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Neugier, Vorurteile, Engagement:
Essen und das Festival

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Ein Teil der Bürgerschaft indes gerät angesichts der einfallenden Massen langhaariger Jugendlicher in helle Aufruhr. Essen hat damals rund 620.000 Einwohner, davon sind etwa ein knappes Drittel unter 21 Jahre alt. Das Festival trifft die verschlafene Stadt »wie eine Atombombe«, so Bernd Witthüser, Geschäftsführer der Songtage, der als Protestsänger auch selbst dort auftritt. Staunend beobachtet man das bunte Treiben. Die WAZ berichtet am 25. September:

»Karten für die Songtage verkauften gestern auf dem Burgplatz echte und zurechtgemachte Hippies. Eigentlich sollte ein gepfeffertes Happening daraus werden. Doch der Regen war dagegen. Die vermummten Sängerknaben und ihre kessen Begleiterinnen ließen die Lautsprecher verschwinden, verzichteten auf die geplante Besteigung Wilhelms, des Kaisers, und ließen das mitgebrachte Klo auf der Kettwiger allein. So standen sie untätig im Regen: malerische Männer und Mädchen zwischen bemalten Autos. Statt einer lustigen Schau gab es ein paar Schaulustige.«

Die einen freuen sich über internationale Aufmerksamkeit, die anderen ziehen gegen das vermeintliche »Gammlertreffen« zu Felde. Insbesondere die riesige Fördersumme – zumal für ein Festival der Jugendkultur – löst vehemente öffentliche Diskussionen aus. Horst Stein: »Die Meinung der Öffentlichkeit war gespalten. Die Bevölkerung hat ja nur das Äußere mitgekriegt. Die waren zunächst völlig erschlagen von den vielen Hippie-Gestalten in der Stadt. Man war ganz erstaunt, dass Frank Zappa fragte, ob es hier auch Duschen gebe.« Die Vorurteile der Bevölkerung bekommt Zappa am eigenen Leib zu spüren: Im strömenden Regen versuchen er und seine Begleiterin, ein Taxi zu rufen. Die ersten sieben Fahrer winken nur ab und lassen den zotteligen Rockstar im Regen stehen.

Auf der anderen Seite können sich aber auch viele Bürger für den internationalen Gedanken des Festivals begeistern. Ehrenamtliche Helferinnen wie Zappas Begleiterin, zu erkennen an einer kleinen Gitarren-Anstecknadel am Revers, unterstützen die Songtage tatkräftig. »Die Hostessen dieses jugendlichen Musikfestivals sind so etwas wie ein Stück Visitenkarte von Essen«, verkündet die WAZ stolz. Die »Verbindungsleute in unserer Stadt« erwartet gleich ein ganzes Aufgabenfeld: Künstler müssen vom Flughafen abgeholt und untergebracht, Ersatzteile für Instrumente besorgt werden. Fernsehteams, Rundfunk- und Zeitungsjournalisten verlassen sich auf die Sprachkenntnisse der »Studentinnen, Schülerinnen, Auslandskorrespondentinnen, Stenotypistinnen, Hausfrauen, Sprechstundenhilfen«, die außer freier Kost und Eintritt zu den Konzerten nur ein kleines Taschengeld erhalten. Dabeisein, Mitmachen ist alles.

Die Zeltlager liefern derweil Stoff für wilde Fantasien. Öffentlichkeit und Presse vermuten Sexorgien und Drogenexzesse. »Sie haben extra ein paar Leute rausgeschickt und waren dann ganz erstaunt, dass alles ganz brav und lieb war«, sagt Horst Stein. Ein mutiger Anwohner, anfangs noch besorgt um den Bestand seines Vorgartens, mischt sich schließlich unter die Festivalbesucher. »Der ist praktisch jeden Tag da gewesen und hat einen glühenden Brief geschrieben, wie dufte er das fand, dass die Leute am Lagerfeuer saßen und ganz bescheiden ihr Brot und ihren Käse gegessen haben.«

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