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Bauern als Marktzieher

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Johann Pezzl (1756–1823) zählte zu den Reiseschriftstellern der Aufklärung, die Wien eine »Skizze« widmeten. Von 1786 bis 1790 erschienen fünf Hefte mit Beschreibungen »dieses in jedem Betracht merkwürdigen Platzes«, wobei Pezzl nicht nur Sitten und Zeitgeist kommentierte, sondern auch andere Schreiber kritisierte. So liest man über die »Konsumtion«: »Nichts ist schiefer als die Miene jener Schriftsteller, die darüber klagen und heulen, daß eine große Residenzstadt alle Ernten, Weinlesen, Hammelställe, Hühnerhöfe, Obstgärten und Fischteiche auf zwanzig Meilen rings um sich her aufzehre. Gerade jene Landleute sind die wohlhabendsten, besitzen das schönste Vieh, die besten Häuser, die wohlbestelltesten Felder, Gärten, Weinberge und Triften, die sich im Gesichtskreise der Hauptstadt befinden. […] In der Tat, der Magen von Wien ist ein Schlund, der den Überfluß aller benachbarten Provinzen verschlingt, und desto besser für dieselben.«4

Seit Jahrhunderten versorgten die Bauern der näheren und weiteren Umgebung die Städter mit Lebensmitteln. Auch die Bürger betrieben Landwirtschaft, aber meist nur Weinbau. Am Dienstag und am Samstag (seit 1578 auch am Freitag) konnten sie auf dem Wochenmarkt für die nächsten Tage Lebensmittel einkaufen.5 Die Marktordnungen bevorzugten das direkte Geschäft zwischen ländlichen Produzenten und städtischen Konsumenten.6 Streng reglementiert wie die Marktzeiten, Waren und Verkaufsplätze war die Frage, wer für wen produzieren durfte: Berufsgärtner zunächst nur für den Hof, Bauern für die Bürger.7 Von »freier Marktwirtschaft« war keine Spur. Außerdem standen verschiedene Interessengruppen einander unversöhnlich gegenüber: Bauern als Produzenten und Verkäufer, Zwischenhändler, Hausierer, ansässige zünftisch organisierte Kaufleute und Obrigkeiten, denen die »Wohlfeilheit« ein Anliegen war.

»Wir sind im Hochsommer, es ist zwei Uhr; noch herrscht nächtliche Ruhe in allen Straßen […]. Wien scheint ausgestorben. Wir nähern uns dem Marktplatze, und plötzlich verändert sich das Bild. In allen zum Hofe, zur Freyung, zum Judenplatz führenden Gassen und Straßen wird es lebendig […]. Im weiten Umkreis um den Markt stehen Wagenburgen – nicht jene der vornehmen Gespanne zwar, die während des Tages hier aneinander vorüber fliegen, sondern verwahrloste, ärmliche Leiter- und Steirerwagen jeden Schlages, jeder Facon, jeder Herkunft. Die Wagen sind alle bespannt, aber schon abgeladen, der Kutscher liegt in seinen Kotzen gehüllt und schläft den Schlaf des Gerechten; er braucht diese Ruhe denn er ist meilenweit vom flachen Lande her, Tag und Nacht, oft 15 bis 16 Stunden aus dem oberen Donauthal und dem Wienerwald, aus dem Tullnerfeld und dem Marchfeld […] mit Gemüse und Obst zugefahren. Es sind […] 800 bis 1000 Gefährte.«8 So schildert das Ende des 19. Jahrhunderts erschienene »Kronprinzenwerk« die »Approvisionierung der Großstadt«.


Ein Wiener Marktbild zur Zeit der Monarchie: »Am Hof«

Obst und Gemüse kam aus spezialisierten »Marktfahrergemeinden«. Groß-Engersdorf, Manhartsbrunn oder Pillichsdorf in der Wolkersdorfer Gegend (Bezirk Mistelbach, Niederösterreich) behielten diese Funktion bis weit ins 20. Jahrhundert bei. Ihnen hat der Volkskundler Werner Nachbagauer seine Dissertation gewidmet. So genannte Marktzieher, Bauern und Lastfuhrwerker, besorgten den Transport.9 Die Langenzersdorfer aus dem Bezirk Korneuburg (Niederösterreich) lieferten Früchte und landwirtschaftliche Produkte. Aus Nussdorf (Wien 19) kamen Milch, Obst und Gemüse.

»Buckelkörbler« reisten aus der Gegend von Mattersburg (Burgenland) an. Eine Approvisionierungs-Enquete in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts lobte »die so genannten Hernzen oder Wieser«: »Dieses Volk ist unendlich thätig, unermüdet, gleichsam die Bienen, die für Wien nach allen Richtungen sorgen.«10 Heanzen (Heinzen, Hienzen, Hinzen) nannte man die – im 11. und 12. Jahrhundert eingewanderten – deutschsprachigen Bewohner des südlichen und mittleren Burgenlandes und der Randgebiete des ungarischen Komitates Ödenburg (Sopron). »Heanzenland ist Bauernland« lautete eine bekannte Gleichung.11

Die Marktfahrt erfolgte häufig zu Fuß. Körbe, Krüge, Butten, Simperln, Amper, Krächsen, Säcke, Fässer, Kisten und Rucksäcke dienten beim Transport als Behälter. Frauen trugen die Ware oft auf dem Kopf.12 »Wenn es in den Straßen leer und still geworden ist – das Wiener Nachtleben ist gering – dann beginnen Karawanen geheimnisvoll zwischen den Häuserreihen zu ziehen. An jedem der vollbeladenen Wagen hängt eine Laterne. Nebenbei huschen, ohne zu sprechen, im Dauerlaufe, Frauen, hochbeladen, Butten auf dem Rücken, die überdies durch Körbe gekrönt werden, nach den einzelnen Plätzen. Sie sind, nachdem die Eisenbahnen sie abgesetzt, bei den Linien hereingekommen oder haben meilenweit über das flache Land den Weg bis Wien zu Fuß gemacht.«13 Den Herausgebern des 1895 erschienenen Werkes »Wienerstadt. Lebensbilder der Gegenwart« schienen diese Bauern und Bäuerinnen so typisch, dass sie diese gleich in der Einleitung beschrieben.

In Bockfließ (Weinviertel, Niederösterreich) begann der Fußweg um 16 Uhr des Vortages, in Floridsdorf (Wien 21) wurde genächtigt, um bereits um 2 Uhr früh auf dem Markt zu sein. Um 13 Uhr trat man den Heimweg an. Zum Vergleich: Mit dem Auto braucht man für die 30 Kilometer lange Strecke eine halbe Stunde. Die Stammersdorfer (Wien 21) brachten bis in die 1920er Jahre zu Fuß »Wiener Kram« in Butten auf den Markt Am Hof. Das waren Eier, Fisolen, Erbsen, Erdäpfel und Paradeiser. Die Butten dienten neben dem Transport zum Auslegen der Früchte, wobei man sich lange Zeit mit auf den Boden gebreiteten Tüchern begnügte. Gemüse verkaufte man stückweise oder bundweise, oder man schätzte das Gewicht. Der Gewichtsverkauf – meist mit von der Stadt geliehenen Waagen – setzte sich erst seit den 1870er Jahren durch.

»Wer den Mund nicht aufbringt, hat auf dem Markt keine Chance«, wussten die Weinviertler Bauern. Für manche soll die Redegewandtheit ein entscheidendes Kriterium bei der Brautwahl gewesen sein, denn der Verkauf erfolgte meist durch Frauen. Das galt besonders für den Eier- und Geflügelhandel, den Bäuerinnen und Inleute aus Jedlesee und Kagran (Wien 21), Breitenlee und Süßenbrunn (Wien 22) betrieben. Im Marchfeld entwickelte sich die Geflügelhaltung im 19. Jahrhundert durch vermehrten Maisanbau.14

Der Begriff »Körberlgeld« geht einer Ansicht zufolge auf den Gewinn zurück, den die Frauen beim Eier- und Hühnerverkauf erwirtschafteten und der ihnen zustand. Nach einer anderen Meinung handelt es sich um den Betrag, den sich Dienstmädchen durch günstige Einkäufe erwirtschafteten, aber nicht bei der Dienstgeberin ablieferten. Jedenfalls hat das Körberlgeld mit dem Markt zu tun.15

Lebensmittel waren nicht die einzige Ware, die Bauern auf die Wiener Märkte brachten. Gutensteiner Waldbauern verkauften Schindeln und Holzwaren, Kohlenbauern aus der Schneeberggegend kamen bis ins 19. Jahrhundert mit Holzkohle. Wer einen Ochsenoder Pferdewagen besaß, organisierte sich eine »Gegenfuhr«. So hatten die Bauern aus dem Weinviertler Ort Auersthal Ende des 19. Jahrhunderts einen Mistkontrakt mit der Stadt Wien. Der zur Stadtplage gewordene Pferdemist war auf dem Land als Dünger willkommen.16

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