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Von der Improvisation zur Innovation

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»Über die Improvisation findet man ganz leicht heraus, was zusammenpasst, wo es Anknüpfungspunkte gibt. Wenn man darüber redet und sich in der Theorie verliert, passiert gar nichts.«

– Hellmut Hattler –

Die Ablehnung zeitlich und schematisch organisierter Musik führt – auch auf der Bühne – zu Gruppenimprovisationen von nicht selten bis zu einer Stunde Dauer. »Es wurde in allen deutschen Gruppen viel improvisiert«, sagt Roland Bunka. »Das war die Basis.« Viele experimentell und fortschrittlich ausgerichtete Bands suchen die Entfaltung in langen musikalischen Prozessen. Diese besitzen eine gruppendynamische, kommunikative Funktion, ganz im Geiste der Zeit – was sich für Außenstehende allerdings nicht immer eins zu eins in der Musik abbildet: »Als Amon Düül anfingen, waren das noch keine Songs, keine Popmusik, sondern eine Art freier Improvisation, so eine Art Kommunismus«, sagt Christian Burchard. »Man hat zusammen gewohnt. Wer nicht so gut spielen konnte oder gar kein Instrument spielte, sollte sich trotzdem am musikalischen Geschehen beteiligen. Denen hat man dann Bongos gegeben oder eine marokkanische Trommel, oder man hat ihnen ein paar Griffe auf der Gitarre gezeigt, damit sie trotzdem den Klang bereichern konnten.«

Politisch korrekter Dilettantismus allein reicht zur Konstituierung einer neuen Rockmusik jedoch kaum aus. Die ellenlangen Soloausflüge und lärmigen Instrumentalpassagen dienen vielmehr der stilistischen Selbstfindung. Man betrachtet die freie Improvisation als Grundlage, die es handwerklich zu festigen gilt. Roman Bunka: »Wir haben viel improvisiert, aber auch nächtelang mit ungeraden Rhythmen geübt. Wir haben dabei immer gehofft, dass aus der Improvisation heraus etwas Neues entsteht, dass sich Themen entwickeln. Wir haben aber auch hart geübt, vor allem an Rhythmen. Diese Balance ist sehr wichtig.«

Viele Fans, gewohnt, dass Beat-Gruppen zweieinhalbminütige Songs herunterschrammeln, sind bald fasziniert von der neuen Möglichkeit, dem Entstehen von Musik als Zuhörer beizuwohnen. »Ganz besonders wichtig war die Improvisation«, erzählt Klaus Sonntag begeistert. »Durch sie entstand ein Wir-Gefühl. Es gab bei den meisten Auftritten zwar immer ein paar festgeschriebene Passagen, aber niemand hätte erwartet, dass eine Band auf der Bühne wie auf Platte klingt. Teilweise waren nur Fragmente wiederzuerkennen.«

Die Erwartungshaltung an eine ernst zu nehmende Band kehrt sich während der Siebzigerjahre sogar regelrecht ins Gegenteil um: Das in Mode gekommene LP-Doppelalbum fängt die spontane Atmosphäre ganzer Live-Konzerte ein und entwickelt sich gerade aufgrund der oft sehr freien Interpretationen bekannter Stücke zum Verkaufsschlager. »[Es] kam in dieser Zeit die Vorstellung auf, dass man jemanden in der Musik auf eine Reise in die eigenen Erlebniswelten mitnehmen wollte«, sagte Edgar Froese gegenüber dem taz Magazin. »Anfang der Siebzigerjahre war der Punkt erreicht, wo man in der Musik Züge bestieg, um nicht nur einen Kaffee zu bestellen, sondern man wollte am liebsten gleich in dem Zug auch noch übernachten.«

Erst mit einem gegen Ende des Jahrzehnts neu einsetzenden Perfektionismus in der Popmusik wird wieder akribisch darauf geachtet, dass eine Band ihr Material möglichst LP-getreu präsentiert. Zu diesem Zeitpunkt hat das Konzert bereits an Stellenwert verloren und wird von der Plattenindustrie schließlich vollends zur verkaufsfördernden Maßnahme degradiert.

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