Читать книгу Spion auf Zeit - Hendrik Asten - Страница 10
James B.
ОглавлениеNachdem Hendrik aus dem Taxi ausgestiegen war, musterte er das Hotel von außen. Es wirkte eher nüchtern und schlicht. Aber die Zimmer waren durchaus komfortabel und großzügig ausgestattet. Im Hotel gab es sogar einen Wellnessbereich mit Trainingsgeräten, Sauna und einem kleinen Swimmingpool. Der könnte ihn interessieren. Er packte aus, schaute kurz aus dem Fenster, von dem aus er einen Blick auf einen kleinen Park hatte und war darüber zufrieden. Dann legte er sich aufs Bett, starrte an die Decke und fragte sich, ja was? Einerseits war alles klar. Er sollte zu dieser Eva Kontakt aufnehmen, um herauszufinden, ob sie die Erpresserin war. Aber wie sollte er andererseits dies bewerkstelligen? Wie würde James Bond das machen? Er würde abends in ein Casino gehen und da mehr oder weniger zufällig auf die Zielperson stoßen. Ms Moneypenny hätte das alles so arrangiert. Ihm blieb nur die Volkshochschule – ein Fotografiekurs. Hendrik gab sich einen Schub, schwang sich vom Bett empor und bemerkte erst jetzt, dass auf dem Schreibtisch ein Notebook stand. Er schaltete es ein, googelte und konnte sich bei der VHS bei dem Kurs mit dem Titel ‚Street Photography‘ anmelden, den auch Eva Müller besuchte. Zunächst ärgerte er sich über diesen Anglizismus. Warum konnte es nicht Straßenfotografie heißen? Zugegeben die englische Version klang eleganter, die deutsche eher nach billiger Fotografie. Zudem orientierte sich der Kurs an bekannten Meistern wie Atget oder Cartier-Bresson. Da machte es schon Sinn eine internationale Bezeichnung dafür zu finden.
Miriam! Verrückt unter welchen Bedingungen er sie wiedergesehen hatte. Er hätte gerne mit Sandra darüber geredet, aber das ging unter den Umständen natürlich nicht. Trotzdem rief er sie an und erzählte, dass er in Berlin sei, weil er sich unbedingt einen Überblick über das aktuelle Berlin verschaffen wolle. Das sei ihm plötzlich wichtiger als ausgebuchte Ferienorte. Sandra wunderte sich zwar ein wenig, dass er seinen Entschluss so überraschend gefällt hatte, fand sein Ansinnen jedoch gut und gab etliche Tipps, was er unbedingt sehen müsse. Hendrik war sich nicht sicher, ob er überhaupt dazu kommen würde, aber der VHS Kurs begann erst in zwei Tagen und die Zeit konnte er jedenfalls nutzen.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Ein Hotelbediensteter übergab ihm ein kleines Paket, das keinen Absender trug, lediglich seinen Namen. Neugierig öffnete er es. Eine Flasche Rotwein kam zum Vorschein, ein Berliner Stadtführer, ein Stadtplan und ein Smartphone, dann gab es noch einen Umschlag, der ebenfalls an ihn adressiert war. Darin ein Brief von Miriam, in dem sie schrieb, dass sie hoffe, dass alles zu seiner Zufriedenheit sei. Wenn nicht, solle er sie über das Smartphone kontaktieren und nur darüber. Ihre und einige andere Nummern seien gespeichert. Auf keinen Fall solle er sein eigenes Handy benutzen. Das sei nur eine reine Vorsichtsmaßnahme. Auch könnten sie sich natürlich vorerst nicht sehen. Dann schlug sie ihm noch eine interessante Homepage zum Thema Street Photography vor. Hendrik kräuselte die Stirn, ohne an weitere Faltenbildung zu denken und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Das war ja wirklich wie in einem Agententhriller. Wer war denn diese Eva Müller, dass sie so einen Aufwand erzeugte, und wer war dieser Iljuschkin?
Schwimmen vor dem Frühstück hatte etwas. Man vertrieb die Geister der Nacht und fühlte sich für den Tag entschlackt und wie ein Motor warmgelaufen. Die Geister dieser Nacht hatten ihm einige illustre Alpträume beschert, seltsamerweise hatten sie wenig mit seiner aktuellen Situation zu tun, jedenfalls tauchten keine ihm bekannten Personen darin auf. Im Traum waren er und andere Personen nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel gelandet und versuchten dort, eine Unterkunft zu errichten. Später war es keine Insel mehr, sondern Südfrankreich, die Personen blieben dieselben, darunter eine Frau, die er im Traum sehr begehrte. Als er sie, die ihn verführerisch ansah, ansprach, wachte er dummerweise auf. Vergeblich versuchte er, wieder in den Traum zurückzukehren, aber die Geister bescherten ihm einen anderen, an den er sich kaum noch erinnern konnte. Und jetzt schwamm er zwischen zwei älteren Damen im Swimmingpool. Bei der nächsten Wende änderte er seinen Kurs, damit die beiden nebeneinander schwimmen konnten. Anscheinend war es für jüngere Hotelgäste zu früh. Aber nach einer weiteren Bahn bemerkte er ein junges Paar. Während der Mann mit einem Satz ins Wasser sprang, kletterte die Frau die Stufen hinunter. Dass sie so unterschiedlich reinkamen, sagte natürlich etwas über ihr Temperament aus, aber auch etwas über die Konfiguration in der Beziehung? Diesen Gedanken hatte Hendrik jedoch bald vergessen, denn er gelangte ihn eine Art meditativen Zustand, der sich bei ihm immer nach einigen Bahnen einstellte. Er spürte dann nur noch das sanft strömende Wasser, vor allem, während er bei den Schwimmzügen den Kopf unter Wasser tauchte.
Im Frühstücksraum saß er in Nähe des jungen Pärchens und konnte ihre Unterhaltung verfolgen. Sie stritten über die Reihenfolge ihrer Ausflugsziele. Ihr Dilemma war ganz eindeutig: Während er alles Neue, wie den neugestalteten Potsdamer Platz sehen wollte, war sie auf klassische Ziele wie Schloss Charlottenburg aus. Hendrik war sich selbst nicht sicher, wie er seine freien Tage gestalten sollte. Obwohl er mehrmals in Berlin gewesen war, hatte er damals kaum eine der historischen Stätten besucht. In dem Alter war anderes wichtiger, als sich wie ein gewöhnlicher Tourist zu verhalten und das ‚Andere‘ spielte sich damals nur in Kreuzberg ab. Und das neue Berlin kannte er eben auch nicht. Der Streit der beiden ging weiter, bis sie schließlich einknickte. „Na gut, machen wir es eben so, wie du es vorgeschlagen hast. Ich kann mir ja später noch das historische Berlin ansehen“, schlug sie vor.
„Was heißt später?“, fragte er unwirsch. „Ohne mich?“
„Egal, Hauptsache wir wissen, was wir heute machen.“
„Was heißt egal? Ich denke, wir machen die Reise gemeinsam.“
„Natürlich Schatz. Ich will nur keinen Streit.“
Der junge Mann blickte umher, als wolle er sich vergewissern, dass er besser argumentiere, aber da die Gäste die Bestätigung durch Ignoranz verweigerten, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr zuzustimmen.
Hendrik erinnerte sich an ähnliche Spielchen mit Sandra. Manchmal ging es darum, wer die besseren Argumente hatte, andere Male darum, wer länger geredet und dem anderen weniger zugehört hatte. Machtspielchen, die von außen betrachtet lächerlich wirkten, aber dennoch wie Rost an einer Beziehung nagten.