Читать книгу Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I. - Helmut H. Schulz - Страница 8

BERLINER SALONS, ÄSTHETISCHE TEES

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Es wird nunmehr Zeit, die Nutzanwendung aus den ersten Kapiteln um die Verhältnisse der Residenz Weimar zu ziehen und mit Berlin, dem Berliner Hofleben der ersten Ehejahre Augustas zu vergleichen. Auch Prinzessinnen haben so etwas wie einen Alltag. Goethe hatte geschrieben: mag es ihr wohl ergehen in dem ungeheuer weiten und bewegten Element, nämlich der jungen Augusta in dem weiten und bewegten Berlin. Wir nehmen mal an, der Dichterfürst hat diese Stadt gemeint, von der er selbst gar nichts hielt. Das junge Paar bezog eine erste Wohnung in Potsdam, und zwar im so genanten Kavaliershaus bei Sanssouci. Hält man sich die Architektur Potsdams wie deren Zweck vor Augen, Wohnstadt für Militärs, Beamte und Dienstleute zu sein, bedenkt man die daraus hergeleitete gesellschaftliche Struktur Potsdams, die abgeschotteten Salons der Offiziersgattinnen, die Kränzchen der Probst- und Predigerswitwen, die Unterhaltungen sitzen gebliebener Pfaffentöchter, die Masse subalterner Beamtenschaft, dann wird deutlich, was die junge Frau mit dem Wort Verdutztheit ausdrückt, mit dem sie ihre Lage beschrieb. Sie war nicht die erste, die, nach Preußen verpflanzt, verzweifelte, und von einer unbestimmten Angst geschüttelt wurde, für die das Wort Verdutztheit eher eine Verkleinerung ist. Vor der Kälte des Hofes und ihrer neuen Verwandten, dieser Atmosphäre ständigen Misstrauens, der Intrige und des gegenseitigen Belauerns brach der Mut der jungen Augusta, sich in diesem Berlin auf eigene Füße zu stellen, in die Knie. Hatte ihr Gatte einst zu viel süßliches Gefühl an eine Liebe verschwendet, die er vielleicht gar nicht real genießen wollte, so kehrte er jetzt den Mann der Pflichterfüllung heraus. In diesem Kodex war selbst die Ehe so etwas wie eine Frage der Räson, wie der Dienst, - sollten einem Prinzen die Freuden nicht vergönnt sein, die jeder Stalljunge besitzt? -, besaß er nur ein wenig menschliche Qualitäten, war er zur Liebe und zum Hass wie zum Genuss fähig. Wie der Prinzessin von Preußen, Augusta, so war es auch Luise ergangen, ihrer Schwiegermutter, als diese nach Berlin gekommen war. Auch sie war in den ersten Jahren der Ehe beinahe an diesem Hof zerbrochen, hätte sie nicht den besonnenen Gatten an der Seite gehabt, der sie übrigens auch wirklich liebte, was alles ein wenig leichter machen kann, leider aber auch im Falle Luises nicht machte. Wilhelm hatte seine Arbeit, er war Soldat, nahm allen Dienst ernst, oder mag ihn zumindest in dieser Zeit ernster als nötig genommen haben, um auf den Unterschied zwischen einem nutzlosen Kulturhof und einem Hof heroischen Soldatencharakters hinzuweisen. Und dieser Hof hatte draußen, neben seinem Ruf unendlicher Kälte, grenzenloser Missgunst und beispielloser Intrigenwirtschaft, noch den einer aus dem Rahmen fallenden Liederlichkeit. Der jungen Ehefrau wurde sorglich zugeraten, mit wem ihr Gatte es gerade hatte, in der Regel mit einer Ballettratte, einer Schauspielerin, und sie musste es noch als Ritterlichkeit dankbar hinnehmen, dass Wilhelm seinen Ehebruch ihr gegenüber geheim hielt. Er setzte das Leben eines Gardeoffiziers fort, als sei er noch ledig und los, und es ist schwer zu verstehen, weshalb er über sein schweres Schicksal Beschwerde führte, da er doch ganz gut zu leben verstand. Noch komischer ist, was er seiner Schwester über seine moralischen Vorstellung schrieb. Nichts Schrecklicheres denke ich mir, als gegenseitig aneinander gefesselt zu sein, ohne Achtung vielleicht sogar, oder auch ohne Freundschaft, denn an Liebe denke ich doch nicht mehr, wenigstens nicht an eine solche, wie ich sie kannte. Wer hier leben und existieren, und nicht absterben wollte, der musste sich eine eigene Welt schaffen, der musste allerdings auch gewärtig sein, von Hofdamen, Lakaien und Diplomaten auf Schritt und Tritt belauert und durchgehechelt zu werden. Diesem Klima war nicht leicht zu entkommen. Selbst Heilige fürchten das Gerücht, hatte ein berühmter Kirchenfürst einmal weise gesagt, als seine makellose Lebensweise gerühmt worden war; um wie viel mehr musste eine Fremde, eine blutjunge Frau und ein unbeschriebenes Blatt die Nachrede fürchten, auch dann, und dann vor allem, wenn sie auf eine saubere eheliche Lebensführung achtete, und nicht nur wie ihr Gemahl, auf eine saubere eheliche Geschäftsführung.

Eigentlich hätte ihr ihre Umgebung Verständnis geschuldet. Allein, Augusta machte es auch Wohlmeinenden nicht leicht, sich ihr zu nähern. Sie wollte vor allem nichts falsch machen, nicht auffallen. Heimweh plagte sie verständlicherweise, heftiges Heimweg nach Weimar und nach dem so herben wie lieblichen Thüringen, nach der Begrenztheit und Überschaubarkeit des Daseins. Sie war von Klassikern erzogen worden, mit einem Bild vom Menschen, in Naturrechten gleich geboren, wenn schon nicht in der Realität, so doch als Weg und als pädagogisches Ziel. In diesem System sollten auch Fürsten gute Gründe für Existenz finden. Am Preußenhof galt der Einzelne nichts, sondern nur die Kategorie, Kaste, Militär, Beamter, Kammerherr, Lakai, und so fort. Wilhelm, ihr Mann, sah sich als Soldat; er war es wirklich und nicht nur von Berufs- und Standes wegen, sondern aus Berufung. Sein ganzes Leben hing fest mit allem Militärischen zusammen. Selbst als kommandierender General tat er wirklichen Dienst, wie es einem General zukam. Seiner Frau blieb der Spielraum ihres Salons. Sie hatte später erst täglich Teestunde mit interessanten Leuten; in der ersten Zeit ihrer Ehe sammelte sie noch, wie jeder Salon, angelte aber nicht nach großen Geistern. Das wäre ihr auch verwehrt gewesen. Wilhelm stieß unregelmäßig zu den Gesellschaften seiner Frau, ließ sich Tee geben, hörte den Reden und Gegenreden zu, ohne sich selbst an den Gesprächsgegenständen zu beteiligen, von denen er glaubte, nicht davon zu verstehen, um mitreden zu dürfen. Nicht so seine junge Frau. Augusta war an dieses offene, ungeschäftsmäßige Gesellschaftsklima gewöhnt, und sie dachte nicht im Traum daran, eine Meinung deshalb zu unterdrücken, weil diese falsch sein könnte, und einer Korrektur durch besser Unterrichtete bedurfte. Ja, aus diesem Grunde - unter anderem - wurden doch Salons geführt. Ihrer Art nach griff sie lebhaft ins Gespräch ein, widersprach einem Professor Curtius auf seinem Gebiet antiker Grabungen, ließ ihr Urteil dankbar richtig stellen, fiel einem Flügeladjutanten ins Wort und gefiel sich als anregender Mittelpunkt ihres eigentlich noch bescheidenen Kreises. Noch fiel hier kein politisches Wort; man war nur sozusagen angeboren liberal. Dieser Umgang war dem Ehegatten ein Gräuel. Er saß wie auf Kohlen, wollte und konnte gar nichts tun, als diese Leute aus dem Hause zu jagen, falls er einen Skandal in Kauf zu nehmen bereit war.

Die Geschichtsschreibung hat Wilhelm gelegentlich den letzten Preußen genannt, da Preußens Könige seit dem Soldatenkönig so etwas wie Heerkönige sein wollten und gewesen sind, mehr oder minder, aber die europäische Welt und selbst die preußische hatte sich geändert. Auch eingeborene Preußen waren seit den Napoleonischen Kriegen nicht mehr nur Untertanen, Hintersassen, Abhängige. Augusta mag es kaum für erstaunlich, ihren Erfahrungen widersprechend, empfunden haben, dass sich alle Leute in ihrer neuen Umgebung nach den Zeiten Friedrichs des Großen zurücksehnten, da solches Modelldenken durchaus ihren eingelernten Übungen entsprach. Anscheinend gedachten diese Preußen die feudale Monarchie zu erhalten, und zugleich etwas anderes an deren Stelle zu setzen. Sie waren vielleicht ein wenig ratlos diesem Widerspruch gegenüber geworden, eine konstitutionelle Monarchie zu wünschen und andererseits den autarken Staat des vergangenen Jahrhunderts zu konservieren. Auch fand sie im Brandenburger einen ganz anderen Menschenschlag, als den lebhaften, offenen Thüringer. Mitunter verstand sie nicht einmal, was der gewöhnlichste ihrer Untertanen überhaupt wollte. Sie erschienen ihr verschlagen und mürrisch, und sie gedachte einer vielleicht öfter gehörten Bemerkung ihres großen Erziehers, des alten Geheimrates, dass ein gar raues Volk an der Spree lebe.

Wilhelm verstand etwas vom Soldatentum; er dachte und fühlte ganz in den Ehrbegriffen des Offizierskorps. Nichts aber verstand er von der Kultur, wie man sie anderswo als in Preußen pflegte. Selbstredend aber hatte die Klassik als Lebensgefühl alles Lebendige in Deutschland durchdrungen und untilgbare Spuren hinterlassen. Als Künstlerin musste Augusta von dem klaren Baustil Preußens begeistert sein, der den Menschen hier entsprach. Die gerade Straßenführung, die am Zeichentisch erdachten Stadtviertel, die Villen Schadows und die Parks von Lenné, damit konnte sich Preußen überall sehen lassen. Nein, ihr Gatte war kein Banause, er kannte und liebte das Theater, die Musik, er war selbst in seiner Jugend an Liebhaberaufführungen beteiligt gewesen, soweit sie einem Prinzen erlaubt sind. Es fehlte ihm nicht an Verständnis für die modernen Wissenschaften, dem neueren Ingenieurwesen, ohne das ja übrigens keine Armee inzwischen mehr auskam. Klassisch war in Berlin wie in den preußischen Provinzen alles; Preußen konnte auf einen Humboldt, einen Kant verweisen. Die Oper Unter den Linden, das alte neue Schauspielhaus, die Preußische Akademie und die Singakademie trugen den Ruf Berlins als Kunststadt weit hinaus, wenngleich es verglichen mit Paris, London oder Wien immer noch bloß ein Nest genannt werden musste. Aus der Enge seiner Verhältnisse heraus hatte Preußen sich und damit anderen den Weg der Neuerweckung klassischer Vorbilder bereitet, philologische Leistungen und historische Forschung gefördert, zu schweigen vom aufblühenden literarischen Leben Berlins der nachfrederizianischen Zeit.

Augusta war mit der klassischen deutschen Antikenrezeption aufgewachsen; sie hatte den Geist des Hellenismus mit Goethes Augen sehen gelernt. Mit wem aber hätte sie hier reden können, beispielsweise über die merkwürdige Beobachtung, dass die Franzosen der Antike anderes entnommen hatten, als die Deutschen. Die Bürgertugenden Robespierres wurzelten eher in der römischen Staats- und Stadtgeschichte als im kulturellen Hellenismus. Was hier Theorie, Geist, das war dort Aufruhr geworden, ins Gesellschaftliche umgeschlagen. Nun ja, Hirngespinste, über die sie sich mit einem Humboldt hätte austauschen können; seltsam, wie wenig im Grunde seit dem Jahre 1815 verändert worden war.

Diese Teegesellschaften nun endeten meist mit einer Verstimmung zwischen den Gatten. Zuerst verstand die Prinzessin wohl nicht einmal, was Wilhelm gegen ihre Soireen einzuwenden hatte. Nun, ein besonderes Vergnügen war es offenbar nicht, Prinzessin von Preußen an der Seite dieses Generals zu sein. Und schließlich hielt sie doch alles in den engen Grenzen, die ihr gezogen waren, und die sie respektierte. Aber Augusta hört auch genug vom modernen literarischen Treiben Berlins, ohne daran teilhaben zu dürfen. Bis in die Jahre des Biedermeiers schossen die Salons aus dem Boden. Und übrigens war es auch um den Olympier zu Weimar einsam geworden, wie es der Zeitengang mit sich brachte. Schiller, Herder, Merk, Knebel, die Freunde waren dahingegangen, das Krisenjahr 1805 hatte den bitteren Verlust Schillers gebracht; 1817 die für Goethe kränkende Entfernung aus dem Theater Weimars. Diese Jahre bezeichnen seinen Rückzug aus Ämtern und dem offiziellen Leben der Stadt. Auch hatte der große Heide, wie Goethe nicht nur von seinen Gegnern bei Gelegenheit spöttisch apostrophiert wurde, in dem zurückliegenden Jahrzehnt nicht die glücklichste Hand bei der Behandlung der Jungen gehabt, etwa eines Fichtes, er verstand die dichtende Jugend immer weniger.

Die Fichteaffäre hatte im Grunde wieder in Berlin, bei dem alten Hundezeug, ihre Wurzel. An den schier unsterblich scheinende Nicolai erinnerten sich alle nur zu gut, die Curtius und die Humboldts, allein diese Affären boten nur noch Stoff zur Heiterkeit. >Richtig, das geschah vor Ihrer Zeit, königliche Hoheit. Es ist wirklich schade, die bürgerlichen Salons haben Preußen ja eigentlich kulturell zu dem gemacht, was es heute ist, mehr oder weniger. < Beiläufig hatte Nicolai einst eigenhändig eine Schrift gegen Kant verfasst, da ihm allmählich die Autoren davonliefen. Er gab ihr einen seiner ellenlangen geschraubten Titel: Neun Gespräche zwischen Christian Wolff und einem Kantianer über Kants metaphysische Anfangsgründe, der Rechtslehre und der Tugendlehre. Der Buchhändler hatte sich also nicht mehr und nicht weniger vorgenommen, als über den Stand der gesamten spekulativen Philosophie, über Rechtsphilosophie und Ethik auf einigen Seiten abschließend zu urteilen. Das Werk ging 1798 in die lesende bildungshungrige Welt, fand aber natürlich kein Echo. Die etwas von der Kant’schen Philosophie verstanden, hielten es für überflüssig, öffentlich auf den Blödsinn Nicolais zu antworten; und die nichts davon verstanden, lasen Nicolais Buch nicht. Dieser Misserfolg forderte den Buchhändler zu einem Nachschlag heraus. Über meine gelehrte Bildung, über meine Kenntnis der kritischen Philosophie und meine Schriften dieselbe betreffend, und über die Herren Kant, J.B. Erhard, Fichte. Von Friedrich Nicolai. Eine Beilage zu den neun Gesprächen zwischen Christian Wolff und einem Kantianer. Unter diesem größenwahnsinnigen Titel wurde das Buch 1799, also ein Jahr später, auf den Buchmarkt gebracht. Dass ein Eleve vor dem Lehrer bestrebt sein muss, Schulwissen nachzuweisen, leuchtet ein, nicht aber dass ein Buchhändler auf eine Bildung pocht, die er nicht haben konnte und nicht zu haben brauchte. Er sollte Bücher verkaufen, nicht sie beurteilen; wissenschaftliche Kritik gehört nicht zu seinen Aufgaben. Unser Stichwort ist jedoch in diesem Titel verborgen; es heißt Fichte, dessen Aufnahme in die Preußische Akademie der gerissene Nicolai infamer Weise auch hintertrieben hatte. Über den Erwerb seiner Bildung sagt Nicolai in seinem Werk allerdings gar nichts, das konnte er auch nicht, da er Philosophie nie systematisch studiert hat, sondern sich nur von Freunden über deren Studien hatte unterrichten lassen. Was er für völlig ausreichend hielt, um auf alle komplizierten Fragen eine simple Antwort parat zu haben. Die Gegenschrift Fichtes erschien 1805, sechs Jahre vor dem Tod des Buchhändlers, sein tragikomisches literarisches Ende vorwegnehmend. Und es wurde auch Zeit, mit dem Hundezeug endlich ein für alle Mal aufzuräumen. Dazu war Fichte der rechte Mann, nämlich furchtlos in den dunkelsten Löchern zu krebsen. Der Donnerkeil des ergrimmten Professors traf den Nickel vernichtend. Fichtes Traktat trug den Titel: Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen, bildete also den Stil des Bücherverschacherers getreu nach. Leider ist es uns hier versagt, auf den Inhalt des Fichteschen Buches näher einzugehen. Nützlich wäre es freilich, weil die Verknüpfung von Ignoranz und Denunziantentum gleichsam ewig ist. Mit Fichtes Philosophie hatten nebenbei gesagt, auch klügere Leute ihre Schwierigkeiten, aber sie hielten doch lieber den Mund. Ausgenommen Heine, der den hilf- und heillosen Versuch unternahm, dem Normalmenschen das Fichtesche Denksystem darzulegen. Er scheiterte an dieser Aufgabe, stellt eben nur fest, was Fichte sagt, das allgemeine Weltdenken denkt in mir. Lassen wir es damit genug sein.

In Berlin lag das literarisch-kulturelle Leben bei den bürgerlichen Zirkeln, den Salons. Nicht das Berliner Schloss, nicht die Palais des Hochadels zogen mehr die bedeutendsten Leute an, sondern die Salons des sich mehrenden Geldadels. Und selbst wenn es der Hof gewollt hätte, wäre den Bürgerlichen, mochten sie sein, wer oder was sie wollten, der Zutritt zu den Adelsgesellschaft verwehrt gewesen. Nicht aber umgekehrt. Die königlichen Neffen und Enkel besuchten mittlerweile unbekümmert die Salons jüdischer Bankiers, wo sie die Gewissheit hatten, besser unterhalten zu werden, als zu Hause, und wo sie ungezwungen die Leute treffen konnten, die interessant waren, Abenteurer des Geistes und der Feder, Weltenbummler und Reisende. Nicht dass letztere Gruppe vom Hof gänzlich ausgeschlossen war, aber es bedurfte von beiden Seiten vorbereitender Umständlichkeit, wollten sich Bürger und Hochadel überhaupt auf gesellschaftlichem Parkett begegnen. Nach Ende der Befreiungskriege schlossen sich die gesellschaftlichen Schichten eher noch mehr ab. An eine massenhafte Nobilitierung der Berliner Handels- und Commerzienräte, der Geheimen und wirklichen Geheimräte war überhaupt nicht zu denken. Die erstarrten Verhältnisse lockerten sich nicht einmal unter den späteren Kaisern. Wilhelm II. pflegte die Gesellschaften des Eisenbahnkönigs Strousberg in dessen Palais in der Wilhelmstraße gern aufzusuchen, weil er dort neben einem ungeheuren Luxus, neben den modernsten technischen Einrichtungen wie Gasbeleuchtung und Haushaltselektrizität, neben Kunstausstellungen und musikalischen Darbietungen, die international berühmtesten Leute sehen und sprechen konnte. Aber der schwerreiche, findige und hochgebildete jüdische Geldfürst hätte an keiner Hofgesellschaft in einem der kaiserlichen Schlösser teilnehmen dürfen, ausgenommen den offiziösen Feiern, den Ordensverleihungen und dergleichen.

Um einen wirklich großen bürgerlichen Salon zu unterhalten, bedurfte es freilich erheblicher Geldmittel. Im Grunde hat das Bürgertum nur die gesellschaftlichen Usancen des Adel nachgeahmt, als es sich einen Besuchstag schuf, den Jour fixe, an dem das Haus allen offenstand, allen, die ihm freundschaftlich verbunden waren. Wer hier ständig zugelassen war, der durfte einen Freund, Verwandten oder Bekannten zum Empfangstag ungefragt mitbringen, musste allerdings auch gesellschaftlich für ihn bürgen. Nach Prüfung der betreffenden Person durch die Gastgeber, ob er in den Kreis hineinpasste und satisfaktionsfähig war, durfte er fortan allein zum Jour fixe kommen, dem Diener oder Hausmädchen seine Visitenkarte abgeben, mit der Bitte, sie der gnädigen Frau nebst der Anfrage zu überreichen, ob sie ihn empfangen wolle. Die heutige Party ist nichts anderes als der Empfang. Auf diese Weise formten sich allmählich bestimmte gesellschaftliche Salons. Einen der letzten Adelssalons mit einem großen Ruf haben die Radziwills in der Zeit ihres Berliner Gastspieles unterhalten. Selbstredend gab es weiter gesellschaftliche Treffen.

Besonderes geboten wurde im bürgerlichen Salons eigentlich nichts, im Gegenteil; die Gastgeber erwarteten eher etwas von den Gästen, Buch- oder Manuskriptlesung, einen Gesangsvortrag, virtuoses Klavierspiel, oder bloß die interessante Unterhaltung. In der Tat war der Salon eine soziale Notwendigkeit geworden, Begegnungsstätte Gleicher oder Gleichgesinnter; alles hing jedoch von der Persönlichkeit der Hausfrau ab, von deren Neigungen, Fähigkeiten und Wünschen. Den Frauen oblag die Führung des Salons, hier fanden sie die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas zu gelten, da ihnen alle Berufe verschlossen waren, ausgenommen vielleicht die Krankenpflege, und allmählich, zögernd, der Lehrerberuf, freilich erst nach dem Biedermeier. Hielten die Frauen im bürgerlichen Salon Hof, so waren andererseits ihre Gäste vorzugsweise Männer, die vielleicht ihre Freundinnen oder Mätressen unter der Hand in die gute Gesellschaft einschleusten, Schauspielerinnen, Tänzerinnen, dilettierende Autorinnen; alle diese Damen genossen gewisse gesellschaftliche Freiheiten, galten nun wiederum aber auch nicht als vollwertige Bürgersfrauen und waren durchaus nicht sicher, allein, ohne den männlichen Begleiter empfangen zu werden, falls der verhindert oder das Verhältnis in die Brüche gegangen war. Jedenfalls gaben Männer im Salon den Ton an, wenngleich sich ohne Zweifel alle Schattierungen des Verkehrs nachweisen lassen. ohne strenge Beachtung der Zwänge.

Der Salon, den die Rahel Varnhagen führte, erlangte neben anderen Häusern eine gewisse Berühmtheit. Dank der Vorurteilslosigkeit Enses, ihres Gatten, versammelte er ein buntes Sammelsurium aller Stände. Prinzen und Lebedamen wie Pauline Wiesel, Dichter wie Heine und Grabbe zählten zu ihren Gästen und Briefpartnern. Schon die Zeitgenossen machten ihr die naive Unbekümmertheit, mit der sie alle möglichen Leute zuließ, zum Vorwurf. Varnhagen von Ense hätte der Jüdin Rahel, infolge seines Standes wahrscheinlich den Zugang zur besseren Gesellschaft auch ohne Salon eröffnen können, aber den Salon brachte sie ihm sozusagen mit in die Ehe. Varnhagen hatte Medizin, Philosophie und allerlei Literarisches studiert, war im Gefolge des Staatskanzlers Hardenberg 1814 beim Wiener Kongress attachiert worden, später Ministerpräsident in Karlsruhe gewesen, um die Beschlüsse des Kongresses umzusetzen. Dort scheiterte er, und wurde wegen zu großer liberaler Neigungen gefeuert. Seither nannte er sich Schriftsteller und ließ sich in Berlin nieder, und irgendwie ist sein Salon oder der seiner Frau, vom Werdegang und politischem Standort typisch gewesen.

Die Rahel selbst kommt aus wohlhabendem jüdischen Hause; gleichwohl wurde sie nach dem Tode ihres Vaters von ihren Brüdern finanziell kurz gehalten, und musste ihre erste Salonresidenz in einer Dachkammer in der Berliner Jägerstraße aufschlagen. Diese Karriere ist durchaus kein Einzelfall. Neben ihr glänzte etwa der Salon von Henriette Herz, Frau des Naturwissenschaftlers und Arztes Markus Herz. Eigentlich kam die Herz über die Schüler ihres Gatten zu ihrem Salon; sie studierte sozusagen selbst auf Kosten ihrer lernwilligen Gäste, und streifte das spezielle Judentum, nicht das rein orthodoxe, sehr rasch ab, denn die Assimilation der eingeborenen Berliner Juden war natürlich Voraussetzung für einen durch eine Jüdin geführten Salon. Das Zeitalter gab sich modern und aufgeklärt, freilich nicht so aufgeklärt, dass die Berliner Theologie das Angebot einer öffentlichen Massentaufe von assimilationssüchtigen Juden mit Begeisterung aufgenommen hätte; sie lehnte das Spektakel eines demonstrativen Übertrittes zum Christentum schlichtweg ab, und sie hatte womöglich damit Recht.

Noch einen, wenn auch weniger bekannten, Salon führte Frau Schlegel, Dorothea, eine geborene Mendelssohn. Ihr philosophischer Vater, inniger Freund des Bücherschacherers Nicolai, tat ihr und sich keinen großen Gefallen, als er ihr eine europäische und christliche Erziehung verordnete, da er zugleich erwartete, sie werde in alttestamentlichem Judentum ausharren. Dorothea musste 1783 einen jüdischen Orthodoxen heiraten, der allerdings Bankier war und Simon Veit hieß. Damit hielt der Vater die Existenz seiner Tochter für nach allen Seiten hin gesichert. Sie brachte dem Veit zwei Kinder zur Welt, und brannte anschließend, 1798, mit dem um zehn Jahre jüngeren Friedrich Schlegel durch. In Gemeinschaft ging das Paar auf Reisen, die Dorothea zufälligerweise oder auch verabredet, mit Bruder und Schwager in spé, August Wilhelm Schlegel, in Paris zusammenführte. August Wilhelm war der Frau von Stael auf deren Schloss Coppel am Genfer See gefolgt, als ihr literarischer und pädagogischer Berater, heißt es. Das fanden die Forscher heraus, nicht aber konnten sie uns vermitteln, welches pädagogische Werk August Wilhelm an der Frau von Stael verrichtet hat. Berlin heißt es, ist ein Dorf, um wie viel mehr ist Paris eines, wo sich immerfort alle Welt treffen konnte und auch traf. Der Dorothea Mendelssohn-Schlegel war ein Aufstieg beschieden; zusammen mit ihrem Gatten trat sie 1808 zum Katholizismus über, nachdem sie 1804 zunächst einmal Protestantin geworden war, sozusagen probeweise, wie es mit dem Christengott gehen würde. Alle vier, die beiden Schlegels, Dorothea Mendelssohn-Schlegel und Frau von Stael dichteten unter anderem heftig. Beide Schlegels waren überdies Gelehrte von Rang, Herausgeber des Athenäums, einer berühmten Zeitschrift, und Chefs der neuen Literaturrichtung Romantik. Friedrich Wilhelm nahm auf österreichischer Seite am Wiener Kongress teil, seltsamerweise kreuzten sich damals alle Wege in Berlin. Man sieht, dass der Literaturbetrieb lebhaft aufgeblüht war. In der Romantischen Schule hat Heine den Fall Schlegels höhnend und süffisant ausgebreitet. Die Salonleiter noch höher hinauf ging es mit einem Schwesternpaar Meier, Sarah und Marianne. Beide entstammten reichen jüdischen Häusern und konnten entsprechend verheiratet werden, nämlich in einen höheren Adel hinein, als ihn Varnhagen zu bieten hatte.

Die Rahel starb 1833, aber die große Zeit der jüdischen wie der weniger jüdischen Salons neigte sich schon dem Ende zu, als Augusta nach Preußen umzog. Und es ist die Frage, ob die Weimarerin in diese Art der Berliner Salons mit seiner Klatschsucht, seiner üblen Nachrede und der Großkotzigkeit seiner Vertreter, jüdische Bankierstöchter, subalterne Beamte, Seconde-Leutnants und alle Sorten Abenteurer hineingepasst hätte. Warum gerade Salons und überdies jüdische, den neuen kulturell-literarischen Ton angaben, ist eine interessante Frage, die mit dem ersten Assimilationsschub zusammenhängt. Die höheren sozialen Sphären, die Oper, die Adelssalons konnten sich auch reichere Juden nur schwer und nur dann öffnen, wenn sie die Nobilität erwerben konnten, unter Friedrich II. unmöglich, unter seinen Nachfolgern schwer zu erreichen. Der märkische Adel besaß zwar etliche Stadthäuser, aber davon waren nur wenige für größere und regelmäßigere Gesellschaften geeignet, zweitens verhinderte die ländlich-soldatische Lebensweise des preußischen Junkers, seine Bindungen an das Militär mit seinem Korpsdenken, das Führen solcher Salons. Was nichts daran änderte, dass gerade Abkömmlinge des märkischen Ritterstandes poetisch produktive Leute wurden. Im nachfrederizianischen Heer war der Bürger nicht integriert, schon gar nicht der Jude. Diese erstarrten Verhältnisse brachten das sonderbare Gefüge der Salons hervor. In Fontanes Roman Vor dem Sturm, nolens volens, findet, wer danach sucht, eine Darstellung des literarischen Lebens in einer Mischgesellschaft, der Kastalia. Einige junge Männer, Offiziere, in Berlin studierende märkische Ritter und satisfaktionsfähige Bürgerliche, treffen sich zu regelmäßiger Dichterlesung in einem Haus im Berliner Stadtzentrum, in welchem Lewin sehr bescheiden zur Miete wohnt, alles um 1812. Es sind überhaupt finanziell auffallend beschränkte Leute, die diesem Kreis vorstehen, der zwar kein Salon, wohl aber ein Vorläufer des Salons ist. Neuartig ist dieser Querschnitt, die vergangenen Usancen des literarischen Adelssalons schildert der Preuße Fontane treffend anhand des Rheinsberger Hofes und den Empfängen der Tante Lewins. Hier ist einzig der Dorfpastor zugelassen, so etwas wie ein seelischer Apotheker, aber der protestantische Pfaffe hat diese Rolle immer gern gespielt und er spielt sie auch heute noch mit Leidenschaft.

Neben diesem Salontyp entwickelten sich bald auch andere, freiere Formen, alles das wäre in der Friderizianischen Zeit gar nicht denkbar gewesen, weil das Personal für solch edlen Wettstreit gefehlt hätte. Ein ganz anderes Produkt der Salons, freilich nicht nur der Salons, ist der neuartige Antisemitismus. Es konnte wohl nicht anders sein, dass dem bürgerlichen Aufstieg nach dem Fall der Judengesetze die Assimilation und dieser die Abgrenzung der Christenheit folgte. Wilhelm Hauff verfasste beispielsweise gegen Ende der 20ger Jahre des Jahrhunderts schon einen Jud Süß, und Hauff war kein Antisemit. Gemeint ist natürlich jener Jud Süß-Oppenheimer; der Fall wäre zu bekannt, als dass hier näher auf ihn eingegangen werden müsste, wenn Hauffs Sicht auf Personen und Vorgänge nicht kommendes ahnen ließe. Süß wurde 1738 hingerichtet; Hauff aber beschreibt den Sturz des Geheimen Finanzrates Oppenheimer 1827, also neunzig Jahre später. Der Ewige Jude tritt zusammen mit Satan in einem Teil der Memoiren des Satan auf. In: Das gebildete Judenfräulein porträtiert Hauff nun einen neuen Typus des Salonfräuleins. Wie war sie graziös, das heißt geziert, wie war sie artig, nämlich kokett, wie war sie naiv, andere hätten es lüstern genannt. >Ich liebe die Tiplomattiker<, sagte sie unter anderem mit feinem Lächeln und vielsagendem Blick. >Es ist so etwas Feines, Jewandtes in ihren Manieren. Man sieht ihnen den jungen Mann von jutem Geschmack schon von die Ferne an, und wie angenehm riechen sie nach Eau de Portugal!< >O gewiß, auch nach Fleur d’Orange und dergleichen. Wie nehmen sich denn die hiesigen Diplomaten? Kommen sie viel unter die Leute?< >Nun, sehen Sie, wie das nun jeht, die älteren Herren haben sechs bis sieben Monate Ferien und reisen umher. Die jüngeren aber, die indessen hier bleiben und die Geschäfte treiben, sie müssen Pässe visitieren, sie müssen Zeitung lesen, ob nichts Verfängliches drein ist, sie müssen das Papier ordentlich zusammen legen für Sitzungen. Nun, was nun solche jungen Herren Tiblomen sind, das sein janz scharmante Leute, wohnen in die Chambres ganiers, essen an die Tables d’hote, jehen auf die Promenade schön ausstaffiert comme il faut, haben zwar jewöhnlich kein Jeld nich, aber desto mehr Ansehen.< Und an anderer Stelle: Der Reiis-Effendi und der Teufel in der Börsenhalle. >....Ä Korrier aus Wien? Gott’s Wunder! Wer hat’n gekriecht? Ä Fremder, der Zwerner von Dessau. Wie, kaaner von unsre Lait? Nicht der Rothschildt, der grauße Baron, nicht der Bethmann? Auch nicht der Metzler? Waas? Was hat er gebracht, der Korrier? Abraham, wie stehen se? Wie werden se stehen! Wer kann’s wissen, solange der Zwerner aus Dessau nicht ist auf der Börsenhalle. Levi! hat er’s Oltematum angenommen, der Reiis-Effendi? Hat er oder hat er nicht. Wie werden se stehen?< Oder Satan befragt das schöne Judenfräulein über ihre Leseneigungen: >Ach, was haben Sie für eine schöne, gebildete Sprache, mein Fräulein! Wurden Sie etwa in Berlin erzogen?< > Finden Sie das ooch? erwidert sie anmutig lächelnd. Ja, man hat mir schon oft das Kompliment vorjemacht. Nee, in Berlin drein war ich nie, ich bin hier erzogen worden; aber es macht, ich lese viel und bilde auf die Art meinen Jeist und mein Orkan aus.< > Was lesen Sie, wenn ich fragen darf?< > Nu, Belletres, Bücher von die schöne Jeister. Ich bin abonniert bei Herrn Döring in der Sandjasse, nächst der Weißen Schlange, und der verproviantiert mich mit Almanachs und Romancher.< > Lesen Sie Goethe, Schiller, Tieck und dergleichen?< > Nee, das tu ich nich. Diese Herren machen schlechte Jeschäfte in Frankfort. Es will sie keen Mensch, sie sind zu studiert, nicht natürlich jenug. Nee, den Joethe lese ich nie wieder! das is was Langweiliges. Und seine Wahlverwandschaften! Ich werde rot, wenn ich nur daran denke. Wissen Sie, die Szene in der Nacht, wo der Baron zu die Baronin,- ach, man kann’s ja nicht sagen, und jedes stellt sich vor -. <

In der Sommerzeit war Pause, die bürgerlichen Notabeln, auch die jüdischen, übersiedelten in ihre Landhäuser an der Spree und enthoben sich des Zwanges ihrer Besuchs- oder Empfangstage. Mit Einzug des Herbstes siedelte man zurück, das Gesellschaftskarussel wurde wieder in Bewegung versetzt. Nach dem traditionell still begangenen Totensonntag lief allmählich die Saison an, die Ballzeit begann, Theater boten neue Aufführungen. Ein besonderes Element der Salons bildeten die Offiziere, deren Regimenter in Berlin und Potsdam in Garnison lagen, in Berlin vornehmlich die Gendarmen, dem teuersten und elegantestem Reiterregiment Preußens, in dessen Korps überhaupt nur Hochadel oder zumindest Uradel eintrat. Besonders anstrengenden Dienst hatten die jungen Herren nicht, daher bevölkerten sie die Berliner Salons; diese unbekümmert bis aufgeregte Jugend lieferte der Gesellschaft die Liebesaffären, sie waren das Salz in der sonst recht schalen Suppe. Neben Themen, die alle gleichermaßen interessierten, obenan die Liebe, und es gibt ja auch nichts anregenderes, beherrschte der Klatsch den Salon. Gipfelpunkt war allemal der Ehrenhandel, Pistolen- oder Degenduell, das immer tragisch endete, auch wenn keiner ernsthaft verletzt worden war. Um einem Kameraden Unannehmlichkeiten zu ersparen, schlichteten ältere Offiziere lieber die Streitigkeiten, was auch nicht ganz leicht war, denn sie hatten nicht nur die Streithähne zu zügeln, sondern auch gegen die öffentliche Meinung anzukämpfen. Fontanes Romane spielen alle in der Zeit nach 1800, also der großen Zeit der Salons, und nicht wenige leben von einem tragischen gesellschaftlichen Konflikt.

Was bei Fontane höchst ernsthaft behandelt wird, dem hat Hauff, vielleicht passender schon als moderner Schriftsteller bezeichnet, eine andere Note abgewonnen. Auffallend oft befassen sich seine kleineren literarischen Arbeiten mit dem Salon, bei ihm dem ästhetischen Tee. Da er Süddeutscher und später geboren ist, fehlte ihm die Anschauung des tragischen Gesellschaftsmomentes. Satan besucht mit dem ewigen Juden einen ästhetischen Tee. >Du darfst, sagte ich ihm, in einem ästhetischen Tee eher zerstreut und tiefdenkend als vorlaut erscheinen. Du darfst nichts ganz unbedingt loben, sondern sieh immer so aus, als habest du sonst noch etwas in petto, das viel zu weise für ein sterbliches Ohr wäre. Das Beifallslächeln hochweiser Befriedigung ist schwer und kann erst nach langer Übung vor dem Spiegel völlig erlernt werden. Man hat aber Surrogate dafür. < Etwas später entwirft Hauff die Personage eines solchen Salons: >Die milde und sinnige Frömmigkeit, die in dem zarten Charakter der gnädigen Frau vorwalten sollte. Der feierliche Ernst, die stille Größe des älteren Fräuleins, die, wenngleich Protestantin, doch ganz das Air jener wehmütig heiliger Klosterfrauen habe, die, nachdem sie mit gebrochenem Herzen der Welt Ade gesagt, jetzt ihr ganzes Leben hindurch an einem großartig interessanten Schmerz zehrt. Das jüngere Fräulein, frisch, rund, blühend heiter, naiv, sei verliebt in einen Gardeleutnant, der aber, weil er den Eltern sinnig (soll wohl heißen prosaisch) genug sei, nicht zu den ästhetischen Tee komme. Sie habe die schönsten Stellen in Goethe, Schiller, Tieck usw., welcher ihr die Mutter zuvor angestrichen, auswendig gelernt und gäbe sie hie und da mit allerliebster Präzision preis. Sie singt, was nicht anders zu erwarten ist, auf Verlangen italienische Arietten mit künstlichen Rouladen. Ihre Hauptforce besteht aber im Walzerspielen. Die übrige Gesellschaft, einige schöne Geister, einige Kritiker, sentimentale und naive, junge und ältere Damen, freie und andere Fräuleins werden wir selbst näher kennen lernen. <

Hauff ist 1802 geboren und starb bereits 1827; er hat also die Periode der Befreiungskriege nur als Kind miterlebt. Dass aber um die Mitte der 20ger Jahre des 19. Jahrhunderts der Berliner Salon in Süddeutschland bereits zur Persiflage herausforderte, ist schlechterdings erstaunlich und lässt nur den Schluss zu, dass der Berliner Salon innerhalb kurzer Zeit alle Stadien des Ruhmes wie des Niederganges durchlaufen hatte, Gegenstand triefend ironischer Satire geworden war. Harren wir noch ein wenig bei Hauff aus, als einer Quelle an der selten geschöpft wird. In einer Szene zwischen drei Vertretern europäischer Nationen, sagt der Engländer, als man auf die Masse der Rezensionen zu sprechen kommt, die seinerzeit noch wie ein kriminelles Vergehen betrachtet wurde: >God dam! Habe ich in meinem Leben dergleichen gehört? rief der Lord mit wahrem Grauen. Aber wenn Sie alle Tage nur ein Buch rezensierten, das macht im Jahre 365! Gibt es denn in Ihrem Vaterlande jährlich selbst nur ein Drittel dieser Summe?< > Ha! da kennen Sie unsere gesegnete Literatur schlecht, wenn Sie dies fragen. So viel gibt es in einer Messe, und wir haben jährlich zwei. Alle Jahre kann man achtzig Romane, zwanzig gute und vierzig schlechte Lust- und Trauerspiele, hundert schöne und miserable Erzählungen, Novellen, Historien, Phantasien usw., dreißig Almanache, fünfzig Bände lyrischer Gedichte, einige erhabene Heldengedichte in Stanzen oder Hexametern, vierhundert Übersetzungen, achtzig Kriegsbücher rechnen, und die Schul- , Lehr-, Katheder-, Professions-, Konfessionsbücher, die Anweisungen zum frommen Leben, zur Bereitung guten Champagners aus Obst, zur Verlängerung der Gesundheit, die Betrachtungen über die ewige Ewigkeit, und wie man auch ohne Ärzte sterben könne, usw, sind nicht zu zählen; kurz, man kann in meinem Vaterland annehmen, dass unter fünfzig Menschen immer einer Bücher schreibt; hat einer einmal im Meßkatalog gestanden, so gibt er das Handwerk vor dem sechzigsten Jahr nicht auf. Sie können also leicht berechnen, meine Herren, wieviel bei uns gedruckt wird. Welcher Reichtum der Literatur, welches weite Feld für die Kritik. <

Versuche, ästhetische Tees persiflierend zu bearbeiten, hat Hauff, wie erwähnt, mehrfach unternommen. Die Memoiren des Satans sind indessen auch eine Abrechnung mit den Demagogenverfolgungen an Universitäten. Vielleicht las der König von Preußen lieber Märchen, als Akten der Geheimpolizei, wer weiß. Die Sache ist die, dass Hauff ehe er nach Tübingen an die Universität zog, so um 1820, in Blaubeuren einer Burschenschaft, wo nicht förmlich angehört, so doch mit ihr sympathisiert hat. Der rebellische Verein, dem er beitrat, nannte sich Feuerreuter, und aus Anlass des Gedenktages von Waterloo, wo Napoleon endgültig geschlagen worden war, 1815 nämlich, feierte er mit Teilen der deutschen studentischen Jugend auf dem Wörth, einer Wiese nahe dem Neckar, den großen Tag mit einem nationalen Gottesdienst, zu dem der angehende Theologe Hauff patriotische Predigten beigesteuert hatte

Was die Entwicklung der Berliner Salons zu literarischen Zweckgesellschaften betrifft, so war sie wegen eines ganz anderen Umstandes möglich und notwendig. Die Zahl der Schreibenden war sozusagen Legion, und alle suchten einen Verleger, der ihren Lebensunterhalt bestreiten sollte. Jean Paul Richter hatte es vorgemacht und den Freien Beruf, den Freischaffenden erfunden. Der kleine Beamte, der junge Seconde-Leutnant, sie alle stießen nicht mehr allein aus gesellschaftlichem Bedürfnis zum Salon, sondern um Kontakte zu knüpfen. Andererseits zog aus diesem unerschöpflichen Born der Verlagsbuchhändler wie der reine Verleger den Debütanten hervor; der Literaturbetrieb wurde in die Welt gesetzt, und in dieser oder jener Gestalt treibt er bis heute sein Unwesen fort. Erstaunlicherweise gibt es aber immer noch Bücher. Und Hauff ist einer der ersten Vertreter dieser jüngeren Generation Autoren, und hätte seinen Vorteil gut wahrzunehmen gewusst, wäre er nicht abberufen worden. So ist er als Märchendichter und uns als ziemlich liebenswürdig im Gedächtnis geblieben. Unterhalb der bürgerlichen Salongesellschaft begannen sich auch schon andere kulturelle Regungen abzuzeichnen; in den Lese- und Literaturgesellschaften mischten sich mittlerweile bereits die Stände. Um den Zwängen des Standesdenkens zu entgehen, erhielt der Konskribent einfach einen neuen Namen, unter dem er innerhalb dieser Gesellschaft als gleich galt, oder es wenigstens sollte. In diesem Berlin, mit seinen scharf gezogenen Standesgrenzen, seinem ewigen Betrieb, dem geschäftigen literarischen Müßiggang sollte die junge Augusta Freunde finden und Gleichgesinnte. Sie war nur bestürzt und verwirrt, ob der form- und gestaltlosen Masse an Gedrucktem, unter welchem sie vergeblich nach der Literatur gesucht haben wird, die sie kannte und schätzte. Vermutlich bot ihr der greise Goethe eine innere Stütze; solange er lebte, konnte die Klassik wohl nicht ganz verloren gehen, beriefen sich doch sogar die literarischen Salonschranzen dieses grauenhaften Berlins auf Goethe. Aber das Unvermeidliche geschah; der große Alte starb im März 1832. Sein Zeitalter war lange vor ihm geschlossen worden.

Das Treiben ging fort; Wilhelm versuchte, seiner jungen Frau diesen Freiraum des Denkens, der Geselligkeit streitig zu machen. Er schrieb an andere, bat sie, ihren Einfluss auf Augusta geltend zu machen. Diese Themen, wie sie oben bloß angedeutet werden konnten, diese immer währenden Zeitalterdebatten, die herangezogenen Beispiele, die das gesellschaftliche Leben in Preußens anders schilderten als das der Hofgesellschaft, verstimmte ihn. Der Altersunterschied machte sich ebenfalls geltend. Der um 14 Jahre ältere General mit einem vom Kasernenhof begrenztem Weltbild - noch nie war ein Preußenprinz zu einem Studium der Wissenschaften abkommandiert worden, das setzte erst Augusta bei ihrem Sohn durch - konnte dem Gespräch selten so weit folgen, dass er die Tiefe der Argumente verstand. Ihm schien es aber, als verhalte sich seine so junge Frau nicht nur unstandesgemäß, sondern vorlaut. Sie wollte bei solchen Dingen mitreden, die sie nach seiner festen Überzeugung gar nicht verstehen konnte, sie machte sich in seinen Augen bloß lächerlich. Das mag wohl von Fall zu Fall eingetreten sein, allein, Wilhelm räumte doch immer wieder ein, wie weit ihm diese Frau geistig überlegen gewesen ist. Der Streit um ihre Teegesellschaften sollte ein ganzes Eheleben lang andauern, bis Wilhelm, alt und grau, vom Theater kommend, wo er sich für gewöhnlich noch als Kaiser zu erholen pflegte, spät abends bei seiner Frau den Tee nahm und endlich so weit gekommen war, ihrem Gerede nicht mehr zuzuhören.

Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I.

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