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Kapitel 6

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Awen Boderiou hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Sein Terminkalender war von heute Morgen um 9 Uhr bis zum Feierabend um 17 Uhr gefüllt gewesen. Sogar seine Mittagspause, die ihm eigentlich heilig war, hatte er heute verkürzen müssen, um alle Gesprächsgesuche unterzubringen. Seine Sekretärin hatte versucht, das eine oder andere Gespräch auf einen anderen Tag zu verschieben, aber die Anrufer hatten alle erklärt, dass es für sie nicht möglich sei, noch länger zu warten. Wie oft hatte sie jetzt gehört, dass es um die Existenz des Hofes ging. Natürlich wollte und musste der Crédit Agricole seinen Kunden aus dem landwirtschaftlichen Bereich helfen.

Als Leiter der Bankfiliale konnte Awen Boderiou nicht einfach erklären, dass er jetzt keine Zeit für seine Kunden hatte. Bei den Gesprächen ging es stets um dasselbe Problem. Seit Monaten kämpften die Bauern der Region um ihr Überleben. Die Preise für Milch, für Schweine- und Rindfleisch waren auf den tiefsten Stand seit Jahren gefallen. Schuld an dem Desaster hatten, aus Sicht der Bauern, die Politiker und die großen Handelshäuser, allen voran Leclerc, Intermarché, Super U, Lidl und Carrefour. Aber auch die Politiker, die hatten ein Handelsboykott gegen Russland ausgesprochen, so dass Russland auch den Import von Agrarerzeugnissen aus der EU verweigerte. Die Supermärkte trugen einen ruinösen Preiswettbewerb auf den Rücken der Lieferanten, und damit auch auf dem der Landwirte, aus. Die Bauern mussten ihre Tiere unter den Gestehungskosten verkaufen und legten bei jedem Tier drauf. Sie brauchten dringend Überbrückungsdarlehen. Um die ging es bei den Gesprächen.

Awen Boderiou konnte leider nicht jedem seiner Kunden den gewünschten Kredit gewähren. Bei einigen war es nicht der erste, sondern häufig schon der dritte Kredit, während die vorherigen noch nicht zurückbezahlt waren. Das führte dazu, dass nicht jeder Besucher mit freundschaftlichen Gefühlen Boderious Büro verließ. Daran war Awen gewöhnt. In seinen dreißig Arbeitsjahren hatte es immer wieder Problemfälle gegeben. Menschlich konnte er jeden verstehen, der sich über seine Entscheidung geärgert hatte. Aber aus Sicht einer Bank konnte er nicht anders handeln, so er die Bank nicht in Gefahr bringen wollte.

Awen verließ sein Büro und fuhr zu seinem Haus in der Rue de Langoz in Loctudy. Er hatte das Haus, im bretonischen Stil erbaut, vor beinahe zwanzig Jahren gekauft. Es war ganz aus Granit und strahlte Solidität und Zeitlosigkeit aus. Eingerahmt von alten Birken, Eichen und Kastanienbäumen, umgeben von herrlichen Hortensien und Rhododendren vermittelte es einen Bilderbucheindruck. Der Garten, von Awen in seiner Freizeit liebevoll gepflegt, war sein ganzer Stolz.

Awen stieg aus seinem Wagen, schloss die Haustür auf und betrat den kleinen Flur. Ein Zettel klebte an der Küchentür und erinnerte ihn daran, dass er seiner Putzfrau die Entlohnung überweisen musste. Sie war eine absolut zuverlässige Frau. Er hatte mit ihr ausgemacht, dass sie frei war in der Wahl des Tages, an der sie das Haus putzte. Sie hefte ihm am Ende ihres Besuchs einen Notizzettel an die Küchentür, der ihm signalisierte, Ich war da.

Awen stellte seine Aktentasche neben der Garderobe ab, hing sein Jackett an einen freien Haken, von denen es nicht viele gab, nahm den Zettel von der Tür und betrat die Küche. Er legte den Notizzettel ab, holte sich ein Glas, füllte es mit Rotwein aus seinem 10 Liter Kanister und setzte sich an den Küchentisch.

Awen schätzte die großen Weinschläuche. Er vermied unzähligen Flaschenmüll und schonte so die Umwelt. Der Wein gehörte nicht zu den Spitzengetränken der französischen Produktion, aber darauf legte er bei seinem täglichen Konsum auch keinen Wert. Er genoss seinen Vin de Table und vermied auch noch den Abfall.

Sein Abendessen bereitete er schnell zu. In der Mittagspause war er bei einem traiteur gewesen und hatte sich eine Fischsuppe und einen Fischsalat gekauft. Er stellte auch keine hohen Ansprüche an sein Essen. Kochen gehörte nicht zu seinen liebsten Tätigkeiten. Awen lebte alleine, eine Frau fürs Leben hatte er nicht gefunden. Seine Freizeitbeschäftigung bestand in der Pflege seines Gartens und im Tanz der alten bretonischen Tänze. Seit er fünfzehn Jahre alt war tanzte er schon im Verein Kelc´h Vigoudenn. Er und seine Partnerin, ledig wie er, tanzten bereits seit zwölf Jahren zusammen. Zweimal in der Woche, montags und mittwochs, fanden die Tanzabende statt. Dabei ging es hauptsächlich um die Trainings für diverse Wettbewerbe aber auch um die Vorbereitung des alljährlichen Festes, La Fête des Brodeuses, an dem die Gruppe teilnahm.

Bis zum Training hatte er noch eine gute Stunde Zeit. Das Übungslokal in Pont-l´Abbé war von seinem Haus aus in wenig mehr als zehn Minuten zu erreichen. Awen nahm nach dem Abendessen den Ouest France in die Hand und las die Neuigkeiten des Tages. Als das Telefon klingelte hatte er gerade die lokale Seite aufgeschlagen.

„Boderiou“, meldete er sich.

„Monsieur Boderiou, wir müssen uns unbedingt noch einmal unterhalten, haben Sie später Zeit?“

„Awen kannte die Stimme, da war er sich sicher, wollte seinem Gesprächspartner aber nicht signalisieren, dass er seinen Namen vergessen hatte und antwortete, ohne den Namen zu erwähnen.

„Aber natürlich, Monsieur, das ist kein Problem. Wann wollen wir uns treffen? Ich habe nach meinem Tanzabend in Pont-l´Abbé, nach 22 Uhr, Zeit.“

„Das ist für mich in Ordnung. Treffen wir uns danach. Am einfachsten für Sie ist es, wenn wir uns am Kreisverkehr bei der Kläranlage treffen, dann brauchen Sie keinen Umweg zu fahren. Sie kommen auf dem Weg nach Loctudy daran vorbei. Sobald man zur Kläranlage abgefahren ist, gibt es auf der rechten Seite eine Parkmöglichkeit. Ich werde pünktlich sein. Au revoir Monsieur.“

Awen legte den Hörer auf und überlegte, wie der Mann hieß. Er kannte ihn, das war sicher, er hatte schon sehr oft mit ihm zu tun gehabt, aber sein Name wollte ihm nicht einfallen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich fertigmachen musste. Er holte seine Tracht, legte sie, mitsamt den Schuhen ins Auto, und fuhr los.

Nachdem er sich umgezogen hatte und in den Übungssaal getreten war, sah er mehrere Frauen, die um Gwenaëlle Le Drennec herumstanden und lebhaft mit ihr diskutierten. Er trat hinzu und bekam mit, dass ihr Tanzpartner, Marc Henan, überfahren, und sie selbst am gestrigen Abend einem Überfall entgangen war.

„Aber warum ist Marc getötet worden? Er hat doch niemandem etwas getan.“

„Die police judiciaire rätselt auch noch. Es gibt bisher keine Antworten. Gestern haben sie mich befragt, weil ich versucht habe, Marc auf seinem Handy anzurufen. Das Handy war bereits im Besitz der Polizei als ich angerufen habe und so bin ich mit denen verbunden worden. Die Kommissarin geht sogar davon aus, dass es einen Zusammenhang, zwischen seinem Tod und dem vereitelten Überfall auf mich, geben könnte.“

„Das ist ja schrecklich!“, entfuhr es Awen. Er folgte den anderen jetzt in die Mitte des Saales, wo sie Aufstellung nahmen und mit der Probe begannen. Wie schon am Montagabend, setzte auch heute Abend wieder reihum eine Frau aus, damit Gwenaëlle mittanzen konnte. Das Gespräch von vorhin war schnell vergessen, und die Gruppe tanzte, lachte und erfreute sich an den rhythmischen Bewegungen.

Kurz vor 22 Uhr war das Training beendet, und die Teilnehmer wechselten wieder ihre Kleidung. Awen beeilte sich, immerhin hatte er noch eine Verabredung, von der er allerdings nicht wusste, um was es eigentlich ging.

„Kommst du noch mit, wir gehen etwas trinken“, fragte ihn Gutual Le Du.

„Nein, ich habe noch eine Verabredung.“

„So spät noch einen Geschäftstermin? Du solltest dich nicht verausgaben, mein lieber Awen. Dann bis zum nächsten Mal.“

Awen Boderiou dachte über seine Verabredung nach. Wenn er seinen Gesprächspartner richtig verstanden hatte, dann musste der mit ihm im Laufe des Tages bereits einmal gesprochen haben. Der Mann hatte doch gesagt, dass er ihn nochmals sprechen müsse.

Awen fuhr los und erreichte den Kreisverkehr vor der Kläranlage bereits nach drei Minuten. Er bog in die Zufahrt ein und stellte seinen Wagen auf der rechten Seite ab. Sein Gesprächspartner schien noch nicht eingetroffen zu sein. Awen stieg aus und sah sich um. Es war dunkel hier, keine Straßenlaterne erhellte die Zufahrt. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Der Himmel war wolkenlos und die Sterne funkelten in ihrer ganzen Pracht. Einen solchen Himmel gab es nur im Finistère, stellte Awen fest und suchte nach ihm bekannten Sternkonstellationen.

„Sie sind gekommen?“, fragte aus dem Nichts eine Stimme, und Awen erschreckte.

Awen drehte sich um und erkannte die Umrisse eines Mannes. Zwei eng aneinander liegende Rohre zeigten auf ihn. Das konnte nur ein Jagdgewehr sein, eine Schrotflinte. Awen bekam Angst. War er in eine Falle geraten? Wer war der Mann, der mit einem Gewehr auf ihn zielte?

„Was wollen Sie von mir?“, rief er ihm entgegen.

„Du hast mich ruiniert, du bist für meine Insolvenz verantwortlich, du wirst dafür büßen, wie all die anderen auch.“

„Wer sind Sie denn überhaupt? Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen. Ich kenne ihre Stimme, aber ich weiß nicht, wer Sie sind. Wir können doch über alles sprechen. Legen Sie die Waffe zur Seite. Sie machen sich nur unglücklich, wenn Sie mich töten. Verändern können Sie dadurch doch nichts. Lassen Sie uns das Problem analysieren und eine Lösung suchen.“

„Wie oft habe ich vor Ihnen an ihrem protzigen Schreibtisch gesessen? Trotzdem kennen Sie mich nicht? Wie wollen Sie mir zukünftig helfen, wenn Ihnen mein Schicksal bis jetzt nicht zu denken gegeben hat?“

„Vergessen Sie die vergangenen Gespräche, lassen Sie uns alles von Neuem besprechen.“

„Ich weiß genau, dass sich nichts, aber rein gar nichts, ändern wird. Sie betteln jetzt nur um ihr Leben. Ich habe lange um mein Leben gebettelt, aber Sie sind darüber hinweggegangen. Ich höre ihre Bemerkung noch sehr gut, da kann ich leider nichts machen, mir sind die Hände gebunden.“

„Warten Sie, warten Sie doch, lassen Sie uns in Ruhe darüber sprech….“

Der Mann betätigte beide Abzüge des Schrotgewehrs, die volle Ladung der beiden Patronen traf die Brust von Awen Boderiou und riss ein enormes Loch in seinen Körper. Wie ein nasser Sack fiel Awen zu Boden. Das nächste Fête des Brodeuses musste ohne Awen stattfinden.

Todestanz in Pont L´Abbé

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