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DIE AUSBILDUNG

Als die Praktikumszeit zu Ende ging, stand die Fachhochschule auf dem Plan. Damals hieß sie noch Staatsbauschule. Ziel war der Vermessungsingenieur, damals wie heute. Dass diese Ausbildung noch nicht in Europa überall die gleiche Wertigkeit hatte, wusste ich damals noch nicht. Als wir es erfuhren, war es Grund genug auf die Straße zu gehen. Das war jetzt nichts Ungewöhnliches, es war ja 1969. Lange hatten die Streiks keinen Erfolg, allerdings stand die Bevölkerung mit breiter Basis hinter uns. Das akademische Establishment eher nicht. Befürchtete man doch eine Konkurrenz und Gleichstellung der Fachhochschulen (damals Schmalspurakademiker) mit der universitären Ausbildung. Und das konnte man auch befürchten. Galt doch zu diesem Zeitpunkt die Fachhochhochschulausbildung als deutlich praxisorientierter und weniger theoretisch. Die Jobaussichten der Fachhochschulabsolventen waren hervorragend und man bekam problemlos Jobs in der Verwaltung und der Industrie.

Das Studium verlief eher unspektakulär und ich muss zugeben, dass mir viele Zusammenhänge in den ersten Semestern überhaupt nicht klar waren. Wie die Themen Höhenmessung, Lagemessung und Winkelmessung zusammenspielten war mir am Anfang noch nicht so bewusst. Das erste Highlight war im dritten Semester, als ich mitbekam, dass unser Studium in Europa überhaupt nicht anerkannt war. Das war aber nicht technischer, sondern eher ausbildungspolitischer Natur. Wir liefen als „Schmalspuringenieure“ so nebenher. Das passte natürlich auch den Dozenten der „Staatsbauschule“, so hieß unsere Ausbildungsstätte damals noch, ganz und gar nicht. Wertete es doch ihre Arbeit ab, da sie nicht im universitären Bereich angesiedelt war. Aber auch für uns war es diskriminierend nicht mit einer universitären Ausbildung und einem geschützten Titel abzuschließen. Wie weiter oben schon beschrieben, begannen wir zu streiken, zuerst mit Warnstreiks und später mit intensiven Streiks und auch Vorlesungsboykotten. Wir setzten die Kultusminister gehörig unter Druck und die Gespräche fingen an intensiver sich mit dem Thema zu beschäftigen. Wenn ich es mit der heutigen Zeit vergleiche, war es „Frydays for future“ schon damals, allerdings am Donnerstag, also „Thursday for future“. Nur ging es in unserer Zeit nicht so glimpflich aus, obwohl wir viel mehr Zuspruch als die heutige Bewegung hatten. Das lag eventuell auch daran dass ja immer noch die 86iger Zeit nachhallte und demonstrieren absolut in war.

Aber das Imperium schlug zurück. Man setzte uns unter Druck an den Vorlesungsplatz zurückzukehren, ohne uns eine Gegenleistung zuzusagen. Dazu waren wir nicht bereit, teilweise natürlich schon in Ferienjobs eingebunden. Das Ergebnis war eindeutig, man erkannte unser Semester nicht an und wir verloren ein ganzes Jahr unserer Ausbildungszeit.

Die Verhandlungen gingen die ganz Ferienzeit weiter und obwohl man uns sehr gut verstand und unsere Forderungen akzeptierte, auch in der Bevölkerung, wurden unsere Streiks breit unterstützt, gab es jedoch keine Fortschritte. Erst mit dem neuen Semester kam Bewegung in das Spiel. Der Kollege, der damals schon als Studentenobmann maßgeblich an den Gesprächen beteiligt war, und mit Unterstützung der Dozentenschaft, wurde ein Durchbruch erreicht.

Man erkannt unsere Ausbildung als Teil des universitären Bereichs an und unterteilte die Ausbildung in Fachhochschule und Technische Universität. Als Abschluss gab es den Diplomingenieur mit dem Zusatz TU oder FH.

Im Nachhinein sickerte durch, dass die größten Gegner dieses gemeinsamen Titels natürlich von den alteingesessenen Universitäten kamen. Man wollte sich keinen Konkurrenten am Arbeitsmarkt schaffen. Dieser Druck kam nicht nur von deutschen Universitäten, sondern auch aus dem Ausland. Und ja, es kam auch so. Die Ausbildung an den Fachhochschulen, so wurden sie umbenannt, wurde sehr praxisbezogen, aber extrem hochwertig. Der mathematisch-wissenschaftliche Teil wurde zwar vernachlässigt, aber der praktische Teil deutlich gestärkt.

Uns war es nur recht. Die Chancen am Arbeitsmarkt waren extrem gut. Natürlich auch im süddeutschen Raum gefördert durch große Bauaktivitäten im Rahmen der olympischen Spiele und des U-Bahnbaus und der großen Umgehungsbaustellen, wie der Ringautobahn in München.

Damit wir die 8 Semester voll bekamen, diese waren notwendig für einen Hochschulabschluss, wurden die Praktika in sogenannte Praxissemester umgewandelt. Das war ein kluger Schachzug und verstärkte die Praxistauglichkeit unserer Ausbildung nochmals deutlich. Ich konnte für meinen Teil die Vorteile dieser dramatischen Veränderung deutlich nutzen. Noch heute gehe ich überall hausieren mit meinem Titel Dipl. Ing. und werde dafür fachlich anerkannt.

Aber das Imperium schlief nicht. Im Hintergrund wurden die Fäden gezogen, das Ganze rückgängig zu machen. Jahre später begann ein Prozess, der „Bolognaprozess“ genannt wurde. Das Ergebnis war eine deutliche Minimierung des Studienangebotes für den Titel „Diplomingenieur“ und eine europäische Harmonisierung mit dem Ziel, statt des Ingenieurs den Titel „Bachelor“ und „Master“ einzuführen. Die Ausbildung des Dipl. Ing. wurde an vielen Hochschulen gestrichen und heute findet man nur noch wenige Studiengänge, die einen „Dipl. Ing.“ anbieten.

In den Augen vieler Berufskollegen und auch von mir eine fatale Entwicklung, die schlussendlich zu einer deutlichen Abwertung und vor allem der Ausbildungsqualität, zumindest für den Studiengang Bachelor, führte. Natürlich gibt es dazu unterschiedliche Betrachtungsweisen, aber man braucht nur auf die Stellenbeschreibungen zu schauen, dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Der Bachelor kommt nicht über das Niveau eines Technikers hinaus und macht vor allem diesem Ausbildungssystem Konkurrenz. Aber dazu später mehr.

Nichtsdestotrotz kostete es uns ein ganzes Semester, das aberkannt wurde, aber am Ende stand der Fachhochschulingenieur (FH) mit einem akademischen Grad. Für mich war es Anreiz genug die letzten 3 Semester mit Vollgas zu Ende zu bringen. In einem Arbeiterelternhaus hatte man für solche, aus deren Sicht selbst verschuldeten Verzögerungen, kein Verständnis.

Natürlich spielt auch das Geld eine große Rolle. Das Studium musste ich mir selbst verdienen. Ich konnte zwar zu Hause leben, und Essen und Kleidung waren nicht meine großen Kostenfaktoren. Da gab es aber noch mehr: ich wollte natürlich schon am Leben teilhaben, hatte Spaß an schönen Autos (auch wenn die noch nicht viel kosten durften) und so langsam begann auch meine sportliche Karriere, und auch das Reisen machte mir Spaß.

Schon früh hatte ich begonnen Motorräder zu zerlegen und zusammen zu bauen und das machte ich jetzt auch mit Autos, und so verdiente ich mir manche Mark mit dem Verkauf hergerichteter Autos. Dazu kam dann in den letzten Studienjahren meine Zeit als Münchner Taxfahrer. Ich lernte die Stadt bei Nacht kennen und lieben. Immer wenn das Geld knapp wurde, war ich bis in die frühen Morgenstunden unterwegs. Eine interessante Zeit, die auch für ein eigenes Buch genug Material hergeben würde.

Das Studium an der Fachhochschule war ein Mittelding zwischen Schule und Universität. Erst langsam änderte sich der Unterrichtsstil in das universitäre Ambiente. Man musste sich erst an das selbstständige Lernen gewöhnen, das eigenverantwortliche Lernen machte aber immer mehr Spaß. Geprägt wurde ich in der Zeit durch das Umfeld und die Art und Weise der technischen Akribie eines meiner Professoren. Ich hatte nie wieder so einen detailverliebten Dozenten wie den damaligen Dekan. Er war der Inbegriff der Korrektheit, Sachlichkeit und auch Gerechtigkeit. Wenn ich heute noch meine Skripte anschaue, dann könnte man jedes sofort nachdrucken, so habe ich diesen exakten Schreibstil angenommen. Jede Zeile exakt geschrieben und gewichtet, aller Formeln farbig eingerahmt. Meine Skripte waren begehrt und vielfach kopiert. Aber auch alle anderen Professoren waren von beeindruckender Korrektheit und zeigten mir, bis dahin eher ein lockerer Typ, auf was es ankam in der Welt des Geometers. Leider war die Ausbildung noch sehr auf das Katasterwesen ausgerichtet. Die wirklich interessanten Dinge der Ingenieurvermessung kamen viel zu kurz. Aber das sollte sich bald ändern.

der Geometer

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