Читать книгу Die Märkte Alt-Wiens - Helga Maria Wolf - Страница 8
Menschen
ОглавлениеAm Markt lernt man die Menschen kennen«, kündet die Inschrift auf einem deutschen Marktbrunnen. Seit Jahrhunderten haben die Menschen auf dem Markt Künstler inspiriert: Albrecht Dürer, der 1519 ein bäuerliches Marktgängerpaar malte, den Hamburger Bildhauer Pfeiffer, der den Straßenhändlerinnen auf dem Brunnen ein Denkmal gesetzt hat, Akademieprofessor Johann Christian Brand, den Schöpfer der Wiener Kaufrufe, ebenso wie Generationen von Reiseschriftstellern und Literaten.
In Wien ist »Frau Sopherl vom Naschmarkt« nahezu sprichwörtlich geworden. Ihr geistiger Vater war der humorvolle Schilderer des Wiener Lebens Vinzenz Chiavacci (1847–1916). Der Dichter und Chefredakteur ließ sie in einer Zeitungskolumne hunderte »lokalpolitische Standreden« halten. Die Themen waren keineswegs nur marktbezogen. Als »eine, die’s versteht« machte sie sich Gedanken über Mystisches und Influenza, Hebammen und Leichenverbrennung, Volkszählung und Fremdenverkehr und vieles andere, was Wien damals bewegte.
Die Öbstlerin vom Naschmarkt kam als »Frau Sopherl« zu literarischen Ehren
Für den Schriftsteller verkörperte »Frau Sophie Pimpernuß, von ihren Getreuen schlechtweg Frau Sopherl genannt«, den Idealtypus der Standlerin: »Eine robuste, wohlgerundete Gestalt mit einem gutmütigen, von derber Gesundheit strotzenden Gesicht, aus dem zwei kluge, muntere Augen blitzen, ein Mund, dessen energischen Linien man ansieht, daß er in ewiger Bewegung ist, schlichte, braune Scheitel, die mit etlichen Silberfäden gemengt unter der buntgeblümten ›Gugel‹ hervorschauen, ein Gemisch von Reschheit und Gutmütigkeit […] Den reichen Wortschatz des Wiener Dialekts und die traditionelle Volksweisheit, wie sie in Sprichwörtern, Bildern und Gleichnissen zum Ausdruck kommt, beherrscht sie mit souveräner Gewalt […] nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe.« Die zu literarischen Ehren gekommene Obst- und Gemüsehändlerin und ihre lebenden Vorbilder erscheinen als starke Frauen, selbstständig und selbstbewusst. Im Vergleich zu anderen Händlerinnen, die bei Wind und Wetter ihre selbst herbeigeschleppten Waren zu verhökern hatten, war sie geradezu privilegiert. Ihr geistiger Vater nennt sie »eine b’lehrte und b’lesene Person«.