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»Ami Go Home«:
Abkehr von Amerika

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Diese liefert bemerkenswerterweise die amerikanische Außenpolitik. Die musikalische Kinderstube vieler Krautrocker ist seit jeher geprägt von einem gespaltenen Verhältnis zu Amerika: Zwar bewundert man die Rock-Rebellen und Jazzmusiker, lehnt aber Vietnamkrieg, Südamerikapolitik und Kulturimperialismus ebenso vehement ab. Linke Studenten befassen sich mit den Lehren Maos, und für viele wird der aus Argentinien stammende Revolutionär Che Guevara zum Idol.

Mitte der Sechziger hat das positive Bild der Schutzmacht USA, die einst über die sowjetische Blockade hinweg Berlin per Luftbrücke versorgte, in Deutschland tiefe Risse bekommen. Die nach der Ermordung John F. Kennedys von dessen Nachfolger Lyndon B. Johnson mit unerbittlicher Härte und einem nunmehr offenen Militärengagement fortgesetzte Intervention in Vietnam trifft weltweit auf Widerstand. Hohe Opferzahlen, Massaker unter der Zivilbevölkerung sowie der massive Einsatz von Brandbomben und dioxinhaltigen Entlaubungsmitteln lassen den Glauben an die propagierte Befreiung vom Kommunismus schwinden. Der Ruf »Ami Go Home« wird bei Protesten laut, auch viele Deutsche sprechen vom Völkermord und wenden sich gegen die von ihnen als blind empfundene Amerikahörigkeit der Bundesregierung. »Deutschland als entwurzelte Nation schmiss sich besonders an die westlichen Lebensformen regelrecht heran und übernahm in vorauseilendem Gehorsam alles, was aus Amerika kam«, ärgert sich Hellmut Hattler noch heute.

Die bislang pauschal verehrte Musik der Amerikaner gerät in einen Zwiespalt: Vieles wird nun endgültig als reaktionäre Besatzermusik abgestempelt, anderes wiederum als Stimme eines aufbegehrenden, aufrechten Teils der amerikanischen Bevölkerung empfunden, dem es nachzueifern gilt. Auch viele deutsche Musiker identifizieren sich mit der Bürgerrechts- und Protestbewegung in den USA. Othmar Schreckeneder:

»Amerika war damals auch schon sehr zweigeteilt, etwa so wie heute – einerseits eine etwas unmoralische Großmacht, die aber andererseits mit der Beatnik-Bewegung, Bob Dylan usw. ein aufrührerisches politisch-kulturelles Potenzial besaß. Je krasser die eine Seite, desto konstruktiver und kreativer die Gegenbewegung. Amerika war ein kreativ-poetischer Einfluss und hatte natürlich auch diesen Touch mit den ganzen bewusstseinserweiternden Drogen. Wir haben uns immer als Unterstützer derjenigen verstanden, die dort drüben den Kopf hingehalten haben und zum Beispiel gesagt haben, ›wir gehen nicht zum Militär‹. [Es herrschte] eine Sympathie für diejenigen Amerikaner, die auf der anderen Seite des Zaunes standen.«

In diesem Spannungsfeld zwischen Ablehnung und Anlehnung erwacht bei den Musikern ein politisch motivierter, kreativer Aktionismus: »Auf einmal war der Gedanke da: Ey, du kannst es doch, also mach’s doch einfach«, sagte Edgar Froese von Tangerine Dream 2006 in einem Interview mit dem taz Magazin. »Grundsätzlich war Befreiung der Grundtenor, der sich in der Musik widerspiegelte.«

Das im Oktober 1969 aufgenommene Debütalbum der zuvor mehrfach umbesetzten Band Tangerine Dream liefert ein Zeugnis der neu gewonnenen Freiheit: »Electronic Meditation« schöpft aus Rock’n’Roll, Klassik und experimenteller Musik und verschmilzt diese Elemente zu einem anarchisch dahinwabernden Ganzen. Entsprechend ungewöhnlich ist die Instrumentierung: Neben Orgel, Gitarre und Cello kommen auch Trinkgläser und eine Registrierkasse zum Einsatz.

Viele Bands der heraufdämmernden Krautrock-Ära vollziehen denselben Schritt und lassen ihrem Willen zur Gestaltung freien Lauf. Einflüsse werden dabei akzeptiert, dienen jedoch lediglich als Fundament der eigenen Entwicklung. »Teilweise wurde sicher viel von den Engländern und Amerikanern kopiert, aber man hat stets versucht, etwas Eigenes daraus zu machen«, erinnert sich der Sammler Klaus Sonntag, der seine Jugend im nordrhein-westfälischen Landkreis Lippe verbringt. »Missus Beastly zum Beispiel haben auf Funk und Jazz nur aufgebaut. Es macht den Krautrock aus, dass er in der Art und Weise, WIE Musik gemacht wird, klar definierbar ist: als vom angloamerikanischen Erbe abgekoppeltes Experiment.«

»Man kann nicht sagen, dass das, was wir gemacht haben, unbedingt ANTI-amerikanisch war«, beschreibt der damals in Hamburg lebende Hans-Joachim Irmler die neue Geisteshaltung. »Als wir die erste Platte gemacht haben, waren wir überzeugt, dass das etwas BESONDERES war – es war zeitgenössisch!« Und auch im Süden der Republik ändert sich die Arbeitsweise. Hellmut Hattler: »Wir haben im Prinzip die Energie des Jazz genommen und geschaut, was man selbst daraus machen kann. Die vielleicht wichtigsten Signalgeber für mich waren John Coltrane und Jimi Hendrix, durch sie bin ich auf Ideen gekommen. Ich denke aber, ich habe daraus etwas gemacht, was mir gemäß war.«

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