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Kapitel 1
ОглавлениеJean-Pierre Kermanchec
Todestanz in Pont-l´Abbé
Todestanz in Port L´Abbé
Jean-Pierre Kermanchec
Impressum
© 2018 Jean-Pierre Kermanchec, Ulrike Müller
Covergestaltung: Atelier Meer Kunst, Oetrange/Luxembourg
Seit beinahe einem halben Jahrhundert fand in Pont L`Abbé das Fest der Stickerinnen statt. Mehr als 30.000 Besucher kamen regelmäßig zu den Festlichkeiten, die vier Tage lang die Traditionen des Pays Bigouden und der Bretonen in den Mittelpunkt stellten. Hier konnten die Besucher die Reichtümer der bretonischen Kultur kennenlernen, bei der die Musik und der Tanz eine zentrale Rolle spielten.
Die Bagadou, die Musikgruppen und die cercles celtiques, die Tanzgruppen, beherrschten das Straßenbild. Der absolute Höhepunkt und das Finale des Festes war die Ehrung der Königin der Stickerinnen. Auf dieses Fest hin wurde in den diversen cercles das ganze Jahr über geprobt. Auch die Tanzgruppe Kelc´h Vigoudenn, der Bigouden Kreis, traf sich regelmäßig, um die alten bretonischen Tänze einzustudieren und während der Festtage eine fehlerfreie Darbietung abgeben zu können und vielleicht sogar einen Preis einzuheimsen. Die Tanzgruppen, in der sich jeweils über vierzig begeisterte Anhänger der bretonischen Tänze versammelten, waren eine eingeschworene Gemeinschaft. Zweimal in der Woche trafen sie sich am Feierabend und studierten die Tänze. Die Teilnehmer kamen aus allen Bevölkerungsschichten. Da tanzte der Bankangestellte neben dem Bauern, die Putzfrau neben der Vorstandssekretärin aus dem Agrobetrieb, der Unternehmer neben seinem Angestellten, geeint durch die Liebe zum bretonischen Tanz und zu den Trachten der Region. Letztere war der Stolz eines jeden Teilnehmers. Häufig waren es Kleidungsstücke, die seit Generationen weitergereicht worden waren. Wer es sich leisten konnte, ließ sich auch eine neue Tracht anfertigen. Für die Frauenkleider durften die Stickerinnen Unmengen an Stickereien anfertigen. Vor allem die Spitzenhaube, la coiffe, verschlang unzählige Arbeitsstunden in der Herstellung. Diese Spitzenhauben zeugten vom Selbstbewusstsein ihrer Trägerinnen. Wenn die Gruppe bei den Proben in der Tracht zusammenkam, ähnelte der Übungsraum dem Trachtenmuseum der Stadt.
Das Museum, im Château de Pont-l’Abbé, beherbergt eine große Sammlung von coiffes, Kostümen und Möbeln aus dem Pays Bigouden (bretonisch Bro-Vigoudenn), wie sich die Gegend auch zu nennen pflegt.
Es war 20 Uhr, und die Teilnehmer des Kelc´h Vigoudenn waren beinahe vollzählig erschienen und begannen mit dem ersten Tanz. Lediglich Gwenaëlle stand immer noch am Rande der Gruppe und wartete auf ihren Partner. Gwenaëlle Le Drennec gehörte dem Kreis schon seit mehr als 15 Jahren an. Sie war eine der Stützen der Tanzgruppe. Ihr Tanzpartner, Marc Henan, ein Schweinezüchter, war heute noch nicht erschienen.
„Marc wird bestimmt bei den Protestaktionen sein“, meinte Kathan Mauden, der Trainer der Gruppe.
„Dann hätte er mir eine Nachricht zukommen lassen, Kathan“, antwortete Gwenaëlle und schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, er ist bestimmt nicht beim Protest.“
Seit Tagen protestierten die Milchbauern, die Schweine- und die Geflügelzüchter gegen die niedrigen Preise, die sie von den Schlachthöfen und den Molkereien erhielten. Besonders drastisch waren die Preise in den letzten Monaten für das Schweinefleisch gesunken. Nachdem die Europäische Union ein Embargo gegen Russland ausgesprochen hatte, und die Russen im Gegenzug den Import von landwirtschaftlichen Produkten untersagt hatten, gab es ein Überangebot von Geflügel und Schweinefleisch auf dem Markt. Die Preise pro Kilo Lebendgewicht sanken auf einen neuen Tiefststand und erreichten bei den wöchentlichen Auktionen gerade einmal 1,05 € /Kg. Eine gewisse Rentabilität war erst bei einem Mindestpreis von 1,40 €/Kg. erreicht. Die Züchter gingen auf die Straßen und forderten, dass die Regierung intervenierte. Die großen Supermarktketten sollten sich bereit erklären, zu höheren Preisen einzukaufen. Die Verbraucher sollten möglichst nur noch französisches Fleisch kaufen, und vom Staat erwarteten sie eine Absenkung der Mehrwertsteuer und sonstige finanzielle Erleichterungen. In der gesamten Bretagne wurden die Straßen durch hunderte von Traktoren blockiert. Die Zu- und Abfahrten zu den Schnellstraßen waren durch Unmengen von Müll, Altreifen und Strohballen, die in Brand gesetzt wurden, versperrt, zum Schaden der Umwelt. Die Gendarmerie schien entweder ohnmächtig oder unschlüssig zu sein, etwas gegen den Bauernsturm zu unternehmen.
Gwenaëlle war sicher, ihr Partner Marc beteiligte sich nicht an den Protesten. Nicht, dass er überhaupt nicht dabei wäre, aber er würde immer einrichten, zum Tanzabend zu erscheinen. Gwenaëlle setzte sich an die Stirnseite des Saales und sah den anderen bei der Probe des ersten Tanzes zu.
Gwenaëlle war seit drei Jahren geschieden. Ihr ehemaliger Mann, Jean, betrieb eine Landmaschinenhandlung in Combrit. Sie hatten sich voneinander entfernt. Nicht dass ihr Mann ein bösartiger Mensch gewesen wäre, das war er wahrlich nicht. Aber er ging derart in seiner Firma auf, dass er keine Zeit mehr für seine Frau erübrigen konnte. Sie fühlte sich schlichtweg vernachlässigt und hatte sich in ein Abenteuer gestürzt, das aber auch nur wenige Wochen andauerte. Nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, war sein Interesse an ihrer Person wieder deutlich größer geworden. Jetzt meldete er sich einmal in der Woche und fragte wie es ihr ging, oder ob er etwas für sie tun könne. Gwenaëlle wusste nicht so richtig wie sie damit umgehen sollte. Einerseits hatte sie sich einmal in den Mann verliebt, andererseits war sie nicht sicher, dass er, bei einer Fortsetzung der Beziehung, nicht doch wieder in das frühere Verhalten zurückfallen würde.
„Gwenaëlle, komm, übernimm den nächsten Tanz, dann sitzt du nicht den ganzen Abend hier herum“, meinte eine Teilnehmerin der Gruppe nach dem ersten Tanz und setzte sich zu ihr auf die Bank. Gwenaëlle war ihr dankbar und trat sofort in die Runde. Nach jedem Tanz pausierte eine andere Frau, so dass jede der Frauen nur einen Tanz ausließ.
Die zwei Übungsstunden waren schnell vorbeigegangen. Marc Henan war nicht erschienen. Außerhalb der Trainingsabende hatte Gwenaëlle keinerlei Kontakt zu Marc, so dass sie auch nicht beabsichtigte, ihn nach dem Training zu kontaktieren. Vielleicht war er ja doch bei den Protesten gewesen. Pont-l´Abbé war von den Protestaktionen nur an einem Tag betroffen gewesen. In Quimper hatten die Bauern die Supermärkte von Leclerc, Intermarché und Super U schon mehrfach abgeriegelt, so dass die Kunden auf andere Geschäfte ausweichen mussten. Gwenaëlle war froh, dass Pont-l´Abbé davon verschont geblieben war.