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Auf der Suche (2016)

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Einer jener Herbsttage, an denen es einem bewusst wird, dass der Winter näher rückt. Nachdem Hendrik auf dem Parkplatz in der Nähe des Stadtgartens angehalten hatte, zog er noch einmal ihr Foto hervor. Es war leicht verschwommen, weil aus einem alten Super 8 Film kopiert, aber ihre Schönheit war unübersehbar. Immerhin war der Film 40 Jahre alt und war ihm erst jetzt bei Renovierungsarbeiten in die Hände gefallen. Es hatte noch einige Zeit gedauert bis er einen alten Projektor aufgetrieben und dann aus dem Film ein Einzelbild kopiert hatte. Lange hatte er nicht mehr an sie gedacht, aber nach dem Fund des Films tauchten die alten Erinnerungen wieder auf. Er hatte sich damals unsterblich in sie verliebt und sie gefragt – wie man es in der Zeit ausdrückte –, ob sie mit ihm gehen wolle. Sie hatte sich einen Tag Bedenkzeit ausgebeten, aber nicht wieder gemeldet. Sein Stolz verbot es ihm, ihr hinterherzulaufen, obwohl er litt wie ein Hund.

Nachdem er den Film gefunden hatte, den er damals bei einer Party seiner Clique aufgenommen hatte, stöberte er im Internet ihre ehemals beste Freundin auf und verabredete sich mit ihr. Das Foto hatte ihn nicht mehr losgelassen, alte Gefühle tauchten auf, die er damals nach ihrer Zurückweisung verdrängt hatte. Mehrere, auch langjährige, Beziehungen lagen hinter ihm; aber selten hatte er dabei so eine intensive Sehnsucht verspürt wie damals zu Miriam.

Bei diesen Temperaturen saß niemand mehr draußen, was er schade fand, denn eine Zigarette würde ihm sicher gut tun, wenn er mehr über Miriams Verbleib erfahren würde. Er war sehr gespannt. „Das wird nicht ganz einfach werden“, hatte ihre Freundin zu seiner Verwunderung am Telefon gesagt. „Miriam ist damals in eine dumme Sache … Nein, ich will am Telefon nicht mehr erzählen. Mehr beim Treffen.“

Hendrik erkannte Irene gleich wieder. Sie war zwar etwas fülliger geworden, aber ihr charakteristischstes Merkmal, die rötliche Löwenmähne und die strahlenden blauen Augen, machten sie unverwechselbar.

Er ließ sich Zeit. Das Thema Miriam gleich anzusprechen, wäre sonst zu unhöflich gewesen. Aber schließlich gab es genügend andere Anknüpfungspunkte. Sie hatte auch zu der Clique gehört, zu der er sich damals hingezogen fühlte – mehr als zu Mitschülern der eigenen Schule. Sie war inzwischen Vorstandssekretärin einer großen Versicherung und hatte zwei erwachsene Kinder, die studierten. Er erzählte von sich, dass er Lehrer für Deutsch und Geschichte sei. Nach einigem Geplänkel über die aktuelle Schulsituation sprach sie von sich aus das Thema ‚Miriam‘ an. Ein Fotograf habe damals Miriam eine große Karriere als Modell versprochen. Naiv habe sich Miriam auf ihn eingelassen, die Schule abgebrochen und sei zu ihm gezogen. Alles gegen den Willen der Eltern, die sie aber schließlich gehen ließen, weil Miriam drohte, sonst den Kontakt zu ihnen abzubrechen. Hendrik merkte, wie Irene schluckte, bevor sie weitererzählte. „Zunächst hat er wirklich gute Fotos von ihr gemacht und sie auch angeboten. Einige Agenturen interessierten sich wohl auch für sie, aber es kam nie zu einem Vertragsabschluss. Und dann ist sie mit ihm nach Berlin gezogen. Aus irgendwelchen Gründen mussten sie hier weg.“

„Mussten?“, fragte Hendrik.

„Ich weiß es nicht genau. Ich kannte ihn ja überhaupt nicht. Irgendwer hatte etwas von Schulden gehört, die er nicht begleichen konnte.“ Irene zuckte die Schultern.

„Das ist ja nicht all zu viel. Und sie hat sich nie wieder gemeldet?“, fragte Hendrik.

„Einmal hat sie einen Brief geschrieben. Darin stand, dass sie sich in Berlin eine neue Existenz aufgebaut hätten und dass es ihnen gut gehe. Viel mehr nicht. Das war´s.“

„Mmh, ich hab sie mal gegoogelt. Keinen Treffer.“

„Ich habe natürlich auf dem Briefumschlag nach einer Anschrift gesucht, aber da stand nur: Miriam, Berlin.“

„Das ist doch schon merkwürdig. Hat sie denn keine Antwort erwartet?“

„Offenbar nicht.“ Damit beendeten sie das Thema und schwelgten noch ein wenig in gemeinsamen Erinnerungen. Mit dem üblichen Versprechen, sich mal wiederzusehen, von dem beide ahnten, dass es eine Floskel war, beendeten sie den Abend.

Auf dem Nachhauseweg grübelte Hendrik über die Sache, irgendetwas machte ihn stutzig. Lange kam er nicht darauf, was es war. Als er zuhause schließlich noch einmal Miriams Foto anschaute, erinnerte er sich an das Telefongespräch mit Irene, darin hatte sie von einer ‚dummen Sache‘ gesprochen und äußerst geheimnisvoll getan. Aber das, was sie bei dem Treffen erzählte, wirkte gar nicht so, als wenn es sich um eine ‚dumme Sache‘ handelte oder gar geheimnisvoll war. Gut, es war nicht klar, warum sie nach Berlin gezogen waren. Es gab mehrere Möglichkeiten, bis hin zu der Tatsache, dass sich der Fotograf dem Wehrdienst entziehen wollte. Die Bundeswehr hatte damals keinen Zugriff auf Berlin und daher war es für viele eine geeignete Fluchtmöglichkeit. Da Irene sich an den Nachnamen des Fotografen erinnert hatte, suchte er nach der entsprechenden Namensverbindung im Internet. Aber auch dies blieb erfolglos.

Hendrik beschloss, trotz Irenes Widersprüchlichkeit, die Sache ad acta zu legen und einige Tage später dachte er nicht mehr daran, ohne zu ahnen, dass die Angelegenheit wieder in sein Leben treten würde.

An einem Tag, an dem sich die Herbstsonne noch einmal richtig durchsetzen konnte und die Luft angenehm mild war, hatte er ein Essen mit Freunden geplant, das sogar aufgrund des Wetters draußen im Garten stattfinden konnte und langsam wurde es Zeit, sich dem kulinarischen Teil des Tages zu widmen, schließlich musste er sich um den Krustenbraten kümmern. Neben dem Fotografieren war Kochen in den Ferien seine Lieblingsbeschäftigung. Er erwartete Sandra, seine Ex, deren beste Freundin Marie und seinen Freund Max – sozusagen der engste Kreis seiner Freunde. Die Frauen waren Singles. Max‘ Freundin war verhindert.

„Köstlich, diese Wacholdersauce“, lobte ihn Sandra.

„Das Fleisch ist auch nicht von schlechten Eltern“, ergänzte Marie.

„Die hatten wohl richtig guten Sex bei der Erzeugung desselben“, meinte Max. Woraufhin die anderen ein Seufzen ertönen ließen. Max war bekannt für seine niveauvollen Witze und Bemerkungen.

„Das schmeckt man eben“, verteidigte sich Max.

„Er hat gar nicht so unrecht, denn die Güte des Fleisches hängt natürlich von den Lebensbedingungen der Tiere ab“, erklärte Hendrik.

„Jetzt bitte keinen Ökovortrag, Hendrik“, versetzte Marie, die sich bewusst unreflektiert ernährte.

Max, der durchaus auch interessante Geschichten aus seinem Leben als Berufsfotograf erzählen konnte, tat eben dies und somit bot sich für Hendrik, der die meisten Geschichten schon kannte, die Möglichkeit, sich ein wenig innerlich zurückzuziehen. Sein Blick schweifte über den großen Garten, in den er viel Arbeit investiert hatte und den Teich, in dem leider einige Kois den letzten Winter nicht überstanden hatten. Dann verweilte er bei Sandra. Nicht langweilig hübsch, aber verdammt schön. Schlank, dunkles kräftiges Haar und intensive grünblaue Augen. Er liebte sie noch immer, wusste nicht genau, was schief gelaufen war. Sie war intelligent, hatte Humor, aber auch Schwächen, denen er anscheinend nicht gewachsen war. Er hatte oft ihre Selbstzweifel nicht verstehen können, wurde ungeduldig, wenn sie sich seinen ‚logischen‘ Argumenten nicht anschließen konnte und an ihren Zweifeln beharrte. Dann trennten sie sich einvernehmlich, um sich gegeneinander nicht im Weg zu stehen. Marie, ihre beste Freundin, war eine sehr liebe, aber auch eigensinnige Frau. Es gab Themen, die er mit ihr nicht besprechen konnte. Sie wirkte durchaus weiblich und war für viele Männer bestimmt sehr attraktiv. Dann fiel sein Blick auf Max, einen seiner ältesten Freunde. Er war weltoffen und erfahren, viel gereist und hatte viel erlebt. Man brauchte eigentlich nicht zu googeln, wenn man etwas über ein Land erfahren wollte. Frag Max! Er war nicht der attraktivste unter den Männern, aber die Frauen mochten ihn trotzdem. Hendrik beendete seine kontemplative Phase und füllte die leeren Gläser der Freunde.

„Hendrik, du bist so still“, sagte Sandra.

„Ach ja, ich wollte doch Max nicht unterbrechen.“

„Der kannte das schon“, schützte ihn Max.

Das Telefon klingelte. Es war Irene. „Hendrik, wir müssen uns dringend noch mal treffen. Ich habe gerade etwas Merkwürdiges erlebt“, sagte sie fast atemlos.

„Und was?“

„Ich habe Miriam gesehen.“ Eine Zeit lang herrschte verblüfftes Schweigen.

„Bist du dir sicher?“, fragte Hendrik ungläubig.

„Ja schon. Sie ist mir auf der Straße vor unserem Haus begegnet und ich habe sie angesprochen. ‚Miriam, bist du das?‘, habe ich sie gefragt. Aber sie hat es verneint und mich einfach stehen lassen.“

„Das ist wirklich merkwürdig. Aber kann es nicht sein, dass du – es ist schließlich über vierzig Jahre her und wir haben viel über sie gesprochen – sie in einer anderen gesehen hast?“

„Nein, ich bin mir ganz sicher.“

„Aber warum gibt sie sich nicht zu erkennen?“

„Das wüsste ich auch gerne. Was machen wir jetzt?“

„Ich weiß es nicht. Wir können uns morgen noch mal sehen, heute Abend geht es leider nicht, da ich Besuch habe.“

„Einverstanden.“

Hendrik berichtete den Freunden, was geschehen war.

„Vielleicht hatte sie eine Amnesie, nach einem Unfall oder so“, mutmaßte Marie.

„Oder sie wollte anonym bleiben“, überlegte Sandra.

„Und was unternehmt ihr jetzt?“, fragte Max.

„Ich habe keine Ahnung, aber wenn sie jetzt hier ist, treffen wir sie ja vielleicht nochmal und dann werden wir sie befragen. Irene war irgendwie so perplex, dass sie nicht wusste, was sie noch sagen sollte.“

Es wurden noch einige Möglichkeiten erwogen, was es mit dieser ominösen Frau auf sich haben könnte. Und die wurden umso spektakulärer, je weiter der Alkoholpegel stieg. Schließlich einigten sich alle darauf, dass Miriam inzwischen für den russischen Geheimdienst arbeitete, im Auftrag Putins unterwegs war und daher inkognito bleiben musste.

Dank Aspirin war Hendrik beim Treffen mit Irene wieder einigermaßen aufnahmefähig. Inzwischen war er bei der dritten Tasse Kaffee angelangt.

„Ich habe gehört, dass es auch nicht schlecht ist, danach wieder Alkohol zu trinken“, schlug Irene vor.

„Das Thema ist für mich erst mal gestrichen. Also, du hast gesagt, ihre Eltern wohnten in der Straße, in der du auch wohnst und sie gesehen hast.“

„Ja, aber schon lange nicht mehr.“

„Vielleicht wusste sie nicht, dass die Eltern weggezogen sind.“

„Möglich.“

„Und ist dir irgendwas bei ihr aufgefallen? Hat sie vielleicht etwas Besonderes angehabt?“

Irene dachte nach. „Geschäftsfrau, relativ edel. Und was mir erst jetzt bewusst wird: Sie sah ziemlich jung aus. In unserem Alter haben die meisten Falten, mindestens Fältchen – sie aber nicht.“

„Und wenn es die Tochter ist?“

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