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Berlin zum Ersten
ОглавлениеHendrik war seit Jahren nicht in Berlin gewesen, kannte weder den neuen Hauptbahnhof noch das Bundeskanzleramt, hatte natürlich alles in den Medien gesehen. Und jetzt war er nicht nur Besucher oder Tourist, sondern hatte einen Auftrag, den er allerdings noch nicht genau kannte. Ein wenig Abwechslung konnte ja nicht schaden. Für alle Fälle hatte er eine kleine Kompaktkamera im Gepäck. Die Fahrt mit dem Zug und Nadja war recht angenehm gewesen. Nadja war gebildet, hatte BWL studiert und angefangen in einem großen Unternehmen zu arbeiten, was ihr aber schnell missfallen hatte. Jetzt betrieb sie einen kleinen Schmuckladen. Aber die meiste Zeit hatte sie über Russland erzählt, das kannte sie gut; auch, weil sie ihren Vater dort oft besuchte. Es interessierte Hendrik, er hatte schon oft mal dorthin reisen wollen, der Wunsch war schon zu Zeiten entstanden, als es noch die Sowjetunion gab. Aber seitdem Russland sich kapitalistischer gebar als so manches westliche Land, hatte sich die Sache für ihn erledigt. Als sie sich Berlin näherten, erzählte er von den Zeiten, die er in Berlin erlebt hatte, als die Mauer noch stand: von den Grenzkontrollen, von einer Freundin, die er damals in Kreuzberg besucht hatte, von Hausbesetzern, von einer Mauerführung, von einer Demo und von einer anderen Berlinreise, bei der er und ein Freund nachts in Kneipen fremde Leute wegen einer Übernachtungsmöglichkeit angesprochen hatten und immer erfolgreich waren. An dieser Stelle hatte sie gelächelt und er hatte selbst gemerkt, dass er fast ins Schwärmen geraten war.
Am Bahnhof nahmen sie ein Taxi, das sie zur Kantstraße brachte. Dort gab es immer noch die vielen Antiquitätenläden. Aber wahrscheinlich würde er keine Gelegenheit zum Stöbern haben.
„Hendrik! Schön dich zu sehen!“, begrüßte ihn Miriam fast überschwänglich, umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange.
„Ich freu mich auch, Miriam. Das ist ja ziemlich lange her mit uns. Du siehst sehr gut aus“, erwiderte er.
„Charmeur! Ich muss mich wohl bald liften lassen“, lachte sie.
Hendrik schüttelte demonstrativ den Kopf. Ihr blondes Haar war nach wie vor voll und wellig und kontrastierte zu wachsamen braunen Augen, die ihn bereits früher in ihren Bann gezogen hatten. Um ihre nicht zu vollen Lippen lag inzwischen ein ironischer Zug. Dagegen hatte sich sein Äußeres wesentlich stärker verändert. Die Haare waren grau und weniger geworden. Auch Falten um Augen und auf der Stirn zeugten vom Alter.
„Kommt erst mal rein und setzt euch. Kaffee ist fertig“, sagte Miriam mit einer einladenden Bewegung. Sie führte die beiden in der typischen Altbauwohnung mit hohen Decken durch einen großzügigen Flur und eine Flügeltür in ein Wohnzimmer, in dem ein überraschender Stilmix vorherrschte. Designermöbel gesellten sich zu Art Deco Elementen. Nadja und Hendrik setzten sich auf eine Ledersitzgruppe. Hendrik bestaunte den gläsernen Couchtisch, der durch einen kleinen künstlichen Bach unterbrochen war. Miriam brachte den Kaffee, goss ihn in die bereitgestellten Tassen und setzte sich neben Nadja, nahm sie in die Arme und küsste sie. „Jetzt kennst du meine Geburtsstadt, da bin ich aufgewachsen.“
„Wie findest du sie?“, fragte Hendrik.
Nadja lachte. „Es gibt Schlimmeres!“
„Vielen Dank!“, antworteten Miriam und Hendrik gleichzeitig, ebenfalls lachend.
Miriam befragte dann Hendrik, wie es ihm ergangen sei und er lieferte einen kurzgefassten Bericht, erwähnte das eine oder andere berufliche Problem oder Highlight als Lehrer, erzählte von Hobbys: Fotografieren, Kochen und Wandern und kam dann, immer wieder von Zwischenfragen der beiden unterbrochen, auch auf seine private Situation zu sprechen.
„Also jetzt bist du wieder Single? Gut zu wissen“, fasste Miriam seine letzte Aussage zusammen und lächelte ihn beinah verführerisch an.
Aufgrund des geselligen Ambientes hatte Hendrik inzwischen beinah vergessen, warum er eigentlich hier war. Aber jetzt erzählte er von dem eigenartigen Zufall, der ihn dazu geführt hatte, sich nach ihr zu erkundigen.
„Diesen alten Film gibt es wirklich noch?“ Miriam war sehr interessiert.
„Aber ja, ich kann dir gerne eine Kopie machen.“
„Deine Mutter als 15jährige!“
„Das würde ich gerne sehen“, meinte Nadja.
„Ich auch. Aber jetzt sollten wir Hendrik erstmal über unser Anliegen informieren.“
„Besser, ich lasse euch dabei alleine“, schlug Nadja vor.
„Vielleicht hast du recht“, sagte Miriam.
Nadja verabschiedete sich herzlich von beiden.
„Also: Meine Lebensgeschichte ist keine einfache“, setzte sie an. „Hast du alles? Noch einen Kaffee oder Wasser? Bediene dich einfach selbst.“
„In Ordnung!“
„Ich kam damals mit Ingo zusammen. Übrigens ausgerechnet an dem Tag, als du mich gefragt hattest. Es tut mir leid, dass ich mich nicht mehr gemeldet habe. Ich war so überfordert.“
„Schon gut!“
Sie schaute ihn prüfend an und als er zustimmend nickte, fuhr sie fort.
„Er war ein ausgezeichneter Fotograf, machte wunderbare Fotos, auch von mir. Ich dachte, ich hätte das große Los gezogen und habe wegen ihm alles aufgegeben, Schule, Zuhause etc. Ich wusste aber nicht, dass er einen riesigen Schuldenberg hatte. Zunächst konnte ich mir das überhaupt nicht erklären, denn er verkaufte auch gut, hatte Aufträge. Als jemand die Schulden eintreiben wollte, sind wir Hals über Kopf nach Berlin geflohen. Erst da habe ich mitbekommen, dass Drogen sein Problem waren. In Köln hatte er es noch gut verbergen können. Natürlich rauchten wir damals ab und an einen Joint, wie viele es taten, aber das reichte ihm wohl nicht mehr. In Berlin gab es zunächst keine Aufträge für ihn, die Konkurrenz war zu groß. Und dann ist er auf harte Sachen umgestiegen und hatte kein Geld, um sie zu bezahlen. Und …“ Miriam hielt inne, schluckte. „Was jetzt kommt, ist nicht besonders schmeichelhaft“, sie unterbrach sich erneut. „Bist du sicher, dass du dir das anhören willst?“, fragte sie.
„Deswegen bin ich hier.“
Miriam musterte ihn prüfend.