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Miriams Tochter

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„Ja, ich bin die Tochter“, sagte Nadja im Licht der Schreibtischlampe. Es kam Hendrik vor wie das Klischee eines Polizeiverhörs. Aber sie hatte die Lampe selbst auf sich gerichtet, damit er erkennen konnte, dass sie nun wirklich nicht Miriam war. Nicht er hatte Nadja gefunden, sondern sie ihn. Am frühen Abend, nachdem er vom Treffen mit Irene zurückgekommen war, stand sie plötzlich vor der Tür und stellte sich vor. „Und Sie sind Hendrik?“, hatte sie gefragt. Er war vollkommen überrascht, einerseits, weil er mit dieser Wendung nicht gerechnet hatte und andererseits, weil sie Miriam in der Tat wie aus dem Gesicht geschnitten war.

„Ich kann Ihnen jetzt nicht die ganze Geschichte erzählen, nur so viel: Nachdem Ingo, der Fotograf, gestorben war, hat sie einen Russen kennengelernt – meinen Vater. Er war Generalvertreter einer russischen Firma in Berlin. Als er nach Moskau zurückbeordert wurde, hat sie ihn begleitet. Dort wurde ich auch geboren und bin dort aufgewachsen. Sie fragen sich jetzt bestimmt, warum ich jetzt hier bin?“

Hendrik genoss, wie sehr Nadja auch in Haltung und Gestik ihrer Mutter ähnelte. Insbesondere wie sie sich gelegentlich die Haare aus dem Gesicht strich, kurz den Blick abwandte, um ihn dann, wie er meinte, umso intensiver anzublicken. Ihre Kleidung war eher salopp: Lederjacke, darunter eine rote Bluse und schwarze Jeans.

„Sollten wir uns nicht duzen? Du kommst mir so vertraut vor“, fragte er, bevor er auf ihre Frage einging.

„Aber ja. Das können wir.“

Er nickte kurz. „Gut, also, warum bist du hier?“

„Wir brauchen jemandem, dem wir vertrauen können. Meine Mutter hat manchmal von dir erzählt. Ich weiß, ihr kanntet euch gar nicht gut, aber sie hat nur positiv von dir gesprochen.“

„Entschuldige, aber das finde ich doch etwas seltsam, dass du ausgerechnet zu mir kommst. Jemanden, den sie seit vierzig Jahren nicht gesehen hat. Ihr habt doch sicherlich andere Freunde.“

„Das ist ja das Problem. Wir haben viele Freunde und irgendwann weiß man nicht mehr, wem man trauen kann.“

Hendrik blickte ziemlich verdutzt drein. „Um was geht es denn eigentlich?“

„Miriam wird erpresst.“

„Na, dann muss sie zur Polizei gehen“, antwortete Hendrik reflexartig.

„Dann wird der Erpresser wohl seine Informationen preisgeben und das könnte für sie schlecht ausgehen.“

„Um was geht es dabei?“

„Das möchte sie dir lieber selbst sagen. Hilfst du uns?“

„Aber wie? Soll ich den Erpresser ausfindig machen und ihn …?“

„Nein, Miriam hat da schon eine Idee. Wie gesagt …“

„Das will sie mir selbst sagen“, ergänzte Hendrik.

„Also?“ Sie wendete die Schreibtischlampe von sich ab und stützte ihr Kinn herausfordernd auf ihre Faust.

Das imponierte Hendrik, dennoch zögerte er mit der Antwort. Einerseits hatte er nichts gegen ein wenig Abenteuer einzuwenden und er wollte ja ohnehin Miriam wiedersehen, aber er fragte sich auch, auf was er sich da einlassen würde. Wenn er mehr über die Sache erfuhr, konnte er ja auch immer noch ablehnen, falls es ihm nicht zusagte und da er noch eine Woche Ferien und eine Reiserücktritts-versicherung hatte, warum nicht? Seit langem hatte er mal wieder einen Urlaub alleine geplant. Viel lesen, wandern und fotografieren.

Nadja änderte ihre Haltung und verschränkte die Arme vor der Brust, als erwartete sie von ihm einen Rückzieher.

„Ich müsste meinen Urlaub sausen lassen. Aber, was soll’s?“

„Danke!“

Spion auf Zeit

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