Читать книгу Rätselhafte Ereignisse in Perfect - Hüter der Fantasie - Helena Duggan - Страница 15

Schulregeln

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Nach einer kurzen, unruhigen Nacht mit dem Kopf unter der Bettdecke stand Violet auf und ging nach unten, um zu frühstücken. In der Küche beugte ihr Dad sich im Halbschlaf über mehrere Zettel auf dem Tisch. Als sie reinkam, setzte er sich hastig auf und schob seine Notizen zusammen.

»Du bist aber früh wach, Mäuschen«, sagte er, wobei er um ein Haar seine Tasse umstieß. Der Tee darin war augenscheinlich schon länger kalt.

»Ich konnte nicht schlafen«, erklärte sie. Auch wenn es nur wenige Worte waren, war es doch eine Erleichterung, nach so langer Zeit wieder mit ihm zu reden.

»Ich auch nicht.« Eugene schenkte ihr ein warmes Lächeln.

»Was machst du da?«, fragte Violet.

»Ach, nur ein bisschen Recherche für die Arbeit.« Er schob die Zettel unter seinen Notizblock.

»Für die Archers?«

Er nickte und rückte ein Stück vom Tisch weg. »Soll ich dir Cornflakes machen, Mäuschen?«

»Dad«, sagte Violet, »magst du die Archers?«

»Selbstverständlich, Mäuschen. Sie sind meine Vorgesetzten.«

»Es ist nur, na ja, irgendwas an ihnen fühlt sich seltsam an. An der ganzen Stadt eigentlich. Findest du nicht, dass Mam irgendwie komisch drauf ist?«

»Violet, ich möchte nicht, dass du so über deine Mutter sprichst. Das ist bloß der Umzugsstress. Seit wir hier sind, mäkelst du ständig an allem rum. Gib der Stadt wenigstens eine Chance!«, blaffte er plötzlich.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden klang er verärgert. Violet verstand die Erwachsenen nicht. Gestern Abend hatte er doch selbst noch gewirkt, als ob ihm Perfect nicht recht behagte.

»Ich hasse es hier, Dad, ich hasse diese Stadt! Ich wollte überhaupt nie herziehen. Du hast uns gezwungen!«, schrie sie und stürmte aus der Küche.

»Violet, komm auf der Stelle wieder her!«

Sein Tonfall war Furcht einflößend. Am liebsten wäre Violet einfach trotzig weitergestapft, aber das traute sie sich nicht. Sie drehte sich um und trottete zurück, blieb jedoch auf der Türschwelle stehen.

»Wag es nicht, jemals wieder so mit mir zu reden. Ich versuche, uns hier ein gutes Leben aufzubauen. Ich weiß, in deinem Alter ist so ein Umzug nicht immer einfach, aber ich erwarte, dass du unserem neuen Zuhause eine Chance gibst.«

»In meinem Alter?! Ich bin doch kein Baby mehr. Ich habe Perfect eine Chance gegeben, aber ich hasse es, ich HASSE es! Hier habe ich überhaupt keine Freunde und Mam und du benehmt euch total seltsam. Und letzte Nacht konnte ich deswegen nicht schlafen, weil jemand in meinem Zimmer war. Eigentlich wollte ich es euch gar nicht erst erzählen, ihr glaubt mir ja sowieso nicht.«

»Was soll das heißen, es war jemand in deinem Zimmer?« Er wirkte alarmiert.

»Ich hab eine Stimme gehört, Dad. Da war ein Junge und er hat mit mir geredet!«

»Violet, das war nur wieder deine Fantasie, die dir einen Streich gespielt hat. Das Haus ist neu und ungewohnt, da kann so was schon mal passieren. Hör zu, Mäuschen, wir versuchen alle, hier nach und nach Fuß zu fassen. Warte nur ab: Heute in der Schule wirst du jede Menge neue Freunde finden und bald hast du vergessen, dass wir diesen Streit jemals hatten.«

»Nein, werde ich nicht, Dad. Du hörst mir nie zu. Ich wünschte, ich hätte nie angefangen, wieder mit dir zu reden!«, schrie sie und rannte davon.

Diesmal drehte sie sich nicht mehr um, als ihr Dad ihren Namen rief. Sie sprintete die Treppe hinauf, knallte die Tür hinter sich zu und warf sich aufs Bett.

Eine Weile klapperte ihr Dad unten in der Küche herum, dann fiel die Haustür ins Schloss, das Auto sprang an und er war fort.

Violet weinte in ihr frisch gewaschenes Bettzeug, und zwar so laut, dass ihre Mutter sie hören konnte. Sie wollte, dass ihre Mam sie in den Arm nahm und ihr sagte, dass alles wieder gut werden würde, so wie sie das früher getan hätte, bevor sie nach Perfect gezogen waren. Doch ihre Mam kam nicht und so machte sich Violet schließlich ganz alleine für ihren ersten Schultag zurecht.

Ein grauer Rock mit dazu passender Bluse und passendem Pullover hing auf einem Kleiderbügel am Fußende ihres Bettes – die Schuluniform von Perfect. Violet zog sich an, setzte sich aufs Bett und schlüpfte in ihre grauen Socken und blitzsauberen schwarzen Schuhe. Dann ging sie zu ihrem Spiegel hinüber und seufzte. Sie war vollkommen farblos.

Ihre Mutter hatte sie ermahnt, sich die Haare zu kämmen. Violet bemühte sich, so gut es ging. Anschließend nahm sie ein violettes, ein pinkes und ein gelbes Haargummi aus ihrer Schublade und band sich damit einen Zopf. So hoffte sie, ihrem eintönigen Outfit wenigstens einen winzigen Farbtupfer zu verleihen.

»Hast du dich heute früh mit deinem Vater gestritten, Violet?«, erkundigte sich ihre Mutter, als sie zu ihr in die Küche kam.

»Nein«, antwortete Violet mit verheulter Stimme.

»Alles in Ordnung, Liebes?«

Violet hob den Kopf und sah ihre Mutter mit rot geweinten Augen an. »Alles bestens.«

»Oh, gut«, sagte ihre Mutter fröhlich und lächelte, als hätte sie nichts bemerkt. »Ich hab dir ein paar Schinken-Sandwiches und ein Rosinenbrötchen zum Mittagessen eingepackt. Jetzt geh und kämm dir die Haare, Violet. Was sollen die anderen Mütter denken, wenn sie dich so sehen?«

»Aber ich hab sie mir doch schon gekämmt!«

Ihre Mutter schnalzte ungehalten mit der Zunge, schnappte sich eine Bürste vom Fensterbrett und begann, Violets Haare damit zu bearbeiten. Es ziepte wie verrückt. Als ihre Mutter die bunten Haargummis dann auch noch gegen ein einzelnes graues austauschte, stiegen Violet erneut die Tränen in die Augen.

Schweigend liefen sie die Splendid Road entlang, vorbei an Archers’ Ocularium und in die Edward Street, bis sie die Abzweigung erreichten, die nach rechts zur Schule führte. Die Straße ging leicht bergauf und Violet geriet ordentlich ins Schnaufen, als sie versuchte, mit dem strammen Tempo ihrer Mutter mitzuhalten.

Schließlich hielten sie vor einem großen Gebäude aus grauem Stein an, das ein wenig abseits der Straße stand. Das Dach der Schule lief links und rechts spitz zu, als hätte ihm jemand zwei Hexenhüte aufgesetzt, und die Eingangstür wurde von einem hohen Spitzbogen gekrönt. Das Ganze sah eher wie eine unheimliche Kirche aus, nicht wie eine Schule.

Der Schulhof war voller Kinder, die ordentlich in Reih und Glied standen und brav auf das Klingeln warteten. Sie alle trugen die gleiche graue Uniform. Keines von ihnen sprach, aber ein paar schenkten Violet ein höfliches Lächeln, als sie an ihnen vorbeiging.

»Siehst du«, raunte ihre Mutter, als sie durch die imposante Eingangstür ins Gebäude traten, »hier wirst du viele neue Freunde finden. Freunde fürs Leben!«

Eine Frau holte sie ab und führte sie zum Büro der Rektorin. Nach einer kurzen, förmlichen Begrüßung verabschiedete sich Violet von ihrer Mutter und folgte der Rektorin zu ihrem Klassenzimmer.

Dort stand sie nervös vor der versammelten Klasse, während die tadellos gekleidete Rektorin ihrer neuen Lehrerin etwas zuflüsterte. In ihrer alten Schule hatten Violet und ihre Klassenkameraden jedes Mal sofort angefangen, zu reden und Zettel rumzugeben, sobald ihre Lehrer auch nur einen winzigen Augenblick abgelenkt waren. Manchmal hatten sie sogar heimlich die Plätze getauscht. Hier war es anders. Die Schüler saßen schweigend da. Nicht mal ein Lächeln war zu sehen.

Die Lehrerin, Mrs Moody, war klein, kugelrund und uralt. Sie trug die gleiche goldgeränderte Brille wie alle in Perfect und dazu einen blauen Rock, eine rote Strickjacke und eine weiße Bluse. Auch sie strahlte dieses merkwürdige Schimmern aus.

»Violet, Liebes«, sagte sie, als die Rektorin den Raum verlassen hatte, »setz dich. Dort hinten ist noch ein Tisch frei.«

Violet lief nach hinten in die letzte Reihe und nahm ihren Platz zwischen einem Mädchen mit geflochtenen Zöpfen und einem lockigen Jungen ein. Beide lächelten ihr zu, als sie sich setzte.

»Kinder, sagt Hallo zu Violet.«

»Hallo, Violet«, sagte die Klasse im Chor.

Violet errötete. Dann bat Mrs Moody sie, aufzustehen und von ihrem Leben vor Perfect zu erzählen. Alle hörten aufmerksam zu. Niemand kaute auf seinem Bleistift, tuschelte mit seinem Nachbarn oder rutschte gelangweilt auf seinem Stuhl herum. Als sie fertig war, gab die Lehrerin den anderen ein paar Aufgaben und kam an Violets Tisch, um mit ihr zu reden.

»Liebes«, flüsterte sie, »bei uns muss jeder neue Schüler einige Tests durchlaufen, damit wir wissen, wo er oder sie am besten hineinpasst.«

»Was meinen Sie damit?«, fragte Violet. Sie passte nirgendwo hinein.

»Keine Angst, das ist nichts, weshalb du dir Sorgen machen müsstest. Wir verschaffen uns nur einfach gerne ein Bild von all unseren Schülern. Damit wir wissen, auf welchem Wissensstand du bist und ob es irgendwelche Störungen – ich meine, Probleme – gibt, auf die wir achten sollten.«

»Oh, ach so, nein, Mrs Moody, ich habe keine Probleme.« Violet setzte ihr liebenswürdigstes Lächeln auf.

»Ich meine auch nicht Probleme im eigentlichen Sinne, Liebes. An unserer Schule haben wir uns zum Ziel gesetzt, den perfekten Schüler auszubilden. Nicht alle unserer Kinder sind bereits perfekt, wenn sie zu uns kommen. Nimm zum Beispiel Michael dort«, sie zeigte auf einen blonden Jungen, der ganz in seine Matheaufgaben vertieft war, »er war furchtbar leicht abgelenkt und konnte keine Minute still sitzen. Aber das haben wir ihm schnell abgewöhnt und jetzt ist er der perfekte Musterschüler.«

»Ich kann gut still sitzen«, beteuerte Violet. Der Tonfall ihrer neuen Lehrerin gefiel ihr ganz und gar nicht.

»Natürlich, Violet, Liebes, da bin ich mir sicher. Aber es gibt noch viele andere Beeinträchtigungen, mit denen Schüler zu kämpfen haben können. Wir hatten schon welche, die sich Geschichten ausgedacht haben, andere haben den ganzen Tag vor sich hin gezeichnet und wieder andere, so wie unser Michael, konnten partout nicht still sitzen. Die Liste ließe sich ewig weiterführen. Gut möglich, dass du keinerlei Probleme hast, aber das müssen wir erst noch herausfinden. Keine Sorge, es dauert nicht lange.«

Im Handumdrehen hatte Mrs Moody ein Blatt Papier vor Violet auf den Tisch gelegt und hielt ihr einen Bleistift hin. Violet sah den Bleistift an, dann ihre Lehrerin, die aufmunternd nickte und lächelte.

»Nimm nur, Liebes.«

Violet streckte die Hand aus und griff nach dem Stift.

»Aha, Linkshänderin. Dachte ich mir.« Die Lehrerin schnalzte missbilligend mit der Zunge, bevor sie zurück nach vorne ging.

Verwirrt senkte Violet den Blick auf den Zettel vor ihr.

Frage 1: Wie heißt du?

Sie verkniff sich ein Lachen, als sie das Feld ausfüllte. Das war ja kinderleicht.

Aber die folgenden Fragen wurden immer bescheuerter:

Wie hieß dein erstes Haustier?

Besuchst du deine Großmutter oft?

Wozu musste die Schule das alles wissen?

Dann wurde es noch seltsamer:

Hast du jemals das Bedürfnis verspürt, von zu Hause wegzulaufen?

Stellst du Erwachsene infrage?

Sie hatte keine Ahnung, was sie darauf antworten sollte. Als es zur Teepause klingelte, hatte sie erst einen Teil des Fragebogens ausgefüllt.

Eine alte Frau, die ihr weißes Haar zu akkuraten Locken eingedreht hatte, schob einen Servierwagen ins Klassenzimmer. Darauf stand ein großer silberner Behälter mit dem Logo von Archers’ Teeladen.

Alle legten ihre Stifte weg und holten eine Tasse aus den Fächern unter ihren Tischen. Sie stellten sich in einer Reihe auf und füllten ihre Tassen nacheinander mit Tee, indem sie an einem Hebel auf der Seite des Behälters zogen.

»Hast du keine Tasse mitgebracht, Violet?«, fragte Mrs Moody, die plötzlich vor ihrem Tisch aufgetaucht war. »Nimm die hier.« Bevor Violet etwas erwidern konnte, hatte sie ihr bereits die Tasse in die Hand gedrückt. »Hier in Perfect lieben wir Tee!«

Violet betrachtete den dunkelblauen Keramikbecher in ihrer Hand. Über dem Schriftzug Archers’ Tee – der perfekte Tee für eine perfekte Stadt grinsten ihr die Gebrüder Archer entgegen. Am liebsten hätte sie das Ding aus dem Fenster geworfen, entschied sich jedoch dagegen. Immerhin war der Tee so ziemlich das Einzige, was sie an Perfect mochte.

Sie trank ihre Tasse leer und wandte sich wieder dem Fragebogen zu. Die Fragen wurden noch merkwürdiger.

Hast du schon mal ein Geheimnis gehabt? Wenn ja, bitte beschreibe es.

Magst du Kunst? (Dazu zählen Zeichnen, Malen, Singen, Schreiben und andere Formen, deinem Inneren Ausdruck zu verleihen.)

Als die Mittagspause anbrach, wusste Violet kaum noch, wo ihr der Kopf stand. Sie konnte es nicht erwarten, endlich draußen spielen zu können.

Sie fügte sich in die Reihe ihrer Klassenkameraden ein und folgte ihnen hinaus auf den Schulhof. Eine graue Mauer diente als Begrenzung des Hofs. Ringsum war eine lange Holzbank daran festgeschraubt.

Die Schüler gingen allesamt auf die Bank zu, suchten sich einen Platz, öffneten ihre Brotdosen und fingen an zu essen.

Die Sonne schien, doch alles um sie herum war grau. Es herrschte kein Leben auf dem Schulhof, nirgends war Geschrei, Rufen oder Lachen zu hören, was an ihrer alten Schule völlig normal gewesen war. Niemand rannte, niemand spielte Fußball oder Fangen, niemand tat irgendwas. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, was ihre alten Freunde jetzt wohl machten, und suchte sich einen freien Platz auf der Bank.

Nachdem sie mit dem Essen fertig waren, klappten die Kinder nach und nach ihre Brotdosen zu und standen auf. Eine Gruppe malte Hüpfkästchen auf den Boden, während eine andere ein langes Springseil hervorzog. Vielleicht spielten sie hier ja doch!

»Hallo, Violet.«

Sie war gerade dabei, ihre Brotdose zu schließen, als ein rothaariges Mädchen aus ihrer Klasse vor ihr auftauchte.

»Ich bin Beatrice«, stellte sich das Mädchen vor. »Hast du Lust, mit uns Seil zu springen?«

»Oh, ähm … ja, klar, sehr gerne!«

Beatrice lächelte und Violet folgte ihrer neuen Freundin zu der Gruppe, die sich um das lange Seil versammelt hatte.

»Habt ihr Violet schon kennengelernt?«, fragte Beatrice. »Sie ist neu hier, heute ist ihr erster Tag.«

»Hallo, Violet«, sagte die Gruppe im Chor. Alle lächelten sie höflich an.

»Wer möchte als Erstes das Seil halten?«, fragte Beatrice.

Violet trat vor, doch das rothaarige Mädchen hob abwehrend die Hand.

»Noch nicht, Violet. Du musst erst lernen, wie man das Seil richtig schwingt.«

Violet errötete und zog sich in den Schutz der Gruppe zurück. Sie wusste, wie man ein Springseil schwang. Als es losging, stellte sich ein Mädchen nach dem anderen unter das herumwirbelnde Seil, sprang genau drei Mal und machte dann Platz für die Nächste in der Reihe. Niemand lachte oder scherzte und die Regeln schienen sehr streng zu sein.

Als Violet dran war, trat sie nervös unter das Seil. Nachdem ihr die ersten beiden Sprünge mühelos gelangen, entspannte sie sich ein wenig. Um das Ganze etwas aufzulockern, griff sie für den dritten Sprung auf einen Trick zurück, den sie in ihrer alten Schule immer gerne vorgeführt hatte. Das Seil kam auf sie zu und Violet sprang hoch und überkreuzte die Beine, als es unter ihr hindurchschwang.

Augenblicklich hielten die Mädchen das Seil an und alle wandten sich Violet zu.

»Das steht nicht in den Regeln«, schnauzte Beatrice.

»Tut mir leid«, stammelte Violet.

»Es steht nicht in den Regeln, Violet«, wiederholte Beatrice. »Wenn es nicht in den Regeln steht, darfst du es nicht machen. Was glaubst du, wofür es Regeln gibt?«

Violet wusste nicht, was sie sagen sollte. Die anderen starrten sie wütend an. Plötzlich begann Beatrice, das Seil wieder zu schwingen.

»Ist schon gut, Violet«, sagte sie lächelnd, als sei nichts geschehen. »Vielleicht setzt du diese Runde erst mal aus und siehst zu.«

Gehorsam suchte Violet sich einen Platz etwas abseits der Gruppe. Wie Roboter hüpften die restlichen Mädchen bis zum Ende der Pause weiter. Als es klingelte, hörten sie sofort auf und kehrten stumm und in einer ordentlichen Reihe in ihre jeweiligen Klassenräume zurück. Diese Schule war wirklich seltsam. Für Kinder war Perfect offenbar alles andere als perfekt.

Zurück an ihrem Platz, machte Violet mit dem Fragebogen weiter. Warum wollte die Schule wissen, ob sie jemals einen imaginären Freund gehabt hatte oder gerne tagträumte? Gerade als sie aufschrieb, dass Tagträumen eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen war, rutschte ihr der Bleistift aus der Hand und fiel auf den Holzboden. Er rollte außer Reichweite, sodass sie von ihrem Stuhl glitt und unter den Tisch krabbelte. Während sie die Hand nach dem Stift ausstreckte, blieb ihr Blick an etwas auf der Unterseite ihres Pults hängen.

William Archer war hier, furchtlos und voller Lebensgier.

Mühsam drehte sie sich auf der beengten Fläche unter dem Tisch um und fuhr mit den Fingern über die eingeritzten Buchstaben.

Schon wieder dieser Name. William Archer.

Seltsam, dass weder die Archer-Brüder noch Violets Eltern William jemals erwähnt hatten. Er schien jedenfalls ziemlich cool zu sein. Edward oder George würden ihre Namen mit Sicherheit nirgends einritzen. Niemand in Perfect würde das tun.

Sie kroch unter dem Tisch hervor und setzte sich wieder.

Erst als sie weiterschreiben wollte, bemerkte sie die Stille um sich herum. Langsam sah sie hoch. Zum zweiten Mal an diesem Tag waren sämtliche Blicke auf sie gerichtet.

»Wie ich sehe, hast du beschlossen, dich wieder zu uns zu gesellen«, bemerkte Mrs Moody spitz.

»Oh, ich … mir ist der Bleistift runtergefallen«, sagte Violet und hielt ihn hoch.

»Und da ist dir nicht in den Sinn gekommen, vorher um Erlaubnis zu bitten?«

»Ich … ähm …« Sie sollte um Erlaubnis bitten, ihren Bleistift aufheben zu dürfen? Das klang total bescheuert.

»So sind die Regeln, Violet«, erwiderte Mrs Moody streng. »Beatrice hat mir erzählt, was beim Seilspringen vorgefallen ist, und jetzt das. Ich fürchte, ich werde deine Eltern anrufen müssen.«

Sie wollte wegen eines harmlosen Tricks und eines runtergefallenen Bleistifts ihre Eltern anrufen?

»Aber … ich wollte doch bloß …«

»Nichts aber, Violet. Du bewegst dich auf äußerst dünnem Eis, Liebes. So, zurück an die Arbeit, Kinder«, kommandierte Mrs Moody lächelnd.

Es dauerte eine Weile, bis Violet sich aus ihrer Schockstarre löste und sich wieder dem Fragebogen zuwandte.

Was kommt dir als Erstes in den Sinn, wenn du an Perfect denkst?

Wütend malte sie einen Hundehaufen in das Kästchen. Sie musste hier weg, und zwar bald.

Rätselhafte Ereignisse in Perfect - Hüter der Fantasie

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