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DER WEG ZUR SELBSTSTÄNDIGKEIT

Die ersten Aufträge

Als das Studium zu Ende ging, war es an der Zeit sich nach einer Stelle umzuschauen. Das war zu diesem Zeitpunkt nicht sehr schwierig. Für meinen Horizont gab es damals für einen Vermessungsingenieur nur den Weg zum Staat. Dachte ich. Es kam aber ganz anders. Ein Studienkollege schwärmte mir vor, dass es in der Bauindustrie keine Anwärterzeit und sofort volles Gehalt geben würde. Das imponierte und gefiel mir.

Ich stellte mich bei der Fa. Hinteregger vor. Einem deutschen Ableger einer österreichischen Baufirma, die zum damaligen Zeitpunkt sehr erfolgreich auf dem deutschen Markt tätig war. Die erste Baustelle war in Ehra-Lessien, das Hochgeschwindigkeitstestfeld von VW. Eine durchaus interessante Baustelle. War doch nichts einfach beim Abstecken und in der Bauausführung. 100% (also 45 Grad) geneigte Fahrbahnen sind halt nicht so einfach zu bauen, und dann noch eine außergewöhnliche Ebenheit herzustellen, die für Hochgeschwindigkeitsstrecken unabdingbar ist, war eine große Herausforderung.

Schon gleich nach der Ankunft verlangte der leitende Vermessungsingenieur von mir am nächsten Morgen „Profile“ abzustecken. Das ist im Nachhinein betrachtet nichts Kompliziertes, ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit, für mich aber war es das aber schon, hatte ich im Studium doch noch nie was von Profilen gehört. Die brauchte ein Katastervermesser nicht. Profile dienen dazu die Schüttung für Straßen, Dämmen oder sonstigen Baukörpern für den Baggerfahrer und die Planierraupe genau vorzugeben. Dazu muss der Geländeunterschied zu „Ist“ und „Soll“ ermittelt werden und dann das Holzprofil mit der richtigen Neigung gesetzt werden. Unsere Ausbildung war immer noch auf Kataster, Flurbereinigung und allgemeiner Ingenieurvermessung aufgebaut, aber nicht auf Tiefbau und Straßenbau. Das sollte sich erst später ändern, auch dank meiner und meiner Kollegen, die den Praxisbezug der Fachhochschulausbildung noch stärker in den Vordergrund stellen sollten.

Aber dass ich das nicht wusste und konnte, hätte ich nie zugegeben. Ich war Ingenieur und hatte eine gute Grundausbildung und konnte „technisch denken“, da kann ich doch so profane Profile abstecken. In der Nacht vor meinem ersten selbstständigen Außendienst legte ich mir ein Konzept zurecht, wie ich diese dämlichen Profile in die Landschaft zaubern könnte und um die Mittagszeit konnte ich die Profile an den zuständigen Schachtmeister übergeben. Augenzwinkernd sagte er „hat aber gedauert“. Das war mir egal, ich war stolz auf meine ersten Profile und legte die Grundlage für meine Selbstständigkeit, bei der ich viel Geld mit Profilen verdienen sollte.

Schon nach kurzer Zeit wurde ich nach Dingolfing versetzt, wo mein erster Arbeitgeber die Erdbauarbeiten für die neuen BMW-Werke bekommen hatte. Ich erstellte nebenbei die Renaturisierungspläne und überwachte die Rückbefüllung der großflächigen Teichlandschaft. Besonders in Erinnerung blieben mir die Befischung der Teiche und das Leeren der Teiche mit Sprengstofffischern. Aale von 1,50 m Länge und Mäulern wie Umweltungeheuer kamen zum Vorschein. Keiner der erfahrenen Angler, die damit beauftragt waren, konnte die Ungeheuer festhalten. Sie verschwanden alle wieder in der Nacht.

Ein Skiunfall änderte alles. Ich war damals noch so skifanatisch, dass ich auch im Sommer zum Skilaufen ging und dabei passierte es. Ich verletzte mich in einem sehr sommerspezifischen Schnee sehr schwer am Knie und damit war die Außendienstarbeit vorläufig beendet. Die Verletzung war so schwer, dass sie mich später sogar die Bundeswehrtauglichkeit kostete, was aber ich verschmerzen konnte. Ich sollte nie mehr auf diese Baustelle zurückkehren. Es begann meine Selbstständigkeit, weil natürlich Planungsarbeiten auch mit einem kaputten Knie möglich waren. Noch während der Verletzungspause bekam ich Aufträge zur Planung von ein paar Zweifamilienhäusern, was mir sehr entgegen kam, da der Außendienst mit der Knieverletzung immer noch sehr schwierig war.

Das war damals gut möglich, weil auch Vermessungstechniker und Ingenieure bis zum Zweifamilienhaus Pläne einreichen konnten. So stand auf meinem ersten Firmenschild neben Vermessung auch Architektur und Straßenplanung.

Und das war´s dann. Ich meldete ein Gewerbe an obwohl das gar nicht notwendig gewesen wäre, (Ingenieurbüro war ja ein freier Beruf wie Notar oder Rechtsanwalt), aber sicher ist sicher. Im Sommer 73 bekam ich dann von der Erdbaufirma Putz den Auftrag, den Erdbau für die neue Ringautobahn A99 zu überwachen. Das interessante war aber meine Vertragsgestaltung. Ich merkte schon bei den Vertragsverhandlungen, dass man schnelle jemand brauchte und Vermessung eher gering einschätze. Schon bei den ersten Kontrollfahrten über die Baustelle erkannte ich die schlingernden Erdbauungetüme, die da zum Einsatz kamen. Ich legte also großen Wert auf die Wiederherstellungskosten von einmal erstellen Höhenmarken und Einweisungsprofilen. Zurecht wie sich herausstellen sollte. Ich bekam pro Richtungs- und Höhenpflock und pro Profil einen Festpreis, egal ob Erst- oder Zweitvermessung. Der Bauleiter ging darauf ein und ich konnte noch gar nicht abschätzen, was das für mich als „grünen“ Newcomer in der „Freiberuflerszene“ bedeutete. Aber bald wurde mir das klar. Auf der Baustelle wurden nur sogenannte Muldenkipper eingesetzt, die eine Hydrauliklenkung hatten. Der Bauunternehmer hatte sie von einer südafrikanischen Großbaustelle eingekauft und dementsprechend waren sie auch gewartet. Ein genaues Fahren war damit unmöglich. Ich musste mich oft mit einem Hechtsprung in Sicherheit bringen, wenn die Fahrer im Zickzack mit hoher Geschwindigkeit auf mich zukamen. Dass sie dabei oft 10 Profile und Höhenpflöcke in einem Stück umfuhren, war mir am Anfang unangenehm. Als ich aber die Profile immer wieder abrechnen konnte, merkte ich schnell, dass ich einen Supervertrag abgeschlossen hatte. „Welcher Depp hat diesen Vertrag mit dem Wenninger abgeschlossen“ fragte der Firmenchef in der rauen Baustellensprache in die Runde, keiner meldete sich und ich war auch still, der Bauleiter auch. „Wahrscheinlich der Kaufmann“ kam es aus der Runde, wohlwissend, dass dieser erst gefeuert worden war. Ich nickte nur … und grinste und der Putz lachte auch. „Gut gemacht, kriegst noch mehr Arbeit“ und schlug mir lobend auf die Schulter. So war Baustelle: grob, rau, aber auch lobend und herausfordernd, ich fühlte mich wohl auf der Baustelle.

Schon bald gab es zusätzliche Aufträge. Ich bekam fast alle Brücken des Münchner Ostringes zur vermessungstechnischen Betreuung, auch von der Firma Hinteregger, für die ich mal das BMW-Werk Dingolfing und die Versuchsstrecke in Ehra-Lessien (VW) betreut hatte. Ein Detail möchte ich noch erwähnen, weil es auch in meiner weiteren Laufbahn immer wieder zum Ausbruch kam. Ich konnte mit wenigen Mitteln vermessen. Meine ersten Aufträge wurden mit Fluchtstäben, Winkelprisma und Nivelliergerät durchgeführt, und ja, das funktionierte. Manchmal etwas umständlich und auch rechenintensiver, aber es war möglich und schon bald kaufte ich höherwertige Vermessungsgeräte, wie Theodolit und elektronische Entfernungsmesser dazu.

Mein Auftragsspektrum erweiterte sich und auch die Querstraßen- und Feldwege mit den Parkanlagen kamen dazu oder komplexe Gebäudeabsteckungen mit komplizierten Fertigfassaden. Bald kam auch mein erster Arbeitgeber, die Fa. Hinteregger auf die Baustelle, mit dem Los der Deckenarbeiten und einem weiteren Los der Erdarbeiten. Ich konnte Erfahrung sammeln in der Abrechnung, der Absteckung und der Steuerung der neuen Fertiger-Technik, mit neuer hochgenauer Drahtsteuerung.

Besonders die Überquerung der bestehenden Salzburger Autobahn ist mir dabei in Erinnerung geblieben. Am 30. Oktober 1974 war das Widerlager auf den Mittelpfeilern zwischen den Fahrspuren der alten Autobahn einzumessen. Schwierig und fast 7 m hoch, nur einen Meter im Durchmesser, war das nicht ganz ohne, wenn man mit dem Instrument darauf stand. Unten der laufende Verkehr, und gegenüber die Poliere der Schalungsbauer, die man mm-genau einweisen musste. Heute sicherheitstechnisch gar nicht mehr so machbar. Damals fragte keiner nach der Sicherheit für den Vermesser und der Vermesser ist halt mal der Erste und Letzte auf der Baustelle.

Die Nacht davor verlief aber ganz anders als geplant. Es war der 30. Oktober 1974 und meine Tochter Katrin kam zur Welt. Die ganze Nacht war ich schon in der Klinik und lief mit meiner Frau die Treppen rauf und runter, um die Geburt einzuläuten. Um 3:03 war es soweit, Katrin tat den ersten Schrei und ich hätte es mir um kein Geld der Welt nehmen lassen dabei zu sein, wenn meine Tochter das Licht der Welt erblickte. Es war für einen jungen Burschen mit 25 Jahren ein beeindruckendes Erlebnis, wenn ein Mensch das Licht der Welt erblickt. Ich habe das auch bei meinen anderen Kindern so gehandhabt und würde es immer wieder so machen. Kein Vater sollte es sich nehmen lassen bei der Geburt seiner Kinder dabei zu sein.

Unser Leben war in eine neue Phase getreten. Kurzfristig merkte ich das noch nicht, ich war ja voll im Trott. Nachdem alle schliefen, fuhr ich nach Hause, legt mich hin und schaltete den Fernseher ein. Muhammed Ali kämpfte gerade gegen George Foreman – „Rumble in the Dschungle“. Der berühmteste Boxkampf aller Zeiten. Als der beendet war, stand ich auf und fuhr auf die Baustelle. Die Schalung musste noch fertig eingemessen werden, um 10:00 kam der Beton. Mein Messgehilfe war nicht schwindelfrei und verweigerte den Aufstieg auf den 7 m hohen Pfeiler, um die Zieltafel anzubringen. Dieser Pfeiler steht heute direkt zwischen den Fahrbahnen der Salzburger Autobahn, dort wo die Umgehung einmündet.

Verweigern ist das falsche Wort, er stieg hoch und lag wie ein Protz auf dem Pfeiler und rührte sich nicht mehr. Ich war froh, ihn nach gutem Zureden wieder runter zu bringen. Das Wetter war extrem hässlich, es schneite aus vollem Rohr, auf dem Pfeiler warst Du in Minuten zu einem starren Schneemann gefroren. Aber die Betonlaster kamen um 10, da gab es kein Entkommen. Ich musste zuerst meinen Gehilfen auf dem festen Zielpunkt zu den Polieren versetzen und entsprechend „Einweisen“ was zu tun ist. Ich stieg also selbst auf den hohen Pfeiler. Ich war extrem konzentriert, denn ich wollte nicht, dass meine Tochter gleich zur Waise wird.

Als ich um die Mittagszeit wieder im Krankenhaus war und meine kleine Tochter in den Armen hielt, war ich müde, glücklich und zufrieden.

Aber das Leben geht weiter. Der Tod meines Schwiegervaters änderte die Situation noch einmal. Ich hatte jetzt auch die Verantwortung für meine Schwiegermutter und meine Eltern und meine kleine Familie. Mein Vater war ja schon ein bisschen älter, ich war ein Nachkömmling von seiner zweiten Frau, und daher fühlte ich schon früher als üblich die Verantwortung für Ihn. Die Baustelle A99 lief langsam aus und ich musste mich einer neuen Aufgabe widmen. Zuerst investierte ich das auf der Baustelle verdiente Geld (durch die vielen 10fach wieder hergestellten Profile) in ein Ferienhaus im Voralpenland. Nichts Großes, aber sehr individuell, und vor allem – ich machte alles selber. Von der Elektrik bis zur Wasser- und Heizungsinstallation.

Das war teilweise eine harte Schule, aber es brachte mir wieder eine Menge an Wissen in den unterschiedlichsten Disziplinen und half mir später, auf der Basis meines Ingenieurswissen viele Entwicklungen zu verstehen und auch zu verbessern und neu zu konzipieren.

der Geometer

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