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DAS SCHWEDTER PALAIS

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Potsdam, im Frühjahr 1831

Vielleicht sind Jahre nötig, um in Potsdam das zu sehen, was ein Preuße darin erblicken mag, die Wirk- und Weihestätte zweier Könige, die aus einer Sandwüste, aus Heide und Moor ein Land und einen Staat gemacht haben, was alle deutschen Fürsten bewundern. Soweit es mich betrifft, hält sich meine Bewunderung in engen Grenzen, seit ich Potsdam aus der Nähe kenne; dennoch führe ich das traditionelle Dasein einer Prinzessin von Preußen. Meine Wohnung ist das hiesige Kavaliershaus, in welchem wir, Prinz und Prinzessin, gewißermaßen zur Miete wohnen. Der König ist ein Knauser und hat uns dieses Quartier zugewiesen, wir wohnen hier durch allerhöchsten Befehl. Nichts geschieht in meiner Ehe ohne Befehl; ich habe mich darauf eingestellt, alles für verboten zu erachten, was mir nicht ausdrücklich gestattet worden ist. Das Haus ist klein, aber man hat mir auf meine Klagen bedeutet, dass sich preußische Königsfamilien zu beschränken wüßten, was eine ihrer Tugenden gewesen sei. Darin lag eine Kritik, versteht sich. In Potsdam und noch mehr in Berlin, das wir glücklicherweise nicht zum dauernden Wohnsitz befohlen bekamen, leben die Leute in ihren streng abgeschlossenen Kreisen. Ich erregte Aufsehen, als ich mich in der mir gewohnter Art und Weise zu bewegen gedachte. Hier wird, wie gesagt, im allgemeinen alles befohlen. Eine Prinzessin wird nicht eingeladen, gebeten oder bestellt, zu was auch immer, sie erhält einen Befehl, sich dort und dort in diesem und jenem Aufzug einzufinden und abzuwarten, was man ihr weiter befiehlt. Dieses Ritual, dass der König immer alles für einen regelt, hat das ganze Leben hier durchfärbt; in bürgerlichen Zirkeln und Kreisen verkehren die Leute natürlich weit lockerer, locker bis leider vulgär, wie ich höre. Potsdam wimmelt von Offizieren, Kurieren, Equipagen und Kaleschen, aber alles läuft wie auf Bahnen, sie reiten und fahren alle zu einem Zweck, der durch Order vorgegeben ist. Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendwer bummelt, oder sich in der Öffentlichkeit eines Nichtstuns hingibt, falls er eine Uniform trägt, Militär ist oder Beamter. Er würde auch auffallen. Was sich hinter den Wohnungstüren und innerhalb der vier Wände abspielt, mag ich nicht wissen. Immerwährend ist von Tugend die Rede, von Pflichterfüllung; indessen sind nur wenige tugendhaft, den Skandalgeschichten nach zu urteilen, die stets wie ein Lauffeuer die Runde machen. Selbst die Pfaffen haben hier einen irrsinnigen Zug, ihre Bigotterie ist sozusagen eine Folge des allerhöchsten Befehls, und ihre Schrullen machen sie nicht immer liebenswürdiger. (Ich gehe, wie befohlen, in die Kirche.) Da die öffentlichen Schulen, verglichen mit den unseren, geradezu elend genannt werden müssen, gibt seine Kinder, wer die Mittel dazu hat, einem Privatlehrer zur Ausbildung. Der ist meist ein Konrektor, untersteht also immer einem Superintendenten, und pflegt irgend einen sanften Wahn. Dabei ist es ungewiß, wen die niedere Geistlichkeit als obersten Herren über sich anerkennt, Gott oder die papierene Order des Konsistoriums, bzw. des Königs. Daraus ergibt sich eine mir widerwärtige Mischung aus Kleinlichkeit und Kriecherei, die der Kompensation durch das Gerede von Tugend und Befehl herausfordert. Da war die Bürgertugend eines Robespierre von anderem Schrot und Korn. Ein wirklich gebildeter Bürgerstand, der den Namen verdient, ist kaum zu entdecken, und wenn es ihn gäbe, wäre er mir auch verschlossen und existierte in den Zirkeln der Akademie, der Universität oder im Haus eines der neuen Reichen, der Bankiers zumal. Also wir, mein Herr Gemahl und ich, werden nach Berlin befohlen, oder ins Marmorpalais oder weiß Gott, wohin. Es läuft immer gleich ab; ein Kurier erscheint im vollen Galopp, als ob es brennt und zieht eine versiegelte Order aus dem Rockärmel. W. liest das Schriftstück mit allem Ernst und trifft seine Vorkehrungen. Eine Abteilung der Potsdamer Garde zieht auf, begibt sich an den befohlenen Ort, schwenkt nach links, nach rechts, der König, oder der Kronprinz Friedrich Wilhelm, oder Karl, meine Schwäger, entsteigen einer Kutsche, schreiten durch ein salutierendes Spalier, hinein in ein Haus. Das war alles. Darin besteht ein Großteil unseres Lebens. Jeder meiner Schritte wird beobachtet, ich will nicht sagen, ausspioniert. Was ich gestern falsch oder richtig gemacht habe, kann ich am Gesicht meines Gatten ablesen. W. spricht nie aus, was er denkt, er läßt seine Mißstimmungen von mir erraten. Was ihm allein wichtig, ist eine unerbittliche Reputanz; er fürchtet den Klatsch und die Lächerlichkeit wie der Papist den Doktor Luther. Das ist nicht etwa bloß Charaktereigenschaft, sondern der Stil dieses Hofes. Bei offiziellem Anlaß steht der König in der Mitte des Hauptquartiers eines Halbkreises aus Familie; uns gegenüber bilden die Minister, Räte und Höflinge die Linie. In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so viele Uniformen gesehen, nicht einmal während des Krieges, bei dem ich allerdings noch so klein gewesen bin, dass mir die bunten Kriegsröcke wie Kostüme erschienen sein mögen. In der ganzen Zeit meines Hierseins habe ich jedenfalls noch keine zehn Sätze persönlicher Art mit einem meiner neuen teuren Verwandten gesprochen; keiner hat mich bisher gefragt, wie ich mich hier fühle, ob es mir wohlergeht, ob mir etwas fehlt, und was mir vielleicht als philiströs an diesem philiströsem Hof auffällt. Meine Schwägerin ist dauernd darum besorgt, sich als künftige Königin nichts zu vergeben, obschon ihr bayrischer Dialekt freundlich genug klingt, und sie das Ableben des Königs erst abwarten muß, um Königin zu werden. Ein Lichtblick könnte ihr Gatte, mein Schwager Friedrich Wilhelm sein; bei all seiner fraglos großen Bildung erscheint er mir aber leider zu kindisch und verspielt.

Von meinem Herren Gemahl sehe ich wenig, so dass es mich fast wundert, von ihm schwanger geworden zu sein. Und es mag ihm ebenso als wunderbar und fast wie eine unbefleckte Empfängnis vorkommen, dass ich Mutter werde. Andererseits trägt man mir Klatsch genug über die Affären zu, die W. angeblich hat. Man zeigt mir sogar hilfreich die kleinen Kinder, bei denen er die diskrete Vaterschaft ausübt. Was mich betrifft, so könnte ich die jeweilige Frau nur mitleidig nachsehen, da sie kaum mehr von ihm haben dürfte als ich. Die Ärzte meinen, dass ich mit meiner Niederkunft im Herbst rechnen kann. W., den ich auch zu Hause im Waffenrock sehe, nur dass er sich die Freiheit erlaubt, die Knöpfe zu öffnen, was er für den Gipfel der Nachlässigkeit ansieht, muß beim König unbedingt darauf dringen, dass wir besser untergebracht werden. Dazu gibt mir die Mutterschaft ein Recht, ich habe, heißt das, die in mich gesetzte Erwartung pflichtgemäß erfüllt, jetzt heißt es zahlen, Eu. Majestät. Gott, Könige hat Preußen auf lange Sicht ausreichend.

Weimar ist gewiß kein Louvre gewesen, Schloß Berlin zwar groß, aber in der kalten Jahreszeit höchst unbequem, die unteren Stockwerke stehen regelmäßig unter Wasser, wenn die Spree, ein schmales Flüßchen, nicht breiter als die Ilm, nur dass sie gemächlicher fließt, Hochwasser führt. Dieses Berlin ist ja im übrigen auf einem Sumpf errichtet. Es müßte also schon ein anderes Haus gefunden werden, womöglich nicht in Berlin. W. ist meinen Vorstellungen gegenüber, den König um eine besser Wohnung anzugehen, überraschend aufgeschlossen. Ein männlicher Nachkomme gäbe uns gewiß eine ganz andere Stellung, denn Kronprinz und Kronprinzessin haben keine Kinder, und es wird allgemein erwartet, dass meine Schwägerin auch nicht mehr guter Hoffnung werden kann. In einem solchen Fall wären wir die Eltern des Thronfolgers. Wir leben im übrigen nicht gerade üppig; das Einkommen meines Herren Gemahls wird größtenteils für dessen Repräsentation und womöglich für seine Amouren verbraucht. Die Schwangerschaft setzt mir arg zu, ich bin wohl kaum zur Mutterschaft gemacht, liege viel, häufig habe ich Kopfschmerzen. Sie kommen von einer auf die andere Minute, ich gehorche dann sogar den Ärzten, und verschaffe mir ein wenig Bewegung. Ich würde mehr Vergnügen daran haben, wäre nicht dieses Potsdam vor meiner Tür, und könnte ich mich wirklich ganz natürlich in einem der schönen Parks ergehen. Da dies nicht möglich ist, lese ich Bücher über das glückliche England.

Mittlerweile war der Gatte und Prinz von Preußen zum kommandierenden General zweier Korps aufgerückt. Damit stand ihm als Chef eine Dienstwohnung zu, das Schwedter Palais, in der Straße Unter den Linden am Opernplatz, No. 9. Das Gebäude hatte eine lange Geschichte. Irgendein Oberst baute es; im Laufe der Zeit ging das Haus in Eigentum des Markgrafen von Schwedt über, einer Garnisonstadt in der Neumark, unweit Frankfurts. Der Markgraf folgte mit dem Ankauf eine Gewohnheit des märkischen Grundadels, sich in Berlin Stadthäuser zuzulegen, in denen die Familien im Winter oder besuchsweise Quartier bezogen, empfangen und Gesellschaften geben konnten. Wirkliche Palais, also richtige Paläste, fanden sich darunter allerdings nur wenige. Den meisten von ihnen blieb ein provisorischer Charakter, und sie pflegten häufig die Besitzer zu wechseln. Aus den Händen jenes Schwedter Herren war das Palais, völlig heruntergekommen, in den Besitz des preußischen Kriegsministeriums gelangt. Der General Tauentzien bewohnte es während der preußischen Erhebung und der Befreiungskriege.

Das Schwedter Palais war eine zweistöckige Bruchbude mit einer Mittelauffahrt, aber einem Schilderhaus für die Wache; denn es handelte sich um ein Stabsquartier. Als Augusta dieses Haus zum ersten Mal einer Musterung unterzog, in das sie von Potsdam aus ein- und umziehen sollte, war sie empört. Sie wehrte sich, ließ ihren Schwiegervater wissen, das dieses ganze, ihr zugemutete Anwesen zu klein, zu einfach, zu wenig repräsentativ sei, abgesehen von seinem jämmerlichen baulichen Zustand. Es war der erste Versuch Augustas, sich unter den neuen Verhältnissen zu behaupten.

Bei den Verhandlungen mit ihrem Schwiegervater, dem sparsamen König Friedrich Wilhelm III., war es ihr gelungen, ihren Gatten und General auf ihre Seite zu ziehen. Friedrich Wilhelm III. hatte finanziell schwere Zeiten durchgemacht; während des erzwungenen Aufenthaltes nach der Niederlage und Flucht aus Berlin 1806 in Ostpreußen hatte die kleine Familie selbst Mangel an Lebensmitteln, also bittere und wirkliche Not, erlitten. Sein eigenes Lusthaus in Paretz, das er aus einem kleinen Gutshof hatte umbauen lassen, war mit sehr geringen Kosten angekauft und verändert worden, im Grunde genommen nur eine Kate. Jetzt, in besseren Zeiten, hatte er das Sparen als eine Tugend beibehalten. Ihm Geld zu entlocken, war immer schwierig, in diesem Falle handelte es sich um viel Geld. Und General Wilhelm war nicht einmal Kronprätendent. Aber Augusta hatte große Pläne mit dem Haus. Zunächst sagte ihr die Lage mitten in der Stadt, aber nicht zu nah am Schloss durchaus zu. Und endlich wusste sie sich auch in der Vorhand, eine richtige Bleibe konnte ihr nicht länger vorenthalten werden, zumal auch die Prinzen mittlerweile mit eigenen Schlössern versorgt wurden. Es reizte sie auch, sich als Innenarchitektin zu versuchen. Band die Gatten sonst nichts aneinander, so wusste Augusta in der Generalsseele Wilhelms die Sehnsucht nach einem Schloss anzustacheln. Die Pläne waren auch insgeheim weit gediehen. Er bat den Vater, ihnen den Abriss des Schwedter Palais und den Bau eines Hauses an Stelle des alten zu gestatten, und vor allem, diesen Neubau zu finanzieren. Er versüßte seinem König den Plan durch das Beilegen eines Schinkelschen Gutachten, das die Kosten für Abriss und Wiederaufbau auf runde 340 Tsd. Thaler veranschlagte. Schinkel, Geheimer Rat und König der Baumeister des Neoklassizismus, führte jedoch städtebauliches ins Feld; von ihm stammen sicherlich die Hinweise darauf, dass der Opernplatz, die Straße Unter den Linden, weiter Schloßbrücke und Schloßplatz zu einem ansehnlichem Ensemble gestaltet werden könnte. Viel mehr an sehenswerter Architektur gab es Berlin nicht, als das, was in der Straße Unter den Linden und um das Schloss herum erbaut worden war, bzw. noch gebaut werden musste. Längst war beschlossen, eine Statue Friedrichs II. in Nähe des neuen Hauses, wenn es denn dazu kommen sollte, aufzustellen.

Wanderer, ungeduldiger, Autofahrer, nervöser, kommst du in diese Gegend Unter den Linden, Opernplatz, könntest du im raschen Vorbeifahren all dieser Umstände gedenken. Möglicherweise hat heute, also zur Zeit deiner Durchfahrt, irgendeine Bank den Opernplatz vom freigiebigen Berliner Senat zum Geschenk erhalten, und einen der zahlreichen Geniearchitekten beauftragt, eine gläserne Kiste von 240 Meter Höhe darauf stellen zu lassen. Würdest du schließlich mit dem außen angebrachten gläsernen Fahrstuhl hinauffahren dürfen, könntest du von dessen höchstem Stockwerk aus bis zum Babelsberg blicken, wo noch ein Haus des Prinzenpaares steht, worauf wir gleich zu sprechen kommen werden. Es war, wie alles in Preußen, eine Frage des Geldes.

Preußische Prinzen hatten entweder einen besonderen Etat, oder sie bezogen Gehälter; Renten oder Einkünfte aus kapitalistischen Unternehmungen besaßen sie damals nicht, weil es noch keine nennenswerte Industrie in Preußen gab. Das änderte sich erst unter dem Kaiser Wilhelm, dessen Bankiers Bleichröder und Cohn ihn erfolgreich in Geldgeschäften berieten. Wilhelm hätte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, wie ein Privatmann Geld von einer Bank zu leihen. Sein verblichener Verwandter, der Prinz Louis Ferdinand, hatte allerdings so unbarmherzig hohe Schulden gemacht, dass die Verwandtschaft schier außer sich geriet, ihn aus Berlin entfernte und ihn finanziell unter Kuratel stellte. Das half wenig. Wäre er nicht gefallen, 1806 bei Saalfeld zum ewigen Ruhm preußischer Waffen und des Klavierspielens, würde man ihn bloß für einen Schuldenmacher und Liederjan halten. An dergleichen war bei Wilhelm aber nicht zu denken. Augusta hatte ebenfalls keinen Zuschuss von zu Hause zu erhoffen, während jeder Student seinen monatlichen Wechsel vom Herrn Papa überwiesen bekam, mit dem er sein Schulden in der Friedrichstraße, im Café Bauer und den Bordells der Jägerstraße vom Vormonat zu decken pflegte. Wilhelm konnte über Einnahmen in Höhe von runden 88 Tsd. Talern verfügen, damit war sowohl das gewöhnliche Leben zu finanzieren, als auch die Kosten für die Repräsentation aus seinen beiden hohen Kommandostellen. Ein Palais konnte davon keinesfalls erübrigt werden. Daher drängte die Prinzessin weiter, sich Geld vom König geben zu lassen. Wilhelm beschrieb seinem Vater ihre schwierige pekuniäre Lage, und bat dringend um Geld für den Umbau. Zunächst lehnte der König den Finanzierungsantrag rundweg ab, nach allerlei Bittgesuchen und aufgeregten Verhandlungen mit Sohn und Schwiegertochter genehmigte er den Bau schließlich doch, strich aber die Baukosten auf 300 Tsd. Thaler zusammen, als ob die übrigen beantragten 40 Tsd. den Bankrott bedeutet hätten. Zwar war es ein Sieg Augustas über die preußische Knauserigkeit, aber es war ein Pyrrhussieg, denn der Kostenvoranschlag hätte auch dann nicht gestimmt, wäre die volle Summe bewilligt worden und nicht zugleich ein Schlossneubau geplant worden. Endlich aber fand die Prinzessin ein ihr gemäßes Betätigungsfeld, und sie warf sich mit Eifer auf die Details.

An sich fehlte es den Hohenzollern nicht an Behausungen. Vom Berliner Schloss abgesehen, verfügten sie in Potsdam über genügend Häuser. Zwar wurde Sanssouci nie übertroffen, aber nach den Befreiungskriegen wurde weiter gebaut. Die Sparsamkeit Friedrich Wilhelms III. schlägt sich deutlich bei dem Ankauf und Ausbau des Hauses Paretz nieder. Die Innenausstattung des Hauses war reinster Klassizismus, und nach dem Tode seiner Frau Luise, beließ der König in Paretz alles wie es war. Nur gewohnt hat dort niemand mehr. Augusta, die ziemlich genau wusste, was sie bauen wollte, hätte Paretz im Übrigen als zu klein empfunden. Das Schlösschen auf der Pfaueninsel ist überhaupt nur als Sommerhaus zu bezeichnen, dort lebte man sich zur Lust und anderen zur Last. Mit den Jahren 1824 und 1825 genehmigte Friedrich Wilhelm III. seinen Herren Söhnen eigene Lustbauten, das Schloss in Alt-Glienicke mit der Pergola wurde für den Prinzen Karl etwa dort gebaut, wo heutzutage rund 800 Berliner jeweils am Sonntagnachmittag ihre Autos abzustellen gedenken, um durch den Park zu wandeln. Für den ältesten Sohn des Königs und Schwager Augustas war ein kleines Landhaus oder eben Schloss im Park von Sanssouci gebaut worden, Charlottenhof, nämlich 1826 begonnen. Und dem Staat war mit Karl Friedrich Schinkel ein besonders talentierter und stilsicherer Baumeister erwachsen, der den verschrobenen Vorstellungen seiner Auftraggeber ein wenig Form zu geben wusste. Ach, leider war auch die junge Preußenprinzessin Augusta von dem neuen Geist angesteckt, wie wir noch sehen werden. In Europa war man nicht nur europäischer geworden, sondern auch orientalischer, das schlug sich in den Einrichtungen der Häuser nieder, etwa im so genanten Zelt Schloss Charlottenhofs. Inzwischen freilich verfügten die Prinzen von Preußen über ansehnliche Stadtpalais; wiederum Schinkel musste das Haus in der späteren Prinz-Albrecht-Straße für eben jenen Prinzen 1830 umbauen, nach welchem das Palais seinen Namen bekam, ein ziemlich repräsentatives Stadtschloss immerhin. Augusta kannte die Behausungen ihren sparsamen Verwandten recht gut, und sie bestand also mit einigem Recht darauf, in der Haushaltführung mit den übrigen Prinzen zumindest gleichgestellt zu werden. Das Kavaliershaus in Potsdam war schließlich nichts anderes als eine Kate, verglichen mit den Häusern ihrer Schwäger.

Schinkel wurde für den Umbau des Schwedter Palais gewonnen, aber das Interieur, die Möbel, die Parkettfußböden wollte Augusta selber entwerfen, kurz, es sollte ein Bauwerk entstehen, das ihre Hand, ihren Geschmack und ihre Bedürfnisse verriet, ein schönes kleines Stadtpalais. Mit dem Bau verband Augusta Pläne für ein eigenes gesellschaftliches Leben. Hier sollten nach Weimarer Vorbild Theaterstücke aufgeführt und Konzerte gegeben, eine ganz neue Periode preußisch-deutscher Kultur in Berlin eröffnet werden, eine Brücke nach Weimar. Ganz so schnell, wie sie es sich gewünscht hat, gingen Abriss und Neubau indessen nicht voran. Karl Ferdinand Langhans, ein Sohn des Langhans, dem wir das Brandenburger Tor verdanken, übernahm die Oberbauleitung, aber erst 1834 konnte überhaupt mit dem Abriss, ein Jahr später mit dem Neubau begonnen werden. Weshalb, das ist heute nur noch schwer ersichtlich. Inzwischen war viel Wasser die Spree, Dahme und Havel hinunter geflossen, Reisen wurden gemacht, ein Sohn geboren. Endlich aber, 1837, stand das Haus Unter dem Linden Numero 9. Das Paar sollte es ein Leben lang bewohnen, eines seiner Eckfenster zum Schaufenster Preußens und zur Legende werden. Augustas Räume lagen im Obergeschoss, Wilhelm residierte unten. War dieses Unternehmen dank Augustas Energie, die sie auf ihren Gatten und General zu übertragen gewusst hatte, glücklich zu Ende gebracht worden, so steht man im Falle eines anderen Bauwerkes eher ratlos da. Parallel zu dem Prinzenpalais Unter den Linden , das nebenbei gesagt, nicht in einem Zuge schlüsselfertig übergeben werden konnte, wurde nämlich zu Babelsberg bei Potsdam ein so genannter Landsitz gebaut. An diesem Schloss bastelten Augusta und Wilhelm zwischen 1834 und 1835 gemeinschaftlich und mit besonderer Liebe herum. Landschaftlich liegt das Haus allerdings trefflich, wie alles, was damals im Weichbild Berlins entstanden ist. Wir Heutigen müssten eigentlich erstaunt fragen, weshalb dieses sichere Gefühl der alten Meister für die Bebauung landschaftlicher Räume ganz verloren gegangen ist. Immer verstanden sie es, Landschaft und Bauwerk miteinander harmonisch zu verschmelzen. Es entdeckt, wer sich Zeit dazu nimmt, überraschende Aussichten, herrliche Blickschneisen auf Seen und Flüsse, auf entfernter liegende höhere Punkte, Türme, Kirchen, Brücken. Für dieses Schloss hatte sich Augusta als Vorbild ein englisches Landhaus gewählt, in der Art der Tudorzeit. Es gelang dem Baumeister Schinkel nicht, ihr diese Schrulle auszureden, die seinem Stilgefühl auf das höchste widersprach. So ist das Beste daran heute der Park. Und es war auch aufgeboten worden, was die Landschaftsgestalter zu bieten hatten. Lenné, auf den man in dieser Gegend auf Schritt und Tritt stößt, machte anscheinend nichts anderes, als dem märkischem Adel Bäume und Gebüsch anzupflanzen. Sanft geschwungene grüne Rasenflächen, nicht zu verwechseln mit dem heutigen Moderasen nach dem Vorbild des Rasens englischer Golfplätze, werden durch Baumgruppen belebt, jedermann kann sich stundenlang in diesen unauffällig geordneten Räumen aufhalten und Ruhe finden. Übrigens hat sich auch Pückler an diesem Park erfolgreich versucht. Was vom Park, das kann von Schloss Babelsberg nicht ebenso gesagt werden kann. Wer nun allerdings ein Liebhaber solch merkwürdiger Gotik ist, der mag auf seine Kosten kommen.

Dieses Gebäude steht oder stand auf 270 Morgen Erbpacht, Erbpacht von wem? Jedenfalls besaß die Krone offenbar kein Eigentum an Grund und Boden. Lenné machte den Prinzen beizeiten auf die Lage aufmerksam; die Havelseen, Moorlake, oder Glienicker Lake und Tiefer See umgrenzen den späteren Park. Jedenfalls durften beide, Augusta und Wilhelm, sich als Architekten versuchen, und das taten sie auch, da sie auf den stilzuverlässigen Schinkel nicht hören wollte. Besonders Augusta ließ sich die Entwürfe englischer und neogotischer Schlossumbauten kommen, um zu studieren, was man alles unsinnig falsch machen kann. Wilhelm nannte das Ding zunächst sein Cottage, also Landhaus, indessen hatte der Oberbaumeister Preußens ein ziemlich geläufiges Schloss unter der Reißfeder, das sich alsbald für die Bedürfnisse Augustas als zu klein erweisen sollte. Da mal wieder Geldmangel herrschte, konnte fürs erste der Bau nur bis zum fertigen Oktogonturm ausgeführt werden. Und dieser hat es in sich; in den achteckigen Turm- und Arbeitszimmer zog sich Wilhelm zurück, um seinen Herrschaftsbereich optisch zu genießen. Hier las er die Berliner Gazetten, bloß um zu erfahren, dass jeden Tag Revolution ist oder sein konnte, falls nicht die Armee bereit stand, die Jakobiner zu Paaren zu treiben. Jedenfalls aber hatte der General von Schloss Babelsberg aus vor Augen, oder wenigstens in unmittelbarer Nähe was preußisch-brandenburgisch ist, Potsdam mit dem Marmorpalais, die Front des Hauses auf der Pfaueninsel an Havel und Moorlake, die Sacrower Kirche. Übrigens hatten beide Gatten, die sich in dieser Zeit des gemeinsamen Bauens offenbar ganz gut verstanden, das ihnen angebotenen Marmorpalais glatt abgelehnt; Wilhelm meinte, das Schloss sei zu groß, zu repräsentativ, aber eher steckte die Vorstellung Augustas hinter dem Verzicht, sich eine eigene Bleibe zu schaffen. Ganz frei von der Vorliebe für die waffenklirrende Neugotik ihres Gatten, von dem nachgeahmten Krimskrams der Rüstungen und Ritter, ist auch Augusta nicht gewesen. Vereint schufen die beiden Gatten dieses Unikum von Landschloss, aber es ist, wie gesagt, nichts weiter als a matter of taste, derartiges zu mögen. Heute ist es im Übrigen nicht mal mehr eine Geschmackssache, sondern bloß ein Problem geplagter Denkmalsschützer, da selbst der misslungenste Kasten noch immer herrlich ist gegenüber dem Modearchitekten mit dem Manhattankomplex. In Babelsberg sollten übrigens alle Familienszenen spielen, auch die mittlerweile klassisch gewordene - zitatenklassisch - zwischen abdankungsbereitem Wilhelm I. und seinem Kanzler in spé Bismarck. Es ging um die Behandlung des Landtages, sprich des Parlamentes, oder vielmehr dessen Entmachtung.

Während der langen, Bauzeit wohnte das Paar entweder im Berliner Schloss, was den Vorteil hatte, dass man zu Fuß die Baustelle erreichen konnte, oder in Potsdam, im Neuen Palais, dort wurde auch das erste Kind des Paares geboren, freilich noch vor Beginn des Abrisses und ewig langen Neubaus.

Es soll, wie wir lesen, eine schwere Geburt gewesen sein, dreißig Stunden lang hat die Wöchnerin in Wehen gelegen, bis sie am 18. Oktober 1831, mit zwanzig Jahren, einen weiteren Friedrich Wilhelm zur Welt brachte. Letzterer interessiert uns hier vorgreifend aus zwei Gründen; erstens weil es damals schon denkbar war, dass Augusta mit diesem jungen Menschen einen Kron- und Thronfolger geboren hatte, denn der eigentliche Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere vierte, war kinderlos, und würde nach menschlichem Ermessen auch nicht mehr Vater werden. Zweitens aber ist der Sohn der Augusta, dieser Friedrich Wilhelm, der Gatte einer Victoria geworden, die mit ihrer Schwiegermutter Augusta eine permanente Fronde gegen die Preußen bildete.

Seit zwei Jahren war Augusta nun mit dem Preußen Wilhelm ehelich verbunden, gemeinschaftlich waren sie darangegangen, zwei Häuser zu bauen, für den eventuellen Thronfolger wurde noch ein drittes aufgelegt, weil eben immer alles zu klein geriet. Es zeichnete sich das Problem ihrer Ehe ab: Zu mehr, als zu einem freundschaftlichem Händedruck, zu einem dynastisch-solidarischem Nebeneinander würde man es kaum noch bringen. Augusta war liberal, oder sie galt als Liberale, was vielleicht anders zu bewerten ist, mehr in idealem als realem Sinne, wie Franz Herre meint, der ein kenntnisreiches Buch zwar nicht über Augusta, aber über ihren Gatten und späteren Kaiser geschrieben hat, wobei Augusta hin und wieder vorkommen muss. Seine Bemerkung trifft es indessen ganz gut; liberal sein, galt als modern und aufgeschlossen, wie im Zeitalter davor die religiöse Skepsis, liberal schien dem Stand der aufklärerischen Entwicklung angemessen. Noch immer lag über alle europäischen Monarchien wie ein drohender Schatten die Hand der Revolution, ausgenommen einer, der englischen, deren Königtum paradoxerweise unter dem Schutz einer Revolution stand, welche lange zurücklag und der Dynastie Beschränkung wie Dauer gesichert hatte. Wilhelm hasste die Franzosen, und nicht nur die revolutionären; gab es einen Erbfeind der Deutschen, dann trugen sie französisches Antlitz, aber er stand auch dem englischen System skeptisch gegenüber. Verstanden hat er sicherlich beide nicht, weder die Franzmänner, noch die Briten. Augusta bewunderte alles was englisch war. In den wenigen Jahren ihres Aufenthaltes in Preußen hatte sie sich den Ruf erworben, nicht nur eine Liberale zu sein, sondern eine ausgesprochene Jakobinerin. Es mag die berlinische Eigenart zu gehässiger Abstraktion, mit der allem auf den Grund gegangen wird, auch auf den Hof abgefärbt haben. Hier wurde das Schand- und Schimpfwort Jakobiner hinter vorgehaltener Hand über die Prinzessin weitergegeben. Augusta war zu gescheit, um sich gegen eine dermaßen blödsinnige Verleumdung energisch und öffentlich zur Wehr zu setzen. Allein aus der hinter dem Blödsinn steckenden diffamierenden Absicht ergab sich für das Paar ein dauernder Konfliktstoff. Wilhelm hielt seiner Frau vor, sie selber habe sich mit ihrem Rede- und Austauschbedürfnis den Schaden zuzuschreiben, wollte sie hier leben, müsse sie eben Rückhalt bei der Familie suchen. Zu dieser aber waren die Beziehungen lose und kühl, auf Förmlichkeiten bei den befohlenen Empfängen und Staatsaffären reduziert. In dem offenen Halbkreis mit dem König in der Mitte, bei offizieller Hoftafel, bei Jagden und auf gemeinsamen Reisen entstand kaum Nähe, was auch Schuld dieser Prinzessin war, die sich auf ihre persönlichen Eigenschaften zu viel einbildete, und zu vornehm war, um sich auf den Boden der märkischen Sandbüchse, wie deren erdhafte Ritterschaft, zu stellen. Zudem, ihr konnte nicht entgehen, dass sich Wilhelm einer ihrer Hofdamen - besonders groß war der Prinzenhof zu der Zeit nicht - genähert hatte. Augusta schätzte seine Diskretion, sie war fast modern in ihren Moralauffassungen, da sie wusste, wie viel sie hoffen und von ihrem Gatten erwarten durfte, der sich immerhin über die Vaterschaft gefreut hatte, aber merklich zurückhaltend wurde, wo sie als Frau etwas hätte fordern können. Die Gräfin Oriola, Augustas Hofdame, hatte sicherlich mehr von Wilhelm als seine Gattin, indessen änderte die Prinzessin ihr Verhalten gegenüber der Oriola nicht; sie tat weiter unangefochten Dienst bei Augusta. Man schrieb ihr nach wie vor von den stattlichen Nachkommen ihres Herren Gemahls, sämtlich illegitimer Art, diese sollten schon wegen der Familienähnlichkeit mit Wilhelm auffallen. Er tat wenig für diese Bastarde, und wenn, dann höchst unauffällig, keine erfundenen Titel, keine wirkliche Favoritinnen unter seinen Geliebten. Darin unterschied er sich von seinem Großvater, dem alten Liederjan. Übrigens hätte Augusta auch kaum eine Möglichkeit gehabt, dem Kater Wilhelm die fürstliche Schelle umzuhängen, wollte sie nicht zugleich die schlafenden Hunde, alle ihre zahlreichen Feinde wecken und auf ihre Schande aufmerksam machen.

Was sie nicht nur beibehielt, sondern nach ihren Wünschen ausbaute, waren die lockeren Gesellschaften. Selbstredend lud sie nicht, sie wählte die besondere Art Einladung halber Liebenswürdigkeit und ganzen Anspruchs. In der Bonbonniere, einem Zimmer des Hauses, pflegte sie bis in ihr hohes Alter hinein, auf immer die gleiche Art und Weise ihre Teegesellschaften zu geben. Es kamen natürlich der Professor Curtius und Hoffmann, ein Chemiker, also immerhin Bürgerliche, nicht Hoffähige. Gereicht wurde Tee, Früchte, Eis. Die Prinzessin führte das Wort, ganz im Bewusstsein ihrer geistigen Gaben, einer bestimmten Überlegenheit, die auch vor Fachfragen nicht anhielt. Manchmal zeigte ihr Gesicht schon die gespannte Aufmerksamkeit der späteren Kaiserin, die zuhörte, auf dem Sprung, ihren Spruch loszuwerden, einzugreifen, sich Geltung zu verschaffen. Und die anderen, die Herrschaften ihres Hofes, der Graf Perponcher, Albedyll, Herr von der Goltz, die Flügeladjutanten, zu deren ureigensten Aufgaben stets gesellschaftliche Verpflichtungen gehört hatten. Aber die Situation ihrer Ehe war verändert; trat Wilhelm jetzt herein, dann empfand ihn Augusta als einen Feind oder Fremdkörper. Sie war verletzt, und konnte sich nicht von dem inneren Druck befreien, der anwuchs, wie sie wohl fühlte. Noch zwang sie sich zur Liebenswürdigkeit, der sie fähig war, wenn sie es wollte. Sie ließ ihren Geist glänzen, spielte sich auf den bewunderten Mittelpunkt herauf, sich der Schwäche ihrer Rolle genau bewusst. Was sie kaum geahnt hat, ist die Wirkung, die ihre Glanzrolle auf ihn inzwischen hatte.

Schon im ersten Ehejahr hatte Wilhelm, dem es nicht etwa an Verständnis für die Geistesgaben und den scharfen Verstand seiner Frau fehlte, Augusta ersucht, sich nicht zu tief in Diskussionen einzulassen, die seiner Ansicht über ihre Sachkenntnisse hinausgingen. Er pflegte vor allem den Altersunterschied herauszustellen. Was er selber aus Standesbewusstsein für sein Recht gehalten hätte, einem älteren Professor einfach ins Wort zu fallen, das wollte er bei seiner Frau nicht dulden. Man hat sich hierzu eine Runde hoch gelehrter Geister und tief talentierter Künstler vorzustellen, alles, was die eigentlich neue Gesellschaft Berlins oder Preußens ausmachte, um über Politik, Philosophie, Technik und Kunst zu debattieren. Die Lebhaftigkeit seiner jungen Frau ärgerte ihn, sie griff ihm zu oft als Gleiche unter Gleichen ein, stritt sich mit Fachleuten, wie Wilhelm die Sache ansah. Eine Fürstin sollte an ihrem Stand genug haben, und anderen die Kärrnerarbeit des Geistes überlassen; eine Prinzessin musste nicht auch nur annähernd Bescheid über irgendetwas wissen, zumindest aber ihre Vorstellungen nicht mit all und jedem auf eine Ebene auszutauschen suchen. Diese Haltung ging nicht allein auf eine seiner Schrullen zurück; sie gehörte zum Standesdenken; es hatte sich die Fürstin dem Fürsten unterzuordnen, nicht aber mit ihm zu messen, und er spürte genau, welche Nachricht sie ihm mit der Feststellung ihrer geistigen Überlegenheit zukommen lassen wollte. Wilhelm räumte vor anderen auch ein, dass sich seine Frau mit scharfer Urteilskraft und gereiftem Verstand wohl in die anstehenden Streitereien mischen konnte. Was ihm daran nicht gefiel, liegt nicht einmal bloß auf dem Gebiet seiner schwer zu ergründenden Eitelkeiten. Sein erzener Standesbegriff hinderte ihn daran, den Gesprächen einfach aufgeschlossen zu folgen, Argumente gegeneinander abzuwägen, und für sich selbst Gewinn aus einem tieferen Gespräch zu ziehen. Wäre die Befehlsebene ganz praktisch zu Gunsten einer menschlich freien Gesellschaft aufgehoben worden, und eine Meinung, auch eine völlig richtige und zutreffende, hätte es der Genehmigung einer anderen Ansicht durch einen Fürsten eben nicht mehr bedurft. Dies aber empfand Wilhelm als den Anfang vom Ende der Lebensgrundlagen des Fürstenstaates, und seine Frau dachte ebenso. Musste schon eine Fürstin eigentlich nichts anderes sein als Fürstin, um wie viel mehr ein Prinz unter Prinzen und Inhaber eines Generalkommandos. Und irgendwie stößt die Bemerkung Wilhelms zum Verhalten seiner Frau auf ein weiter gehendes Problem. Widerspruch war bereits Majestätsbeleidigung, und da es Gebiete gab, in denen das Machtverhältnis wirkungslos blieb, hielt sich der Inhaber der Befehlsgewalt aus der bürgerlichen Debatte besser heraus, in der er nicht bestehen konnte. Augusta hingegen liebte den belebenden Dialog auch im Streit; in ihren Vorstellungen büßte sie nichts an dem ihr zukommenden Respekt ein, wenn sie im Gespräch korrigiert wurde. Eigenartig, diese Frau, deren persönlicher Hochmut tief verletzen konnte, bewegte sich mit anderen, unter anderen mühelos in diesem Streitelement.

Oft wird Preußentum eo ipso als bildungsfeindlich bezeichnet; das stimmt keineswegs generell. Viel eher zeigt sich der Machtbegriff unverhüllt in der Standesgrenze. Bezeichnenderweise sollte Wilhelm Jahre später dem Präsidenten der verfassunggebenden Nationalversammlung daran erinnern, dass er, Wilhelm, vor allem ein deutscher Fürst sei, dem an der Krone aus den Händen des Volkes, also gewählter Deputierter nicht das mindeste läge. Selbst die Kaiserproklamation hätte an diesem Denken scheitern können, weil Wilhelm nicht als Kaiser von Deutschland gekrönt werden wollte. Dazwischen lag noch eine Handlung, die seiner Selbstkrönung; ein Akt, der alle auf das höchste befremdete. Wir werden den Fall noch zu sehen bekommen.

War Augusta allen Themen und Personen offen, so kam es ihm bei einem Gespräch vor allem auf die gesellschaftliche Kompetenz an, die durch Stand oder Geburt festgelegt wurde. Er maß den Gesprächspartner immer an seinem Rang, auch wenn er einen notorischen Blödian vor sich hatte; sie hingegen maß jedermann an seinen natürlichen Gaben. Deshalb liest man, er sei ein männlicher Charakter gewesen; das war er, ein schreiender Gegensatz zu seiner lebhaften, beweglicheren Gattin, aber eine femme d’esprit , die Frau vom Geist eines bürgerlichen Salons, durfte eine verheiratete, zumal mit einem Preußen verheiratete Fürstin seiner Ansicht nach nicht sein oder bloß sein wollen, ohne sich was zu vergeben. Sie suchte gesellschaftliche Nähe, er duldete sie; sie ordnete nach Verdienst ein, er nach Geburt, und er mag sie oft genug in diesem Sinne gerügt haben, ritterlich zwar, denn das war er ebenfalls, aber an dieser Art Ritterlichkeit lag ihr bedeutend weniger, als er auch nur ahnte.

Mancherlei Gerücht kursierte auch über Augusta, und jeder Nachrede hat Wilhelm zeitlebens eine große Bedeutung beigelegt. Überdies stritt sich die junge Augusta auch öffentlich mit ihrem General, wenn sie anderer Meinung war als er, was Wilhelm für vollkommen unzulässig hielt. Eine Jakobinerin, als welche die junge Fürstin in Berliner Hofkreisen galt, war sie natürlich nicht. Jakobinertum dachte sich Wilhelm immer nahe beim Königsmord liegend, aber die Zeit der Herrschaft eines Robespierre und des Revolutionstribunals, die Zeit, in der ein Theoretiker der befreiten Welt bei den Abendsitzungen des Jakobinerklubs seine Reden und vorgeschlagenen Maßnahmen zu testen pflegte, so dass der Klub eines der wichtigsten Machtorgane der Republik geworden war, diese Zeit lag noch keine vierzig Jahre zurück und war in frischer Erinnerung. Der Liberalismus Augustas war nicht Mode und Erziehung. Es erwies sich, dass ihre Grundsätze für die Bildung junger Fürsten noch durchaus auf den in Weimar eingesogenen Vorstellungen beruhten. Bei der Geburt ihres ersten Kindes hatte Goethe, inzwischen hochbetagt, die freundlichste Gratulation geschickt, mitempfindend und im frohen Behagen, wie er schrieb. Sie war also nicht vergessen; auf dieser deutschen Erde lebte noch einer, der sie verstand und mit ihr zu fühlen wusste. Bismarck hat diesen Sachverhalt später scharfsinnig genug erkannt; er führte alle Schwierigkeiten mit der Königin und Kaiserin auf ihre Weimarische Bildung zurück. Von der er selbst wenig hielt, versteht sich. Das Billett des Geheimrates konnte für Augusta in der Tat nur Mahnung sein, sich der Erziehung des Sohnes, der Erfüllung von auferlegten oder selbst gestellten Pflichten nicht billig zu entschlagen, nur weil man hier in Preußen anders über den Wert des Menschentum dachte. Wilhelm verursachte allein schon das Gerücht, seine Frau neige zum Jakobinertum eine Gänsehaut; nicht zu übersehen ist, dass ihr Einfluss auf den langsam denkenden Wilhelm, mit seinem starren Bild von Pflichtauffassung und Standesdenken, in den ersten Jahren ihrer Ehe schwankend war. Die Ehekrisis sollte schneller eintreten, als sie erwartete. Dazu trugen die schwieriger werdenden äußeren Umstände nicht wenig bei, auch die kleinen und kleinlichen, da Augusta mehr Geld für ihre eigene Hofhaltung zu fordern begann, als vordem. Noch war Wilhelm bloß General, noch war er abhängig von seinem obersten Dienstherren und Vater, der seine Wünsche nach wie vor schriftlich in Befehlsform an den Sohn weitergab. Augusta aber hat in diesen Jahren nicht nur begonnen, nach einem eigenen Lebensstil zu suchen, sie tat auch ohne Zweifel einen Blick in das Leben ihres Herren Gemahls. Noch hatte sie nicht aufgegeben. Man reiste, um sich zu ergötzen. Und nicht ganz ohne bestimmtere Absichten. Der Vorfall liegt zurück, vor dem Hausbau und der Geburt des jungen Friedrich Wilhelm.

Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I.

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