens kein Scheidungskind. Also habe ich auch kein psychosomatisches Trauma."

"Aber trotzdem hast du jemandem die Freundschaft gekündigt. Vielleicht Isis?"

"Seit wann ist Isis meine Freundin? Freundschaften sind Zweckbündnisse."

"Aha, schön dass ich ein Zweckbündnis bin."

Beide waren so ins Gespräch vertieft, dass sie nicht bemerkten, wie der Mann stehen geblieben war. Und so nahm das Unglück seinen Lauf und Mona lief in ihre Zielperson hinein. Der Aufprall war so gewaltig, dass der Mann ins Stolpern kam und sein Gleichgewicht erst wiederfand, als er einen kleinen Schritt tat und sein Gewicht so verlagerte, um nicht zu stürzen. Mona hatte weniger Glück, denn sie fiel hin. Ihre Beine versagten, als ihr für einen winzigen Augenblick schwarz vor Augen wurde.

"Könnt ihr nicht aufpassen, Schnatterliesen? Achtet lieber auf den Weg als hirnlosen Quatsch zu reden."

Karla plusterte sich vor Wut auf und sah den Mann mit funkelnden Augen an. Was erlaubte sich dieser ungehobelte Kerl? Mona lag am Boden und dieser Wichtigtuer hatte nichts Besseres zu tun, als zu meckern und zu beleidigen.

"Wir sollen aufpassen?", fragte sie und blickte die Zielperson scharf an. Dieser versuchte dem Blick standzuhalten, was ihm nicht gelang und er zur Seite sah. "Passen Sie doch auf! Was stellen Sie sich hier mitten in den Weg? Kann doch keiner ahnen, dass Sie plötzlich stehenbleiben." Der Mann wollte etwas erwidern, doch ihm fehlten die Worte. Solch einen Wutausbruch bei einer Frau hatte er noch nie erlebt. Dass ihm die Meinung gesagt wurde, hätte er sich nie vorstellen können. Dieses Weibsbild hatte sich richtig in Rage geredet. "Sehen Sie nur meine arme Freundin dort am Boden liegen."

Karla zeigte auf Mona. Die lag immer noch benommen auf dem gepflasterten Weg. Und da kam Karla ein Geistesblitz. Jetzt wusste sie, was zu tun war, um doch noch ans Geld zu kommen. Wie es aussah, schien der Mann hier zu wohnen. Sie mussten in seine Wohnung, um ihm das Geld unauffällig abzunehmen. Zwar gefiel ihr der Gedanke nicht, in die Wohnung dieses Mannes zu gehen, aber es war die einzige Gelegenheit, die sich ihr bot. Glücklocherweise war sie nicht allein, auch wenn sie sich nur schwer vorstellen konnte, dass der Mann sie irgendwie angrapschen würde. Und falls er es doch versuchen würde, bekäme ihm das schlecht.

Schnell bückte sie sich zu Mona, als diese die Augen öffnen wollte.

"Augen zu!", zischte sie leise.

Der Mann starrte auf das seltsame Gespann. Was wollten die zwei von ihm?

"Sehen Sie genau hin. Meine Freundin kann hier doch nicht liegenbleiben. Sie muss sich erholen und braucht ein Glas Wasser."

Der Mann wollte sich abwenden, doch Karla sah ihn so durchdringend an, dass er sich einen Ruck gab.

"Gut, sie kann sich auf meinem Sofa erholen. Aber wenn sie was schmutzig macht, müsst ihr das wegmachen."

Karla zwickte Mona in den Arm, die zusammenzuckte und die Augen aufschlug. Grimmig sah sie ihre Freundin an.

"Tu ganz schwach."

"Das kriegt Isis alles zurück. Mein Kopf brummt, wie damals nach dem Abi-Ball."

"Kann sie aufstehen?"

"Ja, danke, geht schon." Karla zog Mona hoch, die sich schwer machte wie ein nasser Sack. Die plötzliche Hilfsbereitschaft machte sie misstrauisch. Sollte sie sich doch getäuscht haben? Ein Glück, dass sie noch ein paar Karategriffe konnte, die Isis' Bruder Knut ihnen vor langer Zeit beigebracht hatte.

"Mach dich nicht so schwer!"

"Ich bin betäubt."

"Wenn schon benommen. Aber du bist keine Feder."

"Ist ja schon gut."

Mona ließ sich von Karla stützen und fand, dass sie die Rolle der Geschädigten ganz gut spielte. An ihr war eine Schauspielerin verloren gegangen.

Sie folgten dem Mann auf der Treppe und gingen mehrere Stockwerke hoch. Schließlich öffnete der Mann seine Haustür und wies Karla und Mona den Weg.

"Den Flur durch und links. Und wehe, deine Freundin kotzt mir das Sofa voll."

"Das macht sie nicht."

Langsam betraten sie die Wohnung. Jetzt begann der schwierigste Teil ihres Plans. Der Anfang war gemacht.

Die Rollen des Seth

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