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Neues Selbstverständnis:
Vielfalt und Rückbesinnung
ОглавлениеGegen Ende der Sechziger schwappen Hippietum, Protestsongs und Psychedelic-Welle mit geballter Kraft nach ganz Europa. Die scheinbar grenzenlose Vielfalt von destruktiven Rückkopplungen bis hin zu exotisch gefärbten Blumenkinder-Ringelreihen macht vor allem eines deutlich: Die ehernen Gesetze, wie Rock- und Popmusik zu klingen hat, sind abgeschafft. Alles ist möglich. »Deutsch« bedeutet folglich auch in einem rockmusikalischen Kontext nicht mehr automatisch »minderwertig«.
Daneben bereitet noch ein anderes Phänomen den Boden für ein neues musikalisches Selbstverständnis. Weltweit besinnt sich ein wachsendes Publikumssegment auf sein nationales kulturelles Erbe und versucht, dieses in der Gegenwart neu zu verankern. Nach dem großen amerikanischen Folk-Revival der Fünfzigerjahre verbinden Bands wie die New Yorker Mugwumps oder die bekannteren Byrds bereits 1964 traditionelle Strukturen mit Beat- und Rock-Elementen.
In Deutschland forscht der während des Dritten Reiches verbotene und nach dem Krieg wieder gegründete »Arbeitskreis Burg Waldeck« nach einer neuen Liedkultur und veranstaltet im Jahre 1964 das erste Festival »Chanson Folklore International«. Verschüttete oder diskriminierte deutsche Traditionen wie die jiddische Kultur oder die Lieder der gescheiterten Revolution von 1848 werden wiederentdeckt und weiterentwickelt, die Fragen der Zeit kritisch reflektiert. Bei der dritten Ausgabe des »bundesdeutschen Newport« tritt 1966 die Speerspitze einer neuen Liedermacher-Generation auf: Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkupp, Hannes Wader. Über 3.000 Menschen pilgern zu der Burgruine im Hunsrück. Die Presseberichterstattung über das Konzert reicht von »Gammlertreffen« bis zum Jubelruf: »Es gibt wieder eine Generation.«
Der Liedkultur gelingt so der Sprung in eine neue Zeitrechnung. Die deutsche Rock- und Popmusik indes leidet bei ihren Emanzipationsversuchen unter erheblichen Startschwierigkeiten: Das Genre ist zu jung und kann daher weder auf eigene, deutsche Traditionen zurückgreifen, noch sich – wie etwa der Jazz – als verselbständigte Szene behaupten. Um die angelsächsische Dominanz aus eigener Kraft zu überwinden, bedarf es noch einer allerletzten Motivation …