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Kapitel 5

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Gwenaëlle sah in einen blauen Himmel, als sie ihre Augen öffnete. Sie war gestern erst sehr spät eingeschlafen. Der Abend hatte sie im Bett noch lange beschäftigt. Wer könnte sich im Garten herumgetrieben haben und aus welchem Grund? Es fiel ihr einfach keine vernünftige Erklärung ein. Sie erhob sich, ging in die kleine Dusche und erfrischte sich, zog sich an und stieg die Treppen hinunter. In der Küche bereite sie sich ihr Frühstück, trank eine Tasse starken Kaffee und machte sich fertig für den neuen Arbeitstag. Bevor sie ins Büro fuhr wollte sie aber noch mit Marc Henan telefonieren. Sie war zwar nicht mehr verärgert über sein Ausbleiben, aber sie wollte doch wissen, warum er nicht erschienen war. Das war bisher noch nicht vorgekommen. Sie wusste, dass sie ihn zu dieser frühen Stunde anrufen konnte. Marc war ein Frühaufsteher. Sie griff nach dem Handy in ihrer Handtasche und wählte die Nummer von Marc.

„Hallo“, meldete sich eine ihr völlig unbekannte Frauenstimme. Marc hatte keine Frau, das wusste sie. Hatte er jemanden kennengelernt und war deswegen nicht erschienen?

„Wer ist da?“, fragte sie und wartete ab.

„Hier ist die police judiciaire, mit wem spreche ich?“

Gwenaëlle war sprachlos, police judiciaire, wie kam die an das Handy von Marc?

„Hier…, hier ist Gwenaëlle Le Drennec, Marc und ich hatten gestern Abend eine gemeinsame Tanzprobe, aber er ist nicht erschienen. Sagen Sie mir, was mit Marc los ist, und warum die police judiciaire sein Handy hat?“

„Madame Le Drennec, wo können wir Sie treffen, wir würden uns gerne persönlich mit Ihnen unterhalten.“

„Ich bin den ganzen Tag über in der Mairie von Pont-l´Abbé zu erreichen. Ich leite dort die Kulturabteilung. Ansonsten können Sie mich in meinem Haus, in der Rue des Chevaliers aufsuchen.“

„Wir treffen uns dann in ihrem Büro. Bis später.“

Gwenaëlle war verwirrt, sie wusste immer noch nicht, was mit Marc geschehen war, aber die police judiciaire wollte sie sprechen. Das war kein gutes Zeichen.

Sie legte das Telefon wieder in die Handtasche, nahm den Autoschlüssel von dem kleinen Bord und ging zu ihrem Wagen. Die Haustür verschloss sie sorgfältig und überprüfte danach die Tür noch einmal. Sie ging auf ihren Wagen zu und wollte ihn aufschließen, als sie die vielen Kratzer an der Fahrertür bemerkte. Die ganze Tür war verkratzt. Gwenaëlle ging um das Fahrzeug herum. Auch die andere Seite war verkratzt. Sie hatte sich nicht getäuscht, als sie gestern einen Schatten beim Fahrzeug bemerkt hatte. Da war jemand gewesen, und die Kratzer erklärten vielleicht auch die gebückte Haltung der Person. Ein zerkratztes Auto! War ein Mann oder eine Frau der Täter? Hatte sie mit jemandem Streit gehabt? War sie einer Person zu Nahe getreten? Es wollte ihr niemand einfallen. Weder ein Mann noch eine Frau kamen ihr in den Sinn. Sie kam mit den Menschen in ihrem Umfeld gut zurecht. Auch im Büro gehörte sie zu den Personen, die auf Verständigung aus waren und nicht auf Konfrontation. Sie konnte sich nicht erklären, warum jemand einen solchen Hass auf sie hatte, dass er ihr das Auto so zerkratzte.

Sie stieg ein und startete den Motor, es war höchste Zeit ins Büro zu fahren.

Gwenaëlle Le Drennec betrat ihr Büro in der ersten Etage der Mairie, dem Ti Ker von Pont-l´Abbé, und setzte sich hinter ihren Schreibtisch. Ein ganzer Stapel musste heute abgearbeitet werden. Morgen war das Treffen mit dem Office de Tourisme und den Vertretern der verschiedenen Vereinigungen, damit die Planung für das nächste Jahr abgeschlossen werden konnte. Sie begann mit ihrer Arbeit und vergaß schnell das Telefonat mit der Polizei und die Kratzer an ihrem Wagen.

Es muss so gegen 11 Uhr gewesen sein, als es an der Tür klopfte und zwei Frauen vor ihr standen.

„Madame Le Drennec?“, fragte eine der Frauen.

„Ja, bitte treten Sie doch ein. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Mein Name ist Anaïk Bruel, police judiciaire Quimper, und das ist meine Kollegin, Monique Dupont.“

„Wir haben am Morgen miteinander telefoniert“, erinnerte sich Gwenaëlle sofort und zeigte auf die Besucherstühle vor ihrem Schreibtisch.

„Nehmen Sie doch bitte Platz, meine Damen.“

„Ja, wir haben miteinander gesprochen, als sie das Mobiltelefon von Monsieur Marc Henan angerufen haben.“

„Was ist mit Marc? Sie haben heute Morgen nicht auf meine Frage geantwortet.“

„Nun, aus gutem Grund, Madame Le Drennec, können Sie uns bitte sagen, in welchem Verhältnis Sie zu Monsieur Henan stehen?“

„Das ist schnell beantwortet. Wir sind Tanzpartner bei der Kelc´h Vigoudenn, wir tanzen schon seit vier Jahren zusammen. Gestern ist unser Training gewesen und Marc ist nicht erschienen. Seitdem wir zusammen tanzen hat er nicht ein einziges Mal einen Abend versäumt. Ich habe mir zuerst nichts dabei gedacht, weil zurzeit ja die Protestaktionen gegen die niedrigen Schweinefleischpreise laufen. Ich war mir zwar beinahe sicher, dass er das Training nicht wegen der Proteste ausfallen lassen würde, aber möglich wäre es gewesen. Heute Morgen wollte ich ihn danach fragen und habe ihn angerufen. Da haben Sie abgenommen. Meinen Sie nicht, dass Sie mir jetzt endlich sagen könnten, was Marc zugestoßen ist?“

„Nun, Madame Le Drennec, ihr Tanzpartner, Marc Henan, ist gestern Abend überfahren worden. Ein Autofahrer hat die Leiche auf dem Impasse de Ménez Bijigou gefunden.“

„Den Impasse de Ménez Bijigou nimmt Marc nicht wenn er zu unserem Training fährt.“

„Sie wissen wo der Impasse de Ménez Bijigou liegt?“

„Natürlich kenne ich den, ich lebe lange genug in der Gegend. Früher habe ich ihn häufiger befahren, wenn ich zum Haus meines Ex-Mannes wollte. Mein von mir geschiedener Mann wohnt auf der Île Chevalier. Er hat dort ein sehr großes Anwesen. Der Impasse de Ménez Bijigou ist zwar nicht die kürzeste Verbindung zur Insel, aber es ist ein schöner Weg.“

„Sie sagten, dass Monsieur Henan den Weg nicht fährt, wenn er zum Training will?“

„Nein, ich weiß von ihm, dass er den direkten Weg über die D785 und die Rue Charles le Bastard fährt.“

„Er hat Ihnen nichts von einem Treffen erzählt, dass er vor dem Trainingsabend hatte?“

„Nein. Abgesehen davon gab es keinen Grund, mir das zu erzählen? Wir hatten keinerlei persönliche Beziehungen. Wir waren wirklich nur Tanzpartner.“

Monique Dupont hatte während der ganzen Zeit stumm danebengesessen. Jetzt schaltete sie sich in das Gespräch ein.

„Sagen Sie, Madame Le Drennec, wissen Sie, ob noch ein anderes Mitglied ihrer Gruppe dort in der Gegend wohnt?“

Gwenaëlle dachte nach, sie ließ die einzelnen Mitglieder vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Nach einigen Minuten schüttelte sie den Kopf.

„Tut mir leid, aber ich kenne niemanden aus der Gruppe, der dort wohnt. Zudem kenne ich auch nicht alle Wohnorte unserer Mitglieder. Von vielen weiß ich wo sie wohnen, weil ich schon lange mit ihnen bekannt oder befreundet bin, aber es gibt eine ganze Reihe von neuen Mitgliedern, über die ich nichts sagen kann.“

„Könnte Marc Henan sich mit einem anderen Teilnehmer der Gruppe getroffen haben?“

„Das glaube ich nicht, aber ich bin mir natürlich nicht sicher. Doch, ich bin sicher, denn alle anderen waren anwesend. Es fehlte nur Marc.“

„Eine letzte Frage, Madame Le Drennec, hat Marc Henan Sie jemals von zuhause abgeholt. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann verläuft der kürzeste Weg von Combrit zu ihrem Haus über den Impasse de Ménez Bijigou.“

„Nein, nie! Wie ich schon gesagt habe, wir haben keine persönliche Beziehung gepflegt. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, dass Marc gewusst hat wo ich wohne.“

„Haben Sie vielen Dank, Madame Le Drennec.“

Anaïk hatte auch keine weiteren Fragen, so dass sich die beiden Kommissarinnen bedankten und von Madame Le Drennec verabschiedeten.

Madame Le Drennec sprach sie an der Tür noch einmal an.

„Entschuldigen Sie, aber ich habe gestern Abend einen Vorfall gehabt und habe sogar die Gendarmerie angerufen. Ich glaube zwar nicht, dass es etwas mit Marc zu tun hat, aber ich möchte es doch erwähnen, zumal ich nachher wieder Kontakt mit der Gendarmerie aufnehmen werde.“

Anaïk drehte sich um und sah Madame Le Drennec gespannt an.

„Gestern Abend hatte ich den Eindruck, dass jemand um mein Haus herumschlich. Schon seit Tagen werde ich das Gefühl nicht los, dass mich jemand beobachtet. Gestern Abend hat jemand versucht, in mein Haus einzudringen, ich habe Angst bekommen und die Gendarmerie angerufen. Die ist gekommen, hat aber niemanden gefunden. Ich habe aber deutlich gesehen, wie die Türklinke am hinteren Hauseingang niedergedrückt worden ist. Heute Morgen habe ich dann festgestellt, dass mein ganzes Auto zerkratzt ist. Es ist jemand im Garten gewesen.“

Anaïk kehrte zu dem Schreibtisch zurück und setzte sich wieder. Auch Monique machte kehrt und folgte ihrer Kollegin.

„Sie sagen, dass Sie gestern beinahe überfallen worden sind, habe ich Sie richtig verstanden?“

„Nun, ich kann nicht sicher sagen, dass ich überfallen worden bin, aber es hat jemand versucht, in mein Haus einzudringen. Dass das etwas mit Marc zu tun hat, bezweifle ich allerdings.“

„Diese Frage gilt es später zu klären, feststeht, dass gestern Abend jemand versucht hat, bei Ihnen einzudringen. Sie sagen, ihr Fahrzeug ist zerkratzt worden?“

„Genau, mein Auto ist, sowohl auf der Fahrer-, als auch auf der Beifahrerseite, verkratzt. Ich bin sicher, dass ich die Person gesehen habe, als sie das Auto beschädigt hat. Allerdings bin ich so aufgeregt gewesen, dass ich nicht genau hingesehen habe. Zudem ist es sehr dunkel gewesen, ich habe die Person jedenfalls nicht erkennen können.“

„Könnten Sie mir beschreiben, was Sie gesehen haben? Zum Beispiel die Größe der Person, die Kleidung, oder irgendetwas was Ihnen an der Person aufgefallen ist.“

„Es tut mir schrecklich leid, aber ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen. Ich bin wirklich sehr aufgeregt gewesen. Ich habe nur die Gendarmerie angerufen und gehofft, dass sie rechtzeitig eintreffen wird.“

„Die Information ist sehr wichtig für uns. Auch wenn nicht feststeht, dass der versuchte Überfall auf Ihre Person in einem Zusammenhang mit dem Mord an Marc Henan steht.“

„Sie glauben, dass es einen Zusammenhang geben könnte?“

„Ich habe gerade gesagt, dass ich es nicht weiß, es ist aber auffallend, dass ihr Tanzpartner ermordet worden ist, und am selben Abend versucht jemand, Sie zu überfallen.“

„So habe ich das noch nicht betrachtet. Sie meinen, der versuchte Überfall bei mir könnte mit dem Tod von Marc Henan in Verbindung stehen?“

„Nochmals, Madame Le Drennec, ich weiß es nicht, es ist für mich nur auffallend, dass beide Taten am selben Abend stattgefunden haben. Jedenfalls danken wir Ihnen für die Information.“

Die Kommissarinnen erhoben sich und verließen das Büro.

„Du denkst, dass es einen Zusammenhang gibt?“, fragte Monique ihre neue Chefin.

„Auffällig ist es jedenfalls.“

Sie bestiegen ihren Dienstwagen und fuhren zurück ins Kommissariat nach Quimper.

Todestanz in Pont L´Abbé

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