Читать книгу Todestanz in Pont L´Abbé - Helmut Hucker - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеGwenaëlle Le Drennec verließ den Übungsraum in guter Stimmung. Sie war zwar verärgert über Marc, weil er nicht zum Training erschienen war, aber dadurch, dass die Kolleginnen der Gruppe reihum einmal ausgesetzt hatten, hatte sie dennoch beinahe den ganzen Abend mittanzen können. Sie setzte sich in ihren kleinen Fiat 500 und fuhr zurück in ihre Wohnung, unweit der Île Chevalier, an der gleichnamigen Straße. Ihr Haus im bretonischen Stil, vor ungefähr 100 Jahren erbaut, war im Laufe der Jahre von den diversen Vorbesitzern immer wieder geschmackvoll umgebaut worden und konnte so, was den Komfort betraf, mit einem neuerbauten Haus mithalten. Im punkto Charme war es den neuen Häusern allerdings weit überlegen. Die dicken Mauern, von über 60 cm Stärke, die pittoresken Sprossenfenster mit den blauen Fensterläden, das mit Reed gedeckte Dach, der große offene aus Granit errichtete Kamin im Wohnzimmer, die alte Holztreppe, die mit viel Liebe zum Detail von ihrem Erbauer erschaffen worden war, und der wunderbare Garten mit allen Pflanzen die die Bretagne so unvergleichlich machen, verliehen dem Haus etwas ganz besonderes.
Gwenaëlle liebte ihren Garten. Sie musste sich nur um die Pflege kümmern. Neues anzupflanzen war nicht nötig. Der Garten besaß unzählige Rhododendren, Hortensien in allen denkbaren Farben, Callas, mehrere Palmen, wobei die größte bestimmt schon vom Erbauer des Hauses gepflanzt worden war, denn ihre Höhe war inzwischen beachtlich. Darüber hinaus schenkte der Garten, der Jahreszeit entsprechend, Blütenmeere von Narzissen, Tulpen und Maiglöckchen. Letztere pflegte Gwenaëlle am ersten Mai eines jeden Jahres zu pflücken und zu kleinen Sträußchen zu binden. Gemeinsam mit einer Freundin verkauften sie die kleinen Sträuße auf dem Markt von Pont-l`Abbé. Dieser Markt zählt zu den schönsten in der Bretagne. Den Erlös aus dem Verkauf spendeten sie regelmäßig für einen guten Zweck. Mal erhielt das Rote Kreuz den Erlös, mal das örtliche Kinderheim, auch das Tierasyl wurde hin und wieder bedacht.
Gwenaëlle spielte leidenschaftlich gerne Tennis. Der Tennisclub lag keine 300 Meter entfernt von ihrem Haus, so dass sie dieser Leidenschaft leicht nachgehen konnte. Man sah der Frau ihre 42 Jahre nicht an. Sie besaß einen durchtrainierten Körper und achtete sehr darauf, dass sie fit blieb.
Sie fuhr in den Hof ihres Hauses und stellte den Motor des Wagens ab. Vorsichtig stieg sie aus. In den letzten drei Wochen hatte sie schon mehrfach das Gefühl gehabt, dass sie beobachtet wurde. Sie sah sich um, betrachtete jeden Schatten und ging dann zur Haustür, schloss auf und betrat ihre Festung, wie sie ihr Haus nannte. Sobald die schwere Eichentür ins Schloss fiel und von innen mehrfach gesperrt war, fühlte sie sich sicher. Die Eingangstür war ein wahres Prachtstück. Sie bestand aus acht Zentimeter dicken Eichenbohlen, die mit Eisenbeschlägen verstärkt waren. Die Zarge entsprach der Tür, so dass das enorme Gewicht gut getragen wurde. Trotz ihres Gewichtes ließ sich die Tür ganz einfach öffnen. Jeder Einbrecher hätte viel zu tun, um diese Tür aus den Angeln zu heben.
Seit ihrer Scheidung lebte Gwenaëlle alleine. Eine erneute Bindung einzugehen, kam ihr zurzeit nicht in den Sinn. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie seit Jahren als Kulturbeauftragte der Stadt, und das nicht erst seit ihrer Scheidung. Sie kümmerte sich um Ausstellungen, Veranstaltungen, Stadtfeste, Tanzabende, ja sogar ein Rock-Konzert plante sie regelmäßig ein. Sie arbeitete sehr gerne mit dem örtlichen Office de Tourisme zusammen und hatte es in den letzten Jahren geschafft, dass der Besucherstrom kontinuierlich anstieg.
Immerhin besitzt Pont-l´Abbé eine der seltenen, bewohnten Brücken. In ganz Frankreich gibt es lediglich neun davon. Daneben gab es noch das Schloss der Barone von Pont-l´Abbé, das heute das Rathaus und das Bigouden Museum beherbergt, die sehenswerte Kirche, Notre Dame des Carmes, mit ihrer herrlichen Rosette aus dem 15. Jahrhundert, eine alte Gezeitenmühle und vieles mehr. Diese Sehenswürdigkeiten zogen die Touristen an, neben den herrlichen Wanderwegen rund um die Anse de Pouldon, die bis nach Loctudy oder auf der anderen Seite zur Halbinsel von Île-Tudy führten. Der Markt, der an jedem Donnerstag in der Stadt abgehalten wurde, gehörte zu den weiteren, absoluten Highlights der Stadt. Den Markt schätzte auch Gwenaëlle sehr, nicht nur weil sie einmal im Jahr ihre Maiglöckchen dort feilbot.
Gwenaëlle hing ihre Handtasche an die Garderobe, sowie die leichte Strickjacke, die sie sich übergezogen hatte. Dann ging sie in ihr Wohnzimmer, öffnete den Schrank, holte ein Weinglas heraus und stellte es auf das Tischchen neben ihrem Sessel. In der Küche stand noch eine halb volle Flasche Bordeaux, von dem sie sich jetzt ein Glas gönnen würde, während sie den Spätfilm vom heutigen Abend ansah.
Sie saß jetzt schon eine Stunde vor dem Fernseher, ihr Weinglas war bereits geleert, und der Film hielt nicht, was die Voranzeige ihr gestern versprochen hatte. Sie beschloss ins Bett zu gehen, stellte den Fernseher ab und brachte das Weinglas in die Küche, stellte es in die Spülmaschine und löschte das Licht.
Gwenaëlle wollte gerade die Treppe zum Schlafzimmer hochsteigen, als sie ein seltsames Geräusch aufschrecken ließ. Vorsichtig ging sie zum Fenster im dunklen Wohnzimmer, stellte sich hinter den Vorhang, so dass sie von außen nicht zu sehen war, und sah in den Garten.
Zuerst war nichts zu erkennen gewesen. Es gab keinen Wind, und auch die Bäume bewegten sich nicht. Die hohen Rhododendren, die rechts und links neben der Einfahrt standen, waren deutlich auszumachen. Zwischen dem Haus und diesen Büschen bewegte sich nichts. Gwenaëlle blieb trotzdem wie angewurzelt hinter dem Vorhang stehen. Sie hatte sich nicht geirrt, es musste jemand dort draußen sein. Für eine Katze oder einen Hund war das Geräusch nicht typisch gewesen. Sie hatte eher den Eindruck, als ob ein dickerer Ast abgebrochen, oder ein Schlag mit einem Hammer ausgeführt worden war. Aber sie konnte auch nach längerem Warten nichts erkennen. Vielleicht konnte sie von der Etage aus einen besseren Überblick über das Terrain erhalten. Sie verließ das Wohnzimmer und ging nach oben. Ohne das Licht anzuschalten, betrat sie ihr Schlafzimmer, trat ans Fenster und versuchte, sich einen Überblick über den Garten zu verschaffen.
Hatte sie gerade einen Schatten neben ihrem Auto gesehen? Gwenaëlle war unsicher, ob sie etwas Reelles gesehen hatte oder einer Sinnestäuschung erlegen war. Sie fixierte die Stelle und ließ ihren Blick darauf ruhen. Da! Da war schon wieder ein Schatten. Es sah aus, als ob ein Mensch in gebückter Haltung um das Fahrzeug schlich. Jetzt bekam Gwenaëlle Angst. Die Haustür war solide, aber durch ein Fenster könnte jemand einbrechen. Sie rannte aus dem Schlafzimmer und lief die Treppe hinunter. Beinahe wäre sie die Treppe hinuntergestürzt, sie hatte in der Dunkelheit eine Stufe übersehen. Ihr Ziel war das Telefon. Sowohl ihr Festnetzanschluss als auch das mobile waren unten. Ihr Handy steckte in der Handtasche, und die hatte sie an der Garderobe abgelegt. Das Festnetzgerät lag näher. Sie griff nach dem Telefon und tippte die Notrufnummer ein.
„Gendarmerie Pont-l´Abbé, was kann ich für Sie tun?“, fragte die Stimme am anderen Ende.
„Ein Einbrecher schleicht um mein Haus, ich habe Angst, können Sie schnell kommen?“
„Wie heißen Sie? Und wo befinden Sie sich genau?“
„Mein Name ist Gwenaëlle Le Drennec, ich wohne in der Rue Chevalier. Ich halte mich in meinem Haus auf.“
„Bleiben Sie bitte im Haus, ich schicke Ihnen sofort einen Streifenwagen vorbei. Öffnen Sie keinesfalls die Tür.“
Gwenaëlle legte das Telefon auf und versuchte, unbekannte Geräusche wahrzunehmen. Geräusche, die auf die Anwesenheit eines Einbrechers hindeuten könnten.
Da! Ein leises Knacken, diesmal kam es aber von der Rückseite des Hauses. Hatte sie die hintere Ausgangstür verschlossen? Gwenaëlle wusste, dass sie schon des Öfteren vergessen hatte, die Tür zu verschließen. Sie rannte in den Flur, stieß gegen einen abgestellten Besen, den sie nicht aufgeräumt hatte, lief weiter und erreichte den rückwärtigen Zugang zum Haus. Sie drückte die Klinke nach unten. Die Tür gab nicht nach, sie war verschlossen. Gwenaëlle atmete tief durch und rieb sich ihr Schienbein. Der Besenstiel war hart gewesen. Sie wollte gerade zurück ins Wohnzimmer gehen, als sie bemerkte, dass die Türklinke langsam nach unten gedrückt wurde.
Eiskalt lief es ihr über den Rücken, sie starrte gebannt auf die Klinke. Kein Zweifel, vor der Tür stand jemand und versuchte ins Haus zu gelangen. Sie betete, dass die Gendarmerie rasch erscheinen möge.
So als sei ihr Stoßgebet erhört worden, vernahm sie jetzt die Motorgeräusche eines Wagens, der auf ihr Grundstück gefahren sein musste.
Sie lief zur Frontseite des Hauses und sah durchs Fenster hinaus. Vor der Tür stand ein Fahrzeug der Gendarmerie, und zwei Gendarmen verließen den Wagen. Gwenaëlle riss die Tür auf und rief den beiden Gendarmen entgegen:
„Auf der Rückseite, gerade hat jemand versucht, an der Rückseite die Tür zu öffnen.“
Die beiden Gendarmen zogen ihre Waffen und gingen ums Haus, der eine rechts, der andere links herum. Nach einigen Minuten waren Sie wieder an der Haustür.
„Wir haben niemanden sehen können, aber die Person könnte über die Nachbargrundstücke entkommen sein. Es ist zu dunkel, um nach Spuren zu suchen, Madame, wir sehen uns noch vor dem Haus um.“
Die beiden Gendarmen durchstreiften den Garten, konnten aber nichts Auffälliges entdecken.
„Ich glaube, Sie sind fürs Erste sicher, es hält sich hier niemand mehr auf“, meinte einer der Gendarmen, bevor sie sich von Gwenaëlle verabschiedeten.
Gwenaëlle war sich dessen nicht so sicher, trat ins Haus zurück, verriegelte die Tür sehr sorgfältig und ging zu Bett.