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DER FÜRSTENHOF ZU WEIMAR

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Weimar, am 17. Oktober 1828...

Gestern Abend hat der Prinz von Preußen, um meine Hand angehalten. Ein junger Achill! Nun, kein ganz junger vielleicht, aber voller Jugendlichkeit, auf Suche nach einer Minerva? Vielleicht. Schüchtern beinahe, jedenfalls zurückhaltend und von vornehmem Wesen (das zu leiten und zu lenken meine Aufgabe sein wird), trat er herzu, fand keine Worte, und Mitleid überflutete mich. Sein Auftreten erinnert an Hamlet, den unglücklichen Dänenprinzen. Ich weiß wohl, was W. bedrückte und ihn zögern ließ, es ist da eine unerfüllbar gebliebene Liebe zu einer anderen. Sie soll sehr schön sein. Was bedeutet das? Nun, ab jetzt sind wir das vom Schicksal berufene Paar, und wollen den Hunger der Welt nach freier Entfaltung der Menschlichkeit eine Gasse schlagen. Was gilt Preußen, auf das meine Mutter verächtlich herabblickt, was gilt Weimar gegenüber unseren höheren Pflichten, unser Gemüt zu bilden, unseren Geist zu erziehen? Von den Fürstensöhnen Deutschlands ist er der berufene. Seit gestern nun bin ich ihm zur Seite gestellt, ich will, ich darf ihm helfen; eine Elisabeth von Valois, einen Carlos zu Füßen und eine Posa zugleich. So fordern wir unser Jahrhundert in die Schranken: Geben Sie Gedankenfreiheit, Sir. Ich fühle mich der Aufgabe gewachsen und will mich ihr ganz hingeben. Wilhelm ist älter, reifer, besonnener, wie er da stand und mich auf das Wort warten ließ, das auszusprechen er doch gekommen war. Wir hielten seinen schriftlichen Antrag in Händen, seine Brautwerbung. Aber mein künftiger Gatte schreibt Briefe in einem schönen, leider nicht ganz klarem Stil. Wie nun, kritisiere ich schon? Es ist wahr, dass mir für einen Augenblick der Gedanke kam, du weißt nichts von diesem linkischen und gehemmten Menschen, dessen Briefe eher Vexierspiele, als Wahrheiten sind.

Mama sagte, dass diese Werbung etwas zu lange dauerte, um aus dem Herzen zu kommen, riet mir aber zugleich, mich eines solchen Gedankens lieber zu entschlagen. Gleichviel, ich habe ihm mein Jawort gegeben, meine Eltern haben ihm als Schwiegersohn die Arme geöffnet. Der Lebensbund ist beschlossen.

Maria Pawlowna: Wir wären am Ziel. Was halten Sie von dieser Ehe, mein Freund, einer zwischen Ihrer klugen, etwas kühler temperierten Tochter, und diesem Herren aus dem Kostümfond des Militärs?

Karl Friedrich: (lachend) Was haben wir zu befürchten, was Sie nicht vorausgesehen haben, Madame?

Maria Pawlowna: Nun, diese Art Werbung, mitsamt den Nebenumständen war nicht vorauszusehen, wenigstens war sie so nicht gedacht. Als ich Wilhelm umarmte, war mir, als wäre ich an einen Holzklotz geraten. Wäre ich eine Bourgeois würde ich alles für Augusta fürchten.

Karl Friedrich: Lösen Sie die Verlobung, wir leben nicht mehr im Mittelalter.

Maria Pawlowna: Unsinn, dazu ist es zu spät. Vielleicht sind diese Sorgen auch unberechtigt und die üblichen, wenn ein junges Mädchen aus dem Hause geht. Ich will Ihnen sagen, worauf sich meine Ängste für die Zukunft Augustas begründen. Sie ist ein Kind dieses Weimar. Hier ist zu viel Gleichnis, zu viel Allegorie, zu viel Wert legen Sie und wir alle mehr oder minder, auf den Gedanken; die höchste Instanz ist der das irdische Missgeschick mildernde und mäßigende Geist. Ist es nicht so? Was hier möglich war - ob es das noch ist, will ich nicht beantworten -, gilt woanders nicht viel.

Karl Friedrich: Jetzt haben Sie mir auf Ihre Weise beigebracht, wie lächerlich Sie unsere pädagogische Republik der Ideen in einer Welt der Taten finden.

Maria Pawlowna: Tatsächlich? Das war nicht meine Absicht, aber vielleicht irren auch wir nur, die wir meinen, zu treiben, wo wir bloß getrieben werden. Brechen wir das Gespräch ab, es führt zu nichts, wie ich sehe.

Es ist heute kaum noch zu beurteilen, wie viel einem breiteren Publikum in Deutschland über dieses kleine thüringische Zentrum zur Zeit Karl Augusts, des Großvaters der Augusta, überhaupt bekannt gewesen ist. Noch fünfzig Jahre nach dem Tode Karl Augusts wird Goethe in den meisten Lexika zuerst als Minister aufgeführt, und an zweiter Stelle, wenn überhaupt, als Dichter. Das literarische Deutschland, zumal die Berliner Salons nach 1820, wussten natürlich Bescheid, aber das klassische Zeitalter war bereits ein für alle Mal abgeschlossen, auch wenn sein strahlendster Vertreter noch hochbetagt in Weimar lebte. Wieland, der erste in der Reihe der Weimarer, starb 1813, gerade er hatte doch eigentlich alle literarischen Moden bis zur Klassik mitbestimmt. Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts begann sich Weimar zu einem so eigentümlichen wie überragenden Zentrum der deutschen Kultur zu entwickeln. Was der heutige Besucher und Spurensucher, kommt er nach Weimar, den kleinen Häusern, an denen alles mehr als bescheiden wirkt, nicht ansieht. Gewiss auch steht der Heutige, mehr oder minder ehrfürchtig oder verstört, weil sich ihm der Genius loci nicht erschließt, vor dem Deutschen Nationaltheater, da die Deutschen gar keine Nation mehr sein wollen, nachdem sie zwei Jahrhunderte lang dafür kämpften, eine zu werden, oder er hält Andacht vor den Fürstengräbern mit den letzten Ruhestätten Goethes und Schillers, um zu bemerken, dass sich bei ihm zumindest kein Gefühl höherer Menschlichkeit regt. Erst auf dem Ettersberg stellt er die verwunderte Frage an das Schicksal, wie war das alles nur möglich? Das Interesse an Weimar ist heute rein antiquarisch. Notwendigerweise sieht der Tourist das Denkmal Herders auf dem nach ihm benanntem Platz, und muss im Baedeker nachschlagen, was Herder erfunden hat, die Dampfmaschine oder den Mikrowellenherd. Ferner würde der Wanderer in der Hofkirche die Grabstätten des Dichter Musäus, der Christiane Vulpius, verehelichte Goethe, und das erste Grab Schillers im ehemaligem Kassengewölbe entdecken können. Durchwandelt er den Friedhof, begegnete ihm ein gut Teil deutscher Geistesgrößen und anderer Größen, zu schweigen von den Denkmälern der Frau von Stein, Wildenbruchs, Eckermanns und weiß Gott, wem noch. Auf diese Weise, nämlich per Pedes, kommt er zum Stadtschloss, kurz, er durchwandelt ein ganzes Zeitalter. Den Weimarern mag der Rummel hin und wieder auf die Nerven gehen, weil es lästig ist, in einem Museum zu wohnen. Allein, Noblesse oblige, und auch eine Stadt oder Landschaft kann verpflichtenden Adel besitzen, oder ihn nicht loswerden.

In diesem Weimar wurde ich, Augusta am 30. September 1811 geboren, hätte die Prinzessin geschrieben, würde sie es der Mühe wert gehalten haben. Ich bin die Tochter eines Karl Friedrich, Großherzog von Sachsen Weimar und die Enkelin Karl Augusts. Rechnen wir die für die Erziehung einer Fürstin unbedingt notwendigen achtzehn Jahre hinzu, dann befinden wir uns unversehens im Jahr 1829, historisch keinem besonderen Jahr eigentlich, aber immerhin das Jahr ihrer Heirat mit Wilhelm I., damals noch ein Heerführer ohne Krieg, und ein General ohne Fortune, und nicht einmal Kronprinz, sondern bloß Prinz von Preußen. Infolge der Verbindung eines sächsisch-protestantischen Hofes mit dem russischen Kaisertum einerseits (und einer Verbindung zum europäischen Westen andererseits, von St.-Petersburg aus betrachtet), entstand eine eigentümliche Traditionsmischung. So legte Augusta beispielsweise in einer Art zweiten Trauung in der Berliner Oper russische Hoftracht an, um dem Zarenpaar zu schmeicheln, aber das wird zu gegebener Zeit ausführlicher erzählt werden. Der Maler Tischbein hat Karl August um 1795 gemalt; der Maler Tischbein hat überhaupt alle bedeutenden Leute seiner Epoche gemalt. Er war so etwas wie der Pressefotograf seiner Zeit. Daher wissen wir ungefähr, wie der Großherzog ausgesehen hat. Tischbein hat ihn nicht heroisch aufgefasst, hat uns also kein reitendes, schon gar kein heroisches Blech überliefert. Am ehesten könnte dieses Gesicht einem grübelnden Gelehrten angehört haben. Im Jahre 1795 zählte der Großherzog 38 Jahre. Bei Anna Amalie, seiner Mutter, müssten wir uns etwas länger aufhalten, ebenso bei seinem Vater, Ernst August Konstantin, wollen aber die genealogische Tiefenkunde nicht weiter als nötig treiben. Diese Anna Amalie, die Großmutter Augustas, hatte die Vormundschaft über Sohn Karl August inne. Von 1772 bis 1775, also bis zur Übernahme der Regentschaft durch den 18jährigen Fürsten, war Wieland sein Erzieher. Zufälliger- wie natürlicherweise gibt es von Wieland ebenfalls ein Bild aus jenen Tagen, und zwar aus dem Jahre 1775; Heinsius hat es gemalt, und es hängt oder es hing zu Halberstadt im Freundschaftstempel des Gleimhauses. Gleim, den freundlichen Alten, hielten alle jungen Dichter für ihren wahren Vater, und er tat ihnen auch nie etwas zu Leide, anders als der kritische und jüngere Goethe. Wieland wurde 1733 geboren, zu oder bei Biberach, und er war ein Predigerssohn, was sonst? Als solcher lernte er in einem Kloster zu Magdeburg einiges über den lieben Gott und ein bisschen ausländische Aufklärungsliteratur kennen, und er wurde, Nolens volens, Klopstockianer. Dieser hatte sich mit seinem Epos, dem Messias , 1748 in den Bremer Beiträgen teilweise abgedruckt, einen strahlenden Namen gemacht. Wieso die junge Generation diesen Klopstock schwärmerisch verehrte, ist eine zu verzweigte Angelegenheit, als dass wir uns hier damit befassen dürften. Eigentümlich bleibt jedoch, dass ein Werk dieses zeitgenössischen Aufsehens heute kein Mensch mehr liest oder bloß kennt. Der Schweizer Bodmer, Gelehrter, Herausgeber, Schriftsteller, feierte Klopstock sogar als den deutschen Milton, dessen Buch Das Verlorene Paradies Bodmer hoch schätzte. Von Magdeburg kam Wieland nach Erfurt und später nach Tübingen. Nun aber tat Wielands Talent das, was jedes Talent gemeinhin einmal tun muss, will es überhaupt entdeckt werden; es brach aus, und zwar in Form von allerlei Dichtung. Natur der Dinge, einen Anti-Ovid, ein Heldengedicht, Hermann , verfasste der junge Mann, auch Klopstock hatte sich um die Hermann-Figur bemüht, alles dies geschah bis 1752, also ganz beachtlich für einen jungen theologischen Gelehrten. Andererseits begann es in diesem Zeitalter von jungen Genies beängstigend zu wimmeln; jung sein war sogar eines ihrer Hauptmerkmale; das anbrechende klassische Zeitalter ließ einen seiner Hauptvertreter mit 17 Jahren ein Drama verfassen. Wer von Schiller gar nichts mehr weiß, von diesem Werk hat er zumindest gerüchteweise gehört. Wieland geriet auf Umwegen in die Arme Bodmers, wie sie alle irgendwann einmal mit Bodmer in Berührung kamen. Wie wir sehen, wandelte Wieland durchaus weiter auf Klopstocks Spuren, denn auch der hatte bei seinem Siegeszug in Zürich den Flug unterbrochen, sich aber mit dem gelehrten, aber pädagogisch beschränkten Mann, der alle nach seinem Bilde formen wollte, dauerhaft nicht verstanden, und war nach Norden weitergezogen. Dem Rat des Sprach- und Kulturerzieher der Deutschsprachigen, auf den wenig später alle mit Fingern zeigten, als einen Pedanten und Mucker, nicht ganz zu Recht, folgte Wieland gerne und ziemlich geschmeidig; er verfasste eine Menge anhimmelnde Dichtkunst auf Bodmer, kämpfte scharfsinnig, ohne sich ganz zu binden, an seiner Seite gegen diesen verfluchten Gottsched, dem die Jungen alle Krätze der Welt an den Hals wünschten, und verließ schließlich Bodmer in Eile, ganz wie Klopstock, um als Hofmeister und Hauslehrer in Züricher Bürgerfamilien Söhnen und Töchtern Bildung und höhere Lebensart zu vermitteln.

Wieland war ausnehmend produktiv; die deutsche Literatur verdankt ihm auch das erste Drama in Blankversen und einiges mehr, heute alles vergessen und Makulatur, bedenkt man, dass eine Gesamtausgabe von Wielands Werken beiläufig mehrere Dutzend Bände ergeben müsste. In Bern, wo Wieland Hauslehrer war, lernte er Julie von Bondeli kennen und verlobte sich mit ihr, 1760 wird er auf einmal Senator in seiner Vaterstadt und ist als ein Kanzleiverwalter ein gemachter Mann. Ab jetzt entwickelt sich Wieland zu dem Wieland, obschon niemand sagen kann, wie der wirkliche Wieland ausgesehen und was er angestrebt hat. Auf Schloss Warthausen, im Kreise des ehemaligen Kurmainzischen Ministers Friedrich von Stadion und eines Ehepaares La Roche, fällt Wieland dem leichtfertigen französischen Rokoko zu, seine Dichtung wird leicht und bisweilen schlüpfrig, so wie das Zeitalter. Anakreon, der 500 Jahre vor Anbeginn des Christentums lebte, ein Lyriker, der Wein und Liebe besang, geisterte noch überall herum. Seine Nach- und Anbeter erweiterten das Dasein regierender Fürsten und Hofschranzen ins Bukolische; man zog nur allzu gern das prunkvolle Staatskleid aus, und den Rock des Schäfers oder der Schäferin an, und pflegte freudig und ausgelassen das Ländliche in Neckerei und Schäferei. Dieses Rokokopaar, Schäferin und Schäfer, ist heute in Gestalt von kostbarem Meißner Porzellan gegenwärtig.

Eines muss der Neid dem Wieland indessen lassen; er war erstaunlich anpassungsfähig. Aus jeder seiner veränderten Lebenssituationen holte er das Äußerste an Erfolg und an Genuss. Wieland beugte sich immer stärker dem Zeitgeschmack, und beherrschte das Handwerk des Schreibens immer besser, er sitzt in allen Sätteln gerecht, schafft nach, dichtet um, lässt sich anregen. Sein Bildungsroman: Geschichte des Agathon, ein auf zwei Bände angewachsenes Buch, verschaffte ihm neues Ansehen. Er heiratete gelegentlich und wurde 1769 Professor der Philosophie in Erfurt, rückt also unserem Weimar geografisch ein Stück näher. Hier reicht der Platz nicht, um in aufzuzählen, was der Wieland noch alles schrieb, aufschrieb, abschrieb und übersetzte, tatsächlich ein imponierende Menge, bis die Herzogin Anna Amalie auf diesen genial Schreibfleißigen aufmerksam wurde, und ihn als Erzieher für ihre beiden Söhne, darunter den Karl August, nach Weimar holte. Er blieb nur drei Jahre in diesem Amt, und es ist bloß zu vermuten, dass der Professor, ein Philologe, Alt- und Neusprachler, von ungewöhnlichen Kenntnissen, einen recht guten Pädagogen abgegeben hat. Wir dürfen diesen Schluss umso sicherer ziehen, als wir wissen, dass Wieland ein Mann war, der mit Leichtigkeit alles Neue in seine Welt einzufügen verstand, durchaus auch kritisch. Charakterlich dürfte er schwach und nachgiebig, nicht aber intrigant oder hämisch gewesen sein, und er hätte doch manch einem der jungen Genies, die ihn verlästerten, in die Suppe spucken können. Als er sich von den jungen Deutschen, die immer klassischer wurden, wegen seiner Antikenrezeption rüffeln lassen musste, wehrte er sich öffentlich nicht, nicht einmal in seinem eigenen Blatt. Immerhin reichen wir zu unserem Kurz-Baedeker weiter oben nach, dass auch Wielands Denkmal, von Gasser gemacht, 1863 in Weimar aufgestellt wurde. In fortgeschrittenem Alter befasste sich Wieland mit der Herausgabe seines ungeheuer großen eigenen Werkes, sowie mit der Übersetzung Ciceros. Wie kommt es, dass aus der räumlichen Enge deutscher Duodezstaaten heraus, so viele Schulmeister Bleibendes aus der Antike übersetzt haben, wozu ein fundiertes Sprachwissen gehörte? Die Antwort darauf könnte simpler sein, als sich die Schulweisheit träumen lässt; sie hatten einfach Zeit genug, und brachten ihrem Gegenstand eine natürliche Begeisterung entgegen, die sie auf Reisen nicht befriedigen konnten. Sehnsucht hat sie alle getrieben, nach Schönheit, nach Kunstmaß und bloß nach fernen Ländern.

Dass sich in den engen Grenzen dessen, was damals Deutschland hieß, derartig hohe Leistungen entwickeln konnten, mag noch andere Ursachen gehabt haben. Ab Mitte des achtzehnten Jahrhunderts beginnt im übrigen Europa der Kapitalismus, der sprunghafte Übergang von der Manufakturwirtschaft zu industrieller Produktion. Dieses neue Zeitalter bündelt alle geistigen Kräfte auf die Naturwissenschaften, der Ingenieur ist gefragt, nicht der Philologe. Der junge draufgängerische Kapitalismus erfindet, was wir heute Nationalökonomie nennen; das tat er nur nicht in Deutschland. Dieser neue Typus erzeugte technische Visionen, wollte die Welt verändern. Der Übergang von der einen auf die neue Produktionsweise zog eine Revolution nicht nur in den Volkswirtschaften nach sich; während sich anderswo die Leute mit der Erfindung von Dampfmaschinen beschäftigten, und Homer in ihrem realistischen bis brutalen Weltbild keinen Platz mehr hatte, befassten sich die Deutschen mit der physikalischen Unmöglichkeit eines Daseinsbeweises Gottes. Damit wird man Ehrenbürger im revolutionären Konvent. Zurück zu Karl August.

Das Jahr 1775 brachte eine andere Veränderung in das Dasein des jungen Herzogs, nicht bloß die Regentschaft; er heiratete am 3. Oktober Luise von Hessen-Darmstadt, womit der geschichtskundige Leser weiß, dass sich der Kreis, einmal geöffnet, mit einer Reihe anderer Allianzen schließen wird. Also, Karl August ist mit 18 Jahren ein verheirateter und regierender Großherzog, seine Erziehung ist abgeschlossen. Wir stecken nicht mehr tief im Rokoko, der Denk- und Lebensweise des Zeitalters Wielands, einem Gemisch von religiöser Skepsis, Aufklärung und diesseitiger Genussfreude. Der 18jährige Herrscher hat sich in Friedrich II. ein Vorbild erkoren. Preußens König steht auf der Höhe seines Erfolges; der Sieger in den Schlesischen Kriegen, entwickelt seinen Staat ökonomisch und politisch soweit es unter den gegebenen Umständen möglich. Unter Verwandten, Freunden und Feinden ist er als Philosoph bekannt, korrespondiert mit den berühmten Gelehrten seiner Zeit. Da uns einige Namen aus dieser Periode und dem Weimarer Kreis noch eine Weile begleiten werden, bis 1829, der Heirat Augustas, wird es angebracht sein, sie im Zusammenhang mit der Erziehung der Prinzessin aufzuzählen.

Da ist vor allem Karl Ludwig von Knebel zu nennen. Offizier, Hofmeister des Prinzen Konstantin, den er auf einer Europareise begleitete, wobei das Paar den jungen Goethe in Frankfurt aufsuchte. Das war eine folgenreiche Begegnung, denn über Knebel kam die Berufung des Verfassers der Leiden des jungen Werther, seit 1774 in den Buchläden, mit einigen Umwegen nach Weimar zustande. Knebel ist zeitlebens ein Bewunderer Goethes geblieben; er förderte die Verbindung zwischen dem Dichter und dem etwas jüngeren Karl August, ließ sich zuletzt, mit einer Apanage verabschiedet, in Jena nieder und dichtete für den Rest seines Lebens allerlei, so wie sie alle heute Vergessenes dichteten.

Als Augusta zur Welt kam, hatte Goethe allerdings den Höhepunkt seiner politischen Karriere erreicht oder sogar schon überschritten. In den Adelsstand ließ er sich 1782 erheben und übernahm die Präsidialschaft über die Finanzkammer, also einem wichtigen Ressort des damaligen Duodezstaates.

Hält man sich vergleichend vor Augen, wer zu Weimar den Ton angab und was dort unter Kultur und Literatur verstanden wurde, bedenkt man das Klima, in das die junge Augusta verpflanzt werden soll, so können die Verhältnisse nicht widersprüchlicher gedacht werden. Und Augusta wird sicherlich von Goethe, den sie gut kannte, mehr als einmal ein abfälliges Urteil über das Berliner Hundezeug gehört haben. Daran hatte sich zwar zur Zeit ihrer Eheschließung manches geändert, aber Sitz der Häupter der Romantischen Schule war nun einmal vorwiegend Berlin, und das offizielle Berlin hatte Schiller und Jean Paul die Anerkennung versagt. Es blickte möglicherweise mit einem tiefen Misstrauen, zumindest aber ohne Verständnis für das Klassische nach Weimar und seinem liberalen Kulturhof. Dieser Riss ging tiefer und lag länger zurück; er reichte bis in die Zeit lebhafter Aufklärerei zurück und datiert nicht erst seit der Romantik, die wiederum von den Weimarern verdammt wurde. Der Fall lag folgendermaßen:

Der Berliner Buchhändler Nicolai brachte 1774 einen Anti-Werther heraus, Freuden des jungen Werthers. Leiden und Freuden Werthers des Mannes. Vorne und zuletzt ein Gespräch. Berlin, bey Friedrich Nicolai 1775. So unglücklich der bandwurmlange Titel, so albern fiel das ganze Projekt aus. Heine beschreibt diesen Unsinn: Freund Nicolai hat nun wirklich einen veränderten Werther herausgegeben. Nach dieser Version hat sich der Held nicht totgeschossen, sondern nur mit Hühnerblut besudelt; denn statt Blei war die Pistole nur mit letzterem geladen. Werther wird lächerlich, bleibt leben, heiratet Charlotte, kurz endet noch tragischer als im Goethe’schen Original.

Auch Lessing, damals die unumstrittene moralische wie literarische Autorität, hatte seinerzeit Zweifel ob der vorgeschlagenen Lösung gehabt, sich aber gehütet, öffentlich darüber negativ zu urteilen. Alle gescheiten Leute schwiegen vorerst, betroffen von dem Realproblem eines Selbstmordes aus Liebeskummer. Konnte ein Buch eine solche Wirkung in der Öffentlichkeit auslösen, musste mehr dahinter stecken. Nickel, wie der Berliner Buchhändler scherzweise hieß, nutzte die Ratlosigkeit, drehte den Spieß in seinem Anti-Werther um, und lässt Albert auf Charlotte verzichten. Leider zeigt es sich, dass Werther zur Ehe untauglich ist. Das ersehnte Glück wird im Alltag zu einer Kette von Misshelligkeiten. Albert-Nickel greift ein und söhnt die beiden nach den Vorstellungen des Berliner Philisters miteinander aus. Das Buch war eine Infamie und eine handfeste Denunziation dazu. Da es nie wieder erscheinen dürfte, seien deshalb einige Passagen hergesetzt.

Gespräch. Personen. Ein Jüngling. Martin. Ein Mann. >s, der Henker hol’n Buch, die Leiden des jungen Werthers, sagte Hannes, ‘s dringt dir durch Mark und Bein, jede Ader schwillt dir, und ‘s Gehirn funkelt dir, dass du gleich aufmöchtest. - Ja, freilich,’s so ein Buch, sagte Martin, wer’s geschrieben hat, kann sich ruhig auf’s Haupt legen, und fürchte nicht, dass über hundert Jahr’n belesener Tölpel davon schwatzet. ‘s ist euch ein rar Buch, ihr Leute, seit neunundzwanzig Jahren, hat kein Mensch davon was gehört und gesehen.<

Nicolai benutzt hier die Sprache der Kraftgenies, des Sturm und Drang. Apokopierungen, fehlende Artikel und Pronomina verwandelten die deutsche Schriftsprache in einen abscheulichen Sud. Es geht weiter. >Martin: So? hast niemanden spitze Reden gegeben, wenn dir der Kopf warm war? Hatt’ Werther nicht auch ‘n Kopf? Und gab’s ihm’s schwarze Blut nicht gar ein, dass er Alberten ermorden wollte und Lotte dazu? Darf Werther alles und Albert nichts?, das wollt Werther selbst nicht. Ne, Hanns! Dein Held mag Werther sein, mein Held ist der Autor. Hannes: Da sieht man’s, bist ‘n alter, kalter weiser Kerl, der mit Werthern und mit seinen Leiden nicht sympathisieren kann. Liebst nit ‘n jungen braven Buben, voll Feu’r und Leben, und willst ‘s steifen, trockenen Aktenkrämer leben, wie Albert.<

Was nun folgt, ist eine Glanzleistung an Philiströsität; Martin Nickel Nicolai liefert sie. >Euch Kerlchen ist nichts recht, all’s wißt ihr besser, was der Welt nützt mögt ihr nicht lernen, denn ‘s wäre Brotwissenschaft, eingeführter guter Ordnung wollt ihr euch nicht fügen, denn ‘s wäre Einschränkung, was andere thun, mögt ihr nicht, wollt Originale sein, wollt es anders haben...< Der selbstzufriedene Aufklärer und Neologist Friedrich Nicolai kann die Lage der Jugend nicht durchschauen, geschweige denn verstehen. Und der gerissene Buchhändler-Goi weiß in diesem Falle alle Spießer auf seiner Seite. Es war vielleicht notwendig, den Werther zu rezensieren, bloß nicht von der Position dieses Mitläufers, dieses Opportunisten aus. Nach dem Vorschlag Nickels gibt Albert Lotte frei, wie oben schon angedeutet; die Beziehung wird kritisch, Werther will sein Leben schließen.

>Werther<, heißt es in dem Sudelbuch Nickel weiter, >erhielt die Pistolen, setzte seine vor den Kopf und drückte los, fiel zurück auf den Boden. Die Nachbarn liefen zu, und weil man noch Leben in ihm verspürte, ward er auf sein Bett gelegt. Indessen wurden Werthers zwei letzte Briefe an Lotten und der Brief an Alberten den letzteren gebracht und zugleich erscholl die Nachricht von Werthers trauriger That. Albert ließ dieselbe vor Lotte verbergen, las sämtliche Briefe, und ging ungesäumt nach Werthers Wohnung. Er fand ihn auf dem Bette liegend, das Gesicht und das Kleid mit Blut bedeckt. Er hatte eine Art von Konvulsion gehabt, nun lag er ruhig mit stillem Röcheln. Die Umstehenden traten weg und ließen beide allein. Werther hob die Hand ein wenig empor und bot sie Alberten. Nun triumphiere, sagte er, ich bin aus dem Wege! Ich komme nicht zu triumphieren, sprach Albert ruhig, sondern dich zu bedauern, und wenn’s möglich, dich zu trösten. Aber du bist rasch gewesen, Werther - Werther stieß für einen Hartverwundeten beinahe mit zu heftiger Stimme, viel unzusammenhängendes, garstiges Gewäsch aus, zum Lobe des süßen Gefühls der Freiheit diesen Kerker zu verlassen wenn man will.... Albert: Guter Werther, bist’n Thor! Wenn doch kalte Abstraktion nicht klüger wäre, als versengende Einbildung - Da laß dir’s Blut abwischen. Sah ich nicht, dass du’n Querkopf warst, und würd’st deinen bösen Willen haben wollen. Da lud ich dir die Pistolen mit ‘ner Blase voll Blut, ‘von ‘em Huhn, das heute Abend mit Lotte verzehren sollt.

Nach dieser mühsamen Klitterei folgt ein Kapitel der Leiden Werthers und Nicolai-Albert erscheint, um der Ehe die höhere Weihe der Langeweile zu verleihen, in welchem Stande Mann und Frau allein selig werden könnten.

>Albert, nur wieder fein mit dem Kopf durch die Wand, Werther! Als wenn’s nicht von dir selbst käme! Bist ‘n Thor Werther, und hast die arme Lotte auch bethört. Ich habe sie gekannt, ein gutes Landmädchen, lustig, fromm, konnte kleine Spiele spielen, konnte frohen Mutes tanzen, aber auch Kindern Brot schneiden, liebte herzlich häusliches Leben, ob’s gleich wüßte, dass’s kein Paradies, aber doch eine Quelle unsäglicher Glückseligkeit ist. Da liebt’ ich ‘s Mädchen, und wollt sie haben, denn solche Braut brauch ich. Darauf kamst du und stimmtest die Weise viel Töne höher: Da sollt’s lauter inniges Empfindungen sein, lauter starke Anspannen, keine Einschränkung, keine Überlegung, wir hielten’s Herzchen wie ein krankes Kind, gestatteten ihm all seinen Willen, lebten immer in der Zukunft, wo ein großes dämmerndes Ganzes vor unserer Seele ruhte, wo wir unser ganzes Wesen hingeben mochten, uns mit der Wonne eines einzigen großen herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen. Dies verschluckte das weibliche zärtliche Geschöpf begierig, und hielt sich am glücklichsten, wenn’s in freundlichen Wahne so hintaumeln konnte.<

Der Denunziant versteht sein bösartiges Geschäft nur allzu gut; denn genau das forderte die junge Generation, die Zukunft, und der wohlfeile Ersatz, den er an Stelle eines ausgefüllten starken Lebens, das die Anstrengung lohnt, zu bieten hat, ist die faule und feige Unterwerfung unter den Zwang des feudalen Staates.

>Hm, sagte Hannes, hol mich der Henker, ‘s hätte auch so kommen können. Ei, freilich wohl, sprach Martin, auch noch auf hunderterlei andere Art. Erschießt man sich aber einmal im Ernst, weg sind sie. Hannes: Hast recht, ich schieß mich nicht

Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I.

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