Читать книгу Herzog Heinrich II. Jasomirgott - Helmut Strohbach-Hanko - Страница 13
Die quellenkritische Geschichtsschreibung
ОглавлениеWaren bislang einige wenige Schriften und tradierte Überlieferungen Grundlage für die Darstellung Heinrich Jasomirgotts gewesen, so förderte die nach 1700 einsetzende klösterliche Geschichtsforschung manche Quelle zutage, die nicht nur über die Klöster und Stifte selbst, sondern auch über ihre Stifter und Vögte Aufschluss gab – also auch und gerade über die Babenberger. Besonders wichtig waren die zwischen 1721 und 1745 von Hieronymus Pez, einem Melker Benediktiner, herausgegebenen dreibändigen „Scriptores rerum Austriacarum“ und die 1750/51 erschienenen „Annales Austriae“ des Wiener Jesuiten und Historikers Sigismund Calles, eine wissenschaftliche Darstellung der Geschichte Österreichs in der Zeit der Babenberger. Interessant ist diese in Bezug auf Heinrich Jasomirgott vor allem, weil sie berichtet, er habe schon vor und dann während der Regierungszeit seines Bruders eine eigene Herrschaft in Mödling innegehabt.
Fast zur gleichen Zeit, 1774, tauchte in Georg Christian Crollius’ „Vierter Fortsetzung der erläuterten Reihe der Pfalzgraven zu Aachen und bey Rhein“ eine Nachricht von „Heinrich Jochsamer von Oesterreich“ auf. Die „Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen“ schreiben, es sei „ein neuer Pfalzgraf aus der Dunkelheit hervorgezogen und gezeiget [worden], daß … K. Conrads III. Bruder die Pfalz in den Jahren 1140 und 1141 besessen habe“.50 Eine Novität war das freilich nicht: Sowohl die aus dem 14. Jahrhundert stammende „Continuatio Claustroburgensis tertia“ als auch Thomas Ebendorfer berichten, dass Heinrich Jasomirgott Pfalzgraf bei Rhein gewesen sei. Dennoch dauerte es lange, bis dies von der Geschichtsschreibung allgemein aufgenommen wurde: Meiller schrieb noch 1850, die Pfalzgrafschaft Heinrich Jasomirgotts sei „weniger bekannt“.51
Auf diesen Grundlagen setzte die quellenkritische Geschichtsschreibung ein, die freilich nicht frei von Problemen war. Denn ganz so unrecht hatte der – als Josephiner und Bonapartist verschriene52 – österreichische Historiker Julius Franz Schneller vielleicht doch nicht, als er 1828 in seiner „Geschichte von Oesterreich und Steiermark“ über die klösterlichen Chroniken schrieb: „Selten trifft man bei Mönchen einen schärferen Blick in das Getriebe der Staatsereignisse und des Volkslebens. Nichts verzeichnen sie lieber als die Schenkungen an Kirchen, die Veränderungen ihrer Vorsteher, die Blutscenen naher Fehden und Abenteuer bei den Kreuzzügen. Überall zeigen sie Partei und berichten selten treu von dem Kampfe der weltlichen und der geistlichen Gewalt, denn in ihren Erzählungen hat der Priesterfeind keine Tugend und der Priesterfreund kein Laster.“53 Für Heinrich Jasomirgott, den wenig Freigiebigen, war da eben auch wenig Platz. Immerhin: In den von Abt Johann Bernhard Linck bearbeiteten, 1723 gedruckten Zwettler Annalen wird Heinrich Jasomirgott „divini cultus et cultorum amator“ (besonderer Verehrer von Religion und Liturgie) genannt;54 wohl eine höfliche Übertreibung, aber Zwettl war immerhin eines der Klöster, denen der österreichische Herzog größere Aufmerksamkeit widmete.
Doch auch die schlichte Fälschung von Quellen bereitete den Boden für Irrtümer. So könnten die Babenberger Familiengeschichte und die Klostergeschichte des Lilienfelder Zisterziensers Chrysostomus Hanthaler (1747) als bloße Kuriositäten abgetan werden, deren Quellen (Scriptores des 13. und 14. Jahrhunderts, Urkunden, Chartulare und Totenbücher) teilweise frei erfunden waren. Aber sie haben rechtes Unheil angerichtet, weil sie bis zur endgültigen Aufdeckung des Schwindels durch den österreichischen Historiker und Diplomatiker Michael Tangl Ende des 19. Jahrhunderts (und auch noch darüber hinaus) Grundlage für so manche falsche Darstellung (z.B. bei der Reihenfolge der Söhne Leopolds III.) wurden. Dass bei Hanthaler Heinrich Jasomirgott der vierte Sohn Leopolds III. war, erklärte die Nachfolge in der Mark 1136 ja auch auf bequeme Weise.
Die historische Forschung und Literatur begann im 18. Jahrhundert weg von der rein dynastisch-persönlichen Darstellung größere Zusammenhänge in den Mittelpunkt zu stellen: Im Falle Heinrich Jasomirgotts traten also Überlieferungen zu seiner Person zurück gegenüber der Beschäftigung mit seiner Rolle in der Reichs- und Landesentwicklung, bei der Teilung Bayerns und beim „Privilegium minus“. Mit diesem Privilegium und seinen rechtlichen Folgen befasste sich Franz Ferdinand Schrötter 1771 in seinem „Versuch einer Oesterreichischen Staats-Geschichte von dem Ursprunge Oesterreichs bis nach Dessen Erhöhung zum Herzogtum“, einem ersten verfassungsgeschichtlichen Werk. Auch in seiner zusammen mit Adrian Rauch verfassten „Österreichischen Geschichte“ (1779) gibt er der Vorgeschichte und dem Zustandekommen des Vergleichs zwischen Heinrich Jasomirgott und Heinrich dem Löwen 1156 breiten Raum, handelt aber die Lebensgeschichte des ersten österreichischen Herzogs im Übrigen eher kursorisch ab.
Die Werke Schrötters leiteten – wenn auch mit einiger Verzögerung – die staats- und verfassungsgeschichtliche Befassung mit dem „Privilegium minus“ ein, das gelegentlich sogar als „Magna Charta“ des deutschen Territorialstaats bezeichnet wurde. Hinter diese bis heute geführten Diskussionen und Untersuchungen traten die Personen, deren Ansprüchen und Befindlichkeiten ein guter Teil der Bestimmungen des Privilegium Rechnung trug, häufig sehr weit zurück. Man könnte sagen: Heinrich Jasomirgott und Theodora stehen im Schatten einer (nicht mehr existierenden) Urkunde.
Von den wenigen Hinweisen auf Heinrich Jasomirgott außerhalb der deutschsprachigen Literatur sei hier nur Voltaire zitiert. In seinen Annalen findet sich: „1153 – Le marquisat d’Autriche est érigé en duché faveur de Henri Jasamergot, qu’on ne connait guère, et dont la postérité s’étaignit environ un siècle après.“ (Die Grafschaft Österreich ist zugunsten Heinrich Jasamergots zum Herzogtum erhoben worden, der kaum bekannt war, und dessen Nachkommenschaft etwa ein Jahrhundert später erlosch.)55
1819 erschien über Heinrich Jasomirgott eine kleine Monografie. Alois Groppenberger von Bergenstamm war als Registrator der niederösterreichischen Stände mit der Beschreibung der Topografie des Wiener Linienwalls beauftragt. Wohl bei der Beschäftigung mit Mödling stieß er auf Heinrich Jasomirgott, der nach Sigismund Calles dort begütert gewesen sein soll. Diese „Grafschaft Medelich“ habe Heinrich wie „ein freier Herr“ regiert und hier bis zum Tode seines Bruders seine Tage verlebt.56 Über die Regierung Heinrichs als Herzog von Bayern und von Österreich ist Groppenberger voll des Lobes: „Die Geistlichkeit nannte ihn ihren Beschützer, und er entwarf in seiner Person das Bild eines musterhaften Fürsten.“57 Die Darstellung orientierte sich an klösterlichen Überlieferungen und griff bis auf Jans Enikel zurück, bei eher bescheidener Quellenlage. Darum wohl nannte Groppenberger sein Werk ebenso zurückhaltend einen „Versuch“.
Bei der Bewertung des Vergleichs von 1156 und seiner Folgen – und der Beurteilung der Rolle Heinrich Jasomirgotts dabei – gingen im 19. Jahrhundert die Auffassungen der österreichischen und der bayerischen (und später der deutschen) Historiker immer mehr auseinander – auch, was die Belehnung und die Leistungen von Leopold und Heinrich als bayerische Herzöge betraf.
In den österreichischen Geschichtswerken entwickelte sich ein gewisses Stereotyp: Meist war Heinrich Jasomirgott der „vierte“ Sohn Leopolds III., der erst in der Nachfolge von Leopold IV. als Markgraf in Erscheinung trat, dann aber Bayern und Österreich weise regierte. Der durch sein Ungestüm verursachten Niederlage gegen die Ungarn an der Leitha 1146 wurde (dank der Überlieferung durch die „Gesta“) stets gedacht. Die Ehen mit Gertrud und Theodora wurden nur gestreift, das Hauptaugenmerk galt dem Verlust der bayerischen und dem Gewinn der österreichischen Herzogswürde. Da nun wurden Großmut und Geduld Heinrichs gewürdigt, mit denen er um des lieben Friedens willen nachgegeben habe. „In der fehdevollen und rachsüchtigen Zeit“, schrieb Julius Franz Schneller, „gehörte Heinrich Jochsamergot zu den seltenen Menschen, welche Opfer zu bringen und mit Adel ein Unrecht zu ertragen verstehen.“58 Geradezu überschwänglich lobte der Wiener Schriftsteller Hermann Meynert „Besonnenheit“, „weise Mäßigung“ und „Entsagung“ des Herzogs. „Wie im Sprüchworte und im gleichlautenden Beinamen, so trug er den Gott im Busen, und blieb seinem edlen Selbst getreu in allen Brandungen der Zeit, in allen Lockungen der Verhältnisse.“59 Der Grazer Geschichtsprofessor Leopold Haßler befand, Heinrich sei „seinen Unterthanen zu jeder Zeit ein guter und gerechter Regent [gewesen], der die Religion ehrte, streng auf seine Gerechtsame hielt, und dem Kaiser und Reiche mit unerschütterlicher Treue anhing.“60
Den Bayern dagegen missfiel fast alles, was Heinrich Jasomirgott getan hatte. „Für Baiern hatte Heinrich Jasomirgott wenig Gutes gestiftet.“ – so urteilte der königliche Elementarlehrer Wolfgang Mauerer in seinen „Historischen Unterhaltungen aus der baierischen Geschichte für die vaterländische Jugend“, erschienen 1822 in Passau.61 Ein arg kursorisches Urteil, gewiss, aber vermutlich bei den jungen Lesern ebenso meinungsbildend wie Joseph Heinrich Wolfs Verdikt in der „Bajerischen Geschichte für alle Stände des Vaterlandes ohne Unterschied von den frühesten Zeiten bis zum Jahre 1832“: „Heinrich Jasomirgott war ein Mann raschen Gemüthes, aber wenig hohen Geistes; für Bajern … mehr zum Verderben, als zum Wohle; ein hoher Herr, aber wie sein Bruder nicht ausgerüstet mit den jener Zeit höchst nothwendigen Herrschertalenten, zum Herzoge unseres Vaterlandes, wie schon viele vor ihm, wohl berufen, aber nicht auserwählt.“62 Diese negative Beurteilung durch bayerische Historiker blieb gute Übung, wobei Otto von Freising willkommener Zeuge war: „Heinrich Jasomirgott“, schrieb der Kirchenhistoriker Joseph Ferdinand Damberger 1855, „benahm sich auf eine Weise, dass ihm selbst der leibliche Bruder Bischof Otto kein gutes Wort reden kann.“63