Читать книгу Die Rollen des Seth - Helen Dalibor - Страница 26
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ОглавлениеDie Worte hallten ihr durch die Ohren, obwohl es eine SMS gewesen war. Doch Isis hatte das Gefühl, als hätte sie den Hilferuf gehört.
Hol uns raus!!, hatte in der SMS gestanden und eine Adresse.
Isis war sofort losgefahren, hatte mitten auf der Julius-Vosseler-Straße gewendet und die Fahrbahn gewechselt. In halsbrecherischer Weise gab sie die Straße in ihr Navigationsgerät ein und ließ die Strecke berechnen. Dies tat sie in voller Fahrt. Selten hatte sie so unüberlegt gehandelt, vor allem nicht im Straßenverkehr. Aber diese SMS hatte sie völlig durcheinander gebracht. Vor Jahren hatten sie ausgemacht, dass sie eine SMS mit zwei Ausrufezeichen beendeten, wenn sie sich in Gefahr befanden. Das war noch nie eingetreten - bis jetzt.
Was war nur geschehen? Isis machte sich furchtbare Vorwürfe, dass sie Mona und Karla in diese Situation gebracht hatte. Ihren eigenen Vorteil hatte sie nur gesehen. Hatte sich egoistisch verhalten, als sie ihre Freundinnen dazu gedrängt hatte, ihr eigenes Geld wieder zu beschaffen. Monas Weigerung war gerechtfertigt gewesen, stattdessen hatte Isis beleidigt und gekränkt reagiert, so dass sie letztendlich ihren Willen doch noch bekommen hatte. Wie albern ihr kindliches Verhalten gewesen war. Wo war der Nutzen für Mona und Karla? Hatte sie ihnen etwas versprochen, wenn sie ihren Befehl erfolgreich ausführen würden?
Wenn ihren Freundinnen etwas zugestoßen war, könnte sie sich das nie verzeihen.
***
"Falls ich das Überleben sollte, werde ich Isis erwürgen."
Mona hockte zusammengekauert an der Mauer. Tränen liefen ihr das Gesicht herunter. Wusste Isis überhaupt, was sie - Mona und Karla - für sie - Isis - auf sich genommen hatten? Sie hatte einfach bestimmt, dass sie ihr das Geld wieder beschaffen sollten. Wie, war ihr völlig egal gewesen, Hauptsache, sie bekam ihr geliebtes Geld endlich wieder. Wie sie Isis hasste. Diese egoistische Kuh dachte immer nur an ihren eigenen Vorteil.
"Sei still, ich weiß nicht, ob die noch da sind. Dein Reden bringt uns auch nicht aus dieser Situation."
Karla hatte sich hinter einem Plastikklappstuhl versteckt und sah durch die Rillen ins Wohnzimmer. Vor einiger Zeit waren zwei Gestalten in den Raum gekommen und hatten diesen durchsucht.
Mona und sie hatten sich so ruhig wie möglich verhalten, hatten kaum zu atmen gewagt und gehofft, dass die Gestalten nicht auch auf dem Balkon suchen würden. Das taten sie auch nicht, obwohl der eine den Griff der Balkontür schon in der Hand gehabt hatte. Der andere hatte ihn aber zurückgerufen und so hatte er die Tür geschlossen und den Griff abgewischt. Karla hatte die Augen des Mannes gesehen und für einen Augenblick geglaubt, sie wäre entdeckt. Glücklicherweise war ihre Angst unbegründet gewesen.
"Schreib Isis noch 'ne SMS."
"Und was? Wahrscheinlich hat sie wieder einmal vergessen ihr Handy einzuschalten. Du weißt, wie sehr sie das Ding verabscheut."
"Schreib ihr, dass wir auf dem Balkon sind und sie aufpassen soll. Das Stockwerk könntest du auch noch angeben, sonst wird es ewig dauern bis sie kommt."
"Romane kannst du selbst schreiben."
Mona wollte ihr das Handy zuwerfen, entschied sich dann aber anders. Sie könnte zu weit werfen und das Handy würde über den Balkon fliegen und unten auf dem Boden zerschmettern. Davon hatte niemand von ihnen etwas.
"Schreib einfach!", zischte Karla, die gut verstand, wie ihre Freundin sich jetzt fühlte. Ihr ging es kaum besser. Die Angst steckte ihr im Nacken und lauerte darauf, endlich die Überhand zu gewinnen. Doch sie mussten durchhalten, wie groß ihre Angst auch sein mochte.
Mona war einem Nervenzusammenbruch nahe. Karla hatte sie zu dem Unternehmen überreden müssen. Wenn sie doch nur standhaft geblieben wäre. Sie würde zu Hause sitzen, Protokolle schreiben und lernen, anstatt in der Kälte zu sitzen und um ihr Leben zu fürchten.
Mit Müh und Not brachte sie es fertig, eine Textnachricht zu schreiben und an Isis zu schicken. Jetzt konnten sie nur hoffen, dass Isis ihre Nachricht auch lesen würde.
Vorsichtig sah Mona durch die Stäbe und blickte nach unten. Sie befanden sich im dritten Stock, viel zu hoch, um vom Balkon zu springen. Gefangen waren sie. Konnten weder durch die Wohnung noch über den Balkon fliehen.
Isis lief durch die Straßen und suchte nach der Hausnummer. Als sie endlich vor dem Mietshaus stand, zog sie ihre Lederhandschuhe wieder an, die sie heute Vormittag bereits bei der Geldübergabe getragen hatte, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Sie drückte die Tür mit wenig Hoffnung, dass die Tür nicht eingerastet war und sie, ohne irgendwo klingeln zu müssen, ins Haus konnte. Zu ihrer Überraschung war die Tür wirklich nur angelehnt. Die Tür schwang auf und Isis raste in den Flur, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich musste. Unschlüssig stand sie im Treppenhaus und wusste nicht, was sie tun sollte.
Mona hätte wirklich das Stockwerk angeben können, anstatt mir nur die Adresse mitzuteilen.
Wut stieg in ihr hoch und verdrängte für einen Moment ihre Angst. Wie sollte sie Mona und Karla helfen, wenn sie nicht wusste, hinter welcher Tür sich die beiden befanden? Sie konnte doch nicht überall klingeln.
In diesem Augenblick gab ihr Handy einen Ton von sich. Sie hatte eine neue Kurznachricht erhalten. Als sie Stimmen näherkommen hörte, verschwand sie in einen kleinen Hohlraum, der zu einer Treppe und in den Keller führte.
Dritter Stock links. Balkon, stand in der SMS. Nun wusste Isis wenigstens, wo sie hin musste.
Vorsichtig lugte sie auf den Flur. Sie sah zwei Männer näherkommen, die sich in einer fremden Sprache unterhielten. Verwundert sah Isis ihnen hinterher. War das Arabisch gewesen? Sie wusste es nicht. Fand die zwei aber verdächtig.
Als wieder alles ruhig im Treppenhaus war und sie kein Geräusch vernahm, ging Isis langsam nach oben. Leise arbeitete sie sich in den dritten Stock vor, immer darauf bedacht, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.
Im dritten Stock angekommen sah sie sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Tür der angegebenen Wohnung war nur angelehnt und stand einen kleinen Spalt offen.
Isis stellte sich vor die Tür und horchte. Als sie kein Geräusch und auch keine Stimmen vernahm, betrat sie vorsichtig die Wohnung. Aus ihrer Jacke hatte sie einen kleinen Schirm genommen, in dessen Griff eine Taschenlampe eingebaut war. Falls sie jemandem begegnen würde, wollte sie ihn mithilfe der Taschenlampe blenden und diesen Moment der Hilflosigkeit ausnutzen, um ihn zu überwältigen.
Sie trat in die Küche. Das Geschirr war aus den Schränken gerissen und auf dem Boden verteilt worden. Im Bad setzte sich das Chaos der Verwüstung fort.
Leise stieß Isis die Tür zum Schlafzimmer auf und biss sich auf die Zunge, um nicht laut zu schreien.