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Einleitung

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Wer sich zu Wienn nit neren kan, ist uberal ein verdorbner man!«, reimte der Schotten-Schulmeister Wolfgang Schmeltzl 1548 in seinem »Lobspruch der Hochlöblichen weitberümbten Khünigklichen Stat Wienn in Österreich«. In dem fiktiven Reisebericht lässt der Dichter dem Neuankömmling von einem Zöllner erklären, dass der Wochenmarkt am Samstag stattfindet und es auf einem einzigen Markt 723 mit Getreide voll beladene Wagen gebe. Immer wieder bildet das Marktleben ein Thema dieser 1600 Verse umfassenden Schilderung Wiens.1


Schon im »Lobspruch«, der vor fast 500 Jahren erschien, spielen die Wiener Märkte eine große Rolle.

Die Entwicklung des Marktes ist untrennbar mit der Entwicklung der Stadt im Mittelalter und neuer, urbaner Lebensformen verknüpft. Städter brauch(t)en Lebensmittel aus dem Umland. Diese wurden anfangs weniger in Geschäften gehandelt, als von den Produzenten unter freiem Himmel verkauft. Das erste erhaltene Stadtrecht, das Herzog Leopold VI. (1176–1230) den Wienern am 18. Ok tober 1221 verlieh, regelte neben der politischen Mitsprache der Bürger Angelegenheiten des Handels.

Doch schon frühere Archivalien hatten Marktrechte zum Inhalt. Die älteste Urkunde, die das Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrt – sie stammt aus dem Jahr 1208 –, ist das so genannte Flandrenserprivileg. Herzog Leopold VI. stattete die Tuchfärber aus Flandern mit besonderen bürgerlichen und wirtschaftlichen Rechten aus.2 Das Dokument sollte den Wiener Tuchhandel gegen über rheinischen und flandrischen Städten konkurrenzfähig machen.3

Durch die Jahrhunderte bewahren Straßennamen die Erinnerung an die frühesten bekannten Wiener Märkte. Der Hohe Markt ist wohl identisch mit dem 1208, 1210 und 1213 erwähnten »Markt zu Wien«, ehe dieser Name 1233 den Hauptmarkt der Stadt bezeichnete. Ein Jahr später war vom »Neuen Markt« die Rede.4 Der Fleischmarkt, einer der ältesten Straßenzüge im babenbergischen Stadterweiterungsgebiet, schien 1220 als »Carnifices Viennensis« auf. Hier waren der erste Marktplatz für Fleisch und der älteste Sitz der Metzger zu finden, deren Innungshaus 1333 an diesem Ort stand.5

Auf den Märkten hatten die Wiener Gelegenheit, aus erster Hand Waren zu erwerben, die in der Stadt nicht erzeugt wurden. Bauern aus der Umgebung kamen mit Kraut und Rüben, Geflügel und Eiern, Milchprodukten und Getreide. Den Beginn der Marktzeit markierte – vom Mittelalter bis in die Barockzeit – die Marktfahne.6 Dann hatten Bürger, Klerus und Hofgesinde – nicht aber Zwischenhändler – Gelegenheit zum Lebensmittelkauf.7 In Krems ließ König Ladislaus 1453 ausrufen: »Man sol das fenel des morgens nach der frumes aufsteckhen undcz auf ahte und in der czeit sollen die burger und peckchen zu Krembs und Stain kauffen ir notdurfft, darnach körnler und ander.« Im 16. Jahrhundert war es in den Städten üblich, ein »Fändl, Pusch oder Wisch« zwei Stunden lang auszustecken. In dieser Zeit durften die Bewohner kaufen, »sovil Sy zu jrer eigen hawss notturfft bedüffen«, wie es 1542 in einer Wiener Verordnung hieß.

Vorschriften zur Kontrolle des Marktlebens, zum Konsumentenschutz und gegen den Zwischenhandel fanden sich schon 1340 in einer Verordnung von Herzog Albrecht II. (1298–1358). Durch die Jahrhunderte wollten die Obrigkeiten preisregulierend wirken, le benswichtige Güter sollten nicht unnötig verteuert werden. Ein Leitmotiv seit den ältesten Marktordnungen war die Ablehnung der Fürkäufer, Vorkäufer oder Ablöser. Die solcherart Kriminalisierten waren – abgesehen von Wiener Gewerbsleuten wie Greißler, Häringer oder Kässtecher – großteils Frauen aus den unteren sozialen Schichten.

1865 hat der Historiker, Archivar und Bibliothekar Alexander Gigl eine »Geschichte der Marktordnungen vom 16. Jahrhundert bis zu Ende des 18.« herausgegeben – eine wahre Fundgrube zum Thema Wiener Märkte. Er schrieb: »Auf allen diesen Plätzen entwickelte sich zu jeder Zeit ein bewegtes, eigenthümliches Leben, reich an bunten Gestalten und drastischen Scenen. Und dazu liefern gleichmässig alle Stände, alle Elemente und Gewalten des socialen und staatlichen Lebens ihr Contingent und kreuzen sich auf den Märkten im lautesten Gewirre. Die Bauerndirne und der herrschaftliche Groom [Roßknecht], die ›gnädige‹ Frau und die keifende ›Frätschlerin‹, der Hoflakai und der majestätische ›Rumorwächter‹ begegnen sich da auf neutralem Boden und verstehen sich in allen Zungen, in allen Wünschen, in Einer Befriedigung, in Einer Klage. In der Regel bilden die gemeinsamen Interessen den bindenden Ring, und es waltet einzig und allein der Geist des Handels und Wandels, herrschend durch uralte Gesetze der Natur über dem Gewirre.«8

Fast eineinhalb Jahrhunderte später freut sich das Marktamt: »Die Wiener Märkte sind Top-Player in Sachen Wirtschaft. Die 21 Wiener Detailmärkte beherbergen auf ihren 90 000 Quadratmetern Gesamtfläche 900 ständige Marktbetriebe, 600 tageweise MarktbezieherInnen sowie 4000 ArbeitnehmerInnen. Die Wiener Märkte erwirtschaften einen Umsatz von 300 Millionen Euro und damit vier Prozent des Gesamtumsatzes des Wiener Handels.« Der Naschmarkt und Gelegenheitsmärkte wie der »Adventzauber« vor dem Rathaus oder der »Altwiener Christkindlmarkt« bilden beliebte Touristenattraktionen. Die Detailmärkte »sind nicht nur wichtig für die Nahversorgung, sie sind Orte zum Gustieren, zum Flanieren und Orte der Kommunikation«, meinte die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely bei einer Marketingveranstaltung 2005. Vielfalt und Besonderheit charakterisieren »die Welt ums Eck«.

Dieses Buch widmet sich einigen Aspekten der Wiener Märkte. Zunächst geht es um die Menschen, die »fliegenden Händler und fahrenden Leute«. Gleichermaßen als »Volkstypen« verklärt wie wegen ihres unsteten Daseins oft nicht gut beleumundet, ist ihre Lebenswelt ein besonders interessantes Thema der Stadtethnologie. Weitere Kapitel behandeln Waren, Marktplätze, Jahrmärkte und Gelegenheitsmärkte. Angesichts der Vielfalt und Besonderheit kann nicht »alles« beschrieben werden. Doch soll man etwas von der Atmosphäre erahnen, die Generationen von Reisenden, Schriftstellern und Malern zu begeisterten Schilderungen der Märkte Alt-Wiens veranlasst hat.

Die Märkte Alt-Wiens

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