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Der Spion in dir

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Hendrik hatte das Touristenkompaktprogramm meisterhaft absolviert und es doch noch geschafft, einige Antiquitätenläden in der Kantstraße zu besuchen. Er liebte die Versuchung, die exquisite Schätze in ihm auslösten, aber auch seine Zurückhaltung der Versuchung gegenüber. Er bedauerte, dass er sein Programm alleine bewältigen musste. Zwar hatte er noch einige Bekannte aus früheren Aufenthalten, aber er wollte aus verständlichen Gründen lieber unbemerkt bleiben. Er begegnete noch einige Male dem jungen Pärchen, das ihn auch freundlich grüßte, aber zu mehr kam es nicht, was zweifelsohne daran lag, dass jeweils einer der beiden am favorisierten Ausflugsort des anderen demonstrativ Langeweile signalisierte. Was sollte aus den beiden werden?

Im Gebäude der VHS am Barbarossaplatz betrat Hendrik den Veranstaltungsraum. Einige Teilnehmer waren schon anwesend. Er grüßte, suchte sich einen freien Platz und ließ seinen Blick unauffällig umherschweifen. Die ominöse Eva war noch nicht anwesend. Die Dozentin nestelte an einem Beamer, eine kleine Gruppe stand ins Gespräch vertieft und drei saßen wie er auf ihren Plätzen und bekundeten durch ihre aufrechte Haltung Interesse. Hendrik versuchte, die Berufe zu erraten. Das übliche VHS-Publikum: Lehrer, die einen kreativen Ausgleich brauchten. Rentner und Pensionäre, die aktiv bleiben wollten und natürlich unterforderte Hausfrauen und Mütter, die ihre Karriere geopfert hatten.

Eva Müller trat nicht, sondern schwebte hinein. Alle Blicke richteten sich auf sie, schien sie doch die Einzige zu sein, die diesen Kurs nicht zum Ausgleich brauchte, da ihr erfülltes Berufsleben keiner Kompensation bedurfte. Hendrik zuckte zusammen, schluckte gar und fragte sich, wie er mit ihr beiläufig Kontakt aufnehmen sollte.

Sie stellten sich einander vor, sahen Bilder bekannter Fotografen an, besprachen sie und verabredeten, was sie wann und wo selbst fotografieren wollten. Die Dozentin betonte, da es sich nicht um einen Anfängerkurs handele, setze man den Umgang mit der Kamera voraus. Hendrik, der Eva natürlich ständig unauffällig beobachtete, bemerkte, dass sie an diesem Punkt sichtlich unsicher wirkte und schöpfte Hoffnung.

In der Pause sprach er sie daher an und fragte nach ihrer Meinung zum Thema Verhältnis von Qualität und Pixelzahl der Kameras. Evas stahlblaue Augen, im köstlichen Kontrast zu ihren dunklen Haaren, verirrten sich ein wenig ins Ungewisse.

„Das finde ich völlig überschätzt“, sagte sie.

Hendrik fragte sich, ob sie wusste, dass das keine schlechte Antwort war und setzte nach. „Auflösung ist nicht alles, sondern das Ergebnis zählt. Welche Kamera benutzen sie?“

Eva mit weißer Bluse und schwarzer Weste nur leicht overdressed antwortete nicht, sondern zog ihn zur Seite. „Kann ich Ihnen vertrauen?“

„Warum nicht?“

„Gut. Mein Problem ist, dass ich aus Zeitgründen nur diesen Kurs nehmen konnte. Ich hätte eigentlich den Grundlagenkurs nehmen müssen, denn ich habe noch nicht einmal eine Kamera. Können Sie mir helfen?“

„Aber warum nehmen Sie denn überhaupt einen Fotokurs?“

„Das hat berufliche Gründe. Für meinen neuen Arbeitgeber muss ich fotografische Kenntnisse vorweisen.“

Sie blickte ihn so forsch an, dass er ein wenig unsicher wurde. Aber was war das denn? Er hatte sich Gedanken darüber gemacht, wie er Kontakt zu dieser Frau aufnehmen konnte und jetzt lief alles von alleine?

Da in der ersten Kursstunde nur eine theoretische Einführung in das Genre stattfand, fielen ihre mangelnden Kenntnisse nicht auf. Als es bei den behandelten Bildbeispielen um ästhetische Fragen wie Komposition und Ausschnitt ging, erwies sie sich gar als relativ versiert, anscheinend verfügte sie wohl über einen gewissen Kunstsachverstand.

Hendrik und Eva hatten sich in einem Fotofachgeschäft verabredet. Sie standen vor einer immensen Auswahl verschiedener Modelle.

„Wenn ich wüsste, was Sie fotografieren wollen, könnte ich Sie besser beraten“, meinte Hendrik. „Es gibt durchaus günstige Kompaktmodelle, die für die meisten Fälle genügen. Bridgemodelle zeichnen sich in der Regel durch einen großen Zoombereich aus – also, falls Sie mal einer Sache oder Person näher kommen oder das Gegenteil möchten. Wenn Sie aber für alle Fälle gewappnet sein wollen, rate ich zu einer Spiegelreflex, die haben einen optischen Sucher – gut, wenn es zu hell ist. Allerdings sind die natürlich größer. Wenn Sie wirklich gestalten wollen …“

„Hendrik!“, unterbrach Eva ihn. „Welche Kamera haben Sie?“

Hendrik schmunzelte ob ihrer pragmatischen Lösung. „Die ist aber nicht billig.“

„Spielt keine Rolle.“

„Das ist eine Spiegelreflex. Aber für zwischendurch habe ich auch eine kleine Kompakte.“

„Die nehme ich dann auch“, sagte sie und zog ihn beiseite. „Wissen Sie, ich habe keine Lust, mich den Fragen des Verkäufers auszusetzen. Sie kennen sich aus und das muss genügen.“

„Alles klar!“

Dann machten sie sich mit ihrer Beute auf den Weg. Aber zunächst mussten natürlich die Akkus geladen werden. Hendrik hielt sich zurück, was seinen Aufenthaltsort anging, faselte etwas von zurzeit ungünstig, weil sein Freund, bei dem er angeblich übernachtete, Besuch hatte. Es schien kein Problem, dass sie zu ihr gingen.

Eine große lichtdurchflutete Wohnung in einem modernen Gebäude. Nichts vom bekannten Berliner Altbauflair. Viel Kunst an den Wänden, groß und für Hendrik unbekannt, aber eindrucksvoll. Hendrik packte die Geräte aus, richtete die Ladestationen ein und drückte Eva, nachdem sie den Kaffee gebracht hatte, ein Handbuch in die Hand. Es war das Dickere, das der Spiegelreflexkamera.

Sie schien irritiert. „Das muss ich mir alles durchlesen?“

„Nicht alles. Die Grundfunktionen sind schnell erklärt. Nur, wenn Sie etwas Spezielles benötigen, müssen Sie nachschlagen.“

„Gut, dass Sie das mit den Laden der Akkus übernommen haben. Ich bin bei sowas sehr untalentiert. Es wird wohl noch was dauern?“

„Ja, daher schlage ich vor, dass wir morgen mit dem Eigentlichen beginnen. Sie können ja schon etwas lesen und sich vielleicht einige Fragen überlegen.“

„Ja, so machen wir es.“

Warum Hendrik denn eigentlich in Berlin sei, wollte sie wissen. Er schob touristische Gründe vor und einige Freunde, die er lange nicht mehr gesehen hatte. Er fragte nach ihrem Beruf und sie wich insofern aus, indem sie sagte, dass sie vorher in einer Spedition gearbeitet hätte und jetzt etwas Ähnliches mache. Da er sich für die Wohnung interessierte, zeigte sie sie ihm bereitwillig und sagte ihm auch, dass sie in der für zwei gedachten zurzeit alleine lebte. Das Gespräch verlief sehr sympathisch. Hendrik fand keinen Hinweis auf irgendwelche obskuren Umstände. Sollte er alle Schränke und Möbel untersuchen, sobald er die Gelegenheit dazu hätte? Bekam er diese Möglichkeit nach dem heutigen Tag überhaupt noch? Das Einzige, was ihm merkwürdig vorkam, war, dass sie offensichtlich mit anderen technischen Geräten virtuos umgehen konnte, wie mit I-Phone und I-Pad. Warum brauchte sie ihn zum Laden der Akkus?

Als er gerade aufbrechen wollte, stellte sie noch eine letzte, aber entscheidend schwierigere Frage: „Was mich wundert, Hendrik, ist, dass Sie einen mehrwöchigen Kurs belegen, obwohl Sie nur wie lange hier sind?“

Hendrik fühlte sich ein wenig ertappt, war dennoch vorbereitet. „Es ist das Thema: Street Photography. Die Dozentin ist sehr kompetent. Das wird in Köln nicht angeboten, vor allem nicht dieser theoretische Hintergrund. Ich fotografiere schon lange, kann aber nicht einordnen, was ich da tue“, antwortete er. Schwach war, dass er das noch nicht auf die Frage gesagt hatte, warum er eigentlich in Berlin sei. Aber sie schien zufrieden gestellt und es blieb bei ihrer Verabredung für den nächsten Tag. Unbedingt musste er es hinkriegen, dass sie sich wieder in ihrer Wohnung trafen. Dann konnte er vielleicht in einem unbeobachteten Moment auf die Suche gehen.

„Bevor wir losziehen, sollten wir uns die Kameras einmal in Ruhe anschauen. Also wieder hier?“, fragte er.

„Einverstanden. Sagen wir 15 Uhr?“

„Dann könnte das Licht knapp werden, 14 Uhr oder am Vormittag?“

„Vormittag geht gar nicht“, antwortete sie fast brüsk. „Nein, vor 15 Uhr ist schlecht. Ich habe einen wichtigen Termin.“

„Gut, dann müssen wir uns ein wenig sputen.“

Spion auf Zeit

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