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Оглавление8. Aus Entertainern werden Künstler
»Ich habe mich nie als Entertainer gefühlt, da hatte mein Vater größere Talente. Ich habe mich als Musiker gefühlt – und letzten Endes als Komponist.«
– Roman Bunka –
Ende der Sechziger wandelt sich mit dem geistigen Überbau auch das künstlerische Selbstverständnis des Rockmusikers vom Unterhalter zum introvertierten, sensiblen Künstler. »Wenn man sich die Bands davor ansieht, die waren ja bis auf die Beatles alle sehr nett und adrett«, beschreibt Hellmut Hattler die rasante Entwicklung. »Irgendwann brach buchstäblich der Damm. Es war nicht nur, dass auf einmal alles erlaubt war, sondern, dass wir alle darauf warteten, was nun passieren würde – wohin das viele Wasser bei diesem Dammbruch fließt.« Um bei Hattlers Bild zu bleiben: Es fließt in alle Richtungen.
Bald setzt eine groß angelegte künstlerische Nabelschau ein, welche allerdings auch die Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit mit sich bringt – und daher nicht selten in einer Ablehnung der traditionellen Künstlerrolle mündet. Hans-Joachim Irmler: »Wir haben gesagt, eigentlich gehören wir gar nicht auf die Bühne.«
Große Gesten sind verpönt, Konzerte werden zum Gemeinschaftserlebnis von Musikern und Zuschauern. »Es war ein ganz neuer Gedanke«, erinnert sich Christian Burchard. »Die Musiker sind nicht angestrahlt worden wie Politiker, sondern waren zum Teil gar nicht mehr erkennbar.«
Am radikalsten setzen Amon Düül diesen Gedanken um, indem sie die Schranken zwischen Künstler und Nicht-Künstler in Frage stellen und mit der ganzen Wohngemeinschaft – Freundinnen, Kinder, Dauergäste – im Schlepptau auftreten. »Das war ein kreatives Gemeinschaftserlebnis, das auf gemeinsamen Wohn- und Tournee-Erfahrungen beruht hat«, erklärt Peter Leopold. »Eine naive, kommunale, freundschaftliche Tätigkeit, so kann man es nennen. Man versucht, einen Kreis idealistischer Freunde und Freundinnen zusammenzukriegen. Wenn die dann auch noch zusammen Musik machen können, zusammen produktiv sein können und ohne ihre Eltern wenigstens noch eine Mark machen können, dann ist das wundervoll.«
Mit ihrer ungewöhnlichen Arbeitsweise verdient sich die Münchener Gruppe den Respekt vieler Kollegen. »Großartig«, findet Irmler noch heute die künstlerisch und politisch konsequente Haltung. »Das war eine ganz wilde Band.«
»Wir machen etwas, und ihr müsst es kapieren«:
Publikumsreaktionen
»Ich habe mich auf die Bühne gestellt, meine Teile runtergedroschen und mich um irgendwelche Maßstäbe einen Scheißdreck geschert.«
– Peter Leopold –
Die heutige Nobeldiskothek P1 in der Münchener Prinzregentenstraße wirbt im Jahre 1969 mit einer gemütlichen Bar, heißer Gulaschsuppe und Sitzpolstern im Schottenmuster. Bis drei Uhr in der Frühe spielen dort »Kapellen zum Tanz«. Die progressive Szene hingegen bevorzugt den Club PN, auf dessen Bühnenbrettern sich die neue deutsche Musikkultur vor den Augen schockierter bis begeisterter Fans selbst initiiert.
Nicht alle, die in bunten Hemden, Parka und Jeansjacke dort abends zusammenkommen, sind für den Frontalangriff auf die Hörgewohnheiten gewappnet, der sie bei diesem gemeinsamen Experiment von Band und Publikum erwartet. Hellmut Hattler: »Wir haben die neue Freiheit ordentlich zelebriert und sind oft auch auf die Bühne gegangen, ohne zu wissen, was passieren würde. Man wusste nicht, was für Leute da waren, ob sie einen Halt brauchten, oder ob sie sich schon von einem einzigen langen Ton durchs Weltall schleppen ließen.« Die Besucher der ersten Amon-Düül-Konzerte sind vor den Kopf gestoßen. Peter Leopold später über die heute grotesk anmutende Situation:
»Die ersten Auftritte im PN, in der Mensa und im Türkenkeller – das war für viele Studenten wie ein Erlebnis vom anderen Stern. Da rückte Düül mit langhaarigen Kindern und Frauen an und hat den Lichthof der Mensa sowas von blitzblank geputzt, das gab’s gar nicht. Die waren sprachlos, fassungslos, dass man sowas machen kann.«
Auch Othmar Schreckeneder, der bald vom Fan zum Manager werden soll, erinnert sich mit einem Schmunzeln: »Das Publikum war auch sehr radikal und wollte ebenfalls den Bruch mit dem Althergebrachten. Bei den frühen Konzerten kam es trotzdem manchmal vor, dass in der ersten halben Stunde eine Hälfte des Publikums den Saal verlassen hat. Die andere Hälfte war dann der harte Kern, der das Konzert seines Lebens erlebt hat.«
Die neue Rockmusik verlangt ihrem Publikum viel ab. Gulaschsuppenesser, die gemütlich beim Tanz zuschauen, sind »out« – Mitdenken statt Berieselung ist gefragt. Man fühlt sich berufen: »Nicht nur schöne Lieder, die das Herz erfreuen«, sollen die Fans hören, so Hans-Joachim Irmler, »sondern solche, die auch darüber hinaus etwas anregen. Der Kern von allem, was man künstlerisch tut, ist die Kommunikation.«
Im gemeinsamen Experiment von Künstler und Kunstrezeptor kommt dem Zuschauer somit eine wichtige Funktion zu: Er ist nicht länger ein von der Industrie umworbener Kunde, sondern ein geistig geforderter Mit-Akteur. Der Hörer soll verstehen, mitmachen, dem Künstler ein konstruktives Feedback geben. »Der Grundsatz war: ›Wir machen etwas, und ihr müsst es kapieren‹«, fasst Othmar Schreckeneder kurz zusammen.
Hierin liegt ein gravierender Unterschied zum kommerziellen Popgeschäft: Die Musik als Selbstzweck steht von vornherein über dem Publikumsgeschmack und muss sich nicht erst an ihm orientieren. »Ich wollte mit Musik noch nie etwas beweisen«, sagt Hellmut Hattler. »Es war keine Absicht dahinter, außer es zu tun.« Dies definiert die Zielsetzung der jungen deutschen Rockmusik, die eben Kunst und nicht Unterhaltung sein will. »Etwas Neues«, so Irmler, »entsteht in der Regel nicht dadurch, dass man versucht, jemandem zu gefallen, sondern aus dem Versuch, einen neuen Weg zu finden und diesen auch zu gehen. Wir waren beseelt von dem Gedanken, dass wir unser Ding machen mussten.«