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5. Berufsmusiker aus gutem Hause:
Eine Szene entsteht

»Fast alle berühmten Popmusiker kommen aus ziemlich kleinbürgerlichen Verhältnissen.«

– Irmin Schmidt –

Ende der Sechziger ist das Berufsmusikertum in Deutschland – etwa im Vergleich zu den Vereinigten Staaten – noch kaum entwickelt. Kritiker der deutschen Rockszene haben dies stets als entscheidenden Makel empfunden und den deutschen Rockern jene Authentizität abgesprochen, die man nur durch den Staub der Straße erwirbt. Sicher – der Krautrock ist kein Aufschrei einer unterdrückten Klasse wie der Blues, er kommt auch nicht aus den Arbeitervierteln Liverpools, sondern ist die bewusst vollzogene, intellektuelle Kopfgeburt einer gebildeten Mittelschicht. Dabei wird aber eine wichtige Tatsache gern übersehen: Die junge deutsche Szene spielt zwar nicht primär ums wirtschaftliche Überleben, wirft jedoch, ganz im Gegensatz zu vielen englischen und amerikanischen Rockmusikern, oft eine vorgezeichnete oder bereits wohl geordnete bürgerliche Existenz über Bord. Obwohl sich das Krautrock-Einstiegsalter innerhalb einer für die Rockmusik ungewöhnlich weiten Spanne von etwa fünfzehn Lebensjahren bewegt, ähneln sich die gesellschaftlichen Ausgangslagen der meisten Musiker.

Roman Bunka, der seit frühen Teenagerjahren in Bands musiziert, bricht ein Kunststudium in Würzburg nach wenigen Semestern ab, um Profimusiker zu werden. Der Vater, ein großer Swingfan, billigt die Entscheidung: »Er hat selbst Gitarre gespielt, in einer Big Band in der Kriegsgefangenschaft.«

Peter Leopold, Spross einer Münchener Arztfamilie, stößt nicht auf solches Verständnis. Der Sohn soll später Medizin studieren (was Leopold Ende der Siebziger auch tatsächlich versucht) und seine Zeit nicht mit brotloser Kunst verplempern. »Mein Vater kam nach Hause und hat sich nach dem Mittagessen hingelegt«, schildert Leopold die häusliche Situation. »Ich wollte aber Schlagzeug spielen. Da kollidierten Welten. Ich habe gespielt, aber danach habe ich gesagt, ich will lieber ins Internat.« Über den privaten Musikunterricht erhält er dort Zugang zum Free Jazz: »Wir hatten mit meinem Klavierlehrer zusammen ein sehr schönes Free-Jazz-Trio. Da habe ich mich in Sachen Schlagzeug richtig reingehängt. Das war eine antiautoritäre Angelegenheit.« Als er in Musik trotzdem eine Fünf bekommt, muss Leopold die Schule verlassen. Zwei Jahre später ist er Berufsmusiker.

Über eine außergewöhnlich gute Startposition kann sich Irmin Schmidt freuen, der vor seinen revolutionären Klangexperimenten eine komplette klassische Musikausbildung durchläuft. Als er 1968 Can gründet, ist er bereits über 30 Jahre alt und legt eine viel versprechende Karriere auf Eis: »Natürlich haben meine Eltern nach meinen ersten größeren Erfolgen in Salzburg und Wien gedacht, dass ich ein großer Dirigent werde, aber als ich dann Can gegründet habe, fanden sie das auch toll.«

Manch anderem ist selbst noch ein wenig bange vor der eigenen Courage: »Wir hatten uns dazu entschlossen, alles hinzuschmeißen und die Musik als Surfbrett zu benutzen«, erzählt Hellmut Hattler. »Natürlich waren wir total davon besessen, Musik zu machen. Sie aber als Lebensgrundlage zu akzeptieren, war ein harter Schritt.« In der ersten Presseinfo der »Firma Kraan« steht, fast trotzig, eine Rechtfertigung für diesen Schritt zu lesen: »Wir haben keine festen Jobs in dieser Gesellschaft. Wir können leben und uns voll auf die Musik konzentrieren.«

Eine neue Avantgarde …

Der Kölner Gruppe Can kommt durch den Einfluss des Avantgarde-Komponisten Karlheinz Stockhausen – zu dessen Studenten neben Schmidt auch Bassist Holger Czukay zählt – zweifelsfrei eine Sonderstellung in der elektronischen Rockszene zu. Doch auch viele andere deutsche Bands entstehen vor einem akademischen Hintergrund, darunter die wohl erfolgreichste, Kraftwerk, die 1968 von den Musikstudenten Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben unter dem Namen »Organisation« gegründet wird. Musiker wie Wolfgang Nickel von den Herforder Missus Beastly bringen ebenfalls umfangreiches theoretisches Wissen in die neue Rockmusik ein: »Wolfgang ist ein klassisch ausgebildeter Kirchenmusiker, ganz typisch für diese Musikergeneration«, erklärt Klaus Sonntag, der Anfang der Siebziger mit den »Beastlies« in einer Wohngemeinschaft lebt. »Er hatte die klassische Ausbildung, war aber in seinem Denken sehr frei.«

Häufig verfügen einzelne Bandmitglieder zudem über weitreichende praktische Erfahrung – etwa der Kraan-Mitbegründer Jan Fride, der seit seinem zwölften Lebensjahr in Amateurbands spielt. Studierte Jazzmusiker wie Christian Burchard sind ernst zu nehmende Profis. »Das ist nicht nur so ein kiffender … du weißt schon«, sagt Embryo-Bewunderer Nick McCarthy. »Embryo sind überhaupt keine Hippies. Die Band hat vielleicht so einen Ruf, aber ich fand das überhaupt nicht. Christian hat mich fasziniert, denn er ist einer der unglaublichsten Musiker, die ich kenne.«

Als der 27-jährige Mani Neumeier 1968 The Guru Guru Groove gründet, hat er bereits mehrere Jazzpreise gewonnen. Auch Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit ist ein über Deutschland hinaus erfolgreicher Musiker, der ebenfalls eine kleine Karriere im Jazz hinter sich hat. »Diese musikalische Reife in den verschiedenen Stilen hatte den Haupteinfluss auf die Musik«, sagt Schmidt. Standesdünkel entsteht jedoch nicht – man versucht vielmehr, die Spannungen zwischen den Welten auszunutzen. So komplettiert ein eifriger Gitarrenschüler Czukays die Can-Besetzung. Schmidt: »Auch Michael (Karoli, Anm. d. Red.), der einzige von uns, der kein Komponist oder ausgebildeter Musiker war, sondern neunzehn Jahre alt und das, was man damals einen Beat-Gitarristen nannte, war mit Herz und Seele leidenschaftlicher Musiker und Komponist.«

Alle Gruppen verbindet das Gefühl, einer geistigen Elite anzugehören. »Wenn man arbeitet, hat man keine Zeit mehr zum Nachdenken«, sagt Hans-Joachim Irmler. »Deswegen konnte Krautrock nie von einer reinen Proll-Band gespielt werden, so hart das vielleicht klingt. Die Szene war schon recht kopflastig. Es gab höchstens vielleicht mal einen Schlagzeuger, der ein bisschen einfacher strukturiert war. Man musste ja immer erst darüber nachdenken, in welcher Situation und Zeit man lebte.«

In den Krautrock-Kellern beginnt man zunächst mit einem künstlerischen Abgleich, um gemeinsam zu einem neuen, demokratischen Stil zu finden. Die Ergebnisse sind entsprechend vielfältig. Irmler: »Jeder brachte irgendetwas mit, das ihm ganz besonders gut oder ganz besonders übel erschien. Ich persönlich fand die Beatles damals nicht so toll, und ich habe eine sehr bedenkliche Meinung über James Last. Ein bewundertes Hassobjekt von mir ist Bach – der findet sich auf der ersten Platte ja auch wieder …«

… und teures Gerät

Die allgegenwärtige Aufbruchstimmung tröstet über eine – nach heutigen Maßstäben – zuweilen mangelhafte Ausrüstung hinweg. Insbesondere elektrisch verstärkte Instrumente bleiben lange Zeit unerschwinglich. Roman Bunka erzählt:

»Es war sehr schwer, Equipment zu bekommen. Die Leute sind dafür zum Teil nach London gefahren. Der erste Gitarrenverstärker von Marshall wurde in einem Würzburger Proberaum regelrecht ausgestellt. Man ging dorthin, nur um den Verstärker einmal zu sehen.«

Der erst 17-jährige Hans-Joachim Irmler greift selbst zum Lötkolben und bastelt sich aus einem Holzgehäuse und einer gebrauchten Tastatur eine Orgel in Heimarbeit. »Natürlich hätte ich gerne eine Hammondorgel gehabt,« räumt er ein. »Im Nachhinein bin ich aber froh, dass ich mir das nicht leisten konnte.«

Durch das Selbermachen eröffnen sich künstlerisch neue Wege: Im Anschluss an die Proben tüftelt Irmler oft bis spät in die Nacht an seinem Instrument – und an dessen klanglichen Möglichkeiten. Die etwas schrullige Arbeitsweise zwischen Werkbank und Übungsraum hat er bis zum heutigen Tage beibehalten.

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