Читать книгу Todestanz in Pont L´Abbé - Helmut Hucker - Страница 9

Kapitel 7

Оглавление

Anaïk Bruel hatte das Kommissariat am Abend verlassen und war in ihr Haus nach Sainte-Marine gefahren. Sie war mit ihrer neuen Kollegin bisher ganz zufrieden. Die Kollegin machte einen guten Eindruck. Sie hatte sich nicht getäuscht, sie hatte mit ihrer Entscheidung richtig gelegen. Es war zwar noch zu früh, um ein endgültiges Urteil abgeben zu können, aber ihr Gefühl sagte ihr bereits, dass sie richtiggelegen hatte. Auf ihr Gefühl hatte sie sich bis jetzt stets verlassen können.

Sie betrat ihr Haus, das sie mittlerweile hübsch eingerichtet hatte. Ein bretonisches Haus, mit einem Kamin auf beiden Seiten, der an der rechten Seite ein offener Kamin war. Das Haus hatte Parkettböden, eine schöne Holztreppe, die in die Etage führte. Sprossenfenster, die zwar den Nachteil hatten, dass sie mehr Arbeit beim Putzen machten und deutlich weniger Licht ins Haus ließen, dafür aber sehr stilvoll aussahen. Und blaue, den Häusern an der Küste vorbehaltene, Fensterläden. Das alles verlieh dem Haus seinen Charme. Sollte das Haus einmal zum Verkauf anstehen, dann würde sie versuchen, es zu erwerben. Mit dem Leitungsposten bei der Mordkommission von Quimper hatte sie ihr berufliches Lebensziel erreicht.

Anaïk schnappe sich ein Glas aus der Küche und füllte es mit Mineralwasser, trank das Wasser zügig aus, zog sich ihre Laufschuhe an und machte sich auf den Weg. Wenigstens ihre üblichen 10 Kilometer wollte sie laufen. Anaïk brauchte diesen Ausgleich. Sie saß mehr oder weniger den halben Tag lang, wenn sie nicht gerade an einem Tatort unterwegs war, im Fahrzeug oder an ihrem Schreibtisch. Die Sonne stand schon nahe am Horizont und überzog den Himmel mit einem orangefarbenen Schleier. Eine leichte Brise kam vom Meer und verwehte die langen Haare von Anaïk. Ein Gefühl von Freiheit erfüllte sie, während sie auf dem GR 34, dem Küstenweg, joggte. Der Sand unter ihren Füßen erschwerte ihren Lauf ein wenig, was Anaïk aber nicht wirklich störte. Sie hatte die Strecke von Sainte-Marine nach Île-Tudy zur Hälfte zurückgelegt, als sie sich entschied, die restliche Strecke auf dem Strand zu laufen. Das Wasser war niedrig, und der Sand nahe dem Wasser war feucht und fest. Darauf ließ sich ganz hervorragend laufen. Bis an die Spitze von Île-Tudy kam sie hier unten aber nicht, kleinere Felsen und die Strandbefestigung verhinderten das Joggen auf dem letzten Stück, so dass sie wieder auf den GR 34 wechselte und über den Asphalt zur Spitze vorlief. Sie umrundete die Inselspitze, joggte an den Bars und Restaurants vorbei und machte sich auf den Rückweg. Hin und zurück waren das ungefähr 10 Kilometer. Als Anaïk wieder in Sainte-Marine angekommen war hatte sie nicht das Gefühl, ausgelaugt zu sein, sie fühlte sich erfrischt und von angesammeltem Ballast befreit. Entspannt und mit klarem Kopf betrat sie ihr Haus und nahm eine ausgiebige Dusche.

Nach der Dusche ging sie in die Küche und bereitete sich eine Kleinigkeit zum Essen. Anaïk war keine geborene Köchin. Kochen gehörte nicht zu ihren Leidenschaften. Sie betrachtete es als ein notwendiges Übel. Ihre Ernährung bestand weitgehend aus Salaten der Saison, was nicht bedeutete, dass sie sich nur vegetarisch ernährte. Sie schätzte ein gutes Stück Fleisch oder einen gut zubereiteten Braten. Dazu besuchte sie dann ein Restaurant.

Sie öffnete eine Flasche Bordeaux aus ihrem Vorrat und genoss ein Glas auf der kleinen Terrasse hinter dem Haus.

Inzwischen war es schon Nacht geworden, und die Sterne funkelten am wolkenlosen Himmel. Wie viele Menschen mögen in diesem Augenblick wohl in den Himmel sehen, genau wie ich es jetzt tue, dachte Anaïk. Hundert, tausend oder sogar millionen? Jedenfalls entging jedem der jetzt nicht hinaufsah der Blick in die Vergangenheit der letzten 13,5 Milliarden Jahre. In ihrer Kindheit hatte sie im Sommer oft stundenlang draußen auf der Liege gelegen und in den Himmel gestarrt. Das war in den Monts d´Arrée gewesen. Sie kannte keinen schöneren Sternenhimmel. Aber in Sainte-Marine, das höchstens 70 Kilometer Luftlinie von den Monts d´Arrée entfernt lag, leuchtete der Himmel auch bezaubernd. Jeder leuchtende Stern am Himmel war seit unvorstellbaren Zeiten unterwegs und sein Licht traf genau jetzt bei uns in der Bretagne ein, stellte sie bewundernd fest.

Für Anaïk war die Bretagne der schönste Ort auf der Welt. Und in der Bretagne ging nichts über das Finistère und das Pay Bigouden. Finistère (Fin de la terre), das Ende der Welt, heißt bei den Bretonen Penn ar Bed, der Anfang der Welt. Radikalere Bretonen behaupten sogar, dass das Wort Bed Universum bedeutet. Die Bretagne, der Anfang oder Ursprung des Universums. Soweit wollte Anaïk in ihren Überlegungen jetzt nicht gehen.

Sie hatte ihr Glas geleert und erhob sich aus ihrem Gartenstuhl, ging zurück ins Haus und zu Bett.

Am nächsten Morgen, der Wecker hatte noch nicht geklingelt, riss ihr Handy sie aus dem Schlaf.

„Bruel“, nannte sie halb verschlafen ihren Namen.

„Anaïk, Dustin hier, du musst möglichst rasch nach Pont-l´Abbé kommen, wir haben eine weitere Leiche.“

Anaïk war sofort hellwach und sprang aus dem Bett. Sie vergewisserte sich auf der Uhr, dass sie nicht verschlafen hatte. Es war erst kurz vor sechs Uhr.

„Bin schon unterwegs, den genauen Ort beschreibst du mir gleich“, rief sie ins Telefon und legte auf. Ein Schnelldurchgang im Bad musste jetzt ausreichen, dann noch eine Tasse heißen Kaffee. Sie zog sich während des Trinkens an und verließ bereits zehn Minuten später das Haus. Auf der Fahrt nach Pont-l´Abbé rief sie Dustin an und bat um die genaue Adresse des Fundorts.

„Du bist aber schnell gewesen!“, rief Dustin aus, als er Anaïk begrüßte. „Ich musste das halbe Kommissariat aus dem Bett klingeln. Ich weiß nicht, warum man mich als Ersten informiert hat.“

„Vielleicht weil du der Wichtigste bist, Dustin?“

Dustin fühlte sich geschmeichelt, war aber nicht ganz sicher, ob die Bemerkung ernst gemeint war.

„Wo ist die Leiche?“, fragte Anaïk jetzt ohne weiteren Smalltalk.

„Dort drüben, neben den Büschen. Dort ist ein kleiner Parkplatz. Yannick ist auch schon bei der Leiche, auch ihn musste ich aus dem Bett holen.“

„Bonjour Yannick“, begrüßte sie den Pathologen.

„Was kannst du mir schon sagen?“

„Das wir einen Toten haben“, grinste Yannick und fuhr dann aber fort:

„Der Mann ist mit einer Schrotflinte erschossen worden. So wie es aussieht, hat sein Mörder beide Läufe gleichzeitig abgedrückt. Da die beiden Schüsse aus sehr kurzer Entfernung abgegeben worden sind, ich schätze höchstens drei Meter, haben die Schrotkugeln ganze Arbeit geleistet. Seine Brust ist regelrecht durchlöchert.“

„Habt ihr Patronenhülsen gefunden?“, fragte Anaïk Dustin, der neben ihnen stand.

„Nein, haben wir nicht. Das könnte bedeuten, dass sie noch in dem Gewehr stecken.“

„Bis wann kannst du mir etwas Näheres sagen, Yannick?“

„Sobald ich mir die Leiche genauer angesehen habe, sagen wir heute Abend?“

„Gut, wissen wir schon, wer das Opfer ist?“

„Da sein Portemonnaie in der Jackentasche steckte, war es kein Problem, das herauszufinden. Der Mann heißt Awen Boderiou und wohnt in Loctudy“, antwortete Dustin.

„Wie lange ist er schon tot?“

„Ich gehe davon aus, dass er ungefähr seit acht Stunden hier liegt. Das würde bedeuten, dass er so gegen 22 Uhr gestern Abend erschossen worden ist. Genaueres erst nach der Obduktion“, antwortete Yannick.

„Wie immer“, meinte Anaïk und sah auf die Leiche vor ihren Füßen. Yannick schien mit seinen ersten Untersuchungen fertig zu sein. Er stand auf und nahm seine Tasche in die Hand, verabschiedete sich von den Kollegen und ging zu seinem Fahrzeug.

Dustin und seine Leute suchten inzwischen Meter für Meter auf dem Parkplatz ab. Alles was sie finden konnten wurde in Plastiktüten gesteckt.

„Der Wagen, der hier steht, gehört er dem Toten?“

„Davon gehen wir aus“, meinte Dustin. „Wir werden uns das Auto gleich genauer ansehen.“

Anaïk ging zu dem Wagen, streifte sich Handschuhe über und öffnete die Fahrertür. Sie warf einen Blick in das Fahrzeug. Der Schlüssel steckte im Zündschloss. Das Innere machte einen sehr aufgeräumten Eindruck. Es vermittelte den Eindruck, dass sein Besitzer sehr penibel gewesen ist, was die Sauberkeit betraf. Dann fiel ihr Blick auf den Rücksitz, dort lag eine große Tasche. Anaïk schob die Fahrertür wieder zu und öffnete die hintere Tür. Sie sah sich die Tasche an, die wie eine Sporttasche aussah. War der Mann bei einer Sportveranstaltung gewesen? Anaïk zog den Reisverschluss auf und erkannte ein Folklorekostüm. Jetzt schrillten sämtliche Alarmglocken in ihrem Kopf. Bei der Leiche von Marc Henan hatten sie doch auch die Trachtenkleider gefunden. Zwei tote Männer, beide aus einer Trachtengruppe, ein versuchter Überfall auf ein weiteres Mitglied, auf Madame Le Drennec, das war mehr als nur ein Zufall. Hatte es jemand auf die ganze Truppe abgesehen? Anaïk hoffte, dass sie damit falsch lag. Sie hatte keine Lust, einem Phantom nachzujagen, das vorhatte, zwanzig oder dreißig Menschen zu ermorden. Sie mussten den Täter schnellstens ausfindig machen.

„Dustin, ich habe hier in der Tasche eine Tracht gefunden, vergleiche die doch bitte mit der, die wir bei Henan gefunden haben. Ich möchte wissen, ob sie sich ähneln.“

„Wird gemacht, Anaïk“, antwortete Dustin und führte seine Arbeit fort.

Anaïk stieg in ihr Auto und fuhr ins Kommissariat. Um kurz vor halb acht Uhr traf sie dort ein. Anaïk stellte ihren Wagen auf ihren reservierten Platz. Verdammt früh, dachte sie, als sie das Gebäude betrat. Der Parkplatz von Nourilly war noch leer, auch die Chefs der anderen Abteilungen waren noch nicht eingetroffen. Sie betrat ihr Büro, hing die Handtasche auf einen Kleiderhaken neben der Tür und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie musste jetzt erst einmal ihre Gedanken ordnen und die nächsten Schritte überlegen.

Sie sah auf die Pinnwand, an der sie gestern die letzten Eintragungen und Anheftungen angebracht hatten. Dann stand sie auf und begann zu ergänzen. Für Anaïk stand fest, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden und dem versuchten Überfall auf Gwenaëlle Le Drennec gab. Sie musste das gemeinsame Motiv finden.

Dann fiel ihr der Verbindungsnachweis von Marc Henans Handy auf, der an der Pinnwand hing. Monique musste ihn gestern noch angeheftet haben. Eine Nummer war rot umrandet, und daneben stand die Bemerkung Prepaid.

„Bonjour Anaïk“, begrüßte Monique jetzt ihre Partnerin.

„Bonjour Monique, wir haben einen zweiten Mord.“

„Quoi? Einen zweiten Mord?“

„Ja, Dustin hat mich bereits gegen halb sechs aus dem Bett geworfen. Am Ausgang von Pont-l´Abbé ist die Leiche eines Mannes gefunden worden. Beim Schichtwechsel in der Kläranlage hat ein Mann am frühen Morgen auf dem Parkplatz einen Wagen bemerkt, und daneben lag die Leiche. Es handelt sich um einen Monsieur Awen Boderiou. Ein Einwohner von Loctudy, der wahrscheinlich ein Mitglied der Tanzgruppe ist, in der auch Marc Henan getanzt hat.“

„Sowie Gwenaëlle Le Drennec, die nur knapp einem Überfall entgangen ist.“

„Genau, ich habe Dustin schon gebeten, die im Wagen von Henan gefundene Tracht mit der von Boderiou zu vergleichen. Ich will sichergehen, dass es sich um die gleiche Gruppe handelt.“

„Was haben wir sonst noch an Spuren?“

„Also, der Reihe nach. Unser Toter ist aus einer doppelläufigen Flinte erschossen worden. Der Schütze muss dabei beide Patronen gleichzeitig abgeschossen haben. Die Schussentfernung hat höchstens drei Meter betragen, so sagt Yannick. Die Tat ist gegen 22 Uhr ausgeführt worden. Am Tatort haben wir keine Hülsen gefunden. Dustin ist noch dabei gewesen, die weiteren Spuren zu sichern, als ich wieder ins Kommissariat gefahren bin. Das heißt, wir stehen erst ganz am Anfang.“

„Wir sehen uns das Haus von Monsieur Boderiou an und informieren seine Familie.“

„Sollten wir sofort machen, Monique, vielleicht finden wir in seinem Haus Hinweise auf eine Bedrohung. Ich frage nach, ob Dustin schon zurückgekommen ist. Er hat die Schlüssel des Toten bestimmt sichergestellt.“

„War der Mann verheiratet?“

„Kann ich nicht sagen, Monique, soweit bin ich noch nicht in sein Leben eingestiegen.“

Anaïk wählte Dustins Nummer, aber der schien noch nicht im Büro zu sein. Sie wählte seine Handynummer und erfuhr von ihm, dass sie immer noch in Pont-l´Abbé waren.

„Gut, Dustin, wir kommen vorbei, wir brauchen die Schlüssel des Toten von seinem Haus. Am besten ihr seht euch das anschließend auch genauer an.“

Anaïk und Monique verließen ihr Büro und fuhren nach Pont-l´Abbé, ließen sich die Schlüssel vom Haus des toten Awen Boderiou geben und machten sich auf den Weg nach Loctudy.

Todestanz in Pont L´Abbé

Подняться наверх