Читать книгу Spion auf Zeit - Hendrik Asten - Страница 9

2016

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„Und dann, …“, Miriam zögerte und Hendrik war klar, dass sie allen Grund dazu hatte, da sie sich soeben als ehemalige Prostituierte outete. Viele Fragen, die er immer schon zu dem Thema hatte, schossen ihm durch den Kopf. „ … es war zunächst eklig und widerlich. Ich musste mich irgendwie schützen, betäuben und schluckte dann auch irgendein Zeug, das mich abstumpfte. Nicht alle Freier waren abstoßend, schließlich hatte ich mir ausbedungen, dass ich sie mir aussuchen konnte. Bis zu einem gewissen Grad habe ich dann auch Gefallen daran gefunden, nicht am Sex mit Männern, die mir nichts bedeuteten, sondern an ihren Geschichten, ihren Schicksalen und an ihren Versuchen, Schwächen zu verbergen. Der reine Sex wurde zur gymnastischen Übung, inklusive schauspielerischer Darstellungen, aber die Lebensgeschichten machten mich neugierig und ließen mich die Sache durchstehen.“

Miriam stand unvermittelt auf und ging in die Küche, um mit einer Flasche Prosecco zurückzukehren. „Alte Gewohnheit, das macht es einfacher. Auch einen?“

Hendrik nickte und blickte genauer auf die Flasche – es war Champagner, kein billiger. So viel zu Klischees. Sein Metier war eher Rotwein, aber jetzt hatte er das Gefühl, etwas mit ihr teilen zu müssen – nein, zu wollen. „Und Ingo?“, fragte er, als sie einschenkte.

„Der hat es nicht geschafft. Überdosis, schon ein halbes Jahr, nachdem ich als Nutte angefangen hatte.“

„Das war also nichts mit seinem Versprechen.“

„Nein, vielleicht hat er selbst daran geglaubt. Aber Süchtige versprechen viel, wenn der Tag lang ist. Nicht, dass er es nicht versucht hat. Jedes Mal, nachdem er einen Entzug gemacht hat, ging es eine Zeit lang gut, um danach noch schlimmer zu werden.“

„Und was hast du gemacht, nachdem Ingo tot war?“

Miriam schaute Hendrik tief in die Augen, hob ihr Glas, er seins und sie stießen an.

„Auf Ingo!“, sagte sie. „Der im wahrsten Sinne des Wortes nichts aus sich gemacht hat!“

„Auf Ingo!“, wiederholte Hendrik und nahm einen Schluck. Es säuselte sehr angenehm in seinem Mund. Champagner dieser Qualität war ihm unbekannt. „Gut, sehr gut!“

Miriam nickte anerkennend. „Ich habe einfach weitergemacht. Was sollte ich tun? Keinen Schulabschluss, keine Ausbildung. Das bisschen Fotografieren, was Ingo mir beigebracht hatte, reichte nicht. Also habe ich weitergemacht mit dem, was ich konnte.“

Hendrik ahnte, dass dies noch nicht die eigentliche Geschichte war, wegen der er jetzt mit Miriam Champagner trank.

„Und dann passierte das, was jeder aus Pretty Woman kennt: Es kam der Richtige. Stanislav war ein russischer Geschäftsmann, der in einer Berliner Filiale seiner Moskauer Firma arbeitete. Er verliebte sich in mich, machte mir den Hof, wir heirateten, er besorgte mir einen Job in seiner Firma, wir gingen zusammen nach Moskau, bekamen Nadja und inzwischen bin ich selbst Filialleiterin der Firma hier in Berlin. Die Kurzfassung.“

„Ihr habt euch später getrennt?“, fragte Hendrik.

„Ja, aber das tut nichts zur Sache.“

„Und jetzt wird dir deine Vergangenheit zum Problem?“

„Eh, du bist ja richtig investigativ“, strahlte Miriam und Hendrik lehnte sich stolz zurück. Ja, sie hatte inzwischen auch Fältchen an den Augen und Mundwinkeln bekommen, aber das machte sie nicht weniger attraktiv. Er fand sie jedenfalls begehrenswerter als die Tochter. Er nahm noch einen Schluck. Ein wenig wirkte der Champagner bereits, aber noch war er absolut Herr seiner Sinne.

Auch Miriam nahm einen weiteren Schluck. „Es geht nicht um die Tatsache an sich. Das wissen einige und die meisten reagieren mit Schmunzeln.“

„Die meisten?“

„In Russland stört es niemanden. In Deutschland interessiert es niemanden. Aber es gibt eine Ausnahme: In der besagten Zeit hatte ich einmal Besuch eines jungen russischen Politikers, damals noch ziemlich unbekannt, aber heute ist er einer der wichtigsten Leute im Außenministerium. Und ausgerechnet von ihm gibt es ein Foto, als er damals bei mir war.“

„Wie kam das?“

„Ingo hatte, um mich in Sicherheit zu wiegen, eine versteckte Kamera installiert. Vielleicht wollte er mit den Fotos auch jemanden erpressen. Aber dazu kam es gar nicht mehr. Die meisten Fotos habe ich dann weggeworfen. Nur das des Russen habe ich aufgehoben und jetzt ist es weg.“

„Wo war es denn?“

Miriam stand auf. „Komm mit!“, forderte sie ihn auf und führte ihn in ihr Arbeitszimmer, das vorwiegend mit Büromöbeln und einigen Kunstwerken ausgestattet war. „Hier in dem Aktenschrank.“

„Wer wusste davon?“

„Bis auf Nadja eigentlich nur Eva Müller – eine ehemalige Mitarbeiterin“, erklärte Miriam. „Wir waren früher sehr eng befreundet und sie kannte alle meine Kontakte und Gesprächspartner. Sie war einmal auf ein Glas hier und ich habe ihr Fotos gezeigt. An das von Iljuschkin, so hieß der Politiker, habe ich gar nicht mehr gedacht. Plötzlich hielt sie es in ihren Händen, schüttelte kurz den Kopf und legte es wieder weg.“

„Aber gab es dann einen Einbruch?“, fragte Hendrik.

„Nein, ich nehme an, dass sie es gleich hat mitgehen lassen, weil sie die Brisanz dieses Fotos erkannt hat. Mir ist es einfach nicht aufgefallen“, sagte sie und ging zu ihrem Schreibtisch. Aus einer Schublade holte sie ein Schreiben hervor und reichte es Hendrik. „Hier, darum geht es.“

Wenn Sie das Foto mit I. wiederhaben wollen, zahlen Sie 100.000 €. Sind Sie einverstanden, geben Sie in der Abendzeitung folgende Anzeige auf: Suche Fotos aus alten Zeiten, biete mehr als das Übliche.

„Und du bist dir sicher, dass das von dieser Eva stammt?“

„Ich kann mir nicht vorstellen, wer es sonst sein sollte, aber ich kann es nicht beweisen.“ Sie forderte ihn auf, ihr wieder ins Wohnzimmer zu folgen. „Und gerade deswegen kommst jetzt du ins Spiel.“

„Ach!“

„Wie gesagt, ich kann einfach nicht beweisen, dass sie es hat. Also, jetzt ist es raus. Willst du mir helfen?“

Hendrik spürte, dass es die letzte Gelegenheit war, den Auftrag abzulehnen. „Hast du auch Wodka?“

Miriam lachte. „Wenn es hilft.“

„Aber nein, lass, wir haben ja noch Champagner. Ich möchte ja auch halbwegs nüchtern bleiben. Eines interessiert mich natürlich. Warum ausgerechnet ich? Weil mich niemand kennt?“

„Ja, genau. Ich war ja lange mit Eva befreundet und wir haben zusammen gearbeitet. Irgendwann habe ich bestimmt von jedem, den ich kenne, mal etwas erzählt oder sie hat ihn kennengelernt. Nur dich habe ich nie erwähnt.“

„Dann habe ich wohl keinen bleibenden Eindruck hinterlassen?“

„Nein, du warst absolut nichtssagend, eben ein Nobody.“ Miriams Grinsen entlarvte die Ironie. „Vielleicht wollte ich die Erinnerung an dich wie ein kostbares Erinnerungsstück an einem geheimen Ort aufbewahren.“ Sie deutete auf ihr Herz. „Hier drin.“

„Nun übertreibst du.“

„Ich wollte damit nur sagen, dass ich dich nicht vergessen habe.“

Hendrik wurde es etwas zu sentimental. „Warum keine Polizei? Oder ein Privatdetektiv? Das war keine gute Frage, nicht?“

„Nein, jeder, der noch davon weiß, ist einer zu viel. Und die Polizei darf erst recht nichts von dem Foto wissen. Sie müssten die Informationen offiziell weiterleiten.“

„Also ich! Gar kein Problem! Ich trinke Martini nur geschüttelt, nicht gerührt. Nun erzähl mal, was ich wissen muss.“

Miriam beugte sich zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sie roch äußerst angenehm. Ihr Parfüm entstammte wohl derselben Klasse wie der Champagner. Äußerst angenehm!

Er erfuhr, dass Miriams Firma eine internationale Spedition war, die auch schon mal heikle Dinge bis hin zu Rüstungsgütern transportierte. Dazu mussten sie oft Kontakt zu Ämtern und Behörden aufnehmen. Je wichtiger die Transporte, desto höher die Position des zuständigen Sachbearbeiters oder gar Abgeordneten. Eva Müller war eine ihre engste Mitarbeiterin gewesen. Eines Tages wurden durch Zufall an ihrem Arbeitsplatz geheime Dokumente gefunden, die sie gar nicht hätte haben dürfen und vor allem nicht hätte liegen lassen dürfen. Miriam blieb nichts übrig, als Eva daraufhin zu entlassen. Schließlich habe sie aus jahrelanger Erfahrung gewusst, wie heikel die Dokumente gewesen seien und ein Profi vergesse nicht, wie damit umzugehen sei.

Evas Besuch bei Miriam, bei dem sie das Foto entwendet haben sollte, hatte sich einige Tage vorher ereignet.

Hendriks Aufmerksamkeit wurde zur Anteilnahme.

„Wir empfehlen dir ein Hotel, aber gebucht haben wir noch nicht“, sagte Miriam.

„Damit es keine Spuren gibt – klar!“, erkannte Hendrik.

„Ich gebe dir noch einige Informationen über Eva, ihre Tagesabläufe und Gewohnheiten. Sie lebte nach der Entlassung eine Zeitlang bei ihren Eltern in Hannover. Danach hat sie angefangen, sich bei anderen Speditionen zu bewerben. Keine Ahnung, ob sie da Erfolg hatte. Fakt ist, dass sie an der VHS einen Fotografiekurs belegt hat und wieder in einem Kampfsportverein aktiv ist. Das hatte sie in den letzten Jahren aufgegeben, weil sie wegen der unregelmäßigen Arbeitszeiten nicht mehr oft genug trainieren konnte.“

„Welcher Kampfsport?“

„Jiu Jitsu. Das ist so eine Mischung aus mehreren Kampfsportarten.“

Miriam beschrieb dann Eva noch als temperamentvolle, modebewusste und gebildete Frau. Sie interessierte sich vor allem für Geographie und Sprachen, konnte Englisch, Französisch, Russisch und in Ansätzen Chinesisch. Aufgrund des aufwändigen ehemaligen Jobs hatte sich ihr Freundeskreis in der letzten Zeit fast nur auf Kollegen beschränkt. Miriam konnte sich nur an zwei oder drei Begegnungen mit anderen Freunden erinnern. Dann gab es noch Harald, Evas Ex, mit dem Miriam sich gut verstanden hatte, der aber nach der Trennung vor einem Jahr nie wieder in Erscheinung getreten war. Und zu Miriam war der Kontakt natürlich abgebrochen.

„Hm“, gab Hendrik von sich, als Miriam geendet hatte. „Da weiß ich ja schon einiges über die Dame. Wenn ich über Anknüpfungspunkte nachdenke, sollten wir Kampfsport außen vor lassen. Das habe ich mal in meiner Jugend ausprobiert – das war’s. Fotografie käme da schon eher in Frage, da bin ich wirklich ambitioniert.“

„Das wäre doch was. Hast du noch weitere Fragen?“

Hendrik dachte nach. Aber die letzten Stunden hatten so viele Eindrücke in ihm hinterlassen, dass er nicht viel mehr verarbeiten konnte. Er schüttelte den Kopf und blickte Miriam nachdenklich an. „Oft habe ich mir überlegt, was aus uns geworden wäre, wenn es damals anders gelaufen wäre.“

Miriam lächelte. „Anders natürlich. Aber das ist eine dumme Antwort.“

„Das ist sie. Aber es gibt keine bessere. Was ist eigentlich mit deinem Privatleben, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“

„Darfst du, aber das ist im Moment sehr kompliziert. Mein Ex, ein Lover und naja, eine Frau spielen dabei eine Rolle. Aber das will ich dir jetzt nicht im Einzelnen auseinander dividieren. Zufrieden?“

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