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Eine »pop-musikalische Agitationsveranstaltung«
ОглавлениеVeranstaltungen wie »Protest International« und Protestaktionen der APO sollen die IEST’68 zu einer »pop-musikalischen Agitationsveranstaltung« (Kaiser) machen. Transparente und Spruchbänder fordern allerorten »Amis raus aus Vietnam« oder »Freiheit für Cohn-Bendit« – nebst Spendensammlung für die Verteidigung des Frankfurter Studentenführers. Die neue deutsche Protestkultur wird manch internationalem Gast zu viel. So beklagt Frank Zappa später, dass zu viele Konzerte in politische Diskussionen ausgeartet seien.
Wilhelm Nieswandt, damals Oberbürgermeister der Stadt Essen, nimmt den politischen Aspekt zunächst nicht sonderlich ernst. Als er die teilnehmenden Musiker am 26. September zur geschlossenen Gesellschaft in den städtischen Saalbau lädt, kommt es zum Eklat: »Das Establishment ließ bitten«, formuliert Horst Stein den Ärger der Jugend, die immer noch Profitgier wittert. »Da hieß es auf einmal, ›die werden empfangen, und wir, die Zuschauer, nicht. Schließlich wurde der Saal gestürmt. Die Kuchentheke wurde geplündert, Bierdeckel flogen durch die Luft.«
Der anfangs wohlwollende Tenor in den Zeitungen schlägt nach diesem Ereignis um. Die WAZ berichtet großformatig über den Skandal, der von vielen Bürgern heimlich herbeigesehnt wird. Dies wollen die Festivalbesucher mit einem Protestmarsch zum Redaktionssitz erwidern. Stein wird zum Polizeipräsidenten gebeten:
»Die Polizei wollte alles abriegeln, Zäune aufstellen und Wasserwerfer einsetzen. Ich wurde gefragt, was ich darüber dachte. Da wir am nächsten Tag noch ein Konzert in der Grugahalle hatten, schlug ich vor, mit dem Verfasser des betreffenden Artikels vor Beginn eine Podiumsdiskussion zu veranstalten. Der Reporter hatte Angst und verlangte Polizeischutz.«
Die Handvoll Demonstranten, die schließlich doch noch vor den verschlossenen Toren der WAZ aufmarschieren, lässt der Verlag in einem eigens bestellten Bus zurück zum Festival kutschieren – versehen mit Freikarten. Im Saal wird eine Dreiviertelstunde lang diskutiert, dann ertönen die ersten Rufe »Aufhören! Anfangen!« Der Fall scheint erledigt. Doch die Gemüter sind erhitzt, und die kurzzeitig aufgeweichten Fronten zwischen Jugendlichen und bürgerlichem Lager verhärten sich weiter.
Später heißt es in einer erzwungenen Gegendarstellung zum Skandal-Artikel: »Auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung betreibt seit neuestem mit Macht die famose Schädlingsbekämpfung. Sie präsentiert dem kerngesunden Volksempfinden die Songtage als ›Revoluzzerfestival‹ von langsamdenkenden, stunksüchtigen Freibiertrinkern, Hinternkneifern, Busenfummlern, Rabauken, die mit Behagen in reinen Sauereien in der Kloake herumrühren.«