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Die Sitzfleischbequemlichkeit und Attraktion des klimatisierten Büros

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Der Zeitgeist ist ein anderer geworden. Die Ärzte zeigen die Ausdauer beim Sitzen im Teeraum. Einige bleiben mit und ohne Tasse solange dort sitzen, bis sie von den Schwestern in den OP gerufen werden. Die Art und Weise dieser Sitzfleischbequemlichkeit hat es früher nicht gegeben. Da halfen die Ärzte den Schwestern beim Herüberheben der Patienten von der Trage auf den OP-Tisch. Der Sitzdrang und die Sitzfleischbequemlichkeit haben erst mit der neuen Freiheit nach der Unabhängigkeit eingesetzt. Sie arten zur Unsitte aus. Da kann man doch fragen, wo das Interesse und der Einsatzwille für den Patienten geblieben sind. Die Frage gilt insbesondere den namibischen Kollegen, die aus dem Exil zurückgekehrt sind. Denn gerade sie hätten durch ihre Vergangenheit besonders sensibel für die Not der Menschen und motiviert für die Arbeit an den Patienten sein sollen.

Dagegen entwickelt sich bei den Exil-Kollegen der Wunsch nach einem Office mit funktionierender Klimaanlage. Sie wollen administrativ anstatt direkt am Patienten arbeiten. Die sitzende Tätigkeit in der Administration hat für sie und ihre Karriere den größeren Stellenwert. Sie ist bequemer und wird auch besser bezahlt als die schwitzende Stehtätigkeit am Patienten. Die Bevorzugung der Bürokratie gegenüber der ärztlichen Tätigkeit erklärt auch den Unwillen und die manuelle Ungeschicklichkeit bei den einfachen Verrichtungen im OPD (Outpatient department). Als hätten diese Ärzte keinen rechten, sondern zwei linke Daumen. Das wirkt sich in den operativen Fächern negativ aus, in denen es auf die Geschicklichkeit der Hände ankommt, und das besonders dann, wenn große Operationslisten abzuarbeiten sind und die Zahl der operierenden Ärzte klein ist.

Man muss leider den Eindruck gewinnen, dass es Ärzte und vor allem Ärztinnen gibt, die aus dem Exil zurückgekehrt sind, denen es nicht nur am anatomisch-theoretischen Wissen mangelt, sondern die sich bei einer blutenden Notsituation ihre Hände und Kleidung nicht beschmieren wollen. Sie nehmen den Schritt rückwärts bei einer spritzenden Blutung oder bei ausgerenkten Gliedmaßen und Knochenbrüchen, anstatt motiviert den Schritt nach vorn zu tun, um dem Patienten so schnell wie möglich zu helfen. Sauberkeitsüberlegungen an sich selbst haben keinen Platz im ärztlichen Handeln, besonders im akuten Notfall nicht. Diese Überlegungen sind nichts anderes als unethische Saubermannsschnörkel, wenn es um die Rettung des Lebens geht.

Ferdinand stellt sich bei solchen Beobachtungen die Frage, wie denn die Kollegen und Kolleginnen im Exil ihr ärztliches Tun verrichtet haben, wenn Not am Mann war oder ein Freiheitskämpfer vor dem Verbluten gerettet werden musste. Da musste doch auch schnell und gut gehandelt werden. Sicher waren die jungen Kollegen noch an den Universitäten in der Sowjetunion und in anderen Ostblockländern, um das medizinische Handwerk zu erlernen. Einige von ihnen haben in den skandinavischen Ländern und den USA studiert. Sie alle wollten doch Ärzte werden, um am kranken Menschen zu arbeiten und in Notfällen das Leben zu retten. Da musste doch Hand an den Patienten gelegt werden, wenn ein PLAN-Kämpfer (People’s Liberation Army of Namibia) mit einem abgerissenen Arm oder zerschossenen Bein ins Lazarett gebracht wurde. Oder waren es die Ärzte aus der DDR und den anderen sozialistischen Bruderländern, die in Angola die Arbeit taten, wenn es um schwere Verletzungen mit drohender Lebensgefahr ging?

Mit diesen Gedanken geht Dr. Ferdinand zum ‘theatre 2’ zurück, um die nächste Operation durchzuführen.

Namibia - Einsichten und Versöhnung

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