Читать книгу Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I. - Helmut H. Schulz - Страница 7
BRAUTWERBUNG
ОглавлениеAls Wilhelm in Ihr Leben trat, wusste Augusta, dass sie nur die zweite Wahl sein würde.
Weimar, im Winter 1829
Mama und ich sprachen heute darüber, wie ich mich gegenüber der Tatsache zu verhalten habe, dass W. eine unglückliche Liebe zur R. hat. Diese Elisa weckt mehr Anteilnahme in mir, als es schicklich wäre. Eifersucht kann ich auch bei ernsthafter Prüfung nicht die Spur bei mir entdecken. Mama findet das absonderlich, ich mußte ihr erklären, wie sinnlos es ist, auf eine Frau eifersüchtig zu sein, die mein Bräutigam selbst verstoßen hat; in Bürgerkreisen nennt man es wohl sitzenlassen. Peinlicher berührte mich die Frage Mamas nach meinen eigenen Empfindungen für W., habe mich gehütet, die Wahrheit zu sagen, dass ich ihn als Mann und Menschen zu befragen gedenke. Was in aller Welt erwartet man denn von mir? Mama wurde schließlich ärgerlich. Daß sie W. für beschränkt hält und für unfähig, etwas anderes als Selbstliebe zu empfinden, habe ich ihr ausreden müssen. Später in den Wahlverwandten gelesen, und weiter angeregt bei Stella nachgelesen. Zu meiner eigenen Überraschung hat der Gedanke einer so ungewöhnlichen geistigen, nur geistigen?, Beziehung zwischen drei Menschen für mich überhaupt nichts erschreckendes. Ich versuchte, mir dazu diese Elisa vorzustellen, die lange auf W. gewartet hat und ich betrachtete das Bild dieser Frau. Wäre ich damit einverstanden (und imstand), sie in unsere Ehe einzubeziehen, da ich keinen natürlichen Anspruch auf W. haben kann? Wo alles freier Wille ist, hört konstituiertes Recht auf. Besitzt sie etwas anderes als ich, oder hielt W. nur aus äußeren Rücksichten daran fest, sie zu heiraten?
Man schreibt aus Berlin, dass mein Verlobter eine weitere Beziehung zu einer Frau unterhält, was er vielleicht aus einem Bedürfnis seiner Nerven heraus tut. Unsere Moral ist leider ganz konventionell, gleichwohl müssen wir die Formen unseres Umganges miteinander so ausgestalten, dass jedem sein Recht wird. Wenn das, wie in Stella, auf einer einfachen Erweiterung unseres Anspruchs geschieht, spottet die Natur jeder Frömmigkeit. Vor Mama will ich aber lieber über diese Einfälle schweigen.
In Berlin, oder in Potsdam, wo wir wohnen werden, muß unser Haus allen Menschen freien Geistes geöffnet sein; die großen neuen Ideen dieses Jahrhunderts werden bei uns Heimstatt haben und im freundlichen Umgang ausgetauscht werden. Muß mir eine Liste mit den Namen jener Männer anlegen, die in Berlin wirken und wertvoll sind. Humboldt! Mama besteht peinlicherweise darauf, dass alle unklaren Beziehungen meines Verlobten vor unserer Hochzeit gelöst werden müssen. Nun, dergleichen ist für unsere Beziehung ohne alle Bedeutung, da wir beide ja erst zueinander finden müssen. Ich habe den besten Vorsatz dazu.
Geworben war, das Ja-Wort gegeben, nun mussten die Beziehung des Ehemanns in spé allerdings geregelt werden. Zuallererst die zu der Wartebraut Wilhelms, Elisa von Radziwill. Über diese Affäre regte sich der Berliner Hof auf, und nicht nur der; ob aus der Liebe des Prinzen zu jener Frau etwas werde oder nicht, hatten verschiedene Gutachter entscheiden sollen, bis zuletzt der väterliche Machtspruch den Prinzen aus der Entschlusslosigkeit gerissen, als ihm die Braut Augusta befohlen wurde. Er selbst führte eher das Dasein eines jungen Gardeoffiziers mit mehr als einer Amoure, hegte und pflegte jedoch zugleich und ausdauernd das, was er für Liebe hielt zur schönen Radziwill. Inzwischen aber beschlief er noch eine andere; kurz, Mama Maria Feodorowna drängte nicht ohne triftige Gründe zur politischen Regelung dieser so liederlichen wie losen Allianzen. Augusta scheint der leicht skandalumwitterte Herr eher wegen dieser Ärgerlichkeiten interessant gewesen zu sein. Sie zählte allerdings nur 18 Jahre und war gänzlich ohne Sinneserfahrung.
Friedrich Wilhelm III. griff ein, er schickte der verflossenen Braut seines Sohnes Wilhelm anstatt eines Heiratsbriefes ersatzweise einen Orden, den Luisen-Orden, nach der berühmten Königin und Gattin, der Mutter des Prinzen und Brautwerbers. Und Elisa von Radziwill hatte sich diesen Entsagungsorden innerhalb ihres langen Wartestandes redlich verdient, in welchem sich beide, sie und Wilhelm, als Verlobte betrachteten. An sich hatte der Berliner Hof seit der Hurenwirtschaft unter Friedrich Wilhelm II., dem alten Liederjan, einen höchst miserablen Ruf bei den deutschen Fürsten, die es ja eigentlich nötig hatten vor ihrer eigenen Haustür zu kehren. Und die haarsträubende Liebesgeschichte der Elisa und Wilhelms war natürlich europaweit bekannt gemacht worden, dafür sorgten schon die verschiedenen Gesandten. In einer Zeit, in der die Vermählung eines Sohnes oder einer Tochter aus regierendem Hause keine Privatangelegenheit war, hing von solchen Allianzen einiges ab. Im Sommer 1826 waren die Würfel endgültig gefallen, nach einem Jahre dauernden Interim, und Wilhelm erhielt die Allerhöchste Order sich des Heiratsplanes mit der unstandesgemäßen oder dynastisch unzulänglichen Elisa zu entschlagen. Da Wilhelm schien, er habe bloß immer zu gehorchen, und sein Teil sei die bittere Klage über die Härte seines Prinzenschicksals, konnte er einige Jahre später - schon als Ehemann der Augusta - an die Bahre der zu Freienwalde verschiedenen Radziwill treten, und zwar in einem herzzerreißenden Zustand, wie die Schwägerin Elisabeth deutlich bemerkt haben will, was sie auch sogleich an alle Welt schrieb. Daher wissen auch wir, wie es um den armen Wilhelm stand. Daran dass die schöne Radziwill und der nicht ganz so schöne Prinz einander nicht kriegten, soll die Mutter Augustas, Maria Pawlowna, keinen geringen Anteil gehabt haben. Was sich in den Jahren zwischen 1818 und 1826 - auf etwa acht Jahre datiert Wilhelm selber diese Frist - abspielte, davon hat Augusta ohne Zweifel alles, zumindest das sie betreffende, mitbekommen. Varnhagen, als diplomatischer Kopf gut unterrichtet, sagte schon 1826 eine Doppelhochzeit voraus. Karl, der Bruder Wilhelms, würde die Weimarerin Marie, Wilhelm, die jüngere Augusta heiraten, so dachte er sich die Lösung, und so kam es auch. In diesem Falle war das Weissagen allerdings so schwierig nicht. Denn Maria Pawlowna hatte sich tatsächlich nachdrücklich in die Ehekabalen eingeschaltet und in Berlin wissen lassen, dass an eine Verbindung ihrer Tochter Marie mit Karl solange nicht zu denken sei, wie die Affäre Radziwill und Wilhelm in der Schwebe bleibe. In der Ehesache Elisa-Wilhelm unternahm der Vater und König Friedrich Wilhelm III. allerhand Winkelzüge, oder auch nicht Winkelzüge, sondern gut gemeinte Demarchen, um seinem Sprössling entgegen zu kommen. Unter anderem versuchte er, die Großfürstin matt zu setzen, in dem er beim Zaren anfragen ließ, ob der nicht eine Möglichkeit fände, die Radziwill zu adoptieren. Der Zar, Bruder der Großherzogin, fand diese Möglichkeit nicht, und Friedrich Wilhelm III. wusste sicherlich, dass die beiderseitigen Interessen anders gelagert waren, zumindest werden sich die russischen Geschwister abgesprochen haben.
Der Preußenkönig manövrierte also, weshalb? Um den Sohn zu schönen? Jedenfalls zögerte er die letzte Entscheidung über den Eheplan seines Sohnes mit der Radziwill hinaus, ließ etliche Gutachten anfertigen, die für und wider ausfielen und den Anschein erwecken sollten, der Vater träfe tatsächlich alle Vorsorge, dem Glück seines Sohnes aufzuhelfen. Der Zar Alexander I., hatte die Bitte Friedrich Wilhelms Elisa zu adoptieren, also nach Rücksprache mit seiner Schwester in Weimar abgelehnt. Auch eine Annahme an Kindes statt durch den Prinzen August von Preußen, einem Bruder der Luise, Elisas Mutter, kam nicht zustande, und sie hätte auch wohl die Forderung Maria Pawlownas gar nicht erfüllt. Es fragt sich aber doch, welche Absicht der Friedrich Wilhelm III. mit diesem Spiel verfolgte, das letzten Endes dynastisch nichts gebracht hätte, selbst wenn alle Gutachter freudig für den Eheplan mit Elisa gewesen wären. Bewegung kam im Winter 1825 in die Affäre, als alle europäischen Höfe nicht nur Staatstrauer anlegten, sondern eilends Sondergesandte zu den Trauerfeierlichkeiten nach Russland schickten. Auch Wilhelm reiste zu den getauften Bären, streifte Posen, wo sich seine wartende Braut Elisa aufhielt, reiste weiter, und so weiter, und so weiter.
Plötzlich bestand die Großfürstin Maria Pawlowna nach dem Machtwechsel auf dem Zarenthron nicht mehr darauf, dass vor der Eheschließung ihrer älteren Tochter Marie mit Karl die Angelegenheit Elisa-Wilhelm zu bereinigen sei. Möglicherweise hatte sie überhaupt keinen ernsthaften Grund für ihre Vorbedingungen, wollte nur ihre Launen ausleben, und sich nicht aus dem Spiel drängen lassen. Nun aber war es mit dem Zögern Friedrich Wilhelms III. zu Ende, und er erließ einfach eine Order, im Oktober 1826, dass sich beide Prinzen, Karl und Wilhelm, ohne Umstände und Nachfragen ungesäumt nach Weimar zu begeben hätten. Karl galt als so gut wie verlobt. Und so konnte der strenge Befehl für Wilhelm eben nur bedeuten, sich die zweite freie Tochter in Weimar genauer anzusehen. Wieder einmal ballte der Bräutigam in spé die Fäuste, freilich innerlich, denn: Der Befehl zu dieser Reise ist ein Beweis, dass mir das Leben nicht leicht gemacht wird. Wo steht geschrieben, dass das Leben leicht sein muss? Im Übrigen hatte sich zwischen der so lax und leger beendeten Affäre Elisa und der geplanten Brautschau in Weimar diese andere Dame eingeschlichen, Emilie von Brockhausen, die freilich zunächst einsichtig genug war, sich nicht in der eitlen Hoffnung zu wiegen, am Ende ihres Liebesglückes mit diesem schwankenden Freier könne eine Königskrone für sie liegen, wie sie die Schillerwitwe einst deutlich an der Wiege der Augusta gesehen haben wollte. Was nicht heißt, Emilie sei für jedweden Schmerz, für jede Verletzung ihres Selbstgefühls vollkommen unempfindlich gewesen. Auch anderen wurde es offenbar nicht leicht gemacht. Es liegt nahe, in all diesem Hin und Her tatsächlich etwas zu sehen, was der Prinz Wilhelm als Schikane empfand; da er nie selber und unabhängig handelte, musste eben ein anderer die Entscheidung für ihn übernehmen, was der Prinz von Preußen zeitlebens für Pflichterfüllung gehalten hat. Dieser bequemen Ausrede sollte er sich ein Leben lang bedienen, und es gelang ihm sogar, anderen einzureden, er täte überhaupt nichts anderes, als seine Pflicht. Jedenfalls besuchte er die junge Dame Augusta, die zwischen 15 und 16 Jahre alt gewesen sein dürfte. Pikanterweise schrieb er seine Eindrücke an Tante Luise, seiner beinahe Schwiegermutter und Mutter Elisas, und teilte ihr mit, dass Augusta schön geworden sei, woraus zu schließen, dass er sie nicht zum ersten Male sah, wohl aber zum ersten Mal ansah, und zwar gewissenhaft prüfend, ob sie sich zur Prinzessin von Preußen eigne. Außerdem fand er sie fast größer als ihre ältere Schwester und sehr formiert. Was darunter zu verstehen ist, können wir nur ahnen. Augusta war entwickelt, hatte viel Busen und weibliche Hüften, was einem solchen Kenner wie Wilhelm ins Auge fallen musste. Auf diese Briefe, die sich länger als ein halbes Jahr um ein und denselben Gegenstand rankten, nämlich um die Gefühle und Eindrücke des ehemaligen Liebhabers der Elisa von seiner künftigen Ehefrau, schnappten die beiden Posener Damen, Elisa und Luise, Mutter und Tochter, endlich und begreiflicherweise doch ein. Was sich dieser Herr nun eigentlich dabei denke, derart unverblümt über ein Mädchen zu schreiben, als handele es sich um eine Remonte, um ein ungerittenes Militärpferd? Was, das bleibt unerfindlich, es sei denn, ihn leitete die vollkommene Gleichgültigkeit, obschon er aus dem Handbillet des Vaters nach Weimar wissen musste, was dieser von ihm erwartete, nämlich den Entschluss, seinen Heiratsantrag dort endlich abzuliefern. So schreibt er denn auch im Januar 1827 wiederum in seinem geschraubten Stil, dem kein klarer Gedanke zu entnehmen ist, an die Tante. Darin fragt er sich, ob die unter so merkwürdigen Umständen gemachte Bekanntschaft Augustas überhaupt einen Einfluss auf sein Leben haben könne, und er antwortet sich sogleich selbst, nie, schon ein Vielleicht sei unmöglich, da ein Vergleichen, nämlich Elisa mit Augusta, Ersatz bedeuten würde.
Das Auffallende an allen Briefen Wilhelms, die wir aus dieser Zeit nachlesen können, ist das Ungreifbare, Weiche, Phrasenhafte, sind seine seitenlangen Rechtfertigungen und fruchtlosen Erwägungen. Stets geht es um seine Leiden, nicht um die, welche er anderen verursacht. Und: Frauen, die er hinhält, haben die Pflicht, ihn zu bedauern. Indessen blieb alles in der Schwebe; die eine Braut wartete in Posen auf ihre Erlösung durch den Kuss dieses zaudernden Prinzen, die andere in Weimar, eine dritte wartete gar nicht, war aber in Berlin greifbar, sobald Wilhelm weiblicher Hilfen bedurfte.
Im Mai 1827 heiratete Karl endlich die Marie. Inzwischen war Wilhelm dreißig Jahre alt geworden, und ihm wurde von Vatersseite energischer bedeutet, was alle Welt von ihm erwarte. Da ihm die Neigungsehe mit der Polin nicht erlaubt sei, dürfte ein Berliner Konkubinat höchstens vorübergehenden Charakter haben. Wieder erfindet Wilhelm eine Ausrede, indem er dem Vater die Lage auseinandersetzt, wenn er diese Augusta wirklich zur preußischen Prinzessin mache, trete doch folgendes Dilemma ein: Augusta würde nämlich im Falle der Ehe mit ihm als Gattin des zweiten Prinzen vor ihrer älteren Schwester rangieren, die bloß den dritten Prinzen, also Karl, abgekriegt habe. Friedrich Wilhelm III. wusste auf diesen Unsinn keine Antwort, er stellte seinem Sohn frei, sich allein weiter umzusehen. Übrigens erklärten nunmehr alle Gutachter in Ehesachen ihr vollkommenes Unvermögen, den Fall zufriedenstellend zu lösen. Es folgten eine ganze Reihe wenig ernsthafter Heiratsprojekte. Zwei schwedische Prinzessinnen, eine Großherzogin von Baden, Stephanie nebst Tochter Charlotte, kreuzen den Weg des Brautbeschauers, eine Prinzessin Pauline aus Württemberg; die Schwedin Cäcilie, eine Tochter des Königs Gustav IV. Adolf kam in die engere Wahl, weil sie eine sehr schöne Figur und einen noch schöneren Kopf hatte, leider aber sehr still gewesen sei. Letztere Dame erwies sich deshalb als still, weil sie, von ärztlicher Seite begutachtet, als erblich blödsinnig eingestuft werden musste, und so wurde auch aus dieser Sache nichts. Einer anderen der Bewerberinnen fehlte wiederum das normale Gehör; man sieht, die Inzestschäden waren überall weit vorgeschritten. Eine halbwegs ansprechende Dame mit einer relativ zuverlässigen Erbanlage unter den deutschen Fürstinnen zu finden, kostete bereits einige Mühe. Dass sich die Brautwahl des Wilhelm zwischen 1827 und 1828 weiter verzögerte, hatte seinen Grund im sanften Drängen der Familie Brockhausen auf eine Verbindung mit der Emilie. Diese Beziehung zog sich schon etwas zu lange hin, um nicht den Geruch des Skandals anzunehmen, und die Emilie musste einen Schaden fürs Leben davontragen, sollte nicht bald entweder die Trennung, oder die Ehe vollzogen werden. Daran war nicht zu denken. Endlich musste der Vater wieder als oberster militärischer Befehlshaber eingreifen; er befahl ganz einfach die Heirat mit Augusta. Aufschlussreich ist die schriftliche Antwort des Sohnes darauf; dem Vater hatte er nicht folgen können, dem Vorgesetzten schrieb er: Wie tief mich der Gedanke angriff, so weit nunmehr über meine Zukunft aufgeklärt zu sein, braucht keiner Worte. Und: Die getroffene Wahl war gewiß Sein Wille.
Aha, also Gott war es, der über die Ehe des Wilhelm und der Augusta entschieden hatte, freilich durch die Person des Vaters, dem schließlich der berühmte Geduldsfaden gerissen war. Sollte es wirklich Gottvater gewesen sein, der alles so wollte, dann hatte er sich geirrt, wie wir sehen werden, wenn wir den Lebensweg der Augusta weiter verfolgen. Nun hätte dieses arme Mädchen also gleich in den so geregelten Ehestand treten können; allein, der Sache stellten sich erneut Schwierigkeiten in den Weg. Friedrich Wilhelm III. bestimmte den Termin für ein Treffen, auf dem einige Entscheidungen sachlicher Natur zu suchen waren, für den Mai 1828, zweitens aber verstarb der Großvater der Braut, Karl August, womit er für alles weitere nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann. Hoftrauer war angesagt. Heißt es beim Wiener Opernball: Alles Walzer so hieß es hier: Alles Trauer. Maria Pawlowna war im Übrigen schon wieder indigniert, weil sie den Eifer vermisste, den ein Bräutigam doch immerhin an den Tag legen sollte, wenn er von einer Braut günstig aufgenommen werden will. Hatte der Wilhelm mit seinen Freundinnen wenig Glück, so brachte er auch regelmäßig deren Mütter gegen sich in Rage. Die Großherzogin verlangte nunmehr kategorisch, dass sich Wilhelm bis zum Herbst besinnen sollte, ob er wolle, oder ob er nicht wolle. Den Vorhaltungen der launischen Schwiegermama setzte nun wieder der Prinz von Preußen störrischen Trotz entgegen. Man habe, meinte er, nach ihm geangelt, und jetzt, wo er zu haben sei, ziere man sich zu Weimar. Am 12. Oktober 1828 schickte er dennoch das Bewerbungsschreiben ab. Dem wurde natürlich stattgegeben, und der inzwischen 32 Jahre alte Brautwerber begab sich nach Weimar. Dort traf er am 16. Oktober die junge Augusta. Ohne Affentheater ging auch die letzte Phase der Werbung nicht ab. Getreu seinem Stil, schilderte Wilhelm umständlich, wie er das Eheversprechen von Augusta bekam. Nach dem Souper am Abend des 16. Oktober ließ man die beiden allein, hoffend, sie würden die Sache unter sich nicht nur ausmachen, sondern der Werbung einen menschlich wärmeren Ton geben. Zu gut Deutsch, sie würden sich überhaupt erst einmal ansehen, ansprechen, berühren, und was dergleichen nebensächlich Wichtiges getan wird, bevor man heiratet. Dazu aber war der Prinz kaum fähig. Immer hatte er einen stummen Aufseher über sich, der ihm den Spiegel vorhielt und ihm Haltung abnötigte. Wilhelm hielt der jungen Frau einen Fächer hin, und zwar einen zerbrochenen -, allegorisch, wie die Lumpe sind, nennt Goethe solche Art Auftritte. Augusta ging auf das Spiel ein und verlangte ihren Fächer zurück. Wilhelm griff nach ihrer Hand und fragte: Wollen Sie diese behalten? Worauf Augusta ihm gerührt die andere Hand gereicht habe.
Und dieser Händedruck und ihr Blick sprachen alles aus, was ihr Mund nicht auszusprechen vermögend war. Sie können denken, wie glücklich ich war und dass die Nacht ziemlich schlaflos dahinstrich. Schrieb er dem Vater.
Halten wir inne. Wieso war der Mund Augustas nicht vermögend, zu sagen, was sie über diesen Auftritt dachte? Und weshalb ist Wilhelm auf einmal so glücklich, dass ihm der Schlaf geraubt war, nachdem er sich wie die Zicke am Strick gegen dieses Glück gesträubt hatte? Zuerst muss der Vater von dem neuen inneren Zustand wissen. Friedrich Wilhelm III. konnte sich gut vorstellen, was sein Sprössling empfand oder vielmehr, was er nicht empfand, und nicht den Mut hatte zu schreiben: Ich habe Order pariert. Mag Gott diesem armen Mädchen helfen, ich kann es nicht.
Was die junge Augusta betraf, so gibt es kein ähnliches Zeugnis, in dem so dick aufgetragen wird, wie in Wilhelms Briefen. Sie, die klügere, kühlere, war sich wohl darüber im Klaren, auf was sie sich einließ, einlassen musste. Vielleicht kam ihr der Herr, der mit einem zerbrochenen Fächer in der Hand so geschraubt zu ihr geredet hatte, ein wenig albern und theaterhaft vor, aber als Kind ihrer Zeit und ihrer Gesellschaftsklasse musste ihr auch die Gardehaltung ihres Bräutigams gefallen, ein Mann von ungewöhnlicher Körpergröße, seine etwas groben, aber regelmäßigen Gesichtszüge, die hellen Augen. Familieneintracht stellte sich nunmehr mühelos ein. Als sich am Geburtstage Maria Pawlownas, vielmehr am Vorabend, die Sippe um die Großfürstin versammelte, wurde dem Wilhelm gestattet, Schwiegermutter und Schwiegervater in einem Nebengelass unter sechs Augen in die Arme zu schließen. Wilhelm war durch derlei Gesten immer zu beeindrucken; er fühlte sich aufgenommen, akzeptiert, das Glück der banaleren Art, der Ruhe und der Zufriedenheit mit sich, stellte sich ein, er fiel seiner künftigen Frau um den Hals. Freilich, ohne ein Wort sprechen zu können. Behauptet er, behielt aber seine Schwatzhaftigkeit, ohne die Wirkung auf Augusta zu ahnen, dass er sich mit seinem Gerede den Weg zu seiner Frau verbaute. Das Gemüt dieses jungen Mannes war bewegt, er war nicht verliebt. Wirft man einen Blick auf alle seine Affären, dann ist ein solch luxuriöses Gefühl eher auf Äußerliches reduziert. Was auch geschieht, Wilhelm beurteilt immer nur die Wirkung auf seine Empfindungen, in allen seinen Briefen findet sich keine Überlegung, was seine Partnerin im gleichen Augenblick fühlt. Er leidet; er leidet tatsächlich, vielmehr erleidet er alles; die Umstände machen in glücklich oder unglücklich. So musste denn die Braut von 18 Jahren von ihrer Schwester Marie seine Bemerkung erfahren, dass sie, Augusta, ihn als Frau völlig kalt lasse. Er fände seine Braut schön und klug, nicht mehr. Dass Augusta klug war, wusste sie selbst, sie hätte es sich von anderen, geistig höher stehenden als ihr Tropf von Bräutigam, leicht bestätigen lassen können, wenn sie das gewollt hätte. Aber sie war auch eine junge Frau mit einem persönlichen Anspruch, nicht bloß Prinzessin, die Räson parierte, und wie jede Frau musste sie eine öffentliche Herabsetzung treffen. Und es ist schlechterdings unmöglich, anzunehmen, einem Mann von 30 Jahren hätte es an der einfachen Lebenskenntnis gefehlt, dass er annehmen durfte, diese und ähnliche Bemerkungen würde die Schwester seiner Braut taktvoll für sich behalten. Und er hielt sich anderen gegenüber keineswegs mit Invektiven zurück.
An den Ausdruck starker Empfindungen, großer seelischer Bewegungen, war Augusta gewöhnt, auch fähig, zu reflektieren, hier aber war sie Erlebende, Erleidende. Und ihr künftiger Gemahl fuhr fort, seinen Mangel an Gefühl für seine Braut öffentlich auszubreiten, als wollte er sich an ihr für seinen Verzicht auf eine andere rächen, damit nahm er ihr die Hoffnung auf eine Gemeinsamkeit. Einerseits preist er Gott wegen der Gnade und Fülle seines Glückes, und er fleht darum, ihn würdig zu erhalten, das Glück zu genießen; sein Streben gehe dahin, die Prinzessin glücklich zu machen. Andererseits erklärt er schriftlich, seine Werbung sei einzig vom Verstande diktiert gewesen. Lieben könne man eben nur einmal im Leben. Dies schreibt kein heuriger Hase von 18 Jahren nach einem ersten missglücktem Liebesversuch, sondern ein Mann von 32, der seinem ersten schon einige andere Liebesglücke angefügt hat, der überdies seine gescheiterte Liebe zur schönen Radziwill wie eine andauernde Passion, wie einen ewigen Mummenschanz feiern sollte. Wenn es nur eine wirkliche Liebe gab, was war das andere? Noch sonderbarer: Maria Pawlowna, die Schwiegermutter, musste 1829 im Hochzeitsjahr den Schwiegersohn dringend ersuchen, die Affäre mit der Radziwill endlich in aller Form zu Ende zu bringen. Das tat Wilhelm, da es sich nicht umgehen ließ, und reiste im Juni 1829 nach Antonin, dem Sommersitz der Radziwills, um auch dort wieder eine reife Szene aufzuführen. Selbst Tante Luise war unangenehm überrascht vom Auftreten ihres Neffen, der sich in Tränen auflöste und sich nach Herzenslust gehen ließ. Dann allerdings, als er es hinter sich hatte, erfüllt Beruhigung sein Herz, selbst die schönen Augenblicke verschwinden, meldet er vor sich selber und vor allem vor anderen. Als die schönen Augenblicke geschwunden waren, stand der Hochzeit nichts mehr im Wege.
Die Affäre ihres Bräutigams mit Elisa, die alle Beteiligten fast ein Jahrzehnt lang in Atem gehalten hatte, war also bis in die Einzelheiten Augusta bekannt. Sie ahnte wohl, dass sie diese Geschichte nicht negieren durfte, die so offen lag und vor allem öffentlich gemacht worden war, wenn sie mit ihrem künftigem Gatten eine innigere Beziehung herstellen wollte. Äußerlich bot der Prinz von Preußen, militärisch und in den eigentümlichen Pflichtvorstellungen Preußens erzogen, die wenig Raum für echtes Gefühl und für Frauen ließen, ein ganz nettes Bild. Und es wäre verwunderlich gewesen, wenn eine Prinzessin von 18 Jahren ganz unempfänglich für ein so banales, wie blendendes Auftreten gewesen wäre. Ein starker Charakter schien ihr Wilhelm trotz seiner klirrenden Rüstung allerdings nicht, und er würde wohl auch immer zögerlich bleiben. Da griff die junge Augusta zu den Werkzeugen der Seelenanatomie, und ließ sich die Liebesgeschichte ihre Bräutigams haarklein von ihm selber repetieren. Sie wollte genau wissen, wie es angefangen, und wie es geendet. Ferner versicherte sie ihrem Wilhelm, alles ihr menschenmöglich zu unternehmen, die zu ersetzen, die er vergebens begehrt habe. Ob Heuchelei und weise Voraussicht Augusta zu diesem Gelöbnis anhielt, ob Teilnahme und Unkenntnis, fast hätten wir geschrieben: Unkenntnis des Herzens, ihr Verhalten diktierte, ist schwer zu sagen. Es war Unkenntnis, es fragt sich nur, was für eine. Jedenfalls erlebte sie den Roman Wilhelms empfindsam nach; er indessen brachte es nur zu einer seiner schwülstigen Ergießungen, als er erklärte, ihre Teilnahme an seinem Liebesunglück mache sie ihm so teuer. Nichts davon ist wahr gewesen, das eine wie das andere. Diese ihre Teilnahme war ihm so gleichgültig, wie seine Braut selbst. Und Augusta, worüber sollte sie mit ihm sprechen, wenn ihn nichts anderes interessierte als seine Klagen über das ihn vernachlässigende Schicksal? Sonderbare Szene; eine 18jährige Braut lässt sich von ihrem 32jährigem Bräutigam erzählen, was er für eine andere empfindet oder zu empfinden meint und wird sein Seelenarzt. So ging die Brautzeit dahin, mit kurzen Gesprächen unter vier Augen, mit Verwandtenbesuchen, mit Gerüchten über sie beide.
Von einer unter solchen Voraussetzungen geschlossenen Ehe war nichts Gutes zu erwarten, es sei denn, man einigte sich darauf, eine bloße Standesehe in getrennten Schlössern und mit eigenen Kreisen und Beziehungen zu führen, sich einmal im Jahr offiziell zu besuchen und den Verkehr auf den Austausch von Geschäftsbriefen, und der leider notwendigen gelegentlichen Zeugung eines Thronerben zu beschränken. Dass der Prinz von Preußen nicht ganz unglücklich war, ist freilich auch zu konstatieren. Es lag in seinem Wesen, laufen zu lassen, was er nicht beherrschen konnte, und sich den Entscheidungen oder den Befehlen anderer zu fügen. Da nun aber wirklich alle Hindernisse beseitigt waren, konnte auch ein wenig geheiratet werden.
HOCHZEIT UND FACKELTANZ, RITTER UND SONSTIGES.
Weimar, Mai 1829
Mama will, dass der Hochzeitstermin aufgeschoben wird; aber ich denke, dass sie die Lage nicht so übersieht, wie ich, und schließlich ist es auch meine Ehe und nicht die ihre. W. gilt ihr als kalt, da sie ihn näher kennengelernt hat. Jedenfalls wird nie anders sein, als er heute ist. Nichts als ob seine Handlungen für uns alle klarer werden könnten, er zögerte, solange er noch auf etwas Besseres als ich es bin, gehofft hat. Aber er benimmt sich höflich und achtungsvoll, nur, Mama vermißt etwas wie Liebeswerben von Seiten W. Es verletzt sie plötzlich tiefer, als mich, wenn er herumschwadroniert und die Ehe, die er mit mir doch eingehen will, beinahe als Fehlschlag bezeichnet. So wenig er sich bisher geöffnet hat, so viel habe ich schon gegen seinen Willen über ihn erfahren. Geredet hat er wohl, über sich, über seine Gefühle zur E., doch mußte (und sollte) ich selber spüren, was er empfindet. Ist er ist lenkbar? Das genügte. Nur, von wem läßt er sich lenken? Schlimm wäre, was ich beinahe voraussehe, dass W. sich bald von diesem, bald von anderen bevormunden läßt. Könnte es denn sein, dass Mama den Plan, uns zu verheiraten, fallen läßt? Das wohl nicht, sie müßte einen Skandal befürchten, der Zar könnte Einspruch erheben. Und Mama fürchtet dieses unbegreifliche Rußland, ihr Geburts- und Heimatland. Damals, als russische Soldaten hier waren, redete sie mit mir zum ersten Mal über ihre Erlebnisse und Vorstellungen. Ich bin, das aber steht fest, eine wichtige, eine bedeutende Person geworden, vielmehr soll meine Bedeutung erst mit dieser Ehe wachsen.
Gestern bin ich beim Geheimrat gewesen, wir sprachen über seine Sammlungen, über meine Bilder. Am liebsten würde ich diesen bewundernswürdigen Greis mit mir nehmen, als ein Stück meines Weimar. Er lachte. >Wissen Sie denn nicht, dass ich mit diesem Berliner Hundezeug einmal meine liebe Not hatte? Der Name Nicolai sagt Ihnen wohl nichts mehr? Er schrieb einmal einen so genanten Anti-Werther gegen mich, ein elendes Machwerk; wir, das heißt, Schiller und ich, haben es ihm freilich auch besorgt. Ich höre, dass er noch lebt? Oder nicht? Gleichviel; er und seinesgleichen gelten dort oben an der Spree als das Non plus Ultra dessen, was sie Aufklärung nennen, und was nichts anderes ist, als die dumme Umkehrung ihres Aberglaubens ins Reale. Damit werden Sie es also zu tun kriegen. Mit ihrem Friedrich, dem Großen hatten die Leute da oben einmal einen Herostraten auf dem Thron, einen wahrhaft weisen Monarchen. Nun, ich schmeichle mir, dies früh erkannt zu haben. Der hatte sie, die wirkliche Aufklärung, dem galt das Religiöse als Angelegenheit der Person. Erinnern Sie sich, Prinzessin, an den Fall des Professor Fichte, hiesig in Jena? Nein, warten Sie, da sind Sie noch auf der Welt gewesen, der Fichte hatte auch so etwas wie die echte Religion, was auch immer das sein mag. Ich fürchte allerdings, Sie und ich, wir passen beide nicht recht in das Schema der Herrschaften von Rom bis Halle. Sie werden es nicht leicht haben, an diesem Hof. Halten Sie sich Humboldt, Prinzessin, der hat auch Religion, und vor allem hat er Naturgeschichte intus, soll denen da oben einst ein bißchen bessere Pädagogik beizubringen versucht haben, vergeblich. In diesem trockenen Sand faßt kein besseres Kraut. Na, aber es sollen, wie ich höre, eine paar tüchtige Leute jetzt dort lehren. Ich könnte Sie ein wenig begleiten, mein Kind, vielleicht würden wir gemeinsam...<, er lachte wieder, wischte alles aus und nickte mir zu.
Gewiß ist daran nicht zu denken. Mir ist aber doch, als täte ich besser, ihm von meinen Sympathien für die Jungen, die meine Generation sind (und die ich versteh)e, zu schweigen. Aber vor dem Alten ist nichts ganz zu verbergen; er warf einen Blick auf meine Skizzen mittelalterlicher Schloßruinen und bemerkte trocken, man schule sich besser an der Natur der Dinge, als sich selbst zum Gegenstand des Alls zu machen. >Sehen Sie, was auf der Heide, die ich eben als trockenen Sand bezeichnet habe, noch wuchert, diese Unnatur, dieses aus zweiter Hand leben. Was soll das mit dem Kult des Mittelalters? Habt ihr Jungen denn dieses Zeitalter verstanden und nicht bloß auf ein paar Kostüme heruntergebracht, ein wenig Blech und eine Menge Weihrauch? Nutzt uns das, die wir in allem aufholen müssen, nach rückwärts zu starren und Heil zu erwarten? Nun, ich weiß schon, ihr haltet uns für veraltet, für verkalkt. Hüten Sie sich, Prinzessin, vor dem Spiel mit der Form! < Habe mich beeilt, ihm meine Ergebenheit zu versichern. Aber was half es? Geglaubt hat er mir nicht.
Dieser würdige Greis verfolgt ein uns fernes Ziel, in seiner gedachten Welt sind wir alle alles miteinander, Bauern und Fürsten, Künstler und Gelehrt, alles aus uns selbst heraus. >Sie werden also nun wirklich in dieses Berlin hinein heiraten? < Ich spürte, dass er mich ungern verliert, kam sehr nachdenklich nach Hause zurück. Fand einen der merkwürdigen Briefe meines Bräutigams vor, die Aufzählung einer Menge von Belanglosem. Im ersten Anlauf war ich nicht imstande, diesen Quark überhaupt zu lesen. W. schreibt, wie einer, der seine tägliche Pflicht, ähnlich der Inspektion eines Regimentes. Es soll ja Preußen sehr kriegerisch sein; ich meine, dass es kriegerisch ist, wird nicht bezweifelt, selbst Papa und Großvater bewundern Preußen auf das höchste seit den Taten Friedrichs, es ist kriegerisch im Sinne seiner Ferne von höherer Kultur. Das werden wir ändern, denn die Hochzeit soll ja doch sein. Gott, am Ende wird bei Preußens vor dem Mittagessen regelrecht der Herr angerufen?
Die Hochzeit war auf den 11. Juli 1829 festgesetzt worden. Wilhelm wünschte einen vorgezogenen Termin, Maria Pawlowna wollte ihn dagegen aufschieben und vor allem: nicht in Berlin, sondern in Weimar sollte geheiratet werden. Der Umgang mit der Großfürstin Maria Pawlowna war nicht eben leicht, und er wurde immer schwieriger. Sie litt zunehmend unter Schwerhörigkeit, was das ihr angeborene Misstrauen noch steigerte. Und die ganze Vorgeschichte dieser Brautwerbung war nicht dazu angetan, sie milde gegen den Bräutigam ihrer Tochter, eben diesem Herrn aus Berlin, zu stimmen. Seine Kälte, seine offen bekundetet Gleichgültigkeit für ihre Tochter ließen sie für die Ehe Augustas fürchten. Ihr war natürlich bewusst, dass es sich um eine dynastische Kuppelei handelte, ja, sie hatte an eben dieser Kuppelei recht lebhaft teilgenommen, allein ganz sorglos war der Eheknoten nun doch nicht geknüpft worden. Menschliche Güte und Größe sollte die Nachteile solcher Heirat denn doch auch ausgleichen. Weimar als Trauungsort war wieder Schrulle, und die preußische Seite bestand allerdings darauf, dass die Ehe in ihrer Residenz geschlossen wurde. Nach manchem Hin und Her entschlossen sich Großherzogin und Großherzog, um wenigstens daran zu erinnern, dass es auch einen Großherzog gab, nach Berlin zu reisen, und an der Trauung teilzunehmen. Zur Hochzeit wurde der neue Zar Nikolaus I., Wilhelms Schwager, weil dieser mit dessen Schwester Charlotte verheiratet war, in Berlin mitsamt Gemahlin zu Gast erwartet. Nikolaus, der Bruder Maria Pawlownas, und Alexandra Feodorowna, wie sich Charlotte jetzt nennen ließ, bildeten denn auch in Berlin und Potsdam erwartungsgemäß den Mittelpunkt, nicht das Hochzeitspaar, wie alles Russische in Berlin Respekt und höchste Bewunderung auslöste, zumindest seit Alexander I. sich mit Luise und Friedrich Wilhelm III. an der Gruft Friedrich II. die Hände zu ewigem Bündnis und unverbrüchlicher persönlicher Freundschaft gereicht hatten, seit den Tagen der Waffenbrüderschaft. Aber die Sympathien schwankten doch auch stark; allemal wenn Russen in Berlin auftraten, stellten sie höchste Ansprüche an Aufwand, sie waren nicht nur Autokraten, sondern den römischen Päpsten gleichgestellt. Irgendwie hatten die deutschen Fürsten alle das Gefühl einer Minderwertigkeit, als ob ihre Bedeutung permanent in dieser Welt aus den Händen der russischen Befreier empfangen wurde. Loswerden konnte sie die Russen allerdings nicht mehr.
Dass es mit der russischen Freundestreue ein eigen Ding ist, wusste niemand besser als die Großfürstin Maria Pawlowna, die ihrer Tochter einen Abscheu gegen den zaristischen Absolutismus eingeimpft hatte. Was nichts daran änderte, dass bei einem Zarenbesuch regelmäßig etwas mehr getan werden musste, als das Protokoll vorgeschrieben hätte, würde es eins gegeben haben, und weil der Herrscher aller Russen und Reußen zugleich als der orthodoxe Papst auftreten konnte, falls er es wollte. Und natürlich wuchs sich die Hochzeit zu einer endlos langen Feierlichkeit aus.
Der 11. Juni 1829, war ein Donnerstag und ein lauer Sommertag. Die 18jährige Braut und der 32jährige Bräutigam wechselten die Ringe, der Bischof Eylert hielt die Rede oder Predigt, während die im Lustgarten aufgestellten Kanonen Salut schossen. Es war ihr erster wirklich öffentlicher Auftritt in diesem Berlin. Schwiegervater Friedrich Wilhelm III. war in ihrer Nähe, ein zugeknöpfter, allerdings auch wohlwollender Witwer, die Prinzen von Preußen, Karl, ihr Schwager zumal, der gewöhnliche Hofschranzenpöbel, die Örtlichkeit, an der nichts die junge Frau an das heimische Weimar erinnerte, hunderte Augenpaare, die lauerten, um Augusta bei einem Fehler zu ertappen. Ihr kamen erste Ahnungen, dass sich dieses Land, dieser spröde Hof nicht ganz leicht ihren frommen Hoffnungen ergeben würde, sondern eher so bleiben wollte, wie er war. Die Uniformen störten sie, das militärische Zickzack schien ihr nicht passend für die Hochzeit einer Weimarischen Prinzessen, etwas ganz Besonderes, mit einem nicht mehr jungen Prinzen, der aus ihren Händen die höheren Weihen des freien Geistes empfangen sollte. Es befremdete sie, keines der Bücher in Nähe ihres Gatten gesehen zu haben, die zu kennen Augusta für unersetzlich hielt, die Weimarer Klassik, die Romantiker, einiges Englische, Französische. Er erschien ihr plötzlich recht oberflächlich, im Auftreten gekünstelt. An Pomp entfaltete der sparsame Schwiegervater genug.
Die junge Augusta wurde ihrer Rolle nicht völlig gerecht. Wie die Zeitgenossen berichten, vermochte ihre Haltung niemand hinzureißen. In ihrem Brautstaat wirkte die Weimarerin überdies schlecht angezogen, fein gemacht, sie, eine Arbeiterin, hatte vielleicht zu wenig Wert auf das strahlende Kostüm gelegt. Sie beschloss in genau dieser Stunde, in allem peinlich korrekt am Zeremoniell festzuhalten; niemand sollte sie bei einem Fehler ertappen. Der endlos langen Gratulationskur nach dem Festakt, folgte der in Preußen traditionelle Fackeltanz, eine Art Polonäse, bei der die Hofchargen gehend und schreitend Fackeln herum tragen. Diese Zeremonie soll bis auf eine Sitte der Antike zurückgehen, und war in Berlin schon in der Kurfürstenzeit üblich. Welche Bedeutung er hatte, das konnte der jungen Frau niemand erklären; allein sie schritt und walzte mit ihrem Herren Gemahl, dem alles offenbar verteufelt wichtig war, seiner Ernsthaftigkeit nach zu schließen, mit den Hofchargen durch den Saal. Dann war dies überstanden. Die Brautnacht kam.
Was sich in der ebenfalls traditionellen Brautkammerflucht des Berliner Schlosses unter vier Augen abspielte, darüber äußerte sich der neu gebackene Ehemann öffentlich ausnahmsweise einmal nicht. Der folgende Tag brachte Hofoper; gegeben wurde Spontinis Agnes von Hohenstaufen. Dieses Singedrama hatte sich der Ehemann bestellt, er kannte es von der Uraufführung her, und es ist möglich, dass er die Wiederaufnahme dieser Oper aus Anlass seiner Hochzeit aus einem sehr triftigen Grund veranlasst hat. In dem Werkchen des Kleinmeister und ungekrönten Berliner Musikerkönigs Spontini geht es nämlich um die unglückliche Liebe eines Herzogs von Braunschweig zu einer Agnes, eine Liebe, die von der Schwiegermutter des Braunschweigers zwar gebilligt wird, aber zu keinem glücklichen Ende kommt. In dieser ärmlichen sentimentalen Klitterei erhaschte Wilhelm eine traurige Analogie zu seinem eigenen Schicksal. Dergleichen Firlefanz hat er bis in sein reifes Alter hinein betrieben. Dem Gemahl der Augusta ermangelte es auch deshalb an gutem Geschmack, weil er seiner verabschiedeten Geliebten, dem Fräulein von Brockhausen, nicht die Gratulationskur ersparte, die ihm pflichtgemäß mit einem Knickes alles Gute wünschen musste. Dies also ist die eine seiner Konkubinen, mag die junge Ehefrau gedacht und das von der Kur nicht unbeeindruckte junge Mädchen prüfend betrachtet haben. Wie mag nur die andere sein? Älter und reifer jedenfalls. Hat die Brockhausen ein Kind von ihm? Ah, man redet viel an diesem Hof und man redet nicht grundlos und ohne Zweck. Letzterer ist meist mit einer Bosheit an diesem gemeinen Hof verknüpft, dies merkt man nach einigen Tagen ganz wie von selbst.
Man hätte ja übrigens Gelegenheit gehabt, die berühmte Oper Webers zu hören. Der Freischütz war 1821 uraufgeführt worden und hatte den Spontini in der Öffentlich längst entmachtet und auf einen letzten Platz verwiesen. Davon hatte der Prinz schon deshalb keine Kenntnis genommen, weil die Ebene der Agnes von Hohenstaufen unzweifelhaft die Vornehmere war. Im Berliner Opernhaus fand darüber hinaus noch eine besondere Art Mummenschanz statt. Augusta musste in russischer Nationaltracht dem Zarenpaar aufwarten und huldigen, also die erneuerte Eintracht der beiden Mächte in persona bekräftigen. Sie tat es, die Unmöglichkeit sich zu weigern einsehend. Eine kluge Regie hatte alle diese Festlichkeiten so zu legen verstanden, dass auch noch der Geburtstag Charlottes, also Alexandra Feodorownas, in Berlin gefeiert werden konnte. Am 13. Juli 1829 wurde eine jener seltsamen Feten zu Potsdam im Neuen Palais veranstaltet, die hier so hoch beliebt waren. Sie trug den Namen: Fest der Weißen Rose. Weiße Rose deshalb, weil die Zarin ganz in Weiß gekleidet war, mit einem Kranz weißer Rosen auf dem Kopf. Offenbar musste der Name zu dieser Aufführung erfunden werden, um der Symbolik willen. Im Hof des Palais tuteten 115 Trompeter die Weiße Rose ein, alle Herrschaften traten zwar unter dem alten Preußenbanner Schwarz-weiß auf, schleppten aber eine Menge mittelalterliches Blech und Gold und Silber mit sich herum. Wilhelm war in eine Ritterrüstung gestiegen, in der Grundfarbe blau; alle Teilnehmer hatten Schwerter umgehängt, sie zu ziehen und vor der Weißen Rose zu senken, so wie man sich ein mittelalterliches Turnier vorzustellen begann. Das stürmische Angebot dieser Ritter, sich für die jeweilige Dame ihres Herzens nach Mittelalterbrauch zu raufen, wandelte Charlotte in ein harmloses Lanzenstechen nach Kränzen weißer Rosen um. Entschieden besser wäre es gewesen, die Schlägerei zuzulassen, und die Welt wenigstens von einem Teil ihrer Thronen und Herrschaften zu befreien, wenn auch nur zeitweilig. Zum Abschluss gab es eines der im Rokoko erfundenen und noch immer hoch beliebten lebenden Bilder, man stellte kostümiert bestimmte Szenen aus der Geschichte dar. Dabei ging es recht freizügig zu; Rübezahl und die Göttin des Krieges Bellona traten unter den kritischen Augen Augustas auf, und schließlich tanzten nach einem Bankett Ritter und Ritterfräulein bis in den Tag hinein. Wilhelm legte blecherne Rüstung und Adlerhelm wieder ab, und der papierne Alltag der Ehe begann. Dieser Hochzeiterei hatte in Augusta nicht nur die Spottlust geweckt; satirische Betrachtungen lagen ihr nicht, auch Humor besaß sie kaum. Dergleichen Hof- und Gelegenheitsfeste kannte sie auch, selbst der Geheimrat pflegte gelegentlich eines seiner Plunderweilernischen Vergnüglichkeiten beizusteuern. Allein war am Fest der Weißen Rose irgendetwas vergnüglich und nicht nur gespreizt, so war es Augusta gewisslich entgangen.
Glücklicherweise feierte man in Preußen nicht täglich solche Lanzenstechereien. Augusta, junge Ehefrau, begann sich in diesem Berlin, also im näheren Umkreis, denn Berlin ist auch zu einem guten Teil Potsdam gewesen, nach geeignetem Personal umzusehen. Sie durfte sich aber eingestehen, dass der ganze Hochzeitsspuk keinen sehr tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen hatte; sie nahm ihn einfach hin, wie ein notwendiges Übel. Sie stellte rasch fest, dass zu den ästhetischen Gesellschaften, die sie geben wollte, ein recht kleiner Kreis zugelassen war, ganz anders, als in Weimar, wie sie meinte, nicht bedenkend, dass sich auch der Geheimrat für die Hofgesellschaft zu kostümieren pflegte und allein kommen musste, ohne die Geheimrätin.